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Eine Wintern acht. Erzählung von Ludwig H»dicht. Verfass.r der Romane: „Ruf der Grenze", „Der rechte Erbe". Nachdruck verboten. (Fortsetzung und Schluß.) Seine Güttin hotte aufmerksam uud ru seltsamer Bewegung zu gehört. „Uud weißt Du, was mich fort- und in die Winteruacht hiuausgetneben hat?" fragte sie, nachdem sie lange sinnend vor sich hin geblickt. Der Hauptmann nickte mit dem Kopfe: ,,Jch kann mir's denken, der arme Bursche hat mir Ailes gesagt." „So lebt Johann noch? Und ich fürchtete schon —" „Plein, er ist leider todt. Er lag mit mehreren Messerstichen in der Brust an der Thürschwclle, und nun wußte ich, daß der treue Am'sche für Dich sei» Leoeu geopfert, damit Du inzwischen die Flucht ergreifen konntest." „So war es sein Todesschrei, den ich gehört und der mich im rechten Augenblick warnte! Armer Johann!" klagte die junge Frau. „Aber so ganz trifft Deine Vcrmuthung nicht zu," und sie erzählte nun ihrerseits die furchtbaren Erlebnisse jener Nacht. Ihr Gatte hörte in größter Aufregung zu uud je weiter sie be richtete, je mehr steigerte sich ber Ausdruck aufrichtigster Bewuuderung, f mit dem er seine theure, einzige Marie betrachtete. Wenn er auch stets gewußt hatte, daß sie nicht feig und die ächte Fran eines Sol daten war, so hätte er so viel Muth uud Besonnenheit ihr doch nicht zugetraut. „Du hast Dich so tapfer und klug wie eine ächte Heidin g-zeigt!" sagte er tief ergriffen, und seine seucht gewordenen Augen ruhten voll Zärtlichkeit uud Stolz auf der theuren Lebensgefährtin. Wenn er sie früher nur tief und innig geliebt, so mischte sich jetzt Hochachtung in sein Empfinden, die seinen Grfühlen gegen seine theure Marie noch einen höheren Werth verlieh. Frau v. Wildeuthal war glücklich über diese Entdeckung und sah sich für diese Nacht der Schrecken damit reichlich belohnt. „Was ist aber aus Matuschka geworden?" fragte sie endlich, nachdem sie Beide die Seligkeit des Wiedersehens ausgekostet und gegenseitig die Gedanken uud Gefühle ausgetauscht, die durch ihre bewegten Herzen zitterten. ' „Nun habe ich freilich die Erklärung dafür, baß ich sie hier nicht j fand. Aber die elende Verrälherin soll ihrem Schicksal nicht entgehen, j das schwöre ich!" rief der Hauptmann, tief empört über die bodenlose Falschheit der Polin, die es verstanden hatte, ihn und seine Frau so furchtbar zu täuschen. Uud als ob das Schicksal schon seinen Wunsch nach Vergeltung erfüllen wolle, klopfte es an die Thür und eine Ordonnanz steckte schüchtern den Kopf herein: „Herr Hauptmann, ich habe etwas zu melden." Wildeuthal trat auf den Hausflur hinaus, uud dort staud, von zwei Soldaten geführt — Matuschka. Die Polin sah sehr verstört j aus, hatte aber die Maske demüthiger, schleichender Unterwürfigkeit ! abgelegt und starrte mit finster-trotzigem Gesicht zu Boden. Bei , ihrem Anblick vermochte der Hauptmann kaum seiueu ausflammenden i Zorn zn beherrschen; aber er kämpfte seine glühende Empörung ge waltsam nieder. „Wie, habt Ihr die Dirne schon entdeckt?!" fragte er seine Leute, uud der Unterofficier berichtete sogleich: „Wir trafen sie auf unserem Marsche nach der Stadt. Sie wollte uns answeichen uud gerade dadurch machte sie sich verdächtig. Nun setzten Einige hinter ihr her und fingen sie ein und als ich sie sah, erkannte ich sogleich, daß es Ihre Köchin war, Herr Hauptmann und deshalb bringe ich sie zurück. Sie sagte zwar, sie wäre nicht fortgelanfen, Frau Hauptmann hätte sie selbst entlassen; aber so einem polnischen Weibsbild darf man doch nicht glauben." „Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Umsicht, lieber Schmidt," sagte der Hauptmann, und der Unterofficier fühlte sich durch dieses Lob nicht wenig geschmeichelt. — „Nenne die Namen Deiner Helfers helfer!" wandte er sich dann kurz und streng zu Matuschka, die keine Antwort gab und so finster wie bisher vor sich hinstarrte. „Bezeichne mir Deine Mordgesellen!" drängte Wildenthal von Neuem, aber statt jeder Entgegnung erhielt das Gesicht Matuschka's einen noch trotzigeren Ausdruck. „Schmidt, diese Person da hat meinen ehrlichen Johann ermordet, lassen Sie die Verbrecherin wegführen und auf der Stelle am nächsten Baum aufkuüpfeu!" rief der