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quartier der europäischen Demokratie werden. Spanien soll viel mehr unterwühlt sein, als man auswärts glaubt und mehr als irgend ein anderes Land, woran die vieljährigen Revolutionskämpfe die Schuld tragen. — In Berlin und Königsberg sind russische Studenten rc. wegen socialdemokratischer Verbindungen verhafter worden, auch ein russisches Frauenzimmer, die Braut des einen Studenten, die aus der Schweiz kam und in Verdacht steht, die bekannte Sassulitzsch zu sein. In Leipzig ist ein Russe aus der Studentenliste gestrichen worden. Der Großherzog von Darmstadt ist sammt ver Großherzogin und seinen Kindern an der Diphtheritis erkrankt; die jüngste Tochter bereits gestorben. Der an verschiedenen Orten, z. B. in Hamburg und Mühl hausen im Elsaß, mit Glück angestellte Versuch der Gründung von Arbeiterkolonien soll jetzt auch in Berlin nachgeahmt werden. Eine am 13. Abends unter Vorsitz des Abg. Rickert abgehaltene Versamm lung hat die Grundzüge des Unternehmens festgestellt, wonach mittelst eines freiwillig zu zeichnenden Kapitals von 300,000 Mark an zehn verschiedenen an den Grenzen der Stadt gelegenen Plätzen Komplexe von kleinen Arbeitshäusern errichtet werden sollen, die nach einer etwa 16jährigen Miethe in den Besitz der Arbeiterfamilien übergehen. Es hat sich in der Versammlung für diesen Plan, der das sociale Elend in einem der wichtigsten Punkte, der Wohnungsfrage, beseitigen will, lebhafte Begeisterung knndgegeben, und es konnte, da das zu zeichnende Kapital keineswegs verloren ist, eine rege Beiheiligung an dem wohlthätigen Unternehmen in Aussicht gestellt werden. Da die in Aussicht genommenen Plätze meist städtisches Eigenthum sind, können auch die kommunalen Körperschaften viel zur Förderung des Planes beitragen. Einstweilen ist eine Subkommission mit der ge naueren Ausarbeitung des Planes betraut. Ein räthselhafter Vorfall im Arbeitshaus in Berlin gibt den Aerzten viel zu denken und zu prüfen. Während des Gottes dienstes am Sonntag brachen erst bei drei, vier Mädchen und rafch nach einander bei 30—40 Mädchen und Frauen furchtbare epilep tische Krämpfe aus und diese Unfälle wiederholten sich andern Vormiltags bei etwa 80 Mädchen und Frauen. Man glaubt, Kohlendunst habe die Unfälle hervorgerufen. Die Heizung foll mangelhaft sein. Die Franzosen sind doch ein glückliches Volk. Während die übrigen festländischen Staaten sich des steigernden Deficits nicht erwehren können und ihr Heil in neuen Anlehen und drückenden Steuer-Erhöhungen suchen, streiten sich in Frankreich Budget-Com mission und Regierung über die Verminderung der Steuern. Gam betta und die Mehrheit der Commission wollen nämlich die über schüssigen Einnahmen, wie im Vorjahre, auf die Ermäßigung eines Theiles der nach dem Kriege geschaffenen Steuern verwenden, während der Finanzminister, obwohl er im Principe für die Steuer-Ermäßigung ist, dieselbe für dieses Jahr lediglich aus dem Grunde für unthunlich hält, weil der Staat sich ausreichende Mittel für die Ausführung der großen öffentlichen Bauten, welche vom Arbeitsminister Freycinet ins Werk gesetzt werden sollen, also nur für fruchtbringende Aus gaben, sichern müsse. Russische Kriege sind eine fette Ernte für die bctheiligten Beamten und Lieferanten und für den — Tod. Der letzte russische Krieg gegen die Türken hat der Armee mehr als 172,000 Mann an Todten gekostet. Die großen Verluste in Asien sind dabei gar nicht gerechnet. Die in Rußland internirten türkischen Gefangenen, welche sich auf 58,000 Mann beliefen, sind jetzt bis auf 5000 Mann fämmtlich nach der Türkei zurnckbefördert worden. Die übrigen 5000 Gefangenen werden noch in nächster Zeit nach der Türkei expedirt werden. Unter den Gefangenen befanden sich 6 Divisionsgeneräle, 12 Brigadekom mandeure und 188 höhere Offiziere. Die Liste der in der Gefangen schaft gestorbenen Mannfchaftcn wird der Pforte demnächst übermittelt werden. Wie dem „Temps" aus Pest telegraphirt wird, hat Graf Sch u- wal off die Versicherung überbracht, daß der Zar entschlossen sei, den Berliner Frieden getreulich auszuführen, vorausgesetzt, daß dies allseitig erfolge. Von einer Konferenz oder irgend einer anderen Diplomatenversammlung behufs Durchführung des Berliner Vertrags fei niemals die Rede gewesen. Rußland