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muthig dagegen anzukämpfen und Alles einzusetzen, daß Deine völlige Unschuld so rasch wie möglich an das Licht kommt." „Ach, das ist nicht das Schlimmste, das härmt mich wenig!" entgegnete Eschenburg zum größten Erstaunen Overkamp's. „Etwas weit Schwereres, Furchtbareres hat mich getroffen und seitdem bin ich mir selbst gleichgültig geworden." „Was hast Du, lieber Martin?! So rede doch, damit ich Dir helfen kann!" drängte Doktor Overkamp. „Mir ist nicht zu helfen. O, wenn Du wüßtest, wie namenlos unglücklich ich bin!" . . . Und überwältigt von seinem Schmerz und Verzweiflung lehnte er sich schluchzend an die Brust des erprobten Freundes. „Wenn Du Dich mir nicht anvertraust, dann kann ich freilich nichts für dich thun," bemerkte der Anwalt; „aber Du weißt, daß ich redlich zu Dir halte und daß ich Dir mit all' meinen Kräften und meinen Mitteln beistehen will." Diese aus der Tiefe eines warmen Freundesherzeus kommenden Worte mußten auf Eschenburg nicht ohne Eindruck geblieben sein, denn er sagte nach einem tiefen Athemzuge: „Ja, Dir kann ich vertrauen, Du sollst Alles wissen. O, Du ahnst nicht, wie namenlos unglücklich ich bin — Helene hat mich von ihrer Thüre gewiesen!" Selbst der nüchterne Overkamp vergaß für den nächsten Augen blick den eigentlichen Zweck seines Kommens, daß er mit dem Freunde die nöthigen Schritte berathen gewollt, die seine Unschuld beweisen sollten und mit großer Lebhaftigkeit rief er aus: „Nicht möglich! He lene liebt Dich wahrhaft, das hab' ich längst bemerkt und ich halte sie für viel zu großherzig, um" „Nein, nein, es ist so", unterbrach ihn Eschenburg heftig. „Man hat mich bei ihr auf's Schändlichste verleumdet. O, dieses unselige Geschöpf, die Katharina, ist an Allem schuld! Hätt' ich nur Deinen Rath befolgt!" uud er stürmte in völliger Verzweiflung durch seine enge Zelle. „So erzähle doch! Ich weiß ja von gar nichts", drängte Dok tor Overkamp. Der junge Arzt schien Anfangs auf diese Ermahnung nicht zu hören; er erging sich noch immer in den heftigsten Selbstan klagen. Plötzlich sank er ganz erschöpft auf seinen Holzschemel zu- rück und als jetzt der Anwalt noch einmal bat, ihm über das Vorge- sallene doch ruhigen Aufschluß zu geben, entgegnete Eschenburg mit bitterem Auflachen: „Du hast recht. Ich muß Dir halb irrsinnig erscheinen und ich bin es auch, denn der Sturz aus dem Himmel voll Seligkeit war zu tief. Du weißt, wie unsagbar ich Helene liebe, und ich glaubte mich ebenso innig wiedergeliebt. — Sie ragt ja über Alle so weit hinaus ... ich durfte an sie mein Herz verlieren, trotzdem ich weiter nichts war, als ein junger, armer Arzt. — Helene wußte es, daß es nicht ihr Reichthum war, der mich zu ihren Füßen führte, ja, daß meine Liebe zu ihr grenzenlos sein mußte, wenn sie meinen Stolz überwand, der bisher all' sein Glück darin gesucht, auf eigenen Füßen zu stehen. Wie hatte ich stets ihre Geistesgröße und Höhe bewundert, auf die die sie sich geschwungen und nun konnte sie doch von dieser Höhe herabsteigen und eine weibliche Schwäche zeigen, wie All' die Anderen. — Es war mir in der letzten Zeit schon ausgefallen, daß Helene mehr mals in unserer Unterhaltung meine Wirthschafterin