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Wochenblatt für für die Königl. Allltshauptmannschaft zu Meißen, das König!. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff. Dreiun-vierzigster Jahrgang. Nr. IN2 Freitag, den 21. Decembcr 1883. Die nächste Nummer unseres Bluttes erscheint Montag früh; Inserate für dieselbe erbitten wir uns bis Sonnabend Abend Die Expedition des Wochenblattes für Wilsdruff. Erscheint wöchentlich 8 Mal Dienstag und Freitag AbonnememSprciS vierteljährlich 1 Mark Eine einzelne Rümmer kostet^ Pf. Jnseratenannahme Montags u. Donnerstag« biS Mittag 18 Uhr. Erscheint wöchentlich 2 Ma! Dienstag und Freitag. Abonnementspreis Vieteljährlich 1 Mark. Eine einzelne Nummer kostet 10 Ps. -M Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Siebenlehn und die Umgegenden Iagdgeschichien eines Hinterwäldlers. Erzählung von Ludwig Habicht. (Fortsetzung und Schluß.) „Heinrich, wie hast Du mich finden können?" fragte Mary ver wundert. „Ich suchte Dich im Blockhaus und da Du dort nicht warst, wußte ich, daß Du zurückgeblieben." „Ohne meine Schuld, Heinrich," vertheidigte sich Mary sogleich. „Du weißt, gestern Abend fürchteten wir schon Alle einen Ueberfall. Der Vater sagte deshalb, ich sollte mit in seinem Zimmer schlafen; das mochte ich ober nicht, ich wollte nicht so feig erscheinen. Ich legte mich nur mit meinen Kleidern zu Bett und da alles in der Nacht rubig blieb, schlief ich endlich ein. Da hörte ich plötzlich das Lärm signal; ich wollte aus dem Bett springen, und nun seh' ich ein wildes rothes Gesicht über mich gebeugt und die rothe Schlange zischelt mir zu: „Wenn Du einen Laut von Dir giebst, bist Du verloren." „Ich wußte, daß Schwarzfeder Wort halten würde," plauderte Mary weiter. — „Erzählte mir doch der Wilde triumphirend, daß er um meinetwillen den Krieg angesaugen habe und in die Ansiedelung geschlichen sei, um mich zu entführen. Nun war ich vorläufig in seinen Händen. — In der allgemeinen Verwirrung war Alles nach dem Blockhauie so rasch wie möglich geflüchtet. Mein Vater hat gewiß geglaubt, ich wäre schon voraus; denn Niemand konnte ahnen, daß der Häuptling die Verwegenheit haben und ganz allein bis zu unS dringen würde. Ich mußte mich vorläufig iu mein Schicksal ergeben; aber ich war fest entschlossen, jede Gelegenheit zur Flucht zu benutzen." „Und wenn Du die nicht gefunden hättest, Mary?" war meine Frage. „Dann wäre ich doch nicht lebendig sein Weib geworden," sagte Mary, und wußte wohl, daß sie, trotz ihrer großen Jugend, Wort gehalten hätte." — Der Erzähler schwieg; er starrte wieder zum Fenster hinaus und auf seinem wettergebräunten Antlitz zeigte sich ein stolzes Lächeln in Erinnerung des Muthes, den seine Geliebte bewiesen hatte. „Und wie endete der Kampf im Blockhause?" fragte ich nach einer Weile, da der Hinterwäldler hartnäckig schwieg. „Hab' ich Ihnen das noch nicht erzählt?" fragte er ganz verwun dert. „Natürlich waren die Rothhäute in die Flucht geschlagen wor den und als wir nun im Blockhause ankamen und unser Abenteuer erzählten, war der Jubel groß." „Was wurde aus Mary?" fragte ich nach einer Pause hartnäckig weiter. „Meine Frau," antwortete er einsilbig. In seinen Augen blitzte es dabei noch einmal freudig auf, dann verdüsterte sich sein festes, hartes Gesicht, und sich in seine Ecke drückend verharrte er schweigend lange Zeit. Ich wagte den Mann mit ferneren Fragen nicht zu belästigen. Langsam