habe die seinerzeitige Räum ung von Rumelien niemals von anderen Garantien abhängig gemacht, als vvn der Ausführung des Berliner Vertrages, insbesondere was die Berichtigung der Grenzen Griechenlands und Montenegros betrifft. Der bulgarifche Aufstand der letzten Wochen ist vielfach falsch beurtheilt worden. Man hat ihn lediglich als ein Produkt der russischen Agitation hingestellt, aber er ist doch ein Ergebniß ver- schiedener Motive und Thatsachen. Die russische Agitation hat ihren ' Theil an der Bewegung, aber vor uns liegt auch das Bulgarien des Friedens von San Stefano, der unleugbare Zerfall des türksichen Reiches, die Greuel und Gewaltthaten, welche die Bulgaren in Make donien und Thrakien seit Monaten erdulden müssen, so daß es kein Wunder ist, wenn die Jnsurrection jetzt, in einem ohne Zweifel un rechten Momente, losgefchlagen hat. Wenn die Bewegung durchaus planvoll und unabhängig von äußeren gewaltfamen Einflüssen geleitet wäre, so ist es wohl selbstverständlich, daß sich die Leiter der Be wegung den Ausstand für das Frühjahr aufgehoben hätten. So geht aber auch in Bulgarien, wie Alles unter der türkischen Herrschaft, in stinktiv und legendenhaft drunter und drüber und der Aufstand ist daher eine unwillkürlich und vorzeitig geplatzte Bombe, die vorläufig wahrscheinlich ihr Ziel verfehlen dürfte. Was im Frühjahre ge- fchehcn kann nnd vielleicht auch geschehen muß, wird von der Ent wickelung der Dinge in Thrakien und Makedonien, vor Allem aber in Constantinopel abhängen. Heute aber giebt es keinen Menschen zu beiden Seiten des Balkan, der genau anzugeben wüßte, wohin Bulgarien treibe und wie weit es in einem Jahre von der Erfüllung uuferer Wünfche Zurückbleiben werde. Die Engländer geben auf ihrer cyprisch en Besitzung den Türken ein fvnderbares Beispiel von Neformthätigkeit, aber sie erreichen mit ihrem Raubsystem, welches das osmanische noch über trifft, jedenfalls das Eine, daß sie die Verwaltung aus Eigenem nichts kostet, ein Beispiel, das Oesterreich in Bosnien nur nachzu ahmen brauchte, um heute schon das Gleichgewicht in dem Budget der okkupirten Länder herzustellen. Der Correspondent der „Franks. Ztg." in Larnaka berichtet Schauderdinge über die englische Wicthschast auf Cypcrr. Die britische» Beamten erfinden fortgesetzt neue Steuern und pressen den Einwohnern den letzten Pfennig aus, den die Türken ihnen gelassen; sie schlagen den Rest der Waldungen nieder, confis- ciren bewegliches und unbewegliches Gut als Staatscigenthum, na mentlich alles Land, das seit mehreren Jahren nicht bebaut worden ist; kurz, sie rauben die ganze Insel aus, ohne für dieselbe das Mindeste zu thun. Die Tribunale sind so schlecht und bestechlich, wie ehedem, die Verkehrswege bleiben in dem alten, unmöglichen Zu stande — kurzum, von irgend einem Unternehmen zur Verbesserung der Lage Cyperns ist keine Spur zu sehen. Vielleicht hat dieses System doch das eine Gute, das alberne kontinentale Märchen von einem Reformberufe Englands in den Ländern, auf welche der Leopard feine Tatzen gelegt hat, definitiv zu beseitigen. Indien ist durch die englische Verwaltung zum Bankerott gebracht worden, und Cypern wird keine besseren Erfahrungen machen. Deutliches und Sächsisches. Wilsdruff. Ein eben so schrecklicher als beklagcnswerther Unglückssall Hal in unserer nächsten Nähe stattgesunden. In der achten Abendstunde des 14. d. M. explodirte durch das unvorsichtige Gebühren der 22jährigen Siiestochler des Hausbesitzers Gerhold in Niedergrumbach beim Eiusüllen des Oels in die bereits brennende Petroleumtischlampe dieselbe plötzlich, jo daß dadurch nicht nur ein Slubeubrand verursacht wurde, sondern auch 2 Menschenleben dabei zu Grunde gingen. Durch die Genannte war allem Anscheine nach der obere Theil der Lampe, ohne diese bevor zu verlöschen, losge- schraubt und der 12jährigen Schwester, die ebenfalls im Zimmer be schäftigt war, zum Halten übergeben weiden; jedenfalls durch das Zerspringen des Cylinders, wodurch die Mädchen erschrocken Lampe und Flasche aus den Händen fallen gelassen, entzündete, sich das da durch denselben auf die Kleider gespritzte und in dem Zimmer breit lausende Petroleum und im Nu standen beide Mädchen, ebenso die Betten der in der Nähe des Tisches stehenden Wiege, worin sich das ^jährige Brüderchen schlafend befand, in