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Dauer bis zu fünfzehn Jahren an geeignete Unternehmer zu übertragen und in den hierüber abzuschließenden Verträgen Beihülfen bis zum Höchstbetrage von jährlich 5400 000 Mark aus Rrichsmitteln zu be willigen. Die Vorlage wurde an eine Commission verwiesen. Hier war es nach sehr langwierigen und mühevollen Verhandlungen der Majorität, bestehend aus dem größten Theile der Centrumspartei, den Socialdemokraten und den Deutschfreisinnigcn unter Eugen Richters und Or. Bambergers Führung, trotz der warmen Vertheidigung der Conser- vativen, der Nationalliberalen und eines Mitgliedes des Centrums ge lungen, die Vorlage so zu verstümmeln, daß selbst die Freunde der selben bei der Schlußabstimmung in der Commission sich genöthigt sahen, mit Nein zu stimmen. Eugen Richter hatte seinen Zweck erreicht, er rief den Conservativen und Nationalliberalen bei dieser Abstimmung höhnend zu: „Dahin wollten wir Sie gerade haben." Aber dieses Triumphgeschrei war verfrüht in der zweiten Lesung vor dem Reichstag kam es anders. Die Linie nach Ostasien wurde ohne großen Widerspruch bewilligt, die Linie nach Australien rief harte Kämpfe hervor, fand aber schließlich mit 170 gegen 159 Stimmen auch Annahme. Dafür stimmten die Conservativen, die Nationalliberalen und 17 Mitglieder des Centrums, dagegen fiel die Linie nach Afrika mit 166 gegen 157 Stimmen. Angenommen wurde endlich noch eine Zweiglinie von Triest über Brindisi nach Alexandrien und bewilligt wurden zu alle dem Beihülfen von 4200000 Mark jährlich auf die Dauer von 15 Jahren. In dieser, 5 Sitzungen in Anspruch nehmenden Berathung überragte alles Andere eine hoch interessante Rede des Fürsten Bismarck. Sie documentirte von Neuem den Scharfsinn und die Thatkraft, wie den warmfühlenden Patriotismus des Kanzlers. Er schilderte mit Begeisterung die Auferstehung von Kaiser und Reich als den deutschen Völkerfrühling und führte mit Schmerz die Gefahren vor, welche dem großen Werke der deutschen Einigkeit durch den Parteihader geschaffen werden könnten. Ich habe den Kanzler unzählige Male reden hören, aber eine solche Begeisterung, eine solche Wärme war noch niemals über ihn gekommen, wie an jenem denk würdigen Tage. Das Haus durchbrauste, als der Kanzler, dessen Antlitz sich geröthet hatte, dessen Augen feucht geworden waren, ge schlossen, ein gewaltiger nicht enden wollender Beifallszuruf und die dichtgefüllten Tribünen stimmten in diesen Jubelruf, den ein dankbares Volk seinem ersten Staatsmanne entgegenbrachte, begeistert ein. Nur einmal habe ich in meinem langjährigen Reichstagsleben Aehnliches erlebt. Das war an jenem großen Tage im Jahre 1870, als der Kanzler dem norddeutschen Reichstag die Kriegserklärung Frankreichs mittheilte. Damals manifestirte das brausende Hurrah die Einigkeit der deutschen Stämme im Kampfe gegen den äußeren Feind, diesmal legte der Jubelruf der Vertreter der Nation Zeugniß ab für die Uebereinstimmung des Volkes und der Regierungen in dem Streben, Deutschland überall und weit hinaus die Stellung zu erobern und zu sichern, auf die es Anspruch zu machen berechtigt ist. — In der dritten Lesung fanden die nur erwähnten Beschlüsse ihre endgültige Bestätigung Die Conservativen hatten sich zwar die Frage vorgelegt, ob sie nicht den Antrag auf Ge nehmigung der afrikanischen Linie wieder einbringen sollten, zumal die selbe ja nur mit einer Mehrheit von 9 Stimmen abgelehnt worden war. Aber man sah schließlich doch davon ab, weil man fürchtete, damit von Neuem die wichtigere Linie nach Australien zu gefährden und weil die Regierungen selbst dem Anscheine nach der Meinung waren, daß bis zur weiteren