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streckt, hat mehr als 3000 Bewohner und ist eine Stadt für sich. Hier wird die Regierung des Reiches gehandhabt, hauptsächlich durch Weiber und Sclavcn. Die Vezire und Minister sind nur die Diener dieser eingcschlossenen Geschöpfe, und obgleich zu Zeiten ein Slaats- niann, der von einer starken Palastclique gestützt wird, wirkliche Macht ausüben kann, so dauert das doch gewöhnlich nicht sehr lange und seine Macht ist nicht sehr groß. Von dem Augenblick an, wo er in's Amt tritt, wird er heimlich von einer Schaar von Feinden angegriffen, die er nicht sieht und die er weder entwaffnen noch ver söhnen kann. Alles, was er wissen kann, ist, daß, während diese Feinde gegen ihn intriguiren, die Weiber und Sclaven, deren Einfluß er seine Stellung verdankt, sür ihn kämpfen, und daß er sicher ist, so lange diese die Oberhand behalten. Er kann aber jeden Augenblick fallen, wenn die Mehrheit in dem weiblichen geheimen Parlament, welches das Land regiert, wechselt, und unter solchen Umständen darf man nicht erwarten, daß er viel Eiser in seiner Politik entwickeln werde. Ein türkischer Minister, dem man den Nath giebt, mit Re formen vorzugehen, kann immerhin alles versprechen, was ein Ge sandter nur fordern mag, aber er weiß recht gut, daß jede Neuerung, die er versuchen möchte, irgend ein sundirtes Interesse verletzen würde, welches vielleicht von einer circassischen Favorite deS Sultans ver- theidigt wird ober von einem insolenten Bedienten, dem zeitweiligen Vertrauten der Sultanin Valide. Der Sultan ist in der Regel eben so sehr in ihren Händen wie seine Minister. Ein Spielzeug in der Hand von Weibern, weiß er niemals genau, wer ihn eigentlich re giert, aber um des lieben Friedens willen muß er thun, was seine Mutter, Schwestern, Radims oder Favoriten befehlen. Mehrere Sultans hätten schon gern, zu Tode gelangweilt durch die Jntriguen des Serails, ihren ganzen weiblichen Hof weggejagt, aber jeder Schritt in dieser Richtung führt zu Verschwörungen und Absetzung. In einem Lande, wo das Etbfolgerecht zum Thron so verworren ist, muß der Sultan vorsichtig sein, keine Prätendenten anskommen zu lasten, die vielleicht ebenso gute Anrechte darauf haben könnten, wie er selbst. Die Loyalität des Volkes ist groß in Beziehung zum Padischah; aber nicht, was das Individuum betrifft, welches gerade die Würde begleitet, so daß, wenn nur ein Sultan da ist, das Volk sich wenig darum kümmert, wer er ist; auch würde cs niemals die Waffen er greifen für einen Padischah, der durch eine Palaflvcrschwörung abge- setzt worden wäre. Die beiden Serails, das neue, in welchem der Hof des regierenden Sultans residirt, und das alte, wohin die Fa voritinnen früherer Sultane relegirt werden, beherbergen zusammen an 4000 Personen, welche die Ursache von ruinirenden Ausgaben sür den Staatsschatz werden. Nicht nur sind die Haushaltung der Sullanas, Radims, Jkbals (Favoritinnen) und Gicuzdes (voraussicht liche Favoritinnen) verschwenderisch, sondern die ganze Hofhaltung ist extravagant. Jede der kaiserlichen Damen hat ihre Daira d. h. ihr Gefolge von Gesellschafterinnen, weibliche und männliche Dienerschaft, und alle diese Leute werfen mit ungezähltem Gelbe um sich, wenn sie irgend einen zeitlichen Wunsch erfüllen wollen. Die Sultane gehen keine