Hauptmann und warf dem Unterofficier einen verständigenden Blick zu, baß sein Wort nur eine Drohung enthielt. „Zu Befehl!" sagte dieser und gab seinen Leuten einen Wink, sich der Gefangenen wieder zu bemächtigen und sie wegzusühren. Jetzt war es mit der totzigeu Haltung Matuschka's vorbei. Sie warf sich augenblicklich zu den Füßen des Hauptmanns und jammerte: „O, nicht aufhäugen, gnädiger Herr, will Alles bekennen, bin ganz unschuldig! Aber da kam der Stauislaus Danizewiscz und drohte mir uud wollte mich umbringen, wenn ich ihn nicht lasse Abends in das Haus. Wolle nichts thun gnädiger Herrin, wolle nur nehmen Geld, und ich habe mußt Alles thnu, was er wollt. O, ich bin so unglücklich!" und ein heftiger Thränenstrom folgte ihren Worten. Auf weiteres Drängen nannte sie nun auch bereitwilligst den Namen des zweiten Räubers und gab die Wohnnng uud die näheren Verhältnisse der Schurken an. Stauislaus Danizewiscz war ein Abenteurer aus dem Königreich Polen und einer der verwegensten Burschen der Umgegend, der früher sich als Schmuggler hervorgethan uud sich jetzt müßig umhertrieb. Sem Gefährte war ein Knecht auf einem benachbarten Rittergute uud mit Matuschka verwandt. Durch ihn war die Polin erst mit Stanis laus bekannt geworden. Die beiden Mörder wurden rasch ermittelt und da das Verbrechen vor das Kriegsgericht gehörte, war ihr Urtheil rasch gefällt, und vier- undzwanzig Stunden später wurden Beide standrechtlich erschossen. Matuschka erhielt langjährige Zuchthausstrafe, da sie, nach der be stimmten Angabe ihrer Genossen, sich wirklich nicht an der Ermordung Johanns betheiliqt hatte. Aus der Verhandlung ergab sich, daß sowohl polnischer Fana tismus, wie die Aussicht aus gute Beute die Schurken zu dem Ver brechen aufgestachelt. Jedenfalls war es auch auf die Ermordung der Gattin des Hauptmanns abgesehen, und nur ihrem Muth, ihrer Umsicht hatte sie es zu verdanken, daß sie und ihr Kind mit dem Leben davongekommen. Hauptmann v. Wildenthal wurde schon wenige Tage nach diesem düsteren Vorfälle in eine angenehmere Gegend versetzt, und das Ehe paar genoß jetzt, nach dieser furchtbaren Katastrophe jede sonnige Stunde, die ihnen ein freundliches Geschick gönnte, mit desto größerem Be hagen. Die preußische Armee halte kaum ein glücklicheres Paar auf- zuweiseu. Hauptmann Diefenbach war besonders erfreut darüber, daß sein Bernhardiner Frau uud Kind seines lieben Kameraden vor sicherem Verderben gerettet. Wildenthal bot ihm für den Hund die höchsten Summen, denn er hätte so gern das ed!e Thier besessen, um ihm durch die sorgfältigste Pflege seine Dankbarkeit zu beweisen; aber Diefenbach mochte sich von seinem „Jordan" nicht trennen. Alljährlich mußte jedoch der lauge Kamerad bei Wildenthal einen Besuch abstatten, dann wurde der Bernhardiner als lieber Gast beinahe noch mehr ge hätschelt uud gefeiert als sein Herr, und die Erlebnisse jener entsetz lichen Winteruacht wurden bei solchen Besuchen wieder ganz besonders in Erinnerung zurückgerufen. Und doch hätte es kaum einer solchen Veranlassung'bedurft; Frau Hauptmann Wildenthal behielt noch ein deutlicheres Andenken an jene furchtbare Nacht. Ihr einst so schönes dunkles Haar war beinahe grau geworden uud es erregte stets unge wöhnliches Aufsehen, wenn die stattliche junge Frau mit grauem Haar au der Seite ihres Gemahls erschien. Wer aber daun erfuhr, wie Frau v. Wildenthal so frühzeitig zu diesem Silberschmuck gekommen war, der konnte ihr seine aufrichtigste Bewunderung nicht verjagen. Und der bald zum Major beförderte treffliche Mann war stolz auf seine Gattin und auf ihr weißes Haar — das Geschenk jener unver geßlichen Winteruacht. Vermischtes. * Das Capitel des Aberglaubens ist überraschend groß. Ein protestantischer Pfarrer im Hannoverschen hatte so eben zwei Knaben gelaust uud staud noch am Tausstem, als ein neuer Täufling, ein Mädchen, aus einer eingepfarrten Dorfschaft gebracht wurde. Der Geistliche beginnt die Taufe uud will ss eben das Wasser im Tauf becken zur heiligen Handlung benutzen, als die eine Gevatterin blaß wird, zittert und endlich eine angstvoll abwehrende Bewegung macht. Was ist? fragt er. — Um Gotteswillen, nehmen Sie frisches Wasser, bat die Frau. — Das Becken wird frisch gefüllt uud