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Berlin, 1. August. Die in Hof- und auswärtigen Angelegen heiten recht gut unterrichtete „Kreuzzeitung" schreibt: „Einzelne Blätter haben die Ankündigung der Gasteiner Kaiserentrevue und die gleichzei tige Meldung aus Wien, daß im Laufe dieses Sommers eine Zusam menkunft des Kaisers Franz Joseph mit dem Kaiser Alexander von Rußland zu erwarten sei, zu der Kombination benutzt, daß eine Drei- Kaiserzusammenkunft bevorstehe. Die jetzt aus Petersburg vor liegenden Meldungen über die Reise der russilchen Herrscherfamilie be weisen genugsam, wie kühn und unbegründet jene Kombinationen waren. Die Abreise des Kaisers, der Kaiserin und des Thronfolgers von Petersburg nach Finnland erfolgt zu Schiffe am 2. August, Tags darauf findet die Ankunft in Wiborg statt, von wo der Kaiser sich zu den Mannövern bei Wilmanstrand begiebt, um hernach in Helsingfors einen mehrtägigen Aufenthalt zu nehmen. Die kaiserliche Familie begiebt sich später nach Südrußland und von dort aus wird der Zar dem Kaiser von Oesterreich einen Besuch abstatten." Der Berliner Maurerstrike neigt sich mehr und mehr seinem sanftseligen Ende zu. Die Strikenden versuchen zwar immer noch, ihre Genossen durch Kraftworte zum Ausharren zu bewegen oder sie zu veranlassen, nur da Arbeit zu nehmen, wo 5 Mark Lohn gezahlt wird, aber der knurrende Magen will nicht recht mehr darauf hören. Das große Unglück, von welchem die Stadt Köln betroffen wor den ist, der unheilvolle Zusammensturz zweier Häuser, hat allenthalben große Theilnahme hervorgerufen. Unser Kaiser hat für die Nothlei denden 1000 M., die Kaiserin 300 M. gespendet. Das „Berl. Tagebl." schreibt: „In Ungarn scheint man endlich von den hochfliegenden Plänen, welche man sich dort in Bezug auf die Zollverhältnisse mit Deutschland gebildet hatte, zurückgekommen zu sein. Der große Gedanke eines Zollbündnisses mit Deutschland scheint wie ein schöner Traum verflogen zu sein, denn, wie uns unser Wiener Korrespondent meldet, vertritt laut Pester Nachrichten die ungarische Regierung den Standpunkt, daß mit Deutschland lediglich ein Zoll- und Handelsvertrag angestrebt werden solle. Alle weitergehenden Pro jekte hätten als undurchführbar außer Diskussion zu bleiben. Hoffent lich werden nunmehr die Zollbundsphantasien aufhören." Von verschiedenen Seiten wird berichtet, daß der deutsche Kron prinz als Vertreter seines erlauchten Vaters der Begegnung der Kaiser von Oesterreich und Rußland beiwohnen werde, wenn der Gesund heitszustand des Kaisers Wilhelm nicht der Art sein sollte, um eine Betheiligung des greisen Monarchen in eigener Person rathsam er scheinen zu lassen. Dieser Ausweg ist nach der „N. Ztg." indessen ausgeschlossen, da der höfische Brauch eine derartige Stellvertretung verbietet. Auch Fürst Bismarck würde dieser Kaiserbegegnung nur in der Begleitung seines Souveräns beiwohnen können. Es ist übrigens nicht ganz unwahrscheinlich, daß doch noch eine Dreikaiserzusammen kunft im Laufe dieses Sommes stattfinden wird; sie würde den persön lichen Wünschen des Kaisers Wilhelm durchaus entsprechen. Mainz, 29. Juli. Am hiesigen Stadthaus sieht es recht unheim lich aus. Polizeirath Travers hat aus Anlaß der ihm von hier und auswärts zugegangenen, angeblich von anarchistischer Seite stammen der Drohbriefe für die Dauer seiner Anwesenheit im Stadlhause einen ständigen Schutzmannsposten vor demselben aufgestellt. Er trägt stets einen Revolver mit sich und wird auf allen seinen Gängen in entspre chender Entfernung von Schutzleuten begleitet. Der Zugang zu feinem Amtslokal kann nur durch andere, mit