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Ein vertuschter Kriminalfall. (Fortsetzung.) Schon am folgenden Tage näherte sich Karl Weiß dem Kammer mädchen Rosa, und bald halte er sie bewogen, daß sie seine Sache zu der ihrigen machte und ihre Gebieterin anging, für den entlassenen ersten Buchhalter ein gutes Wort einzulegen. Emilie versprach dies der Zofe und hielt Wort, indem sie ihr Fürwort schon beim Mntags- mahle an den Vater wandte. Dergrauhaarige, sonst ernste Kaufmann lächelte, während er Messer und Gabel neben seinen Teller legte. „Emilie, woher in aller Welt weißt Du mit einem Male, daß Veränderungen in meinem Komptoir vorgegangeu sind, daß überhaupt ein Karl Weiß existirt?" Das hübsche junge Mädchen kam in Verlegenheit, sie senkte das blonde Lockenköpfchen und gestand, daß ihr Rosa über den früheren ersten Buchhalter und dessen unbedeutendes Vergehen Aufschluß gegeben habe, ja daß sie, wenn sich Alles so verhalte, ihr Väterchen übertrie bener Strenge zeihen müsse." Ludwig Schmidt wurde ernsthaft. „Da siehst Du, Emilie", sagte er, „daß man eine Sache nach allen Seiten gründlich beleuchten muß, nm sie zu kennen. Das gilt auch von Handlungen, von Grundsätzen. Ein Mensch, dem ich mein volles Vertrauen schenke, darf keine leicht sinnige Handlung begehen, Einen Fehler hätte ich entschuldigt, der aus Ünkenntniß gemacht wird; aber ein erster Buchhalter stürzt meinen Ruf, wenn er solche leichtsinnige Streiche begeht, wie eme ganze Schiffsladung unversichert zu lassen, welche an Werth mein Vermögen fast übersteigt. Wer den Ruf des Kaufmanns schädigt, umergräbt seinen Credit, unterbindet die Lebensadern seines Geschäftes. Verstehst Du mich?" Emilie richtete ihre rehbraunen Augen liebevoll auf den Vater: „Daß er gefehlt hat, wußte ich, da Du keine Ungerechtigkeit begehen wirst, aber die Gnade hat auch ihre Berechtigung. Ich bin gewiß, daß Herr Weiß seinen Fehler nicht wiederholen wird." Der Alte schüttelte ernsthaft das Haupt: „Da habe ich wieder tauben Ohren gepredigt; Du hast mich nicht verstanden. Nnn wohl, ich werde versuchen, mich Dir anders deutlich zu machen. Die Stelle ist schon besetzt und zwar durch einen besseren Geschässmann, als Weiß sein Lebtag wird. Es ist so, und nun laß die Speise auftragen." Emilie rührte die Glocke und das verlangte Gericht wurde ge bracht. Es war prächtig gerathen und Ludwig Schmidt schnalzte niit der Zunge bei seinem Genuß. Nachdem er den Teller geleert hatte, meinte er, das habe Frau Gerlitz (die Köchin) gut gemacht." „Ja, ja," sagte das hübsche Mädchen mit gleichgiltigem Tone. „Ah, meine Mila zürnt mir, weil ich ihr nicht zu Willen gewesen bin," erwiderte er in guter Laune; das kommt daher, wenn sich Frauen nm Geschäfte kümmern, die sie nichts angchen — doch ich will Dir in etwas zu Willen sein. Weiß kann wieder in mein Komptolr eiu- treten aber nicht als erster Buchhalter, nicht als Prokurist; das kann nicht geschehen. „Ich danke Dir auch dafür," rief das hübsche Mädchen, sprang um den Tisch herum und umarmte ihren Vater: „darf ich aber jetzt erfahren, wer Dein jetziger Günstling ist'?" „Sein Name ist Heribert Freischund," antwortete der Kaufherr, ihr das Lockenköpschen streichelnd, „er trat gut empfohlen in mein Ge schäft, dessen Seele er jetzt ist, ein ernster, junger Mann, den ich scharf beobachtet und gründlich auf die Probe gestellt habe — er hat sich als echtes Gold bewährt, als ein Mensch von Kenntnissen und Erfah rungen, der mir die größte Achtung abgeruugen hat. Seme Kombi- nalionen sind meisterhaft, sein Scharfblick überraschend — O, ich habe gestaunt, wie er mir seine Entwickelung gemacht hat." „Ich bin neugierig, diesen seltenen Vogel zu sehen," sagte die Tochter, der meinem Vater selbst Bewunderung eingeflößt hat." „Vielleicht würde er Dir nicht gefallen; er ist kein Salonmensch." Mit den Worten stand der Vater auf, küßte seine Tochter auf die Stirn und verließ das Zimmer. Eine nicht so einnehmende Schilderung wie Ludwig Schmidt ent warf Rosa von Heribert Freischmid: er sei ein finsterer Gesell mit unheimlichen Gesichtszügen, ein schwarzer Krauskopf mit dunklem Vvll- bart, tiefliegenden Augen und eingekniffenen