die Taufe voll zogen. Und was war die Angst der Gevatterin? — Daß dem Mädchen ein Schnurrbart wüchse, wenn es mit demselben Wasser wie die Knaben getauft würde. — * Aus dem Grabe erstanden. Aus Bukarest wird geschrieben: „In der Kommune Roteschti bei Buzeu ereignete sich vor Kurzem fol gende verbürgte Geschichte: Im Orte grassiren die Blattern, denen unter anderen auch die einzige Tochter wohlhabender Eltern erlag. Der behördlichen Verfügung zufolge mußte die Beerdigung sofort statt- sinden. Die Eltern kleideten die Leiche nun in ihren Brautauzug, — sie war nämlich kurz vorher verlobt worden, — und legten ihr den sämmtlichen Schmuck an, worunter besonders ein Halsband aus Gold münzen die besondere Aufmerksamkeit mehrerer Leidtragenden aus sich lenkte. Die Bestattung wurde noch am selben Tage vorgenvmmen, und die betrübten Eltern kehrten ins Dorf zurück. Als nun die Nacht bereingebrocheu war, begaben sich drei L-trolche mit Werkzeugen auf den Friedhof, hoben die Erde des frischen Grabes aus und öffneten den Sargdeckel. Der erste Griff galt dem Halsbande; aber man mußte den Kopf der Todten heben, um sich desselben zu bemächtigen. Emer der Leichenräuber hob denselben zwar wiederholt in die Höhe, aber jedesmal ließ er ihn auch wieder mechanisch sinken. Ob seiner Furcht von den beiden anderen verhöhnt, ermannte er sich endlich, und indem er den Oberkörper der Todten emporrichtete, versetzte er derselben gleichsam um seine Courage zu beweisen, einen Schlag ins Genick. In demselben Augenblick schlug aber die Tode die Äugen auf uud sagte: „Ich bitte Euch, tödtet mich nicht." Die drei Strolche blieben einen Moment sprachlos vor Entsetzen uud entflohen. Die so znm Leben Erwachte nahm ihre ganze Kraft zusammen und schleppte sich aus dem Grabe ins Dorf zum Ortspfarrer, dem sie den Sach verhalt mittheilte, und wurde daun nach entsprechender Vorbereitung von ihm zu ihren Eltern gebracht. Die ergreifende Scene endete damit, daß die Eltern sofort den reichen Halsschmuck den dreien schenken wollten, da diese die eigentliche Veranlassung waren, daß ihre Tochter gerettet worden. Wohlweislich meldeten sich dieselben aber nicht zn diesem Geschenk. * Alle Hauswirthe mögen sich eine interessante Entscheidung rrä notum nehmen, welche das Amtsgericht in Berlin gefällt hat. Bereits im August hatte ein Miether seinen Wirth gebeten, ihm den Ofen umsetzen zu lassen, da derselbe absolut nicht mehr zu Heizen sei, und zwar hatte er gebeten, die Umsetzung sofort vornehmen zu lassen, weil die kalte Jahreszeit nahe und er nicht frieren wolle. Wie schon Jahre lang, versprach der Wirth dem Wunsche des Miethers nachzu- kommen, hielt aber, wie ebenfalls Jahre lang, sein Versprechen nicht. Er war nicht wenig erstaunt, als der Miether ihm demnächst statt eines Theils der Miethe eine quittirte Töpferrechnung präsentirte. Der schlaue Miether hatte sich von Sachverständigen die Unbrauchbarkeit des Ofens bescheinigen und das Umsetzen selbst sofort vornehmen lassen. Die Klage des Wirthes wegen unterlassener Miethszahlung ist abge wiesen worden, und das Gericht hat entschieden, daß der Miether un zweifelhaft berechtigt ist, nothwendige Reparaturen, soweit solche, wie hier, dem Hauswirth obliegen, auf dessen Kosten vorzunehmen, falls er die Vornahme durch den Verpflichteten nicht erreichen kann, und ihm die Kosten auf die Miethe anzurechnen. Es ist anzurathen, öfter von dieser Selbsthilfe Gebrauch zu machen, damit der jämmerliche Zustand einmal aufhört, in dem viele Tausende von Wohnungen, be sonders der ärmeren Classe sich befinden. * Noch eine Wrangel-Anekdote. Von einem bekannten Kammer sänger ist dem „Berl. Fremdcnblatt" nachstehende Anekdote zugetragen worden, die jenem seiner Zeit von dem inzwifchen verstorbenen Prinzen Waldemar von Schleswig-Holstein erzählt wurde: Wrangel inspicirte eine Truppen-Abtheilung. Die Manöver gingen schlecht. Nach den- felben versammelte er die Offiziere um sich und hielt folgende An- fprache au sic: „Meine Herren! Ich habe mir sehr gefreut, Ihnen Allen so wohl zu sehen! Das is aber auch das Einzige, worüber ick mir gefreut habe!" Spruchs und ritt davon, die versteinerten Offi ziere zurücklasfeud. Redaction Druck und Verlag von H. A. Berger in Wilsdruff.