keuchte der Zug durch die einsame, düstere Gegend weiter, die ganz geeignet war, schwermüthige Stimmungen zu wecken. Mein Gegenüber blickte aus seinem Winkel mit finstern Augen auf die vor- übcrziehendeu dunklen Fichtenwälder. „Ist beinah, als ob man durch den Urwald führe," wandte sich der Fremde Plötzlich wieder zu mir. „Weckt ganz wunderliche Gedanken. Konnt's endlich nicht länger da drüben aushalten und nun ich hier bin, hab' ich auch keinen Augenblick Ruhe. Ist nicht angenehm, so allein durch die Welt zu irren." Der Reisende mochte aus meinem verwunderten Gesicht meine Gedanken abgelesen haben. „Hatte Alles! Ein schönes, braves Weib, drei prächtige Kinder waren meine Freude und jetzt —" er sprach nicht weiter, fuhr sich mit der Hand über die feucht gewordenen Augen und wandte sich rasch zum Fenster, um seine Rührung zu verbergen. Der Schmerz bei diesem von allen Lebensstürmen durchschüttelten Manne war so tief und furchtbar, daß ich ihm meine Theilnahme nicht ver sagen konnte. „Will es Ihnen erzählen," fuhr der Hinterwäldler nach einer langen Pause mit rauher Stimme, ohne sich vom Fenster wegzuwenden, fort, und ich gewahrte wohl, wie sehr sich der wunderliche Mensch zu beherrsche« suchte. „Hatte mir der alte Harrys seine Tochter gegeben, meinte, ich hätte sie mir verdient. — War ein Glück, wie ich's mir nicht größer denken konnte. Ging mit meinem Bruder noch ein paar Meilen weiter nach Westen, weil dort prächtiges Land war. Hatten keine Furcht vor den Rothhäuten, wagten nicht mehr, uns ihre bemalten Gesichter zu zeigen. — Blieb alles jahrelang still. War wieder ein schönes Jahr, durften hoffen, eine gute Ernte zu haben. Lud mich mein Bruder zur Jagd ein; machten reichliche Beute und wanderten vergnügt beim Morgengrauen nach Hause. „Was ist dort für ein rothes Licht, Heinrich," fragte mein Bru der Plötzlich. Sah hin, wußte gleich woran ich war. — „Haben ein mal umsonst gearbeitet, Fritz, unser Korn brennt," sagte ich ruhig, wenn es mir auch ein Bischen anders um's Herz war, denn für die Ansiedler im Westen mein Herr, da will schon eine Ernte was bedeu ten, die sieht man nicht gern in Rauch aufgehen." „Bei uns ebenfalls nicht," wollte ich erwidern, aber ich mochte den Mann nicht unterbrechen, der immer hastiger weiter erzählte: „War noch schlimmer, als mir gedacht; ais wir rasch noch einige Schritte weiter gingen, sahen wir an der Stelle, wo mein Haus stehen mußte — nichts: es war verschwunden — aber gleich darauf hörten wir schon aus der Ferne ein wildes Geheul und nun wußten wir, welche Gäste sich eingefunden. Die Rotbhäute hatten uns nach Jahren einen Besuch gemacht. Wir hatten freilich schon gehört, daß der Bruder Schwarzfeder sich einmal rächen wolle, aber dazu nur gelacht, denn es war so lange bei leeren Drohungen geblieben. Hätte freilich denken können, daß ein Indianer nie etwas vergißt und jahrelang schleicht und lauert, bis er seine Rache ausgeübt. „Laß uns dort auf den Hügel eilen, da können wir Alles über sehen," sagte mein Bruder und ich folgte ihm, obwohl ich am liebsten mich sogleich auf das rothe Gesindel geworfen hätte. Fritz errieth meine Gedanken und ermahnte mich zur Ruhe. „Wenn wir nicht vorsichtig sind, richten wir gegen das rothe Raubgesindel nichts aus." — Er hatte Recht und ich folgte seinem Rath. Wie ich auf den Hügel gekommen bin, weiß ich heut' noch nicht; aber ich war plötzlich oben und nun könnt ich alles