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Zum Jahresschluß. Wiederum ist ein Jahr entschwunden, ein Jahr, das uns im An fang so lang erschien, und nun, da es verflossen ist, kommt's uns vor, als wäre es ein Traum gewesen. Und doch, was hat Mancher in diesem so langen und doch wiederum so kurzen Zeitraum durchlebt und durchgemacht! Wie Mancher hat schwere Lasten getragen, schwere Sorgen, schweren Kummer, wie manches Haar hat sich grau gefärbt, wie manches Haupt ist weiß geworden, wie manches Antlitz hat sich mit tiefen Furchen durchzogen, wie manches Glück ist zertrümmert worden, wie manche Hoffnungen sind gescheitert, wie manches Herz ist tief verwundet, ja vor Schmerz zerrissen worden, wie manches Eheweibes Haupt hat sich mit dem schwarzen Witwenschleier umflort, wie manches Elternpaar ist kinderlos, wie manche Kinderschaar ist Vater- und mutterlos geworden, wie Mancher ist herabgesunken von der Höhe des Wohlstandes ohne seine Schuld, wie Mancher aber auch muß sich schwere Vorwürfe machen, daß er durch eigne Schuld rückwärts gekommen ist! Ach wie manches Herz ist schwer gebeugt, tief darniedergedrückt am Schlüsse des Jahres, wie Manchem kommt es vor, wie ein gähnendes Grab, dahinein Freude und Friede gesunken ist! — Aber geht nicht auch über Gräbern die Sonne aus? Kommt auf den Winter nicht der Frühling? Wachse» aus Eis und Schnee nicht liebliche Blumen hervor? Folgt auf schweres Ungewitter nicht heiterer Sonnenglanz? Wenn's in der Natur so ist, sollte es nicht vielmehr so sein beim Herrn der Natur, dem Menschen, der aufge richteten Hauptes himmelwärts blicken soll zu dem droben, der ein Vater ist über Alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Er den? Hat uns nicht der, dessen heilige Geburt in Bethlehem wir am Weihnachtsfest gefeiert, gelehrt: Welcher ist unter Euch Menschen, so ihn sein Sohn bittet um Brot, der ihm einen Stein biete? Oder so er ihn bittet um einen Fisch, der ihm eine Schlange biete? So denn Ihr, die Ihr doch arg seid, könnet dennoch Euren Kindel» gute Gaben geben, wie vielmehr wird Euer Vater im Himmel Gutes ge ben denen, die ihn bitten? Darum aufgeschaut zu Ihm. Auf, auf, gieb deinem Schmerze Und Sorgen gute Nacht! Laß fahren, was das Herze Betrübt und traurig macht! Dist du doch nicht Regente, Der Alles führen soll, Gott sitzt im Regimente Und führet Alles wohl. Tastesgeschichte. Der letzte Hammerschlag, welcher nothwendig war, um den mit teleuropäischen Dreibund zusammenzuschweißen, wird angekündigt; Der Gegenbesuch des österreichischen Kaisers Franz Josef beim König Humbert von Italien ist gesichert. In Rom sollen die Monarchen jener beiden Staaten Zusammenkommen, welche noch vor nicht langer Zeit sich mißtrauisch und feindselig gegenüberstanden. „Ein langes und mühsames Ringen der deutschen Politik — schreibt die „Köln. Ztg." — ist dadurch mit dem Lorbeer des Erfols gekrönt; denn es waren große Steine des Anstoßes, welche auf dem Wege zwischen Wien und Rom lagen; es bedurfte einer gewaltigen Hand, der eisernen Faust des Fürsten Bismarck, um sie himvegzuräumen. Will man die Größe des Rcibungswiderstandes, der zu überwinden war, ehe die Romfahrt des Habsburgers erfolgen konnte, mit einem Blick ermessen, so braucht man sich bloß des kennzeichnenden Umstandes zu