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VW" Zweites Blatt. -MD Wochenblatt Nossen, Siebenlehn und die Umgegenden Erscheint wöchentlich 2 Mal. Dienstag und Freitag Abonnemenisprci» vierteljährlich 1 Mark Eine einzelne Nummer kostet-w Pf. Jnseratenannahme Montags u. Donnerstags bis Mittag IS Uhr. tzrscheini wöchentlich 2 Mal DicnStag und Freitag. AbvnnementSvreik virteljährlich 1 Marl. Eine einzelne Nummer l-stet lO Pf. Jnseratenannakme Montags u. Donnerstags bi« Mittag >2 Uhr. Wilsdruffs Tharandt, für die König!. Amtshauptmannschaft zu Meißen, das König!. Amtsgericht und den Stadtrath zu Witsdrufi. Dreiundvierzigfter Jahrgang. Nr. 100 Freitag, den 14. December 1883. Weihnachts-Bilder aus dem Dies- und Jenseits. Von 8. 8. Nachdruck nicht gestattet. Es war einmal in einer schönen Winternacht: der silberne Mond und die goldnen Sterne schauten vom klaren Himmel auf die reine, weiße Erde, die ihr schneeiges Schlafgewand angezogen hatte. Schon hielt der Schlaf die meisten Menschen umfangen, und nur hier und da schimmerte noch ein Licht, das entweder einem armen Kranken oder einer fleißigen Hausmutter leuchtete. Da schwebten vier der Engel, welche der liebe Gott den Menschen zum Schutze sendet, empor zum Throne des Ewigen, der nie schläft, noch schlummert, um dem Herrn Rechenschaft über ihr Tagewerk abzulegen., Der erste Engel begann! Herr, ich komme aus dem Dorfe, das inmitten einer weiten und fruchtbaren Flur liegt, von deren Frücklen ich im vorigen Sommer mit meinen Flügeln den drohenden Hagel abwchrte. Ein herrlicher Wald begrenzt die Gefilde, und ein klarer Bach durchströmt den Ort, lustig fünf klappernde Mühlen treibend, die Tag und Nacht den reichen Ernteertrag in blntenweißes Mehl umwandeln. Wohlstand und Glück hast du, o Barmherziger, über diesen Ort mit voller Hand ansgegossen. Dort habe ich in dem schönsten Haufe an der Hauptstraße auf deinen Befehl die beiden Kinder des begüterten Elternpaarcs getreulich bewacht. Aber tiefes Weh erfüllt mein Herz, wenn ich dir beichten soll, was meine Augen an dieser Stätte deines Segens schauten. Das älteste Kind, ein lieblicher Knabe von 7 Jahren, kam aus der Schule heim und eilte dem in die Stube tretenden Vater mit dem Freudenrufe entgegen: „Vater, heute hat uns der Herr Lehrer eine gar schöne Geschichte erzählt vom Heilgen Christ, der bald auf die Erde nieder kommt; — die muß ich Euch schnell einmal wieder erzählen!" — „Schweig," donnerte der Vater den Klei nen an, „ich will von solchen Geschichtchen, die doch nichts einbringen, nichts wissen; laß Dir lieber vom Lehrer erzählen, wie man ein reicher Mann wird!" Erschrocken schlich sich der Knabe davon, und mit seiner Weihnachtsfreude ist's leider nun aus. Darauf nahte sich der zweite Engel dem Herrn mit diesen Worten: „Auch ich, Herr, komme aus jenem Dorfe, das du durch deinen Segen ausgezeichnet hast. Mir befahlst du, den lebensmüden Greis in dem Hause, das die hohen Fenster und die weiten Eingangspforten hat, zu behüten. Ich erfülle treulich deine Gebote, und jetzt, wo der Alte in Schlaf gesunken ist, habe ich liebliche Traumbilder aus seiner Ju gendzeit vor seine Seele gezaubert, damit er nicht erwache, bevor ich aus deinem Himmel zu ihm zurückkehre. Ach, auch ich habe heute wieder — wie schon so oft — sehen müssen, wie der Geiz, dieses Ge wächs der Hölle, deine schöne Erde verwüstet. Denn siehe, dieser zitternde Greis, auf dem schon 80 Jahre lasten, und der seinem ein zigen Sohne ein großes Vermögen übergab, muß wie ein Betler in einer Kammer wohnen, die nicht einmal einen wärmenden Ofen hat. Nur durch eine Oeffnung in der Decke dringt