sehen. — Großer Gott!" — Er schlug die Hände vor das Gesicht und vermochte dennoch Vie Thränen nicht zu verbergen, die unaufhaltsam aus seinen Augen drangen. „Ach, warum soll ich mich der Thränen schämen, die hervorauel- len!" sagte der Alte plötzlich und nahm die Hände von dem Gesicht. „Möcht' den kennen, der ruhig bleiben könnte, wenn er gesehen', was ich an jenem Morgen erblickt! — Die halb verkohlte Leiche meines Weibes lag vor dem Aschenhaufen meines niedergebrannten Haufes... Auch nach meinen Kindern brauchte ich nicht lange zu suchen. Uebcr einem Feuer hingen an mächtigen Spießen drei kleine schwarz gebrannte Klumpen Fleisch ... ich wußte, das waren die letzten Ueberreste von meinen Lieblingen. — Herr, und wenn ich hundert Jahr alt werde — diese furchtbare Stunde vergeh ich nie," wandte sich der alte Hinterwäldler mit gram verzerrtem Antlitz an mich. „Es stockt mir fast der Aihem, wenn ich nur daran denk!" setzte er mit einer Stimme hinzu, aus der noch jetzt ein namen- und gren zenloser Schmerz hervorgrollte. Ich wußte, daß einem solch' furcht- baren Schicksal gegenüber jede Beileidsbezeugung zur leeren Redensart herabsank und schwieg. Der Athem des Fremden ging tief und schwer; erst nach einer langen Pause begann er von Neuem. „Heinrich," sagte mein Bruder, „sei ein Mann. Sieh' Mary hat sich auch brav gehalten. Zwei In dianer liegen in ihrer Nähe; sie sind todt." Diese Worte brachten mich zum Bewußtsein. Es hatte Alles vor meinen Augen getanzt und ich war wie gelähmt gewesen . . . Nun ergriff ich ' meine Flinte und wollte mich auf die Höllenbrut stürzen, die noch immer mit teuflischer Freude das Feuer und die wie am Bratspieß schmorenden Leichen meiner Kinder umtanzte; aber Fritz hielt mich zurück. „Wollen sie schon bezahlen," flüsterte er mir zu; „denke mit ihnen fertig zu werden, sind nur noch zehn." Er legte seine Flinte an die Backe, zielte und ein Indianer knickte mit einem Schmerzgeheul zusammen. „Nur in's Bein," murmelte mein Bruder und warf mir einen Blick zu. Ich verstand ihn. — Nun war plötzlich auch meine Besin nung zurückgekehrt. Ich folgte seinem Beispiel und ein zweiter In- dianer machte einen Luftsprung und fiel dann zur Erde. Im nächsten Augenblick hatten unsere Doppelflinten schon zwei andern Indianern die Beine zerschossen. Die Rothhäute brachen mit ihrem Tanz jäh ab. Sie spähten nach allen Seiten umher, konnten aber die Stelle nicht entdecken, woher plötzlich ein unsichtbarer Feind seine Kugeln schickte, und noch eh' sie überlegen und berathen konnten, was sie thun sollten, hatten wir unsere Doppelflinten geladen und kurz hinter einander brachen noch vier In dianer zusammen. Daß die Schüsse nur in die Beine gingen, machte die Wilden vollends stutzig und raubte ihnen die ruhige Ueberlegung. Zwei Rothhäute standen noch; aber sie blieben wie angewurzelt stehen und betrachteten ihre verwundeten Kameraden, die sich heulend am Feuer umherwälzten. Eine Minute später und die Beiden stürzten auch zusammen. Und wie auch der wildeste Schmerz durch meine Brust tobte, ich hätte mögen laut auflachen, als jetzt das rothe Gesindel sich bemühte, die Flucht zu ergreifen und mit den zerschossenen Beinen so rasch wie möglich weiter zu humpeln suchte. „Jetzt in den rechten Arm," murmelte mein Bruder und Schuß auf Schuß zerschmetterte einer Rothhaut nach der andern den Arm. Wie gejagtes Wild warfen sich die rothen Teufel auf die Erde und