erwähnte und wie jm Vorübergehn nach ihrem Aeußeren und dergleichen Fragen zu stel len suchte. — Ich blieb trotzdem ganz unbefangen; aber vorgestern er hielt ich plötzlich von Helenen einen Brief, der mich wie ein vernich tender Wetterstrahl traf. Sie schrieb mir, daß sie alle Ursache habe, an meinem ehrenwerthen Charakter zu zweifeln und sie nicht Willens sei, einmal einem Manne anzugehören, der —" Eschenburg brach in ein wildes Gelächter aus. „Es ist ja zu toll!" stieß er hervor und preßte beide Fäuste an die heiße Stirn: „meine großherzige, ideal ge sinnte Helene konnte mich plötzlich mit kleinlicher Eifersucht verfolgen und noch dazu eifersüchtig sein — auf meine Wirthschafterin! — An fangs lachte ich — es kam mir ja zu komisch vor; aber als ich den Brief zum zweiten Male gelesen hatte, fühlte ich aus seinem Inhalt, welch' bitterer Ernst es Helenen war. — Nun erfaßte mich Unruhe und Verzweiflung; ich stürzte fort, um mich vor der Geliebten zu rechtfertigen, um ihr zu sagen, wie unrecht sie sich selbst und mir mit diesem Verdacht gethan. Trotz all' meines Stolzes, der sich dagegen aufbäumte, daß ich mich überhaupt auf solche Anschuldigungen zu verthei- digen hatte, wollt' ich ihr mit glühender Beredsamkeit beweisen, wie wenig ich diese Vorwürfe verdiene. Ich eilte in ihre Wohnung und erhielt die Auskunft: Fräulein Heldström, sei nicht zu Hause und als ich dem Mädchen sagte: Ich hätte dringend mit Helene zu sprechen, kam es mit der Antwort zurück: Fräulein Heldström sei soeben aus- gesahren und habe bestimmt erklärt, heute keine Besuche mehr zu em pfangen." — „Armer Freund! Nun begreif' ich Deine Verzweiflung!" sagte Doktor Overkamp und legte seine Hand auf die Schulter des Doktors, ihn mit seinen treuen ehrlichen Augen theilnahmvoll anblickend. „Wie ich aus dem Hause gekommen bin, weiß ich nicht mehr," fuhr Eschenburg mit leiser Stimme fort. „Ich bin die ganze Nacht über umhergeirrt! — ich wollte mich betäuben —Alles vergessen und doch zuckte nur der einzige Gedanke durch mein fieberndes Hirn: Du hast Helene verloren und wie verloren!" Er schlug hastig die Hände zusammen und starrte wieder wie ein Verzweifelter vor sich hin. „Auch ich begreife Helene nicht," bemerkte Doktor Overkamp, dem die grenzenlose Verzweiflung des Freundes tief ins Herz schnitt; aber glaube mir, sie ist nur einer augenblicklichen Wallung ihres Unmuths gefolgt und wird jetzt bereuen, daß sie Dir eine solch' kleinliche Eifer sucht gezeigt hat." „Ich habe sie verloren," murmelte der Doktor von Neuem. „Nein, theurer Freund, so leicht darfst Du Deine Sache nicht aufge ben," ermahnte der Advokat. „Ich werde mit Helene sprechen und ich bin überzeugt, sie wird ihren Jrrthum einsehen, besonders jetzt, nachdem —" „Das wolltest Du?!" rief Eschenburg und ein Freudenschimmer flog über sein Antlitz, der aber schon im nächsten Augenblick wieder verschwand. „Ach, Du kennst sie nicht. Sie ist eine stolze, unbeug same Natur und wenn sie einmal einen Entschluß gefaßt hat, hält sie unerschütterlich daran fest." „Ich will es dennoch versuchen und ich bin nicht ohne Hoffnung", entgegnete Doktor Overkamp; „aber nun lieber Freund, wollen wir doch eine Sache besprechen, die weit dringender ist. Du mußt mir