Volltext Seite (XML)
Tagcsqcschichtc. In der allgemeinen politischen Weltlage sind in den letzten Tagen keine erheblichen Veränderungen eingetretcn. Die in den letzten Wochen aufgegangene Friedenssoiine ist noch nicht untergegangen, sondern wirft, wenn auch durch einzelne kleine, hoffentlich vorüber- ziehende Wölkchen zuweilen getrübt, noch immer ihre belebenden Strahlen auf die Ruhe bedürftiger Länder. Alle Nachrichten aus Berlin stimmen darin überein, daß Se. Mas. der Kaiser sich wieder seiner alten Rüstigkeit erfreut, und die Anstrengungen, denen er sich unterzieht, bestätigen dies auch. Außer den Regierungsgeschäften, denen er mit gewohnter Umsicht vorsteht, empfing derselbe bisher täglich Deputationen, und nimmt wie früher die regelmäßigen Vorträge entgegen. Die Ausfahrten erfolgen auch hisher, wie früher, im offenen Wagen. Daß der Monarch die rechte Hand noch in der Binde trage, wird mehrfach bestlitten — cs soll am Unisormrocke eine Schleife angebracht sein, in welcher die Hand zeitweilig ruhen kann. — Es mag das durch die noch im Fleische sitzenden Schrotkörner bedingt sein, welche beim Hcrabhängen der Hand einen schmerzhaften Druck ausüben. Die Großherzogin von Hessen ist am 14. December früh 7 Uhr an Diphtheritis gestorben. Die hohe Verstorbene, geboren 25. April 1843, Tochter der Königin Victoria von England, war mit dem Großherzog von Hessen seit 1. Juli 1862 vermählt und schenkte demselben 6 Kinder. — Ueber die Ausbreitung der Diphtheritis in der großherzoglichen Familie zu Darmstadt haben die behandelnden Aerzte in der berliner klinischen Wochenschrift ein Gutachten ver öffentlicht, nach welchem die Ansteckung innerhalb der grvßherzoglichen Familie — das gestimmte Diener- und Wärterpersonal blieb voll kommen gesund — durch Küssen erfolgt ist. Es mag dies zur all gemeinen Warnung dienen. Das Meininger Regierungsblatt publizirt das Gesetz über Be steuerung der Wanderlager. Dasselbe tritt mit dem 1. Januar 1879 in Wirksamkeit. Wer die Bestimmungen dieses Gesetzes nicht befolgt, hat als Strafe den vierfachen Betrag der nachzuzahlenden Steuer, mindestens aber 30 Mark zu entrichten. Die Strafe geht auf lie Erben über dergestalt, daß letztere die Strafe auch dann zu entrichten schuldig sind, wenn die Kontravention erst nach dem Ab leben des Kontravenienten entdeckt wird. Auch in Ungarn schütteln schlimme Elemente mehr und mehr die Fesseln der Ordnung ab und beginnen insbesondere in Pesth eine unheimliche verbrecherische Thätigkeit zu entfalten. Schon einige Male war in Pesth das Publikum Abends durch das Platzen von Petarden auf der Straße erschreckt worden, ohne daß man viel Auf hebens davon machte, weil kein effektiver Schaden entstanden war. Eckt als kürzlich eines Abends in dec unmittelbaren Nähe des vom Präsidenten TiSza bewohnten Ministerhotels abermals eine sehr starke Explosion erfolgte, während gerade Andrassy bei Tisza sich in Gc- scllschfft befand, und durch welche das Ministerhotel und mehrere andere benachbarte Häuser erschüttert und beschädigt wurden, fiel es auf, dcch auch die früheren Explosionen stets an Orten stattgefunden hatten, ia deren Nähe Andrassy verweilte, oder wo ihn sein Weg muthmaßlich vorüber führte. Jetzt wird aus Pesth vom 9. d. M. abermals gemeldet: daß am Abend zuvor, zur Zeit, als das Publi kum das Nationaltheater verließ, in welchem auch Andrassy erschienen war, ein dortiger Arzt in der Nähe des Theaters eine Petarde auf- gcfunden habe, die noch nicht explodirt war. Die Hülse derselben bestand aus Kupfer und in der Füllung befand sich eine Flintenkugel; an der einen Spitze der Hülse war eine etwa drei Schuh lange Schnur befestigt und an das Ende derselben ein Carton, der die Bildnisse des Grasen Andrassy und Koloman Tisza trug. Das Ob jekt wurde vom betreffenden Arzt der Polizei übergeben. Im Pu blikum herrscht nur Eine Stimme der Entrüstung und man ist er staunt über die Fahrlässigkeit der Polizei, die nicht im Stande ist, den Urhebern dieser Streiche auf die Spur zu komme». In Paris macht sich jetzt die Kehrseite der Weltausstellung sehr bemerklich, und dortige Berichte entwerfen ein düsteres Bild der zur Zeit daselbst herrschenden Zustände und der Aussichten für die nächste Zukunft. Wie zu erwarten war, haben nach dem Schlüsse der Welt