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„Ach ja, bester Vater!" rief Leontine, „fort aus der Nähe dieses Menschen, sobald als möglich!" „Morgen packen wir ein, übermorgen sausen wir davon und der saubere Herr hat das Nachsehen." Nach diesen Worten ergriff der Doctor Hut und Stock, um so rasch als möglich die Erledigung seiner Geschäfte zu bewerkstelligen. 10. Kapitel: Die Reise. Heiteres Lachen, fröhliche Gespräche, ein summendes Getöse von Stimmen der verschiedenartigsten Sprachen belebte die Coupecs der Dampswagen, die feuerspeienden Drachen gleich durch die sonnige Flur dahin brausten. „Ein echter Courirzug!" lachte der alte Doctor Heine, „beim Aeskulap! wenn unsere Großväter in ihren steifschößigen Röcken und Perücken dieses Wunder unsers Jahrhunderts ansehen könnten, sie würden glauben, das jüngste Gericht nahe mit seinem flammenspeienden Höllenpfuhl!" Leontine saß still in eine Ecke gedrückt, und ließ ihr Auge un verwandt auf der vorüberfliehenden Gegend ruhen. Ihr armes, ruhe loses Herz fühlte sich erleichtert durch den Wechsel der Gegenstände und grade das Blitzschnelle der Erscheinungen war ihrer innern Un ruhe ein angenehmer Anblick. Und immer weiter zogen sie, wie die Zugvögel, dem warmen Süden zu, denn der Süden mit seinem Götterhimmcl, meinte Ler Doctor lächelnd, könnte vielleicht sein Töchterchen ganz heilen nnd wieder ruhig und glücklich machen. „Wo ich denn das Ziel unserer Reise?" fragte Leontine endlich, als sie Deutschland auf den Schienen des Dampfes durcheilt hatten, und das schöne lebenssrische Tyrol mit seinen Bergen, seiner freien himmlischen Luft, die Reisenden aufnahm. „Hier ist cs schön," rief sie heiter, „hier möchte ich immer bleiben." rDoctor wiegte nachdenklich den Kopf und breitete seine Rechekarte ans; lange studirte er aufmerksam, dann murmelte er verdrießlich: „Wenn der verfluchte Kerl mich nur nicht angeführt und mir eine Lüge aufgebunden hat; na, was fchadel's am Ende, treffen wir ihn nicht, dann wird sie vielleicht auch so noch glücklich und zufrieden." Es war in einem Dörfchen am Fuße der Appcninen, wo die beiden Reisenden endlich Hall machten und von der romantischen Lage desselben bezaubert, vorerst ihr Asyl auszuschlagen gedachten. „Von hier aus," sagte der Doctor für sich, „kann ich mit ge- müthticher Ruhe die Gegend rccognosciren, ob ich meinen Vogel irgendwo treffe." „Ich werde eine botanische Wanderung antrcten," bemerkte er nach einigen Tagen zu Leontine, „vielleicht komme ich erst morgen wieder, ängstige Dich deshalb nicht, wenn ich länger ausbleibe." ' Die Sonne hatte heiß und glühend gebrannt. Von der be lebenden Frische eines italienischen Sommcrabends bezaubert, lehnte Leontine sich im leichten weißen Gewände, das bleiche seine Gesicht von einer zarten Röthe angehaucht, auf einer Bank unter duftendem Gebüsch. Von dem Aroma der Myrthen und Orangen in süße Träume gewiegt, die sie blitzschnell dem fernen Norden znsührten, ver nahm sie nicht das rasche Rollen eines leichten Cabriolets, das vor dem Hause, welches sie bewohnten, und zugleich ein Wirlhshaus für Reisende abgab, hielt. Ein hochgewachfener schöner Mann mit einem braunen Barte, dessen Gesicht den Ausländer Vcrrielh, hob eine schlanke Dame mit dunkeln italienischen Zügen aus dem kleinen Wagen, und führte sie in's Haus. „Ein Zimmer!" herrschte der Herr gebieterisch, „wir bleiben diese Nacht." „Ist das Stübchen, das ich früher bewohnte, wieder zu haben?" fragte die Dame freundlich. „Leider nein, Signora!" versetzte der Wirth mit tiefen Bücklingen, „ein deutscher Doctor bewohnt meine beiden einzigen Zimmer, die ich übrig hatte, mit seiner Tochter." „Ein Deutscher?" fragte die Dame, „wie heißt er denn?" „Lier steht der Name, das Deutsche fällt meiner Zunge so schwer, auszusprcchen." Mit diesen Worten trug cr ein großes Buch herbei, in das er aus Stolz und Schlauheit alle Namen seiner Besucher cin- tragen ließ, mit einem Worte ein Fremdenbuch in der einfachen Her berge eines italienischen Dörfchens. Neugierig blickte der Herr hinein und rief überrascht: „Doctor Heine aus L? Zum Henker! das hätte ich nicht gedacht." „Wer ist das, mein Lieber?" fragte die Dame gleichgültig. „Ein höchst gefährlicher Mann, Theure! Mit seiner Tochter! Himmel und Hölle! Das hat ja schnell gewirkt!