Deine Erlebnisse jenes verhängnißvollen Tages ganz genau mittheilen, damit ich Alles ins Werk setzen kann, was Deine rasche Freilassung ermöglicht." „Wozu?!" erwiederte Eschenburg sogleich. „Mein Geschick ist mir gleichgiltig, so lange ich Helene verloren habe!" „So darfst Du nicht denken! Vor allen Dingen gilt es jetzt, Vermischtes. f * Ein Schmugglerstückchen. Von der russischen Grenze „Th. Presse" folgendes Schmugglerstückchen gemeldet: In ver^M Woche ging früh Morgens ein Schmuggler mit einem groß"" M Kleiderstoffe auf dem Wege von der preußischen Grenze nach in Polen. Als er eben vorsichtig einen Hügel erstiegen, steht//.» sich einen russischen Greuzwächter vor sich, welcher Mohrrff einem Acker zieht. Der Schmuggler übersieht die Sachlage Niu^ Blick, ruft den russischen Soldaten barsch an, und dieser erff F Flucht, ohne sich erst umzusehen. Das wollte nun gerade der Sch^ er verfolgte ihn deshalb unter Schimpfen und Schreien so lE' der diebische Soldar seinen Augen entschwunden war. Dan» M über seine gelungene List lächelnd, frohen Muthes mit feiner nach Sluszewo. Deine Unschuld darzulegen. Du hast ohnehin durch Deine ersten s worrenen Auslassungen vor dem Polizeibeamten Deine Sache veM mert und den Verdacht nur noch verstärkt, den eine unselige M tung von Umständen auf Dich geworfen." t „Du hälft mich also doch für unschuldig!? rief der Doktors ter aliflachend. T „Wie sollte ich das nicht?!" war die Anwort des Freundes, Ff? auf der Welt wird mich an Dir irre werden lassen. Du bist ein solches Verbrechen zu begehen." ck» „Und doch muß cs die Polizei besser wissen", entgegnetes bürg und ein düsteres Lächeln glitt wieder über sein Antlitz. hat mich eingesperrt und mir ahnt es schon, man wird mich aD urtheilen und ich wünsche mir nichts Besseres. Wessen Lebens einmal in Scherben liegt, dem kommt es nicht darauf an, ivM noch zertcünimert wird. An mir ist nichts mehr gelegen." „Wie kannst Du so Plötzlich Dein ruhiges Gleichmaß verl^ ich erkenne Dich gar nicht wieder!" rief der junge Advokat DE ergriffen aus. j „Ich mich selber nicht", entgegnete der Doktor und wieder ff ein bitteres müdes Lächeln um seine Lippen. , „Du mußt Dich dennoch ausraffen, Martin!" ermahnte OvE „So willenlos überliefert sich kein echter Mann dem feindliche" schick. Sage mir, wie die Sache zusammenhängt. Was Du weißt und wer wohl Deine Wirthschafterin ermordet haben köiu^ „Quäle mich nicht, lieber Paul", erwiederte Eschenburg und"/j eine abwehrende Handbewegung. „Ich weiß gar nichts, nur daß" Helene einen Absagebrief geschickt und mir die Gelegenheit gen«"" hat, mich vor ihr zu rechtfertigen." Vergeblich war alles herzliche Drängen des Freundes; der , fangene versank nur desto mehr in sein finsteres Hinbrüten n^ zuletzt keine Antwort mehr. Mit tief bekümmertem Herzen muß!" , Doktor Overkamp endlich entfernen, ohne von dem wunderlichen scheu über den eigentlichen Zusammenhang der düstern Ereignis!" 