Consolidirung der Verhältnisse in Afrika, etwa auf ein Jahr, ohne Schaden diese Frage sistirt werden könne. Ein wesentlich anderes, aber nach meiner Ansicht auch zufrieden stellendes Resultat haben die Berathungen über die Postsparkassen- Vorlage geliefert. Die Regierungsvorlage beabsichtigte, selbstständige Postsparkassen einzuführen und diese noch dazu mit verschiedenen Vor rechten auszustatten. Wie die sächsische Staatsregierung in richtiger Erkenntniß der Gefahren, welche damit insbesondere in Sachsen den hochentwickelten Communalsparkassen bereitet werden würden, sich im Bundesrathe gegen dieses Projekt erklärt hatte, so bekämpften auch mehrere sächsische Abgeordnete, und unter ihnen der Unterzeichnete, die Vorlage im Reichstage und weiterhin in dec Commission, an welche dieselbe verwiesen wurde. Kein deutscher Staat wäre, wenn der Ent wurf Gesetz geworden, so sehr geschädigt worden in seinen communalen Einrichtungen, in seinen Nealcreditverhältnissen, wie Sachsen, in welchem jeder dritte Mann Inhaber eines Sparkassenbuches ist. Es mag dahin gestellt bleiben, ob nicht die Post ohne sich selbst mit dem Sparkassen wesen zu beschäftigen, der Vermittelung des Verkehrs mit und unter den Sparkassen dienstbar gemacht werden kann, in keinem Falle aber darf die Post den bestehenden und segensreich wirkenden Sparkassen eine be drohliche Concurrenz machen und die reichen Mittel, welche dabei ange sammelt werden, den Einzelstaatcn und Provinzen entführen und zu Zwecken verwenden, welche dem Wesen der Sparkassen fernliegen. Die Vorlage ist in der Commission gefallen und wird, wenn sie wider Er warten noch an das Plenum des Reichstags kommen sollte, aller Voraus sicht nach auch da verworfen werden. Will man das Verhalten der sächsischen Abgeordneten deshalb tadeln und sie eines reichsfeindlichcn Partikularismus anklagen, so mag man es thun, der Wahrheit würde aber solche Kritik nicht entsprechen. Wir haben oft genug bewiesen, daß wir gern bereit sind, dem Reiche das zu geben, was ihm gebührt. Aber man soll uns nicht zumuthen, gute und hochentwickelte Institutionen aufzugeben, die wir nicht entbehren können und die von den Partikular- staatcn unter Würdigung der localen Verhältnisse besser gepflegt werden als von dem Reiche. Auf dem socialpolitischen Gebiete sind zwei Gesetzentwürfe an den Reichstag gekommen, der eine bezweckt die Ausdehnung der Kranken- und Unfallversicherung auf das gesammte Transportge werbe, der andere die Ausdehnung der Unfallversicherung auf die land- und forstwirthschaftlichen Arbeiter. Der erstere bietet keine Schwierigkeiten dar und wird von der berichterstattenden Commission zur Annahme empfohlen, der andere ist noch nicht spruch reif und muß wesentlich modisicirt werden. Insbesondere ist an ihm zu tadeln, daß er den eigenartigen Verhältnissen der kleinen landwirth- schaftlichen Betriebe nicht ausreichend Rechnung trägt. Zu den wichtigsten Vorlagen der neueren Zeit gehört der Gesetz entwurf, die Abänderung des Zolltarifgesetzes vom 15. Juli 1879 betreffend. Um für diese Vorlage eine Majorität zu sichern, hatte sich eine ans den Anhängern einer rationellen Schutzzollpolitik bestehende freie wirthschaftliche Vereinigung gebildet. Ich habe mich wie im Jahre 1879 so auch jetzt derselben angeschlossen. Es handelt sich um weiteren Schutzzoll für die schwerbedrängte Landwirthschaft und um von den Interessen der Industrie gebotene mehrfache Modifikationen des erwähnten Zolltarifs. Die Zölle für die Land- und Forst - wirth sch aft haben einen großen Sturm hervorgerufen. Die Agitation gegen die Getreidezölle, ausgehend von der Manchesterpartei und den Deutschfreisinnigen, ist in maßloser