ausstellung Handel und Wandel merklich nachgelassen. Die Directoren der großen Magazine finden, nach der „K. Z.", daß die Ankäufe für die Wintersaison ihren Hoffnungen nicht entsprechen; aber mehr noch als diese klagen die kleinen Detailhändler. Die bevorstehenden Weihnachts- und Neujahrsfeste werden ohne Zweifel die Lage bessern, aber es zeigt sich noch keine sehr glänzende Aussicht dafür. Jede Pariser Haushaltung hat ihr Budget überschritten, sei es, um Freunde oder Verwandte aus der Provinz zu bewirthen, sei es durch die Ver- theuerung aller nothwendigen Bedürfnisse während der sechs Monate der Ausstellung. Die Gasthöfe sind gegenwärtig beinahe leer, die großen Restaurants sind schwach besucht und die Theater verzeichnen magere Einnahmen. Eine große Anzahl kleiner Angestellten, die während der Dauer der Ausstellung beschäftigt waren, ist jetzt ohne Beschäftigung; dann hat auch die Ausstellung eine Menge von Leuten nach Paris gezogen, welche zum Theil sür Rechnung Fremder Ge schäfte trieben oder sonstigen Verdienst fanden; das hat denn freilich mit der Ausstellung ein Ende gesunden. Anch haben ziemlich viele Leute, welche vorübergehend als Diener gemiethet waren, jetzt ihre vorübergehenden Herren verloren, und so gibt es viele Menschen auf dem Pflaster von Paris, die bald ins Elend gerathen werden. Der Zustand bezeichnet sich schärfer durch die häufigen nächtlichen Anfälle, die nicht nur in den abgelegenen Straßen, tvelche nach den äußeren Boulevards führen, vorkommen, sondern auch im Mittelpunkt der Stadt beim Schlüsse der Kaffeehäuser. Die Kühnheit der nächtlichen Uebelthäter ist so groß, daß sie sich sogar der Revolver bedienen, deren Knall doch die Nachbarn und Polizeibeamte anziehen könnte. So ist neulich eine Famile in der Rue de L'Ouest angegriffen und der Vater derselben durch einen Rcvolverschuß verwundet, ein anderer Mann durch einen Revolverschuß getödtet worden. Mordanfälle bei Gelegenheit von Diebstählen werden überhaupt immer häufiger und dir Polizei wird fortwährend mit Klagen überlaufen. Es genügt, die verschiedenen Erzählungen der Zeitungen zu durchmustern, selbst diejenigen, welche der Regierung durchaus günstig sind, nm sich zu überzeugen, daß nächtliche Anfälle und Diebstähle im Vergleich mit früheren Jahren im Wachsen begriffen sind, so daß man sich der Er- kenntniß nicht entziehen kann, daß das Polizeipersonal zur Aufrecht erhaltung der Sicherheit der Pariser Boulevards und Straßen in der Nacht nicht ausreicht. Gardinenpredigten. Humoreske von Ed. Gottwald. (Schluß.) „Was hast Du nur immer mit Deiner Uhr? Die geht wohl nicht?" fragte der neben ihm sitzende Postmeister Cambach's. „Ich will heute zeitig nach Hause," entgegnete Scherer und er hob sich, um seinem Vorsätze treu zu bleiben. In diesem Augenblicke trat der Stadtrichter ein, näherte sich dem runden Tische und ries: „Meine Herren! eine Hiobspost!" „Nun?" riefen neugierig mehre Stimmen. „Ich komme soeben aus der Bitterklee'schcn Brauerei," fuhr dieser fort, „und habe dort erfahren, daß mau gestern das letzte Märzbier verschenkt hat und kein Eimer mehr vorrälhig ist." „Aber im Casinokeller ist doch noch Vorrath?" fragte der Apo theker den anwesenden Castetlan. „Soeben will ich den letzten halben Eimer anstecken," entgegnete dieser. „Man hat mir noch gestern eine volle Ladung versprochen, aber nicht Wort gehalten und auswärtige Wirthc besser bedacht als uns Cambacher." „Nun, dann will ich Euch nicht dcn letzten Trunk kürzen," be merkte lächelnd der Steuerinspcctor, griff nach feinem Hule uud wollte sich entfernen, aber von allen Seiten suchte man ihm den Weg zu versperren, und der Gerichtsdircctor, sein intimster Freund, dem er versicherte, daß er heule Abend unbedingt zeitig nach Häufe kommen müsse und seine Familie auf ihn warte, ries laut: „Ei was! Deine Fran und Kinder werden nun, da eS schon auf 10 Uhr geht, Dich nicht mehr erwarten und sind im Belte, ehe Du nach Hause kommst. UebrigenS ist Dein Weibchen so vernüuslig, daß sie Dir nicht grollen wird, wenn sie erfährt, daß alle Deine Freunde Dich gebeten, zu bleiben. „Schiebe mir nur die Schuld in die Schuhe; ich bin ohnedem immer der Sündenbock sür Andere, und unsere Frauen haben alle einen bitter» Groll auf mich u»d auf das Casino und glaube», daß ich