ein wenig Wärme, mit ihr aber auch die Dämpfe u. verdorbene Luft aus der Wohnstube in die eisige Behausung des Alten. Tort saß er heute stundenlang und rieb die erstarrten Hände in dem warmen Hauche. Ein durchscheinendes Röck- lein umschließt die frierenden Glieder, und das leichte Bett vermag auch nicht, den halberstarrten Körper während der Nacht zu beleben. So sitzt nun der Arme Tag für Tag, und seine Einsamkeit wird nur unterbrochen, wenn der Sohn ihm die dürftige und fchwer verdauliche Speise bringt, die er dem Alten noch durch die beißende Bemerkung verbittert, daß es Leute gäbe, die gar nicht wüßten, wenn es Zeit zum Sterben für sie wäre. Kein Wort des Vorwurfs oder der Klage kam über die Lippen des Greises; als aber der hartherzige Sohn dröhnend die Kammerthür hinter sich zugeworfen hatte, da rannen aus den glanzlosen Augen des Alten heiße Thränen über die einge- sallenen Wangen, und seufzend murmelte er: „Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten; was der Mensch sät, das wird er ernten. — Eure Kinder werden eure Richter sein. So habe ich es vor 40 Jahren, als mein Sohn noch ein Kind war, mit meinem unglücklichen Vater auch gemacht. Und als dieser mein Sohn, der das weiche Herz seiner Mutter, die ich vor nun schon 30 Jahren durch meine Lieblosigkeit unter die Erde brachte, geerbt hatte, damals sür den Großvater bat, da habe ich ihm mit Rippenstößen und Schlägen andere Grundsätze ins Herz geprägt; ich habe ihn gelehrt, Schule und Kirche, Lehrer und Geistliche zu verachten — und heute ernte ich die Früchte meiner Aussaat!" Hierauf trat der dritte Engel vor den Herrn: Auf seinem Arme trug er die Seele eines Knäbleins, das nur wenige Tage auf der Erde geweilt hatte. Herr, begann er, du sandtest mich vor drei Jahren in das Haus eines neuvermählten Ehepaares, dem zum Glücke nichts fehlte, als ein weiches, mildes Herz des jungen Mannes. Ein kleines Mädchen legte ich in die Arme der beglückten Mutter, und du ge dachtest, das steinerne Herz des lieblosen Vaters durch diese himm lische Gabe zu erweichen. Aber deine Güte leitete ihn nicht zur Buße; schwere Jahre hat sein harter Sinn, der nur nach den vergänglichen Gütern der Erde trachtet, über das arme Weib gebracht, das aus dem Hause des Glückes und der Elternliebe in so rohe Hände geraten ist. Kein Wort der Anklage gegen den Zerstörer ihres Glückes ist bis heute über die Lippen des gequälten Weibes gekommen; nur Fürbitten um die Besserung des Hartherzigen stiegen zu deinem Throne empor. Du wolltest in deiner Gnade durch neue Beweise deiner erbarmenden Liebe den verstockten Sinn des Mannes erweichen; darum mußte ich vor fünf Tagen dieses Knäblein an die Seite des schlummernden Schwester chens legen, damit die Vaterfreude ihn zur Einkehr und Umkehr be wege. O, mit welch fröhlichen Hoffnungen entschwebte ich in jener Nacht diesen lichten Höhen — und wie sind sie doch alle so schnell geknickt worden. Nur einen gleichgültigen Blick gönnte der Vater dem herzigen Kleinen, der so engelgleich aus den Bettchen schaute, die ihm die Fürsorge von Mutter und Großmutter schon lange zugerüstet hatten. Kein Wort des Dankes hatte er für dich, barmherziger Vater; kein erhebender und tröstender Zuspruch wurde dem jungen Weibe, das so todesmatt auf seinem Bette lag. Nicht eine Stunde der Alltagsarbeit wollte er opfern, um der schwachen Mutter die Sorge um den Kleinen abzunehmen. Ihm ist die Geburt seines Söhnleins keine Freude, son dern ein lästiges Hindernis, das ihn im Jagen nach Reichtum stört. Immer finsterer wurde darum sein Angesicht, immer unfreundlicher klangen seine Worte. Ja, heute