Polizeibeamten besetzte Büreaus erfolgen. Die Schutzmannschaft hat verschärften Dienst; in jedem Po lizeibezirk patrouillirt ständig ein gewiegter Schutzmann in Civil, um auf Anarchisten zu vigiliren. Ein aus der Schweiz zugereister angeb licher „Anarchist" wird fortwährend überwacht. Der schlimmste Mangel, den ein Volk erleiden kann, ist der, daß es ihm an Männern fehlt. In dieser trostlosen Lage befindet sich Frankreich und von Tag zu Tag wird dieser Mangel unseren Nach barn sühlbarer. Die Wahlen rücken näher und näher heran und überall sind es nur Götter zweiter und dritter Größe, nirgends einer, der den Donnerkeil schwingt und einen Jupiterkopf auf den Schultern trüge. Jede Partei, von den Legitimisten bis zu den halb und ganz Redikalen sagt, daß sie allein das Rezept besitze, den Staat zu retten; das fran zösische Volk aber scheint den Glauben an die gesammte Zunft der Heilkünstlcr verloren zu haben und will sich durch keine noch so schöne Rede mehr begeistern lassen. Die Evangelischen inFrankreich entfalten trotz der bedrängten Lage, in welche sie durch die atheistische Strömung innerhalb von Paris gerathen sind, ein frisches und fröhliches Glaubensleben. Dafür legen die Werke christlicher Liebe, welche sietreiben, unwidersprechliches Zeug- niß ab. Die Gesellschaft für die Sonntagsheiligung hat bei einer Einnahme von 1883 Franks 4000 Schriften über den Sonntag ver breitet. Die Gefellschaft für Verbreitung christlicher Schriften hat 53,037 Frks. eingenommen und 565,000 Schriften verbreitet, darunter 30,000 für Kinder. Außerdem hat sie 83,000 Exemplare eines christ lichen Kalenders abgesetzt und ein christliches Wochenblatt für die Ju gend in 3300 Exemplaren verbreitet. Die Arbeit der evangelischen Gesellschaft, welche sich mit der Evangelisation Frankreichs besaßt, wirkt durch die im Lande gegründeten evangelischen Schulen. Die Pariser evangelische Missionsgesellschaft hat 317,429 Frks. eingenom men und im April einen neuen Prediger des Evangeliums ebenso zwei Lehrerinnen nach Tahiti entsendet. Die beiden Bibelgesellschaften, die französische und pariser haben zusammen nicht weniger als 9427 Bibeln, 16,726 neue Testamente und Theile der heiligen Schrift verkauft oder verschenkt, freilich mit einem Gesammtverlust von über 20,000 Frks. Die Gesellschaft zur Unterstützung des evangelischen Elementarunterrichts unterhält mit Eifer und Erfolg ihre fünf Lehrer- und Lehrerinnense minare und hat im verflossenen Jahr überdies 125 Schulen unterstützt. Die Gesellschaft für die Sonntagsschulen hat 19,996 Frks. eingenom men und 24,409 Frks. ausgegeben. Die Diakonissenanstalt endlich, die fast ausschließlich der reformirten Kirche angehört, zählt55 Schwestern, von denen ungefähr die Hälfte im Hause selbst beschäftigt ist; 369 Kranke wurden verpflegt; ein mit dem Hause verbundenes Magdalenen- stist zählte 25 Zöglinge. Eingenommen wurden 135,678 Frks., welche die Ausgaben des Jahres deckten. Die Cholera ist jetzt in nächster Nähe der französischen Grenze aufgetreten, und zwar in höchst hefriger, bösartiger Weise. In Spanien fordert sie täglich noch Hunderte von Opfern, neuerdings besonders in der Provinz Saragossa. Einzelne Dörfer und Flecken sind in dieser Provinz gänzlich ausgestorben, an ein Bestatten der Leichen wird nicht mehr gedacht und vielfach herrscht, da die Behörden geflohen sind, die größte Unordnung, ja völlige Anarchie. Meldungen aus Spanien berichten vor. heftigen Gewittern mit Hagelschlag, welche namentlich im Norden Andalusiens große Verhee rungen anrichteten. Lord Salisbury, der englische Premierminister, hat am Mitt woch Abend in London bei