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sich demüthi; beugen. Lassen Sie uns beten für die Seele des Ster benden, und Gott um Verzeihung bitten, wenn wir geirrt haben in unserer mangelhaften Erkenntniß der rechten Mittel." Der Geheimrath preßte stöhnend die Hand aufs Herz; diese Worte schnitten wie Dolche in seine Brust und erschienen ihm wie das Gericht Gottes. Der Ausruf des Kranken vernichtete ihn vollends; Egbert liebte Regina, hatte ihr Bild mit hinaus in die freudlose Ferne genommen, nachdem ein grausames Geschick ihm das höchste Glück wie eine trü gerische Inta worgnun, der alte Graf Dürrenstein ihm sogar die Braut schon gezeigt und bestimmt hatte, um ihn im nächsten Augen blick als Bettler von hinnen ziehen zu lassen. Und jetzt? Der Geheimrath sah Reginas lichtes Bild neben dem Kranken und wie ein böser Zauber fiel die Binde selbstsüchtiger Leidenschaft urplötzlich von seinen Augen. Das ahnungslose Gebet des Missionärs hatte dem stolzen Mann den letzten sophistischen Halt genommen und ihm mit vernichtender Klarheit sein Verbrechen vor die Augen geführt. Es war Gott sel ber, welcher durch die Stimme seines Dieners dem Misfethäter das Gericht verkündete. „Es scheint mir", begann er plötzlich mit Anstrengung, „als ob der Kranke eine schwache Hoffnung uns noch bietet. Ich werde fei nen Kopf noch einmal untersuchen. Leuchten Sie mir gefälligst, wein Herr!" Dieser ergriff die Lampe, schraubte den Docht höher und trat hinter das Bett. Der Geheimrath schnitt mit einer feinen Schere an einer von ihm untersuchten Stelle das Haar dicht am Kopfe ab und ließ seinen Finger langsam über die jetzt deutlich gewordene Embuch. tung gleiten. „Hm, hm", sagte er nachdenklich, „die einzige Rettung wird eine Trepanierung des Gehirns sein. Haben Sie eine derartige Operation schon gesehen?" „Ja, Herr Doktor!" „Ich will nicht behaupten, daß der Kranke absolut dadurch ge rettet werden kann", fuhr Berg, eine kleine Verbandtasche vorziehend, jetzt ruhig und bestimmt fort, „will aber auch kein Mittel unterlassen, um meiner ärztlichen Pflicht in ihrem ganzen Umfang zu genügen. Können Sie rasieren?" „Gewiß — das Haar muß herunter, nicht wahr?" „Glatt an dieser Stelle weg." Urbanus zog ein haarscharfes Rasiermesser hervor und vollendete mit wunderbarer Geschicklichkeit feine Aufgabe, während Berg die Lampe hielt. „Gut", nickte er zufrieden, „jetzt werden Sie mir recht genau leuchten." Die Operation ging sehr rafch und sicher vor sich, beide Männer thaten ihre Pflicht, und die Menschenliebe triumphierte. „Ein kleiner Knochensplitter im Gehirn, wie ich mir schließlich noch gedacht, sehen Sie, nur winzig klein und doch genug, um ein Menschenleben zu vernichten. Auch eine Ansammlung von Blut und Eiter — so ist's recht — ah,« Sie sind ein ganz vortrefflicher Gehilfe, möchte Sie in unserm Hospital haben." So sprach der Geheimrath mit freudigem Eifer, wieder ganz Arzt, ganz in seinem Element. Es war sonst seine Art nicht, viele Worte zu machen, zumal bei einer wichtigen Operation. In diesem Falle aber schien es, als müsse er seine Seele von einem Alpdruck befreien und sich selber den mo ralischen Halt zurückerobern. Er hatte den Kranken in der letzten Minute gerettet und den größten Sieg errungen in dem schweren Kampf mit der eigenen selbst süchtigen Leidenschaft. Als der Geistliche seine Hand ergriff und dieselbe mit festem Druck umschloß, um ihm zu danken für die Rettung des treuen Ge fährten, da erröthete er beschämt und sagte abwehrend: „Keinen Dank für mich, preifen wir Gott, der in feiner Weis heit Ihr Gebet gar wunderlich gesegnet hat." Der Geheimrath zog sich bald in fein Schlafzimmer zurück, um dem jungen Geistlichen die Wache zu überlassen. Zum erstenmal nach langer, langer Zeit kniete er nieder zum Gebet, um dem Himmel aus tiefster Seele für diesen erlösenden Ab schluß in der schwersten Versuchung seines Lebens zu danken und in stiller Selbsterkenntniß