^ „Sie machen mich neugierig, Felix!" rief die Dame unwillig, „kennen Sie diese Personen?" „Nur zu gut, mein Engel! He, Herr Wirth, ist der Doctor zu Hause?" „Schon heute früh sortgewandert, Signor! die Signora wird Wohl schon schlafen!" „Ich werde mit Hülfe des Wirthes ein Logis im Dorfe auf treiben," sagte der Herr nachdenkend; „wollen Sie so lang im Garten verweilen, theure Julia? der Abend ist so schön." „Sorgen Sie nur, Felix!" rief diese spöttisch, sonst müssen wir wieder zurück!" Langsam wandelte sie in dein Schatten der blühenden Akazien. Wenn die glänzende Scheibe des Mondes zuweileu durch das dichte Blätterdach brach und das Gesicht der jungen Dame erhellte, konnte man einen furchtbaren Ausdruck in den großen schwarzen Augen wahrnchmen, der seltsam mit dem schmerzlichen Zug um den Mund conlrastirle. Sie drückte die Hände gefaltet an ihren Busen und flüsterte mit gepreßter Stimme: „Die Rache naht! Mutter segne Dein Kind! Heilige Madonna, vergieb, wenn ich eine Sünde begehe, um meinen Schwur zu halten. O! nur diese Rache laß' mich vollenden, heilige Mutter Gottes, und die Mauern eines Klosters sollen meine Wünsche und Hoffnungen bedecken. Könnte ich es sühnen, das schauer- siche Verbrechen, das ich begangen, indem ich frevelnd Gottes Eben bild zerstörte, frech einen gewaltigen Genius zertrat." „Sie ist todt! eine Blume, einfach und lieblich, wie der Tod sie hundertfach bricht; doch er lebt ein todtcs, gräßliches Dasein, er, den ein Genius auf die höchste Zinne des Ruhms getragen. Fluch mir! Fluch ihm! den meine Rache sich erkoren!" In heftiger Aufregung eilte sie, als trieben sie blutig geißelnde Erinnerungen, durch den Garten und fuhr entsetzt zurück, als sie Le- onlinenS weiße Gestalt unter dem blühenden Myrthengcbttsch in süßen Schlummer, vom Mondenlichte wie mit einem magischen Schimmer umflossen, erblickte. Wankend trat sie näher, mit klopfendem Herzen, ihrer thörichten Furcht spottend; leise beugte sie sich über das blaffe seine Gesicht der Schlummernden, und ihr Athcm stockte, das Blut drang ihr siedend- heiß zum Herzen; standen die Todten wieder aus? Halle das Grab seinen Raub wieder herausgegcben? Mit todllicher Angst betrachtete sie das mahnende Schreckbild ihres Gewissens nnd flüsterte endlich, sich selbst beruhigend: „Mich hat das ungewisse Mondlicht ge täuscht." „Nur einmal, an jenem schrecklichen Abend, beim blendenden Lampenlichte, habe ich sie gesehen, und diese Aehnlichkeit, freilich selt sam und auffallend, hat mich getäuscht, sie ist es nicht. Wohl mir und ihm, hätte der Tod sie herauSgcgcben; doch es ist nichts, was das Grab verschlingt, rettet kein Sterblicher. Wie schön, hold wie reizend sie ist. Wer sie wohl sein mag? vielleicht die Tochter des deutschen Arztes? Gott! mich durchzuckt ein Gedanke; diese Aehnlich- kcit, diese reizende Unschuld in den kindlichen Zügen. Fasse Muth, armes Herz! für Dich ist er verloren, doch dem Leben, dem Glücke vielleicht noch zu retlcn. O! ich habe viel, viel zu sühnen!" (Fortsetzung folgt.) Vermischtes. Ein erschütterndes Drama spielte sich kürzlich in der Münzstraße zu Berlin ab. Eine den Berlinern früher als Schau spielerin wohlbekannte noch junge Frau, welche mit ihrem Gatten in Scheidung liegt, wohnte hier und empfing den Besuch desselben, welcher den Zweck hatte, seine beiden Knaben, ein paar blühende Kransköpse, die ihm im Ehescheidungserkennlniß zugesprochen waren, der Mutter abzunehmcn. Eins hat das Gericht nur hierbei vergessen, daß Lie Kinder mit unsäglicher Liebe an der für sie mit Zärtlichkeit sorgenden Mutter hingen. Thränen und heißes Flehen der Mutter, Bitten und Schreien der Kinder wollten jedoch bei dem hartherzigen, finsterblickcnden Vater nichts verschlagen, und drohte dieser schließlich Gewalt anzuwcnden, wenn die Mniter die Knaben nicht gutwillig herausgäbe. Da warf sich die Mutter dem harten Manne zu Füßen und bat kniefällig, nur eines