Lippen. Er sei stets schwarz gekleidet, sein Rock zugeknöpft, als habe er darunter ein Ge heimniß verborgen. Niemand könne ihn leiden, und der Komptoir- diener habe gesagt, daß die gute Zeit dahin sei; man zittere förmlich, wenn Heribert Freischmid auch nur das Unwesentlichste frage. Das könne Keiner lange ertragen. „Er ist also streng?" bemerkte Emilie. „Streng? wenn er das nur wäre," lautete die Antwort, „er ist ein völliger Tyrann, der bis zum Acußersten feine Untergebenen pei nigt. Ihr Herr Vater wird sehen, was er an diesem Freischmid sich heranziehen wird. Ich habe meine Schuldigkeit gethan." „Ich bin neugierig, diesen Heribert Freischmid zu sehen," mono- logisirte Emilie, „diesen Menschen, für den mein Vater schwärmt, und den die Andern Haffen." II. Schon am folgenden Mittag während des Males lernte Emilie den neuen Buchhalter ihres Vaters kennen. Der junge Mann war zu feinem Prinzipal beschieden, sobald er von einem Geschäftswege Heimkehr?. Dieß geschah, als sich Ludwig Schmidt schon in das Speisezimmer begeben hatte. Der erste Eindruck, den Heribert Freischmid auf die Tochter seines Chefs machte, war durchaus nicht günstig. Er schien älter, als er war, und Emilie meinte, daß dieses dunkele, leuchtende Auge durchaus keine Wärme besäße, wenn es auf ihrem Vater ruhte. Seine Gesichts züge waren nicht häßlich, aber ernst, fast finster, die Bewegungen seiner kräftigen Gestalt, wenn sie auch nicht der Elastizität entbehrten, von der Eleganz und den schönen Formen weit entfernt. Dazu klang in dem Tone seiner Stimme Festigkeit und Bestimmtheit in einer Weise wieder, welche alle Zartheit vernichteten. „Sie haben mit Jerichan gesprochen," redete Ludwig Schmidt seinen Buchhalter an. Emilie wurde aufmerksam; Jerichau war ein Freund des Hauses, seine Tochter hatte mit ihr eine Schule besucht, ihr Vater sie sogar aus der Tause gehoben. „Ja, er bittet um Stundung, es sei ihm unmöglich, wie die Phrasen lauten," entgegnete Heribert mit kaltem Tone, „ich gab ihm bis morgen um neun Uhr Frist." „Sie meinen, daß wir keine Stundung annehmen sollen?" fragte Ludwig Schmidt. „Wir dürfen es nicht; mit Jerichau steht es übel, sein Fall ist unabwendbar. Es ist möglich, daß er uns noch befriedigen kann, dann haben wir sechstausend Thaler gerettet. Kann er es nicht, so vermindert die längere Dauer einer Scheinexistenz nicht die Masse. Unser Vorgehen gegen ihn ist uns geboten, wir können nicht anders." „Um Gottes Willen," rief hier Emilie, „Papa, Du wirst doch nicht gegen Deinen Freund handeln, Bedenke, wie wir zu einander standen. Es hat sich freilich die Verbindung in den letzten Monaten gelockert, aber ich könnte nicht die Angen aufschlagen, begegnete ich Sophie auf der Straße oder in irgend einer Gesellschaft, ich würde unglücklich sein." „Freilich, freilich," bemerkte Ludwig Schmidt; aber des Buchhal ters Gesicht erhielt plötzlich einen höhnischen Ausdruck, als er das Wort «ahm: „Ich habe nur meine Meinung als Kaufmann gesagt. Der Kaufmann darf nicht den unbestimmten Gefühlen folgen. Klar und bestimmt, fest und logisch muß seine Handlungsweise sein. Von dieser Seite darf ihn nur die Börfe, die Geschäftswelt kennen; dadurch allein ist sein Credit unwandelbar. Das wird freilich ein Mädchen herz fchwer fassen." „ Sie haben Recht, Herr Freischmidt," versetzte der Prinzipal. „Wenn Jerichau nicht bis morgen neun Uhr gezahlt hat, lassen Sie Protest erheben. Kind," fuhr er zu Emilie fort, die noch einmal das Wort ergreifen wollte, „es muß sein, Du kennst nicht, was die kauf männische Pflicht verlangt. Herr Freischmid, ich verlasse mich auf Sie." Mit einer Verbeugung verließ Heribert das Gemach. Dieser Mensch schein? kein Herz zn besitzen," sagte Emilie, „er ist ein eiserner Fels, dem ich an Deiner Stelle nicht vertrauen würde." „Auf einen Felsen stützt es sich gut," entgegnete der Vater, wäh rend er den Braten tranchirte. „Es ist war, von Sentimentalität ist keine Spur in diesem Manne." „Es ist der böse Engel unseres Hauses," tönte es in Emiliens Innern, „er muß, muß fallen. Wie höhnisch kalt er blickte! Es ist entschieden, ich muß uns retten." Je mehr sie aber den Vater drängte, desto