Weise betrieben worden, es wird den um einen kärglichen Lohn sich mühenden Arbeitern vorgeredet, daß das tägliche Brod vertheuert werden solle, um eine kleine Zahl von Großgrundbesitzern reicher zu machen, als sie schon sind. Wäre das begründet, so würden allerdings die Abgeordneten, welche der Erhöhung des Zolls für Roggen und Weizen von 1 Mark auf 3 Mk. Pr. 100 Kilo zugestimmt haben, als Volksfeinde anzusehen sein, und die Proscriptions- liste, welche die fortschrittliche Presse anzulegen anrathet, hätte ihre Be rechtigung. Aber so liegt glücklicherweise die Sache nicht. Es handelt sich darum, ob die Landwirthschaft der deutschen Nation erhalten bleiben oder dem Untergange geweiht werden soll. Geht aber die Landwirth schaft zu Grunde, so verliert die Industrie den besten Theil ihrer Kund schaft und der bei der Industrie beschäftigte Arbeiter wird brodlos. Hat der Bauer Geld, hat's die ganze Welt, sagt mit Recht ein altes gutes Sprichwort. Nordamerika, Canada, Australien, Indien bringen den Ueberfluß ihrer Körnerfrüchte zu Preisen auf den europäischen Markt, mit welchen die deutsche Landwirthschaft auch nicht entfernt in der Lage ist, zu concurriren. Das kann einmal anders werden, denn der Raubbau der transatlantischen Länder wird auch, wenn die großen Schätze des Bodens verzehrt sind, sein Ende finden. Dermalen aber ist noch nicht daran zu denken, und darum muß man die heimische Landwirthschaft schützen, wenn man nicht die ersten und obersten staatsmännischen Ge sichtspunkte verläugnen will. Und dabei ist die ganze Landwirthschaft, die große wie die kleine, und dabei sind die vielen Tausende von Arbeitern, welche in der Landwirthschaft beschäftigt werden, gleichmäßig interessirt. Sie betreiben insgesammt dasselbe Gewerbe und sie verlieren insgesammt, wenn der heimische Boden nicht mehr die nöthige Rente abwirft. Das haben auch die deutschen Bauern ganz richtig erkannt, sie haben massenhaft um Erhöhung der Getreidezölle petitionirt, und sie sind, wie Fürst Bismarck sagte, weit klüger, als die Manchesterleute sie brauchen können. Ob die Preise für Roggen und Weizen in Folge der Zollerhöhung eine Steigerung erfahren, wie im Interesse der Land wirthschaft gewünscht werden muß, mag übrigens noch dahingestellt bleiben, die Brodpreise müssen aber darum nicht fühlbar sich erhöhen, weil die großen Schwankungen, welchen die Getreidepreise in jedem Jahre, ja in jedem Monate unterliegen, die Zölle so sehr verschwinden machen, daß sie bei dem Kleingeschäft für das Pfund Brod nicht mehr zur Erscheinung kommen. Wenn wirklich die Brodpreise sich steigern sollten, so ist daran nicht der Zollschutz schuld, der Krebsschaden liegt ganz wo anders, er liegt in der wüsten Speculation, welche mit den Körnerfrüchten getrieben wird und in der großen Zahl von Zwischen händlern, durch deren Hände das ausgedroschene Korn geht, bevor es aus der Scheune des Landwirths als Brod auf dem Tische des Con- sumenten liegt. Wer überhaupt die nationale Arbeit schützen will, der darf von diesem Schutze nicht den Getreidebau ausschließen, der darf nicht vergessen, daß an jedem Centner deutschen Roggens menschliche Arbeit von mindestens 5 'Mark haftet. Aus diesen Gründen habe ich geglaubt, durch Zustimmung zu den Getreidezöllen nur meine Pflicht zu erfüllen. — Ich muß mir versagen, mich eingehend über die andern Zölle, den Vichzoll, den Holzzoll rc. zu verbreiten. Im Ganzen führen dieselben Erwägungen auch hier zu demselben Resultate. Wie in einer früheren Session von mir, so ist in dieser Session von dem Abg. Merbach nach vorausgegangenen Besprechungen, an wel chen ich mich gern betheiligt habe, das Verlangen nach einem Schutzzoll