Gelegenheit eines Festes im Mansionhaus einen Toast ausgebracht, in dessen Verlauf er den lebhaften Wunsch der Regierung ausdrückte, auf dem Weg des Friedens und des Fort schrittes vorzugehen und zwischen den europäischen Mächten das freund schaftliche Verhältniß zur Geltung zu bringen, das so wesentlich für die Wohlfahrt der Völker sei. Er hoffe in nicht zu langer Zeit Ruß land und England, umgeben von Verbündeten, friedlich Seite an Seite gehen zu sehen, beseelt von den Gefühlen gegenseitiger Achtung. New-Dork, 18. Juli. Die Deutschamerikaner, meint die „New-Dorker Staatszeitung", haben trotz gelegentlicher Hetzereien von gewisser Seite keinen Grund, mit ihrer Aufnahme im alten Vaterland unzufrieden zu sein, wo und wann immer sie in Massen auftreten. Das Blatt fährt dann fort: „Wie feinerzeit gelegentlich der schönen Bingener Fe st fei er, für deren glänzenden Beginn die eben einge troffenen deutschländischen Zeitungen neues Zeugniß ablegen, so zeigte es sich auch gestern wieder in Dresden, daß, so wenig die Deutsch amerikaner das Gefühl der Stammesverwandtschaft verloren haben, ebenfowenig auch das Volk des alten Vaterlandes vergessen will und kann, daß weder räumliche Trennung, noch auch republikanische Ge sinnung das Band der Zusammengehörigkeit zu zerreißen vermochte. Das rasche Aufeinanderfolgen zweier Gelegenheiten, bei denen achtungs- und schätzenswerthe Elemente der deutschamerikanischen Bevölkerung in Deutschland repräsentativ aufzutreten in die Lage versetzt wurden, kann nicht vorübergehen, ohne bleibende Nachwirkung auf Läuterung des Volksurtheils in Deutschland über amerikanische und ganz beson ders deutsch-amerikanische Verhältnisse zu üben." Was eine übelwollende Presse durch fortgesetztes Entstellen und Verleumden zu zerstören be müht war, nämlich die Achtung und Liebe des deutschen Volkes für seine Brüder jenseits des Ozeans, das werde durch solche Gelegenheiten, wie Bingen und Dresden, bis zur Unzerstörbarkeit befestigt. Ueber den Tod des, wie es sich nun bestätigt, an den Blattern im Lager von Omdurman verstorbenen Mahdi wird dem arabischen Blatte „Achbar" (Nachrichten) aus Suakim Nachstehendes berichtet: „Mohamed Achmed erkrankte Freitag, den 19. Juni, Nachmittags gegen 2 Uhr und wurde sogleich auf seinen Wunsch in ein Zelt außerhalb des Lagers geschafft. Da kein Arzt zugegen war, so wurden zwei der gefangenen Missionäre, die einige medizinische Kenntnisse besitzen, an das Krankenlager beschieden. Dieselben erklärten sogleich jeden Ret tungsversuch für vergebens, da der Kranke mit den schwarzen Blattern behaftet sei. Der Mahdi rief hierauf seinen Neffen Abdullah zu sich, übergab ihm sein Schwert und ernannte ihn zu seinem Nachfolger. In der Nacht auf den Sonntag verschlimmerte sich der Zustand des Kranken, worauf er sich von den Seinigen verabschiedete und seinem Nachfolger noch auftrug, den Krieg wider die Christen fortzusetzen. Um 5 Uhr Morgens starb er und wurde noch an demselben Abend in seinem Zelte beigesetzt. Das Sterdezelt wurde verbrannt." Wie die „Singapore Mail" melvet, ist der Beherrscher des Reiches Bruncil auf der Insel Borneo, Sultan Abdul Munin, vor wenigen Tagen im Alter von hundertundvierzehn Jahren, von denen er dreißig auf dem Thron verbracht hatte, gestorben. Er war somit der älteste der jetzt lebenden Souveräne. Der Verstorbene besaß auch europäische Bildung und nebst dem Holländischen sprach er auch englisch und ein wenig spanisch. Da er keine Söhne hatte, so bestieg ein ferner An verwandter von ihm den Thron. Vaterländische» — Dresden, 28. Juli. Zu Ausführung des Gesetzes vom 24. Juni 1884, wonach in