der sei, der ihre Männer zum Kneipen verführe, obgleich Ihr alle nicht um ein Haar besser seid, als ich." „Es geht wahrhaftig nicht!" brummte Scherer, sah sich aber trotz seines Sträubens wieder aus seinen Platz zurückgcdrängt, und bekam, da Alles um ihn her in heilerer Slimmung, bald auch seine gure Laune wieder. Die Unlerhaltung wurde immer lebhafter und der Slcuerinspcclor, der, bei slclcr Mahnung zum Aufbruch, das sünsle .Krügel geleert, sah mit Schrecken an seiner Uhr, daß die Milterüachlsstunde wieder vorüber war, fühlte aber auch zu gleicher Zeil, daß er mehr getrunken, als er vertragen konnte, denn wenn er nach dein Billard buckle, auf welchem noch gespielt wurde, sah er statt einem Caroliuenball zwei rolhe Bälle hcrumlaufe». Der Apo theker, der ihm gegenüber saß, Halle, wenn er ihn ansah, gleich einem Chktvpen, ecu Auge auf der Siirn, und der Castellan, weicher seitwärts der Thür stand, präsentirle eben zwei Dosen für zwei kolossale Nase», welche dem Conreclor gehörte». „Donnerwetter! wieder wie gestern und noch schlimmer!" grollte Scherer und richlele sich mit Mühe von seinem Stuhle aus. „Nun, nun, wir gehen alle!" tönte cs rings um ihn, beim der Kellner hatte jo eben die letzten vier Krügel in's Billardzimmer gc- lragen. Alles brach auf, uud bald befand sich der Sleuerinspcctor, der etwas unsicher auf den Füße» war, in Begleitung zweier Freunde, die in seiner Nähe wohnten, auf dem Heimwege, auf welchem er mit schwerer Zunge sich und die ganze Casinogtsclt'chaft verwünschte, und von morgen an allen Umgang mit derselben abzubrechen drohte. Lachend lrennicn sich seine Begleiter; als Scherer nach mehr fachen vergeblichen Versuchen endlich die Hausthür geöffnet und wie der geschlossen Halle, und dann mit der mstincunäßigen Sicherheit, mit welcher Blinde und Trnilkeuc den Weg finden, den sie täglich gehen, trotz aller Schwankungen glücklich die finstern Treppen cr- Niegen, wo er nach einem heftigen Anstoß an einem im Vorhanse befindlichen Schrank, sowie an de» im Wohnzimmer stehenden runden Tisch in seine Schiaskammer gelangte, in welcher er durch die Für sorge seiner Frau die Nachltampe brennend sand. „Meine Auguste — brave Frau — sorgt auch noch — daß ich Licht finde — ja Licht finde — schlechter Mensch Du, heute Morgen Besserung gelobt — und heute Abend wieder voll wie eine Kanone — na, nur gut, daß sie schläft, ja — die schläft fest — ohne Vor würfe, — die gute Auguste — hopsa — wo ist denn der Stiefel knecht — na, na, nur Geduld, bis ich am Belt bin — den Stiefel knecht — den Hal gewiß die Christel — beim Auskehren — verschleppt — na, — Auguste — Du wirst Dich wundern, wundern wirst Du Dich — Herr Golt von Blendheim — ich bin ja — schrecklich — schrecklich grau — bin ich — Auguste —" Hier endigte das Selbstgespräch, während dessen Scherer glück lich sich seines Nückes entledigt und balancireud Geldbeutel und Uhr auf Len Tisch gelegt Halle, dann aber nach mehrfach mißglückten Versuche», dcn Stiefelknecht zu erfassen, diesen endlich packle und xnit demselben auj'S Bell fiel, von wo aus bald ein sürchterliches Schnarren den festen Schlaf verkündcle. Wenige Minnien darauf ging leise die Kammerthür auf, und seine Gatlin trat mil der Lampe in der Hand im Nachinegligee her ein, belenchlcie den Schnarchenden, welcher mit beiden Händen dcn Stiefelknecht festhielt, und rief dann mit klagender Stimme: „Und das nennt er sich bessern!" Doch die Vcssermig trat wirklich ein, denn vom nächsten Tage an kam Ler Sleuerinspcctor jeden Abend vor zehn Uhr nach Hanse, als nach Verlaufe mehrerer Wochen bei einem großen Kaffee, welchen die Gerichlsdircclorin gab und wo cs scharf über das Casino hcrging, Schercr's Gatlin glücklich ihren wieder solid gewordenen Mann rühmle, wie pünkllich derselbe jetzl immer nach Hause komme, sagte fast jede der anwesenden Frauen dies anch von ihrem Alaune. Die Post- meisterin aber ries lachend: „Aber warum kommen sie zeitig nach Hause? Weil, wie mein Alter mir brummend erzählt, daß neue Lagerbier so schlecht gerathen ist, daß es Niemand trinken mag." Auf das heute Abend im „Löwen" statlfindcude hu- moristische Concert der freiw. Feuerwehr zum Besten einer Christbeschccrung sür arme Kinder, erlauben wir uns nochmals hinzuweisin und zum Besuch desselben auszusordcr».