regelmäßigen Ehen ein und die oberste Herrscherin im Serail ist niemals der Sultans Gemahlin, sondern seine Mutter. Sie führt den Titel der Sultana Valide und alle Bewohner des Serails sind ihr unterthänigsten Gehorsam schuldig. Ihr Gefolge besteht etwa aus 200 Dienern und Wachen. Nächst ihr im Rang steht die Has- nadar Ousta, die Schatzmeisterin, welche gewöhnlich eine schlaue alte Frau ist, die aus den Reihen der Hausdienerschast cmporgesncgcn ist durch ihr Talent sür Haushaltung und Klatsch. Wenn die Sultana Valide stirbt, so folgt ihr die Hasnadar als Königin im Serail und das führt oft zu seltsamen Folgen. Unter Abdul Medjid ward der Palast Jahre lang von einer Hasnadar regiert, die ursprünglich ein Waschweib gewesen war und deren Hauptrathgeber ein grober Bal- tadji (Holzspalter) war, der nicht lesen konnte, aber die Macht be saß, Vezire abzusetzen. Dieser Baltadji war thatsächlich der Regent der Türkei. Nach der Hasnadar im Rang kommen des Sultans halb legitime Frauen Favoritinnen in folgender Ordnung: erst kommen die vier Kadims, die so lange als Gemahlinnen gelten, bis Se. Majestät sich von ihnen scheidet und sie irgend einem Pascha zur Frau giebt, was ziemlich oft geschieht; dann die Jkbals oder Favo ritinnen, gewöhnlich fünf oder sechs, und dann die Gicuzdes oder angehende Favoritinnen, deren Zahl unbeschränkt ist. Der Name ist abgeleitet von Gicuz, Auge, und bedeutet ein Mädchen, aus welches des Herrn Auge gefallen ist. Ein Mädchen im Serail, wenn sie auch nur eine einfache Cavedji, Kaffceträgerin, ist, wird eine Gicuzde, so bald der Sultan eine wohlgefällige Bemerkung über sie macht. Wenn zum Beispiel St. Majestät bei dem Besuche bei einem seiner Ver wandten bemerkt: „Was ist das sür ein hübsches Mädchen, welches den Kaffee hereingcbracht hat?" so gelangt das Mädchen ohne Weiteres zum Range einer Gicuzde und erhält eine Reihe von Gemächern, eine Daira und einen Anspruch aus den kaiserlichen Schatz für ihr ganzes Leben, oder so lange, bis der Sultan ihr einen Gatten giebt. Da jedes Frauenzimmer, welches aus dem Serail hcirathet, ihre Kleider, Juwelen, Möbel, Bediente, Wagen und eine Summe Geldes mitnimmt, die ost tausende von Pfunden beträgt, so ist leicht zu ermessen, wie die Civilliste belastet wird, wenn viele Gicuzdes vorhanden sind. Nach des Sultans Favoritinnen haben die Kadims - Effendis den nächsten Rang, die Mütter von Prinzen oder Prinzessinnen, dann die Sullanas, unverhcirathete Prinzessinnen von kaiserlichem Geblüt, und endlich die Ammen und Milchschwcstern der Sultane oder der Prinzen und Prinzessinnen von Geblüt. Die Nährmutter und ihre Kinder gellen in einem türkischen Haushalte immer als Angehörige, und während mehrerer Jahre hatte Nahir Hanum, die Milchschwestcr von Abdul Medjid, den höchsten Einfluß an seinem Hose. Was nun die männlichen Einwohner des Serails betrifft, so sind da außer dem nothwendigcn ,Stab von Kammerherrcn, Secrelärcn, Thürhülern, Eunuchen, Köchen und Küchenjungen, ein Corps von 200 Pagen und Musikern und eine ganze Armee von Barbieren, Badern, Vorkostern der kaiserlichen Speisen, Athleten, Possenreißern, Hahnenscchtmeistern, Bockfechtmeistern, Astrologen und Stallknechten. Die Hahnenfechter und Bockfechter waren angeschafft, um Abdul Aziz zu belustigen, aber der gegenwärtige Sultan hat sie