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den stärksten Ausdrücken vorging, aber doch den eingebrachten Gesetz entwurf verwarf, weil er mit der Regierung nicht zufrieden ist und dieser nicht neue Steuern bewilligen will. Wenn freilich mit der Börsen steuer gewartet werden soll, bis sich die Regierung die Zufriedenheit der Herren Kaiser und Gen. erwirbt, dann wird die Einführung der Börsensteuer bis zum Nimmermehrstag sistirt werden müssen. Die Commission hat nun in ihrer Mehrheit sich dahin erklärt, daß dem Gesetze das Princip der procentualen Besteuerung des Geschäftsumfangs zu Grunde zu legen, und daß der Schlußnotenzwang einzuführen ist. Im Speciellen ist bestimmt worden, daß 1. bei Käufen und sonstigen Anschaffungsgeschäften über in ausländischer Währung zahlbare Wechsel, ausländische Banknoten, ausländisches Papiergeld, ausländische Geld sorten, Auszahlungen an ausländischen Plätzen in fremden Valuten, ferner 2. über Werthpapiere der in dem Tarife näher bezeichneten Art L. bei Käufen und sonstigen Anschaffungsgeschäften, welche unter Zugrundelegung von Usancen einer Börse geschlossen werden (Loco-, Zeit-, Tax-, Termin-, Prämien-rc. Geschäfte) über Mengen von Waaren, die börsenmäßig gehandelt werden, vom Tausend des Werthes des Ge schäftsgegenstandes und zwar in Abstufungen von je vollen 2000 Mark bei Geschäften im Werthe von 10 000 Mark und mehr bez. in Abstufungen von je vollen 10000 Mark als Steuer zu entrichten sind. Befreit bleiben Geschäfte, bei welchen der Werth des Gegenstandes nicht mehr als 600 Mark beträgt und sogenannte Contantgeschäfte über die unter bezeichneten Gegenstände, sowie über ungemünztes Gold oder Silber. Die Schlußnoten sollen nach der Zeitfolge fünf Jahre lang aufbewahrt werden. Die in den einzelnen Bundesstaaten mit der Beaufsichtigung des Stempelwesens beauftragten Behörden haben mit den zeither schon gültigen Befugnissen die ihnen obliegenden Verpflichtungen auch hinsicht lich der in diesem Gesetze bestimmten Abgaben wahrzunehmen. — Wel chen Ausgang die Sache im Plenum des Reichstags finden wird, läßt sich noch nicht übersehen. Es steht aber zu hoffen, daß die Vorschläge der Commission in der Hauptsache Annahme finden und daß damit eine Forderung der Gerechtigkeit, welcher die Conservativen seit Jahren das Wort geredet haben, erfüllt wird. Auf dem Gebiete derArbeiterschutz-Gesetzgcbung sind von Conservativen, Centrum und Socialdemokraten eine ganze Reihe von Initiativanträgen eingebracht und einer Commission, der ich selbst ange höre, überwiesen worden. Abgesehen von dem viel weiter gehenden Anträge der Socialdemokraten handelt es sich dabei in der Hauptsache um die Sonntagsruhe, die Nachtarbeit, die Frauen- und Kinderarbeit und den Maximalarbeitstag. Es ist nicht möglich gewesen, in dieser Session über diese schwer wiegenden Fragen insgesammt auch nur einen endgültigen Commissionsbeschluß herbeizuführen. Lediglich die Sonntags ruhe hat Abschluß in der Commission gefunden und ich erwähne hierüber, indem ich mir Vorbehalte, bei einer anderen Gelegenheit die ganze Materie eingehend zu besprechen, für jetzt nur Folgendes. Die Com mission will in die Gewerbeordnung ein bestimmtes Verbot der Be schäftigung von Arbeitern in Fabriken, Werkstätten und bei Bauten an Sonn- und Festtagen ausgenommen wissen. Die Inhaber von Verkaufs stellen aller Art sollen ihre Gehülfen und Lehrlinge an Sonn- und Fest tagen im Ganzen höchstens fünf Stunden beschäftigen