Sachsen die Erhebung des Chaussee- und Brücken geldes für die Benutzung der von der fiskalischen Straßen- und Wasser bauverwaltung unterhaltenen Straßen und Brücken mit dem Schluffe des Jahres 1885 auszuhören hat, ist von dem königl. Finanzministe rium die Bestimmung getroffen worden, daß die Erhebung dieser Ab gaben ohne besondere vorherige Bekanntmachung am 31. December 1885, Vormittags 10 Uhr, einzustellen ist. Sämmtlichen auf Kündi gung oder Widerruf beziehentlich interimistisch angestellten Einnehmern und Einnehmerinnen wird der Dienst mit der Maßgabe gekündigt, daß derselbe mit dem 31. December 1885 seine Eudschaft erreicht und die damit verbunden gewesenen Diensibezüge und Aequivalente, sowie alle den Einnehmern seiten der Chaussee- und Brückengeld-Verwaltung an den Einnahmegrundstücken und sonst eingeräumt gewesenen Vergün stigungen und Berechtigungen vom 1. Januar 1886 an wegfallen. Das königl. Finanzministerium beabsichtigt jedoch denjenigen, welche sich gut geführt haben, im Falle der Bedürftigkeit vorübergehend Un terstützungen zu gewähren, dafern die hierzu erforderlichen Mittel von der Ständeversammlung werden bewilligt werden. Da aber derartige Unterstützungen im derartigen Falle nur von geringer Höhe sein und nur auf kürzere Zeit gewährt werden können, wird vorausgesetzt, daß die Einnehmer und Einnehmerinnen mit allem Ernst darauf Bedacht nehmen werden, sich ein anderweites Fortkommen zu suchen. Die fis kalischen Chauffeehaus-Grundstücke, soweit darüber nicht bereits ander weit verfügt worden ist oder noch verfügt werden wird, werden vom laufenden Monat an im Licitationswege dergestalt veräußert, daß die Uebergabe und damit der Uebergang der Nutzungen an die Käufer im Januar 1886 zu erfolgen hat. Die bei den Hebestellen vorhandenen Jnventariengegenstände, ausschließlich der Feuerlöschgeräthe und son stiger Zubehörungen der Grundstücke, deren Uebergabe mit den letzte ren zu erfolgen hat, werden im Laufe des Monats December unter der Bedingung veräußert, daß deren Uebergang nach Aufhebung des Chaussee- und Brückengeldes stattfindet. — Der Rechenschaftsbericht über die Finanzperiode 1882/1883, welcher dem nächsten Landtage verfassungsmäßig vorzulegen ist, ist bereits fertig gestellt; derselbe giebt ein nicht unerfreuliches Bild von der Finanzlage unseres Vaterlandes, da ein Nettoüberschuß von nahezu 17 Millionen Mark erzielt wurde, der nun in den Etat für 1886/87 einzustellen sein wird. Dieses Faktum ist um so erfreu licher, als dadurch schon theilweise die Mittel gewonnen sind, welche der neue Etat zur Deckung außerordentlicher Bedürfnisse, und zwar in erster Linie für eine Reihe großartiger Neubauten fordern wird. Jenes Mehrerträgniß entfällt hauptsächlich auf die Staatseisenbahnen, bei denen ein Ueberschuß von nahezu 6 Mill. M. erzielt wurde. Da von kommen etwa 3^ Mill, auf den Güterverkehr, der eine unvor hergesehene Steigerung erfahren hat. Die direkten Steuern ergaben ein Mehr von reichlich 2^ Mill. M., das hauptsächlich den größeren Erträgnissen der Einkommensteuer zuzuschreiben ist. Die Zölle und Verbrauchssteuern brachten ebenfalls einen Ueberschuß, der reichlich 2^4 Mill. M. ausmacht, wovon etwa ^4 Mill, auf die Schlachtsteuer entfallen, die in Summa 7Vr Mill. M. einbringt. Ferner lieferten auch die Forsten in Folge höherer Nutzholzpreise ein Mehr von nahezu 1^/4 Mill. M. Die Porzellanmanufaktur, die fiskalischen Hüttenwerke und die Lotteriedarlehnskasse ergaben ebenfalls nicht unbeträchtliche Ueberschüffe, während bei dem Steinkohlenwerk Zaukeroda in Folge stärkeren Eindringens böhmischer Braunkohle und wegen allzumilden