der Kinder behalten zu dürfen. Selbst dem dieser schrecklichen Scene beiwohnenden Gerichtsbeamtcn wurde es zu arg, auch er beschwor den Mann, nachzugeben; schon schwankte dieser, da betrat in diesem unheilvollen Moment der Mann das Zimmer, von dem er wußte, daß cr der Verführer seiner ehemaligen Gatlin war, und mit der menschlichen Regung in ihm war es vor bei; mit einem raschen Ruck nahm er die Kinder in die Arme und trug sie in die unten harrende Droschke. Das Fuhrwerk hatte sich jedoch nur erst wenige Schritte entfernt, als ein Schrei der bittersten Verzweiflung ertönte; die Mutter hatte sich, halb vom Wahnsinn er griffen, dem Pferde unter die Füße geworfen, in der offenbaren Ab- stcht, sich den Tod zu geben. Glücklicher Weise gelang es, wie die „Berl. Ztg." erzählt, rechtzeiig, die Unglückliche empor zu reißen, die durch dre Huflritte nur einige leichte Verletzungen erlitten hatte. Dem nunmehr seine Härte schmerzlich bereuenden Manne gelang es, die immer noch bitterlich schluchzende Frau zu bewegen, den Wagen zu besteigen und ihm zu folgen. Wir wollen hoffen, daß die rasche, unselige Thal zu einem erneuerten, glücklicheren Bündniß geführt und daß so die Mutter ihren Kindern erhalten bleibt. (H. R.) Eine arme Weise. In Frankfurt a. M. stand neulich eine 70jährige Betrügerin vor den Schranken des Gerichtshofs. Als der Gerichtshof sie vor Fällung seines Unheils aufforderte, zu sagen, was sie noch zu ihrer Entschuldigung vorzubringen habe, sagte sie schluchzend: „Sehen Sie, Herr Präsident, ich bin eine arme Waise; ich habe keine Ellern mehr, ich stehe in der Welt ganz allein. Es ist das letzte Mal, daß ich bestraft werde." Die 70jährige Waise ist schon mehr als ein Halbhundertmal bestraft worden. (H. R.) Komische Verwechslung. Zu einem Gastwirth in Jüterbogk kommt kürzlich ein Mann mit einem großen Leierkasten auf einem Wagen und wünscht für die Nacht ein Unterkommen. Der Gastwirth erklärte sich damit einverstanden, ihn selbst zu beherbergen, den Wagen mit dem Leierkasten aber müsse er nach dem Spritzenhause schaffen, da in seinem Gasthofe kein Raum dafür sei. Der Amlsvorsteher ge nehmigte die Aufbewahrung im Spritzenhause und der Leierkasten wird dorthin gefahren. In derselben Nacht nun brach Feuer aus. In Folge der tiefen Finsterniß und Ler Eile erkannten die hcrbeige- eilten Retter den Leierkasten nicht und hielten ihn für eine Spritze. Erst an der Brandstätte angelangt erkannten sie ihren Mißgriff. (Altpr. Ztg.) Der Großindustrielle Liebig ff. Nach einem Telgr. der „Neichb. Z." ist Franz Ritter von Liebig sen. am 17. September Nachmittags in Vöslau im 80. Lebensjahr an Altersschwäche gestorben. In der Geschichte der österreichischen Industrie steht der Name Liebig unter den ersten und glänzendsten verzeichnet. Die E r b s ch a f t s r e g u l i r u n g des verstorbenen Geh. Kom- merzienraths Borsig nähert sich jetzt ihrer Vollendung und man kann einigermaßen das Vermögen übersehen, das derselbe seiner Wittwe und seinen Kindern hinterlassen hat. Dasselbe beträgt in Staatspapieren und baarem Gelde in runder Summe dreiunddreißig Millionen Mark, wovon achtzehn Millionen auf die Gattin, fünfzehn Millionen auf die Kinder des Verstorbenen entfallen. Hierbei sind die großen Borsig'schcn Fabrikanlagen in Berlin u. Oberschlesien nicht mit eingerechnet. G eg e n S p a l t e n i m P f e r d c h u f e. Professor Or. Desahs an der Thicrarzncischnle in Paris macht ein Mittel bekannt, Spalten und Risse in den Hufen der Pferde unschädlich zu machen. Zwei Theile Guttapercha in warmem Wasser erweicht, und in nußgroße Stücke zertheilt, werden in einem Theile gestoßenen Ammoniakharzes bei langsamem Feuer in einer verzinnten, eisernen Saale unter be ständigem Rühren geschmolzen, bis die Masse die Farbe und das Aussehen von Chocolade angenommen hat. Vor dem Gebrauche läßt man sie nochmals schmelzen und wendet sie mit erwärmter Klinge in derselben Weise an, wie cs der Glaser mit seinem Kitt thut, nachdem vorher der Huf auf das sorgfältigste gereinigt worden. Die Masse wird so fest, daß sie das Einschlagen von Nägeln gestattet.