können. Arbeiten zur Ausführung von Reparaturen, durch welche der regelmäßige Fort gang des Betriebes bedingt ist, sowie Arbeiten, welche nach der Natur des Gewerbebetriebes einen Aufschub oder eine Unterbrechung nicht ge statten, fallen nicht unter das Verbot, doch muß auch in diesen Fällen für jeden Arbeiter an jedem zweiten Sonntage mindestens die Zeit von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends freibleiben. Das Nähere über die Ausnahmen setzt der Bnndesrath fest. In dringenden Fällen kann auch die Ortspolizeibehörde die Beschäftigung an Sonn- und Festtagen gestatten. Ich glaube, daß diese Beschlüsse, welche zum größern Theile auf von mir selbst eingebrachte Anträge gefaßt worden sind, gleichmäßig den Rücksichten für das Wohl der Arbeiter wie den factischen Verhält nissen im Gewerbebetriebe entsprechen. Ob die Angelegenheit noch in dieser Session vom Plenum erledigt werden kann, muß dahingestellt bleiben. Seit einer langen Reihe von Jahren bin ich in Verbindung mit meinen politischen Freunden bemüht, eine festere Ordnung für das deutsche Handwerk im Wege der Gesetzgebung zu erlangen und diejenigen Organisationen zu gewinnen, welche nicht entbehrt werden können, wenn das in dem Handwerk vertretene Bürgerthum dem Staate erhalten bleiben soll. Ich bin deshalb in der gegnerischen Presse und sonst heftig angefeindet und verdächtigt worden. Daß mich das nicht beirren kann, bedarf nicht der besondern Versicherung Ich stehe zu lange im öffent lichen Leben, als daß mich solche Nadelstiche irgendwie irritiren könnten. Auf meiner Ueberzeugung stehe ich fest, da wanke und weiche ich nicht, und, was ich für gut und recht halte, das führe ich durch, unbekümmert darum, ob es mir Lob oder Tadel bringt. Vieles ist im Laufe der Zeit schon erreicht worden, Vieles muß aber noch vollbracht werden, bis die Reformarbeit als vollendet angesehen werden kann. Gegen wärtig handelt es sich vornehmlich um weitere Kräftigung der Innungen und um Einführung des Befähigungsnachweises. In ersterer Beziehung wird selbstverständlich nicht an Wiederherstellung der Jnnungsverfaffung mit Bann- und Verbietungsrechten früherer Jahrhunderte gedacht. Aber die corporativen Verbände zur Pflege des Gemeingeistes, zur Aufrcchthaltung und Stärkung der Standesehre unter den Jnnungsmitgliedern, zur Förderung eines gedeihlichen Verhältnisses zwischen Meistern und Gesellen, zur technischen, gewerblichen und sitt lichen Ausbildung der Lehrlinge, zur Einrichtung aller dazu nöthigen Institutionen — Herbergswesen, Fachschulen, Gesellen- und Meister prüfungen, Aufstellung von Hlllfsmaschinen, Unterstützungscassen, Schieds gerichte — müssen gekräftigt müssen mit Vorrechten ausgestattet und damit allen Gewerbtreibenden begehrenswerth gemacht werden. Die jetzige Bestimmung in ß 100s der Gewerbeordnung, nach welcher einer Innung, welche sich auf dem Gebiete des Lehrlingswesens bewährt hat, durch die höhere Verwaltungsbehörde die Rechte zugesprochen werden können, daß Streitigkeiten aus den Lehrverhältnissen auch Nichtinnungs mitgliedern gegenüber von der Jnnungsbehörde entschieden werden, daß die von der Innung erlassenen Vorschriften über die Regelung des Lehrlingsverhältnisses sowie über die Ausbildung und Prüfung der Lehr linge auch für die der Innung nicht angehörenden Arbeitgeber bindend sind und endlich daß diese Arbeitgeber von einem bestimmten Zeitpunkte an Lehrlinge nicht mehr annehmen dürfen, reicht nicht aus. Die Er fahrung