1 das Mindeste erfahren zu haben. Die Vorstadt St. Georg zeichnet sich durch ihre Stille vo" übrigen Stadttheilen Hamburgs aus. Hier schlagen die niäo^ Wellen des Geschäftslebens, die wie ein ewig bewegtes i prächtige Hansastadt durchtoben, nur noch leise und wie ersterbe^ das Ufer. Diese Vorstadt ist zunächst der Zufluchtsort für alle jenigen, die mehr die Ruhe lieben und doch in der nächsten nes stürmischen, großartigen Weltverkehrs bleiben wollen. Desd"^ auch St. Georg der Wohnsitz vieler Patrizierfamilien geworden^ besonders an der Alster und großen Allee, in ihren glänzenden^ ihren erworbenen oder geerbten Reichthum zu genießen suchen, vu" auch nur zur Schau stellen. Eines dieser Wohnhäuser an der Alster zeichnete sich Ml" j durch seine Größe, aber durch seine Eleganz und Schönheit besfffj aus und was für viele noch ein lebhaftes Interesse hat, die Besitzerin dieses Wohnsitzes war eiu junges, sehr schönes das eben erst das Alter der Majorennität erreicht hatte. Helene Höldström war die Tochter eines Confnls, der F / wohlhabensten, vielleicht sogar reichsten Leuten Hamburgs Durch seinen vorzeitigen Tod war sie früh zur Selbstständig'^ lang! und wenn auch eine alte Tante ihre Erziehung übernommen^; so war doch die gutmüthige Frau nicht im Stande gewesen, E lene eine große Herrschaft auszuüben. Äußerlich schien cs E'.j ob die Heranwachsende Nichte unter dem Schutze ihrer Tante iem«, Grunde war es jedoch die gute Frau Sierenberg, die sich an ken energischen, früh entwickelten Charakter des jungen Mädche"° lehnte und von ihm die Richtung empfing. Auch wenn Helene Heldström nicht durch ihren ReichthuM g",^ hätte, würde ihre Schönheit allein manches Männerherz gbM ben. Der frische, rosige Teint, die wohl gepflegten, prächtiges verriethen die echte vornehme Hamburgerin. Helene neigte zu einer vornehm-kühlen Auffassung des sie ließ sich uicht so leicht aus dem ruhigen Gleichmaß bringe^ wenn es geschah, verrieth sie wenigstens nicht die stürmische Best - ihres Innern. Welche Gegensätze zwischen dem heiteren, übermüthigen des Ryeinlandes und dieser niederdeutschen, blonden Schönheit! doch, auch hier hatten sich die Gegensätze mächtig angezogen, jener unerklärlichen Naturgewalt getrieben, die stets eine Erg""' des eigenen Wesens sucht. ' Doktor Overkamp war seit mehreren Jahren der Anions Fräulein Heldström und durch ihn war auch der Freund in 'Mi eingeführt worden. Es hatte nur kurze Zeit bedurft und Doktor bürg verlor an diese stolze, stille Schönheit sein Herz. Daß ihr wieder geliebt wurde, entging ihm nicht und sie waren groß angelegte Naturen, um ihre Gefühle aus kleinlichen Vorauf zu unterdrücken. Wohl hatte Helene, mit jenem traurigen uff gerechtfertigten Argwohn, der reiche junge Mädchen gern heff manchen Bewerber zurückgewiesen, weil sie gefürchtet, man w"" ihr Vermögen, nicht ihr Herz gewinnen; — bei dem jungen niemals dieser Gedanke in ihrer Seele aufgetaucht, denn es de^ keines großen Scharfblickes, um die geniale Sorglosigkeit diesig/ nes zu erkennen. Eschenburg war kein kühler Rechner, der eff"^ dort seine Gefühle aufflammen ließ, wo ihm ein großer Beff^ winkte; er achtete so wenig Geld und Gut, daß ihm nicht eilUff^ Gedanke kam, er dürfe nicht an die reiche Erbin sein Herz "Äff weil man dies mißdeuten könne; — mit der ganzen Frische und seines Wesens überließ er sich dem Sturm von Empfindung^ die Liebe zu Helene in ihm aufwühlte, und trotz ihres kälteren wurde die schöne stolze Hamburgerin von seinem lebhaften D ment mit fortgerissen. Fortsetzung