den rechten Weg zum Frieden zu finden. Siebenundzwanzigstes Kapitel. DaS Geständnis. Mehrere Monate waren nach jenen verhängnißvollen Eereignissen verflossen. Alles blühte und duftete in Wald Flur, und in sommer licher Pracht erglänzte die weite, weite Welt. In dem Garten der Villa Elisabeth wandelten zwei HerrenHmg- sam im Gespräch dahin. Die Abendsonne warf ihre letzten Strahlen auf die fchimmernde Rofenflur, und ein leiser Wind trug auf seinen Schwingen die süßen Düfte durch die blaue Luft. „Wie schön ist das Leben", sagte der eine der beiden Lustwan delnden, träumerisch die Düfte einathmend, „o wie herrlich diese Gotteserde — und wie furchtbar, sie inmitten des Glücks und der Jugendkraft verlassen zu müssen. Nur, wer wie ich in das offene Grab schon geschaut, kann den Werth des Daseins ganz ermessen." „Darin stimme ich ihnen bei, lieber Gras!" versetzte Prinz Ar nold ernst, „obwohl ich mit dem Dichterwort, daß das Leben nicht der Güter höchstes, der Uebel größtes aber die Schuld ist, augen blicklich noch mehr übereinstimmen möchte." „Sie, Durchlaucht?" fragte Graf Egbert Dürrenstein, verwundert stehen bleibend. „Ja ich, Freund, der ich trotz meiner bekannten Don Juan Na tur auch Stunden habe, wo das Gewissen sein Recht geltend macht. Sie z. E. sind ein Glückskind, werden in der letzten Minute durch eine geschickte ärztliche Hand vom sicherem Tod gerettet, also, daß Sie jetzt in der Blüthe der Gesundheit in die Welt zurückkehren und Besitz von einem kolossalen Erbe ergreifen können, das Ihnen nur so in den Schoß fällt." „Ich kann diese Wundermär noch immer nicht fassen, Prinz!" warf Egbert kopfschüttelnd ein. „Begreife ich — streift auch ans Märchenhafte, im Handumdre hen Majoratsherr — allefammt todt, die Ihnen im Wege gestanden. Die ganze Welt gerieth darüber in Aufruhr und man raunte sich tolle Dinge ins Ohr. Der alte Dürrenstein starb am Schlage, der Albrecht stürzte von der Zwinger-Galerie und der andere, der Franz, ist ir gend wo im Ausland umgekommen. Es ist eine unheimliche Geschichte, lieber Graf, und möchte, aufrichtig gestanden, nicht in dem alten ver wünschten Schloß Hausen." „Es ist das Stammschloß meiner Väter, Durchlaucht!'! Egbert ernst, „und stets von dem Majoratsherrn bewoh^ Wird Se. Hoheit der Fürst mein Erbrecht bestätigen?" „Versteht sich, Lieber, er wollte nur Ihre Genesung Ihre Vorstellung bei Hofe abwarlen. Mau ist sehr gespe^ wer die zukünftige Schloßherrin von Dürrenstein fein wird.' Graf Egberts schönes, bleiches Antlitz umwölkte sich. „Hm, mein Prinz!" versetzte er finster, „ich bedaureft gierde der hohen Gesellschaft sobald noch nicht befriedigen? eine Neugierde, welche m den letzten Tagen überhaupt ft § mich heimgesucht hat, daß ich entschlossen bin, bald wieder ar zu gehen." I „Man hat Sie von der Residenz aus belästigt?" ft Prinz aushorchend. „Es gerielhen einige Herren auf Ler Jagd zufällig ftft ter andern der Freiherr v. Liltorf —" „Ah, alfo er", fiel der Prinz stirnrunzelnd ein, „Süss war mein Freund — nicht im guten Sinne, weshalb ich fallen ließ. Doch kommen Sie nach jener Bank, lieber Ks werde ich Ihnen eine Geschichte erzählen, auf welches das mir angeführte Dichterwort sich bezieht, eine Geschichte,^ Ihnen als eine Art Sühne mitiheilen muß." Er ergrifft Wort des Grafen Arm und schritt mit ihm zu einer Baah s cher beide Platz nahmen, und wo sie sicher vor jedem HoE Prinz Arnold erzählte jetzt mit gedämpfter Stimme di<^ seiner Liebe, ohne Reginas Namen zu nennen. Er schonte in keiner Weise und verurtheilte die Entführung mit d<» Ausdrücken. ! „Die einzige Entschuldigung, welche ich für mich anE möchte", so schloß er jetzt nut edlem Freimuth, „ist derE die Stiefmutter der jungen Dame mich eingewiegt hatte, nämlich mir Gegenliebe schenke und daß nur mein Rang ft, scheide, daß aber ein kühner Entschluß meinerseits mich führen werde. Sie werden meinem Worte Glauben sch^ Graf, daß ich die Ehre der Theuren