erinnern, daß schon das dritte Jahr ins Land ging, seit König Humbert von Italien den österreichischen Monarchen in Wien aussuchte. Es gilt sonst im internationalen Verkehr als Regel, daß fürstliche Besuche übers Jahr erwidert werden. Was die Unterlassungssünde noch verschärfte, war der berühmte Zwischenfall in der ungarischen Delegation, welcher dem Besuche Humberts auf dem Fuße folgte. Am 27. Oktober 1881 war der König des geeinten Italiens in der schönen Hauptstadt an der blauen Donau erschienen, am 6. November desselben Jahres hielt der Sektionschef Kallay in der Delegation eine mit Ausfällen gegen Italien gespickte Rede, welche trotz aller späteren Ableugnungen nicht Verfehlte, in Italien das peinlichste Aufsehen zu machen. Seitdem wurde der Gegenbesuch, den Kaiser Franz Josef seinem Verbündeten schuldete, wiederholt auf die Tagesordnung gesetzt, scheiterte aber stets an einem Wust von Förmtichkeitssragen und Erwägungen zweiten Ranges. Vielfach waren die Hindernisse, welche sich dem guten Willen, mit der Vergangenheit abzuschließen, und dem ehrlichen Wunsche nach einer Annäherung der beiden Dynastien entgegenstellten. So konnte z. B. der österreichische Kaiser, wenn er nach Rom ging, um den König Humbert zu begrüßen, nicht umhin, auch dem heiligen Stuhl feine Verehrung zu bezeugen. Aber konnte Leo XIII. einen Gast des Quirinals, einen Freund des Gebannten empfangen? Konnte die Staatscarosse des Quirinals mit dem hohen Besuch zum Vatikan hinauffahren? All diese Fragen warfen sich wie tausend Pfeile dem Gedanken an die Romfahrt entgegen. Ein Hohenzoller mußte mit hervorragendem Muth durch die rasche That des Besuchs beim Papst diesen ganzen mittelalterlichen Wust hinwegfegen, ehe für den öster reichischen Kaiser der Weg nach Rom frei wurde. Der jüngste Schritt des deutschen Kronprinzen war vielleicht nebenbei darauf berechne!, durch persönliche Einwirkung auf den Papst das Centrum unschädlich zu machen, in erster Linie zielte er nach Wien, und es war ein Meister, schuß: er hat das Ziel ins Schwarze getroffen. Der stolze Dreibund, welcher Europa den Frieden diktirt, wird durch den Gegenbesuch des Habsburgers in aller Form besiegelt werden. Ein sehr bedeutender Diebstahl ist am Sonntag Abend gegen 6 Uhr in einem Berliner Juweliergeschäft verübt worden. Das Dieb stahlsobjekt besteht aus 150 Brillantringe» , die sich in einem braun ledernen Kasten befanden, meist mit je 1 Stein, etwa 10 Ringe mit mehreren Steinen, von V4 bis 4 Karat. Es ist auf die Entdeckung der Thäterin eine Belohnung von 3000 M. ausgesetzt worden. Der Gesammtwerth der gestohlenen Ringe beträgt ca. 60,000 M. Die bestohlene Firma, deren Name auf ausdrücklichen Wunsch derselben verschwiegen wird, ist eine der bedeutendsten ihrer Branche und kann den Verlust sehr wohl verschmerzen. Eine Personalbeschreibung der Diebin kann nicht gegeben werden. Der etwas lange nnd schmale Laden war zur Zeit des Diebstahls überfüllt. Es mochten sich wohl an zehn Käufer darin befinden. Der Verdacht ruht auf einer Dame, weil zur Zeit in jenem Theile des Ladens kein Herr war. Vermuth- lich sind die Steine jetzt schon längst herausgebrochen und das Gold eingeschmolzen. Trotzdem hat die Kriminalpolizei an alle Juweliere und Pfandleiher Laufzettel ergehen lassen. Köln, 