ängstigte er sogar die arme, kraftlose Frau mit drohender Rede und fordert mit erschreckender Stimme, sie solle sich von ihrem Lager erheben, sich selbst um ihr Kind kümmern und in der Wirtschaft nach den Rechten sehen. Mit übermenschlicher Kraftanstrengung erhob sich die Halbkranke, um seinen barschen Worten zu gehorchen. Aber ohnmächtig sank sie neben dem Lager zu Boden. Ein hitziges Fieber hat sie in Folge des Schrecks und der Anstrengung ergriffen, und schon malt der Engel des Todes hochrote Röslein auf ihre blaffen Wangen. An ihrer Brust hat der Kleine den Tod ge trunken; und während sich die Mutter in der Abenddämmerung in ihrem Fieber ins Elternhaus zurückphantasiert, habe ich die Seele des Kleinen, der so unfreundlich auf der Erde empfangen wurde, von ihrer irdischen Bande gelöst und wieder in deinen Himmel heimgetragen. Unten um die arme Mutter ist es jetzt finster und kalt. O Herr, er barme dich auch bald jenes Weibes, dessen Ehestand so kurz und doch so dornenreich war!" Schluchzen erstickte die Stimme des Engels, als er die Kinderseele auf den Vaterschoß des Ewigen niedersetzte, und Thränen innigen Mitleids rannen aus den Augen der lauschenden Engel. (Schluß folgt.) Zagdgeschichten eines Hinterwäldlers. Erzählung von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) „War Alles so, wie ich dachte," begann der Fremde nach einer Pause von Neuem. „Nur weit schlimmer. Als ich in die Nähe der Harry'schen Ansiedelung kam, sah ich noch, wie eben eine Rothhaut eine Franensgestalt mit sich fortzog und im Gebüsch verschwand. Es konnte nur meine Mary sein, und nun hatte ich Mühe, einen wilden Wuthschrei zu unterdrücken. Unglücklicherweise hatte ich in der Eile und Bestürzung über Marys Abwesenheit meine Flinte nicht mitgenom men, nur ein Jagdmesser hatte ich im Gürtel, und wie ich auf den ersten Blick gesehen, war der Wilde gut bewaffnet. Vom Blockhaus konnte ich keine Hilfe holen, dort war schon der Kampf entbrannt, wie ich hörte, und wenn ich dahin zurückging, fiel ich den Indianern in die Hände. Es blieb mir nichts Anderes übrig, als dem Räuber so vorsichtig wie möglich zu folgen. Vielleicht war mir doch die Gele genheit günstig. Mary leistete solchen Widerstand, daß er nur lang- sam mit seiner Beute vorwärts kam. Der Häuptling mochte sich ganz sicher fühlen; er wußte ja, daß die Weißen sich Alle in das Blockhaus gerettet hatten, auf das seine Leute jetzt mit wildem Geheul losstürmten und so merkte er nicht, daß ich immer dicht hinter ihm folgte, obwohl sonst eine solche Rothhaut auf das Fallen eines Blattes lauscht. Jetzt war der rothe Schurke mit seiner Beute am Flusse angekommen und horchte nach der Stelle hin, wo der Kampf entbrannt war. Deutlich hörte ich Mary fragen: „Schwarzfeder, wohin willst Du mich schlep pen?" Mir hämmerte das Herz in der Brust; ich drückte in ohn mächtiger Wuth meine Stirn an den nächsten Baum, hinter den ich mich verbarg. „Zuerst nach jener Insel," und der Häuptling wies auf einen grünen Streifen, der aus dem Flusse emporragte, „und dann an's andre Ufer." „Und von dort in den Wald?" fragte Mary weiter, und ich be wunderte ihre Ruhe. „Natürlich!" grinste der Wilde. /Und Du willst mich zwingen, Dein Weib zu werden? „Deshalb hab' ich Dich ja nur eingefangen; aber wir haben wenig Zeit, süße Lilie, steige nur rasch in dies Canoe." „Es ist nicht groß genug, um uns Beide zu tragen," war ihre Antwort. „Das ist war; aber ich hab' ein größeres auf der Insel," entgeg nete die Rothhaut. „Du darfst nur einsteigen, ich schwimme zur Seite und stoße das Canoe vorwärts." „Willst Du denn nicht Deine Waffen ablegen, die Dich am