hat gelehrt, daß auf diesem Wege, wenn überhaupt, so doch sehr spät erst an das Ziel zu gelangen ist. Darum haben wir bean tragt, daß eine Innung, welcher mehr als die Hälfte der Arbeitgeber des betr. Gewerbes beigetreten sind, diese Vorrechte ohne Weiteres auf ihren Antrag eingeräumt werden müssen und daß solcher Innung weiter die Berechtigung erthcilt werden muß, daß sie die ihr nicht angehörenden Arbeitgeber zu Beiträgen für die gemeinnützigen Einrichtungen der Innung unter gleichmäßiger Beiheiligung an deren Benutzung heran ziehen kann. Damit wird das Majoritätsprincip eingeführt und es ist nicht abzusehen, warum dieses bei den wichtigsten Fragen im öffentlichen Leben zur Anwendung kommende Princip nicht auch für die Ordnung der Innungs-Angelegenheiten passen soll. Hat sich die Mehrheit für die Jnnungsverfaffung erklärt, so ist es ungerechtfertigt, der Minderheit eine Sonderstellung einzuräumen und jene allein mit den Kosten für die der Gesammtheit dienenden Institutionen zu belasten. Ob später, wenn die Mehrheit aller Handwerker den Innungen beigetreten sind, obliga torische Innungen eingeführe werden können, ist eine Frage, die der Zukunft überlasten werden kann. Oesterreich hat in seiner neuen Ge werbeordnung von 1883 die obligatorischen Innungen angenommen, Im deutschen Reichstag giebt es zur Zeit für dieselben keine Majorität. Die erwähnten Anträge zu § 100s haben die Billigung der Commission, der ich selbst angehöre, gefunden. Im Plenum des Reichstags können sie in dieser Session nicht mehr zur Verabschiedung gelangen. Aber das durch den bevorstehenden Schluß der Session unterbrochene Werk wird in der nächsten Session wieder ausgenommen und, wills Gott, durch geführt werden. — Unsere Anträge über den Befähigungsnach weis bezwecken, daß auch diejenigen Handwerker, welche einer Innung nicht beitreten, bei ihrer Anmeldung zum Gewerbebetrieb sich über ihre Befähigung zur selbstständigen Ausführung der Arbeiten des betreffenden Gewerbes ausweisen müssen. Die Commission hat sich mit dieser Materie noch nicht beschäftigt. Ich behalte mir die Mittheilung der Details für später vor und bemerke Hier nur, daß unsere Vorschläge in der Hauptsache der österreichischen Gewerbeordnung entnommen sind und daß sich die Bestimmungen der letzteren, nach den von mir an compe- tenter Stelle eingezogenen Erkundigungen, bewährt haben. Ungelöst bleiben endlich auch noch die wichtigen Fragen über eine Entschädigung für unschuldig Verurtheilte und über die Einführung der Berufung gegen die erstinstanzlichen Ur theile der Strafkammern. Ich bin davon überzeugt, daß nach beiden Richtungen hin Abänderungen der Gesetzgebung geboten sind und daß die berechtigten Forderungen nicht länger zurückgewiesen werden können. Damit schließe ich meine Mittheilungen über den Reichstag Ich habe ohnehin die Geduld meiner Leser mehr in Anspruch genommen, als ich anfänglich beabsichtigte. Der Reichstag wird voraussichtlich in der allernächsten Zeit geschloffen werden. Er hat große wichtige Fragen gelöst, andere spruchreif gemacht. Ob er allenthalben das Rechte ge troffen hat ob seine Beschlüsse die Macht, die Ehre das Ansehen des deut schen Vaterlandes, das Glück und die Wohlfahrt des Volkes zu fördern ge eignet sind, muß die Zukunft lehren. Ohne Gottes Segen kann der Mensch nichts schaffen. Möge dieser Segen auch unsern Arbeiten nicht fehlen. Berlin, am 6. Mai 1885. Gustav Ackermann. Druck von Clemens Landgraf in Potschappel.