nicht aufs Spiel setz^, sie zu meiner legitimen Gemahlin erheben wollte und halb mit meiner Familie auch vollständig mich entzweit h^' Der Graf nickte. „Ich glaube Ihnen, Prinz!" sagte er, mit unbewegt ihm zuhörend. „Schon am nächsten Morgen", fuhr Prinz Arnold fts mir eine niederdrückende Ahnung, daß die ränkevolle Stieft^ getäuscht, da die junge Dame für mich unsichtbar blieb ulit^ alter Kastellan mit leisem Vorwurs mir mittheilte, in Eft floß. Doch das konnte ja auch der verletzte jungfräuliche natürliche Scham nur sein. Dann aber erschien der Pfarrs als Abgesandter des Vaters, um die Tochter von mir ft Ich erschrak zuerst heftig, da ich bis zur Stunde noch nicht^- lym so rasch die Spur gezeigt. Ich würde ihm den Weg ft., liebten mit allen Mitteln der List und Gewalt versperrt nicht ein einziges Wort des Pfarrer meinen Widerstand s besiegt hätte. Er mußte ein Geheimniß preisgeben, das!. Beichtvater als Freund vertraut, dem sie in der Angst und lung ihr Herz geöffnet hatte, als sie sich, um den verarm zu retten, einem ungeliebten Mann opfern sollte. Dieses terte Herz war nicht mehr frei, aber nicht mir gehörte einem Mann, der leider keine Ahnung davon besaß, daß reizendste Wesen der Welt ihm mit schwärmerischer Lie^ war — einem Mann, den sie auf einer Reise durch Seite des Majoralsherrn v. Dürrenstein gesehen und der M das kaum dem Kmvesalter entwachsene schüchterne junge M" . nicht beachtet hatte." Mi s „Sie reden die Wahrheit, mein Prinz, wie könnte ichA: liches Wort in Zweifel ziehen", sprach Graf Egbert nach r> - mit leiser, vor Erregung bebender Stimme, „ich danke-'V Herzen für dieses frelinüthige Bekenntniß, da ich nicht leB-^ daß Liltorf mir die Geschichte der, wie er sich ausdriM' / Entführung mit den pikantesten und somit gehässigsten § malt hat. Wo ist jene junge Dame jetzt, Durchlaucht," setzte hinzu. ' „Im Institut, wo sie erzogen morden, man spricht vE sie dort bleiben wird, ein Gerücht, das, wenn es sich tief betrüben könnte. Sie lag lange schwer krank danieder,' Vater, welcher in der Nähe des Instituts sich einige thet hat, und noch fortwährend kränkeln soll. Sie können vorstellen, lieber Graf, welche Unruhe und Gewissenspeus »5 schichte mir macht, da ich mir leider nicht verhehlen darf, Unbesonnenheit alles Unglück verschuldet hat." Egbert nickte gedankenvoll. „Und die Baronin? — die Stiefmutter der jungen M besserte er sich erröthend, „wo ist sie geblieben?" „Fort, über alle Berge", versetzte der Prinz, theilte mir darüber zwischen den Zeilen mit, daß sie von dem Gemahl getrennt habe. Ay", setzte er erfreut ft" E man von den Wolf redet, kommt er dahergerannt. Wiu^ : ber Geheimrath!" Berg fchritt in diesem Augenblick rasch durch den sah sehr wohl und stattlich aus und ein zufriedenes Lach"" seinen Mund. Sich vor dem Prinzen tief verbeugend, ergriff Berg Druck die ihm entgegengestreckte Hand Egberts und sagte „Ich sehe zu meiner Freude, daß mein Patient sich wohl befindet. Jetzt dürfen wir es wagen, in die Welt und den Platz einzunehmen, welchen das Geschick, oder stg^^ die gütige Vorsehung Ihnen, als den letzten und würdig!' § Ihres stolzen Geschlechts, bestimmt hat." „Ich kam hierher, um den Grafen zu bitten, mir nach ,,/, denz zu folgen," nahm der Prinz rasch das Wort, „mein » sehnlichst, den jungen Majoratsherrn bei Hofe vorgesteüt Der Geheimrath wechselte einen verstohlenen Blick MÜ „Durchlaucht machen mich sehr glücklich durch Ihre liehe Huld," versetzte der Graf, „und fühle ich mich fast - all dem Sonnenschein, der so urplötzlich mich überströmt- ich, mein gnädigster Prinz, mir eben deshalb noch eine Sammlung zu gönnen, bevor ich in die große Welt Mtw' die Verantwortlichkeit emer Stellung aus mich zu nehmen, ^sl^ durch so traurige Vorfälle mir zu theil werden konnte- . Durchlaucht mir, in den einfamen Hallen meiner Ahnen vorzubereiten und seien Sie mein Fürsprecher bei Sr. Hoh^ ' gnädigsten Fürsten." (Fortsetzung folgt.)