beibehalten, weil es fast unmöglich ist, Jemanden zu entlassen, der einmal cin Amt im Palast hatte, ohne ihm eine Pension zu geben. Dasselbe kann man von den Astrologen sagen, deren Amt eine Sinecure geworden ist, wenn sie auch manch mal berufen werden, um die Damen durch Wahrsagen zn unterhalten, die Possenreißer und Zwerge sind immer zahlreich gewesen, denn die Damen in ihrer abgeschlossenen Lebensweise müssen aufgeheitert werden, wenn die Langeweile gar zu groß wird und die Musick und die Künste der Tänzerinnen nicht mehr anzichen. Die Tänzerinnen bilden ein Corps von 300 Mädchen, glänzend gekleidet und reichlich genährt; sie kosten mehr als cin Kavallerie-Negiemenl. Man braucht die Beamten und Diener sür die Ställe, welche 500 Pferde enthalten, nicht aufzuzählen, noch die für die Küche, die Bäder und Gärten, noch auch den Stab der Hosprediger, und nach dem Vorgesagten kann man wohl behaupten, daß Les Sultans Hos der kostspieligste und faulste in der Welt ist. (P. M. Gaz.) Vermischtes. EinReichstagsabgeoidneter auf dem Schub. Dem sozialdemokratischen Neichtstagsabgeordneten Kayser, Ver treter des sächsischen Wahlkreises Freiberg, wurde, als er am 1. d. aus dem Gesängniß entlassen wurde, in Dresden folgendes Aus- wcisungsdekret eingchändigt: „Es wird Ihnen hiermit der fernere Aufenthalt in Dresden (Kayser war Redakteur des sozialdemokratischen Lokalblattes in Dresden), unter Rückkehrverbot und Bedrohung mit Haftstrafe für Zuwiderhandlungsfälle, untersagt und wird ihnen da bei auferlegt, sich bei Vermeidung der Arretur und Bestrafung mit Haft, nach Befinden unbedingten Verbotes der Betretung Dresdens, künftig beim Betreten hiesige» Stadtgebietes sofort aus der nächsten Polizeibezirkswache zu melden, daselbst einen Meldeschein zu erheben, sich mit solchem unverzüglich nach Lem Bureau der Kriminalabtheil- ung (Polizeihauptgebäude Hl. Etage) zur Erlangung der forderlichen Aufenthaltsbewilligung zu verfügen, nach Ablauf der Auscnthaltssrist die Stadt pünktlich wieder zu verlassen und den Meldeschein aus Ler Wache desjenigen Bezirkes abzugeben, durch welchen Sie die Stadt verlassen; auch werden Sie hiermit, unter gleicher Strafandrohung vor zweck- oder obdachlosem Umhcrlrciben, vor Kampire», Einscbleichen, sowie unbesugtcm Nächtigen in sremdcn Räumen und vor Völlerei, ingleichem vor ungebührlichem, unfolgsamem und widerspenstigem Be nehmen gegen diciistthueiide Polizeibeamte verwarnt und bedeutet, sich im Fall der Obdach- und Subsistciizmittellvsigkeit stets sofort an die zuständige Armenvcrsorgungsbchörde zu wenden und das Ihnen dort zu bietende Unterkommen unweigerlich anzunehmen. K. Polizei- direküon Dresden. „Formular 22." Dieses „Formular 22" und die „Eisenbahnfreikarte" bilden eine vortreffliche Ausrüstung sür den mit der Würde eines Volksvertreters Bekleidete». Ein lohnender Diebstahl. Einen guten Fang haben New-Aorker Diebe in der Manhattansparbank in New Aork gemacht. Vermittelst eines Einbruchs ist es ihnen gelungen, Lie Kaffe auszuräumcn. Nahe zu 3 Millionen Dollars in Werthpapieren uno 85,000 Dollars baarcs Geld sind in ihre Hände gefallen. Das Traurige bei der Sache ist, daß die Kalamität grade eine Sparbank betroffen hat, daß also die Verlierer die Depositoren sind, unter denen sich Tausende von kleinen Handwerken befinden. Es läßt sich nicht