mehr befestigte sich Heribert in dessen Vertrauen und desto mehr entschiedenen Widerstand sand die Tochter. Eines Tages, Heribert mochte einige Monate schon ! in dem Ludwig Schmidt'schen Hause als Disponent und Prokurist verweilen, sagte der Vater sogar auf das energische Drängen Emiliens, den jungen Mann zu entlasse«: „Ich habe ihn geprüft und zuverlässig in jeder Beziehung gefunden. Du follst ihn kennen lernen, wie ich ihn kenne, und Du wirst Deine Ansicht über ihn ändern. Man hat ihn mit großen Summen bestechen wollen, er hat sie ausgeschlagen. Ich weiß das nicht von ihm, er macht von sich kein Aufsehen." „Niemand ist ihm zugethan, diesem Manne ohne Herz," entgeg nete Emilie. „Weil er einen selten scharfen Blick besitzt, daß kein Unrecht ge- fchieht, das er nicht wahrnimmt, keine Pflichtverletzung, die er nicht bemerkt. Auch besitzt er Herz, freilich nicht jenes blinde, unbestimmte Gefühl, welches man fälschlich Güte nennt; aber ein Herz für das Geschäft." „Zahlenmaschine!" rief Emilie unwillig, aber der Vater lächelte: „Solche Zahlenmaschine ist mir gerade recht. Uebrigens besitzt er nicht nur kaufmännisches Wissen, sondern auch gute musikalische Kennt nisse; er soll die Geige zum Entzücken spielen." „Ich bin fest überzeugt, daß in seiner Brust höllische Leiden schaften toben." „Leidenschaften? Du bist eine Thörin, versetzte Ludwig Schmidt; „aber Du sollst Dein Unrecht gegen ihn einsehen, sollst von Deiner grundlosen Antipathie geheilt werden — ich werde ihn in unsern KrciS einführen, morgen bei der Soirä." „Das hast Du noch bei keinem Buchhalter versucht," meinte die Tochter. Ich habe auch noch keinen wie Freischmid besessen. Du sollst von Deinen Vorurlheilen zurückkommen." „Ich werde ihn nicht beachten." „Das magst Du halten, wie Du willst, aber Geringschätzung werde ich nicht dulden. Hast Du mich verstanden?" Mit den Wor ten entfernte sich Ludwig Schmidt von Emilie, die den Thränen nahe war. All ihre Bemühungen hatten nur dahin geführt, dem Verhaßten Auszeichnungen eiuzutrageu. Sie ging aufgeregt in ihrem prächtigen Boudoire auf und nieder, ihr kleiner Fuß trat unwillig den getäfelten Fußboden. „Er muß unterliegen, ich Wills," sagte sie im Selbstgespräche, „meinem Vater sind die Leidenschaften verhaßt, er soll sich in ihnen vor ihm zeigen. In dem kleinen Salon wird gespielt — Papa duldet es, obgleich er es haßt und die Spieler verabscheut. Prächtig! ich werde den Baron von Wieden in mein Vertrauen ziehen. Es müßte mich Alles täuschen, wenn der Mensch nicht in die Schlinge fiele. — Emilie, was willst Du aber thuu? Ist das recht? ist das gut? — Ich befreie uns von diesem Menschen, den Alles haßt, der den armen Jerichau in meines Vaters Namen zu Grunde gerichtet hat; ich lehre meinen Vater seinen bösen Engel kennen." — (Fortsetzung folgt.) Vermischtes. * Feuersbrunst. In Bordeaux entstand am 21. Juli eine bedeutende Feuersbrunst in der Niederlage der Herren Eschenauer u. Co. Das Feuer entstand in der Abtheilung für leere Kisten und Faß reifen und theilte sich dem Schuppen mit, unter welchem 7—8000 Fässer Wein lagen, von denen nur 25 Fässer gerettet wurden. Die Keller, welche für mehrere Millionen feine Weine beherberge», sind von Wein und Wasser überschwemmt. Der Verlust wird auf mehrere Millionen angegeben. * Das eigene Kind erschossen. Ein schrecklicher Unglücks- fall ereignete sich in dem holsteinschen Dorfe Kirch-Steinbeck. Der dortige Grenzauffeher Bartels wollte Morgens um 6 Uhr in den Dienst gehen, als sein kleiner vierjähriger Sohn ihn scherzend bat: „Vater, ziele mal nach mir." Dieser nahm das Gewehr von der Schulter, drückte in dem sicheren Glauben, daß der Lauf ungeladen war, ab und in demselben Augenblick schwamm auch der kleine Junge in seinem Blute. Trotz aller ärztlichen Hilfe verstarb das Kind nach einer Stunde. Der erfchütterte Vater behauptet auf das Bestimmteste, daß er am Abend zuvor das Gewehr abgeschossen habe, und gibt nur der Möglichkeit Raum, daß der Knabe, der gern mit dem Gewehr gespielt habe, in einem unbewachten Augenblicke eine Patrone in den Lauf gezwängt habe. Gegen den unglücklichen Vater ist natürlich eine Untersuchung eiugeleitet.