Hellen Flammen. Durch das Geschrei der Kinder erwachte der bereits schlafende Vater, auch kam Lie im Stalle beschäftigte Mutter sowie die Nachbarn eiligst herbei, doch waren diese kaum im Stande denselben die über und über brennenden Kleidungsstücke vom Leibe zu reißen und nur mit großer Mühe gelang es endlich, die mit vielen Brandwunden bedeckten Kinder aus der gefahrvollen Lage zu befreie». Die fast am ganzen Körper verbrannten beiden jüngeren Kinder sind bereits am Nach mittage des folgenden Tags verstorben, die ebenfalls mit vielen Brandwunden bedeckte ältere Tochter liegt schwer krank darnieder und wird an deren Aufkommen gezweifelt, ebenso sind dem Vater durch das Löschen der Flammen beide Hände stark verbrannt. In dem betreffenden Zimmer selbst ist außer e uern Kinderbett etwas Weiteres nicht verbrannt und konnte das Feuer in demselben ohne weiteren Schaden anzurichten rechtzeitig noch gelöscht werden. — Nachdem in den letzten Tagen die hiesige Schützengcsellschast mehrere ihrer Mitglieder durch Todesfall eingebüßt, traf dieselbe heute ein weiterer Verlust, indem '/2I2 Uhr der in allen Schickten der Bevölkerung von Stadt und Laud gleich hochgeachtete und geliebte hiesige Bürger und Collecteur H e i n r 1 ch U h l c m a n n , Haupt- mannn der obgedachlen Gesellschaft, nach kurzem Leiden saust ent schlafen ist; nicht allein diese Gesellschaft verliert in ihm ein treue» Glied, sondern in ihm verliert auch unser Stadtgemciuderalh einen würdigen Vertreter sowie die ganze Stadt einen wahren und a u f- richtigen Bürger und Menschenfre u n d. Leicht möge ihm die Erde werden! In der Falle. Kriminal-Novelle von Ludwig Habicht. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Bankier Schmittsdorf brachte seit seiner Verlobung jeden Abend bei seiner Braut zu. Dies Stillleben hatte seinen überreizten Nerven unendlich wohlgeihau und all' die rauschenden Vergnügungen der Residenz waren ihm nichts gegen den Genuß, mit dem liebliche», harm losen Geschöpf zu plaudern und sich an dem Glücke zu erfreuen, das ihm die Liebe dieses reinen, edlen Mädchens gewährte. In der letzten Zeit Halle Bianka eine gewisse Zerstreutheit an ihrem Bräutigam bemerkt. Liebte er sie bereits nicht mehr? oder wenigstens nicht mehr so lief und innig, als sie von ihm geliebt sein wollte? — Ihre Mutter hatte zuerst dies Mißtrauen in ihre Seele geworscn. Sie kaniile die Well bester und hatte selbst den leiden schaftlich geäußerten Gefühlen Schmülsdorj's niemals rechten Glauben geschenkt. Hätte die Tochter auf ihre Warnungen gehört, dann würde sie die Werbung des jungen Mannes zurückgewiese» haben, so über aus günstig sie auch äußerlich erschien. Bankier Schmittsdorf war ihr als Lebemann geschildert worden und machte auch jetzt noch auf sie diesen Eindruck. Wie warm und hingebcnd sich auch jetzt die Liebe Ewald's zu ihrer Tochter geberdete, wer gab ihr eine Bürg schaft, daß sie von Dauer sei, für das ganze Leben ausreichen würde? — Der klugen, scharfblickenden Frau war auch jetzt die Zerstreutheit ihres künftige» Schwiegersohnes zuerst ausgefallen; die Tocklcr bestritt es freilich, aber Mißtrauen ist ein ansteckendes Gist, es schleicht sich uiimerklich in die Seele ein und wenn auch Bianka ihrer Mutter nicht zustimmen mochte, in ihrem tiefsten Innern keimte doch bereits eine gewisse Unruhe uud sie bemerkte zu ihrem Schmerz nur zu deutlich, daß ihre Mutter Recht habe. An den Sonntagen sand sich Schmittsdorf gewöhnlich schon weit früher ein, und das waren stets für die Liebenden die glücklichsten Stunden gewesen. Heute konnte Ewald weniger als sonst seine Zer streutheit verbergen; er sah mehrmals nach der Uhr und schien sich in einer iniiern Ausregung zu befinden, die er vergeblich zu beherrschen suchte. Die Mutter wars heimlich ihrer Tochter verständnißvolle Blicke zu, als wolle sie sagen: „Merkst Du nun endlich, daß ich Recht habe?" Den, jungen Mädchen wurde von dieser Entdeckung das Herz unsagbar schwer; aber es wußte sich mit bewundernswürdiger Seelen kraft zu beherrschen und verrieth nicht durch das kleinste Zeichen, was in ihrer Brust Vorgehen mochte. Endlich blickte Schmittsdorf wieder »ach der Uhr und so unbe fangen wie möglich begann er mit einem leisen Erschrecken: „Schon so spät! Du mußt mich schon heute entschuldigen, theure Bianka, ich