20. Dezember. Ein Zug der linksrheinischen Eisenbahn, von Kempen kommend, wurde heute Mittag bei seiner Einfahrt hier von einem von der anderen Seite kommenden Tender in der Flanke erfaßt. Der Maschinist, der Heizer und ein Bremser wurden sofort getödtet, mehrere Angestellte veiletzt. Reisende sind angeblich nicht verletzt, der Verkehr ist nicht unlerbrochen. Auf dem Bahnhofe zu Bebra brach am 21. Dezember früh 5 Uhr in der großen aus Holz erbauten Uniladehalle, welche zum Theil mit Waaren gefüllt war, Feuer aus, das alsbald auch die zu beiden Seiten der Halle stehenden beladenen Güterzüge ergriff und sich so schnell verbreitete, daß es unmöglich war, ihm Einhalt zu lhun. Die Halle ist total niedergebraimt, die beiden Güterzüge sind bis auf die Achsen zerstört. Die 21 Güterwagen waren mit Petroleum und Wolle befrachtet; die Entzündung von Petroleum ist die wahrschein liche Ursache des Brandes, der einen Schaden von 500,000 Mk. ver ursacht hat. Die österreichische Barke „Leatte" ist mit einer Kohlenladung auf der Fahrt von Liverpool nach Fiume am 19. d. M. an der afrika nischen Küste in der Nähe des Kap Azila untergegangcn. Elf Mann sind ertrunken, zwü wurden gerettet. In der israelitischen Schule des Stadttheils Galata in Konstan tinopel brach ein Feuer aus, bei welchem eine Anzahl Kinder ums Leben kamen. Bis jetzt sind 16 Leichen aufgefunden. Das Feuer hatte die Treppe ergriffen. In Nordost-Lancashire in England stehen jetzt 40,000 Webe - stähle stille, und in Folge des Strikes feiern 14,000 Weber, für deren Unterhalt wöchentlich 2500 Lstr. aufgebacht werden müssen. Der Umstand daß die meisten Fabriken jetzt ihre Arbeitszeit auf drei Tage in der Woche beschränken, dürste die arbeitenden Weber verhin dern, ihren sinkenden Kameraden energisch zu helfen, aber für die ersten paar Wochen dürfte der Strike aus dem Fond der Gewerkver eine unterstützt werden. Vaterländisches. — Dresden. Am Sonntag gegen Abend besuchte I. Maj. die Königin Carola den Antonsplatz und kaufte den zahlreich dort vor handenen jugendlichen Geschäftsleuten unter großem Jubel ihren Ge- sammtvorrath an Feuerrüpeln, Rupprechten und Wattmänncrn ab, so daß der begleitende Lakai kaum im Stande war, die Waarenvorräthe mit seinen Armen zu umfassen. — Manches Elternherz wird am Hei ligen Abend tief bewegt ihres Sohnes gedacht haben, welcher jetzt beim Militär steht. Wer aber das Leben in den hiesigen Kasernen kennt, weih Anderes zu erzählen. In den größten Stuben der Com pagnien strahlen Christbäume und für jeden Mann sind Geschenke vorhanden. Unteroffiziere und Mannschaften versammeln sich znr fest gesetzten Zeit und erwarten nun das Eintreffen der Offiziere, um mit Eröffnung des ewig schönen Liedes: „Stille Nacht, heilige Nacht rc." dem Abend die Weihe zu geben. Es ist ein feierlicher Akt, wenn der Vater der Compagnie Weihnachten „militärisch" betont, und seine Reden bekräftigen freudige Kehlen mit „Den König segne Gott!" Die Mann schaften erhalten Grog oder Bier, Stollen und Cigarren und es ist eine Freude, lauter lachende Gesichter zu sehen; noch in späteren Jahren wird Mancher freudig zurückdenken an „Weihnachten beim Militär!" — Im amtlichen „Dr. I." wird das die provisorische Forterbe bung der Steuer» und Abgaben im Jahre 1884 betreffende