annehmen, daß die Bank diesen Schlag überwinden wird. Nachdem sich in Amerika der Versuch der Heizung einer ganzen Stadt durch Dampf, der von einem ober mehreren Centralpunktcn aus durch Röhren in die Häuser geleitet wird, in Lockport bewährt Hal, ist man jetzt dort bemüht, die Erfindung praktisch zu verweNhe». Die New-Aorker Stegen Supply Company ist soeben bei Ler Commune von New - Aork um Ertheilung des Privilegiums der Heizung Ler Häuser der Stadt durch Dampf eingekommen. Die Gesellschaft er bietet sich dagegen, von dem zu erzielenden Gewinne, »ach Abzug ve n 10 Prvc. zur Bildung eines Reservefonds, 20 Proc. der Commune zu zahlen und außerdem die öffentlichen Gebäude der Stadt zum Selbstkostenpreise zu Heizen. Gelegentlich einer Revisions - Reise besuchte ein höherer Justiz- beamter einen kleinen Ort und machte dem dortigen Vertreter der Criminaljustiz das Compliment, daß bei ihm das Jnquisilions-Ver« fahren viel rascher von Statten gehe, als in den übrigen Amtsbezirken. „Wie ermöglichen Sie es, die Verbrecher so rasch zum Geständniß zu bringen?" fragte der Vorgesetzte. „Ganz einfach durch Anwenbug der gesetzlichen Mittel", lautete die Antwort. „Ei, freilich", bemerkte der Präsident — „aber auch die andern Amlshauptleule wenden die gesetzlichen Mittel an und dennoch dauert ihr Unlersuchungsverfahrm mehrere Wochen, iirdcß das Ihrige in wenig Tagen beendet ist." — Cs ergab sich nun, daß ein Paragraph, welcher besagt, daß renitente Untcrjuchungsgefailgcne abwechselnd mit Wasser und Brot beköstigt werden können, ganz anders ausgelegt worden war, als der Gesetz geber gemeint hatte. „Ich gebe den Hartnäckigen einen Tag Wasser, den andern Brot und so bekomme ich sehr bald ihr Schuldbekcnntniß." Nur immer gcmüthlich. Ein Tapezierer wird zu zwei alten Damen gerufen, von denen eine taub ist. Er soll ein Bild an eine andere Stelle hangen. Bald muß er es dort an der Wand befestigen, bald hier; niemals paßt eS der einen alten Danie, die beständig neue Anweisungen ertheilt. Endlich reißt dem Tapezierer die Geduld und er ruft aus: „Dem alten tauben Weibsbild kann man es auch nie recht machen!" Das alte Fräulein sicht ihn ohne Zorn an und sagt mit Gelassenheit: „Verzeihung, mein Herr, das ist mcinc Schwester, die taub ist." Zur Verbesserung der Lust in Krankenzimmern stelle man kaltes, frisches Wasser in größeren, weilen, offenen Gesäßen auf den Boden des betreffenden Lokals. Das Wasser nimmt, besonders bei anstecken den Krankheiten, viel schädlichen Stoff aus der Lust auf, darf daher natürlich weder von Menschen, noch von Thicrcn benützt oder ge nossen werden, weil schon öfters der Genuß von Wasser, welches in Krankenzimmer auch nur über Nacht gestanden, selbst ansteckende Krankheiten weiter verbreitet hat. In Berlin wanderte vor etwa fünfzig Jahren ein armer Kupfer schmiedgeselle cin, ohne einen Thaler in der Tasche, aber mit Grütz und Unternehmungsgeist im Kopf und mit einem vielversprechenden Namen, dem er bald Ehre machte. Er hieß Heckmann. Dieser Tage ist er gestorben, überaus dem Gesellen war nicht nur Meister, sondern ein Inhaber der größten Kupfer- und Messingwalzwerke und einer dzr reichsten Männer der Kaiserstadt gewordeu. Kirchennachrichten aus Wilsdruff. Am 22. Sonntag n. Trin. Vormittags predigt Herr k. Ur. Wahl. Der Nachmittagsgottesdienst fällt aus.