Gesetz veröffentlicht, nach welchem im Jahre 1884, vorbehältlich der defini tiven Regulierung durch das für die Finanzpcriode 1884/85 zu erlas sende Finanzgefetz, bis zum Erlasse dieses Gesetzes zu erhebe» sind: rr) die Grundsteuer nach 4 Pfennigen von jeder Steuereinheit, b) die Einkommensteuer, v) die Steuer vom Gewerbebetriebe im Umherziehen, ck) die Schlachtsteuer, ingleichen die Uebergangssteuer vom vereinlän- dische» Fleischmerke, o) die Erbschaftssteuer, f) die Urkundenstempel. Alle sonstigen Abgaben, Natural- und Geldleistungen, welche uicht ausdrücklich aufgehoben werden, bestehen vorschriftsmäßig fort; auch bleiben den Staatskassen die ihnen im Jahre 1883 in Gemäßheit des Staatshaushaltsetats zugetbeilten übrigen Einnahmequellen bis zum Erlasse des künftigen Finanzgesetzes für die Finanzperiode 1884/85 zugemiesen. — Anfang März wird nach einem Beschlusse der kürzlich in Hannover versammelt gewesenen Vertreter zahlreicher Geflügelzüchter- Vereine in Dresden eine große internationale Geflügelausstel lung stuttfinden, für welche der in Neustadt gelegene ehemalige Jä gerhof als Ansstellungslokal in Aussicht genommen worden sein soll. Ein Weihnachtsabend. Novelle von Emilie Heinrichs. (Fortsetzung.) Er drückte ihr die Hand und ging, das junge Mädchen in großer Aufregung zurücklassend. Drinnen in der Wohnstube am großen Kachelofen saß Herr Ja cob Meinert, so unbeweglich vor sich hinstarrend, als wäre alles Leben aus ihm entflohen. Düstere Bilder schienen an seiner Seele vorüber zuziehen, denn ein langer qualvoller Seufzer entrang sich plötzlich den zusammengepreßten Lippen. Er schrack empor und blickte ängstlich um sich, als fürchte er, daß irgend ein Anderer den verrätherischen Lant gehört haben könnte. Erleichtert seufzte er noch einmal, als er sich allein sah. „Was dieser Doktor nur wieder hatte," murmelte er, „will mit dem Aerger am Ende gar die Gicht vertreiben. Weiß er doch zn gut, daß ich den Namen des Buben nicht zu hören vermag, ohne daß mir die Galle erregt wird. Wie war's? Ich würde mein eigen Fleisch und Blut nicht von der Schwelle stoße» können, wenn Frau und — Kind des Sohnes unter den Ausgetriebenen sich befänden. Was soll das heißen? Wäre es wirklich so weit mit ihm gekommen? Sollte mein Fluch so bald schon sich erfüllt haben? Er athmete schwer und lehnte sich zurück in den hohen Sessel, um die Augen zu schließen und fortzngrübel». Doch wie viel der alte Herr sich auch bemüthe, den starren Trotz, das Gefühl, gerecht gehandelt zn haben, in seiner Seele zu befestigen, es wollte ihm nicht gelingen, die Bilder der Vergangenheit, jener Tage der Jugend und des Glücks zn bannen, sie drängten sich mit ihrem lichten Glanze aus jeder Falte seines Innern hervor und ver drängten momentan selbst die furchtbare Gegenwart, vor deren Leiden jeder Familienzwist verstummen mußte. Ans dem bleichen, finsteren Antlitz des Kaufmanns zeigte sich ein wehmüthig freundlicher Ausdruck. Er sah das behagliche Wohngemach vom Lichtglanz des Weih- nachtsbaumes erhellt, sah das glückliche Lächeln der Gattin, den Jubel der Kinder und empfand auf's Neue den Zauber eines innigen Fa, niilienlebens. Wie stolz blickte sein Auge auf den schönen, wilden Knaben, den einzigen Sohn und einstigen Erben seines blühenden Geschäftes, auf