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Beilage Freitag, den ZA. April 1881. Bcsvlidcre Kcinizcichcil. Erzählung von Ludwig Habicht. Verfasser der Romane: „Auf der Grenze" „Der rechte Erbe". Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Mit schwerem Herzen trennte man sich unter dem Versprechen eines baldigen Wiedersehens in Wien. Die Gräfin wollte vorher noch einmal auf ihre Güter zurückkehren. Die Kinder nahmen nach ihrer Art die Trennung leichter; nur als Sarolta in den Wagen steigen sollte, da ihre Mama noch einige Tage vor dem Aufbruch der Harten- bcrg'fchcn Familie abreiste, brach die Kleine plötzlich in Thränen aus und wollte nicht fort. In ihrer leidenschaftlichen Weise forderte sie, daß Willibald sie begleiten müsse und nur mit Mühe gelang es ihrem jungen Freunde, sie zu beruhigen. Erst als die Gräfin betheuerte, daß sie Willibald schon in kurzer Zeit Wiedersehen würde, ließ sie sich beschwichtigen und mit einer an ihr seltenen Fassung ergab sie sich in ihr Schicksal und still vor sich hinschluchzend, drückte sie sich in eine Ecke des Wagens. Die Kleine war seit jener Stunde wie ver wandelt. Von ihrer früheren Lebhaftigkeit zeigte sich keine Spur und selbst die Veränderungen der Reife, der bunte Wechsel übte auf sie keine Wirkung. Kaum in der Heimath angekommen, verfiel sie in eine schwere Krankheit und die herbeigerufenen Aerzte schüttelten bedenklich den Kopf. „Sie scheint sich nach irgend etwas zu sehnen, vielleicht will sie nach Meran zurück" — war ihre Erklärung; wie man auch in sie drang, einen Wunsch zu äußern, sie schwieg hartnäckig. Die Mutter ahnte jetzt, was ihr fehlte und als sie ihr sagte: „Wir reisen nach Wien!" da leuchteten die Augen der Kleinen seltsam auf und ein glückliches Lächeln glitt über ihr blasses Gesicht. Und als die Gräfin wirkich alle Vorbereitungen zu Reise traf, da war sie wie verwandelt; ihre alte Ungeduld kehrte zurück; sie konnte die Abfahrt nicht erwarten, trotzdem die Aerzte noch bei ihrer Krankheit die zu schnelle Abreise für gefährlich hielten. „Ich bin ganz gesund wieder," sagte sie hart näckig und mit einem an ihr selten gewordenen Aufjauchzen stieg sie in den Neisewagen. Sarolta bUeb einmal ein seltsames, wunderliches Kind. — Kaum war Banquier Hartenberg mit seiner Familie nach Wien zurückgekchrt, da erhielt er von seinem Schwager einen Brief. Der alte Militär schrieb in seiner kurz angebundenen Weise: „Denke Dir, der Vogel ist ausgeflogen. Paul Pasko ist uns vor ein paar Tagen entwischt. Mich trifft keine Schuld. Obgleich mir der hübsche Bursche wirklich gefallen hat und seine Aufführung tadellos war, hab ich ihn doch so kurz gehalten, wie die Andern. Das ist nun einmal meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit. Wie er eigentlich davongekommen, weiß Niemand. Ein reicher Engländer trieb sich vor Kurzem hier herum, der soll ihm geholfen haben. Wunderlich bleibts immer, denn Was hätte der Mensch davon? Freilich, den Engländern ist's zuzu trauen, daß sie sich aus langer Weile solche Späße machen und etwas Wahres muß an der Sache sein, denn der Gefäugnißwärter ist mir entflohen und wo hätte Paul Pasko soviel Geld hernehmen sollen, um meinen Unlerbeamten zu bestechen? Vorher hat sich Niemand um ihn bekümmert, das weiß ich ganz genau; seine Landsleute haben sich hier nicht sehen lassen, denn da Haven wir scharf aufgepaßt. Nur der Engländer hat sich unter der Hand nach einigen Gefangenen er kundigt und besonders nach Paul Pasko gefragt. Das ist uns weiter nicht aufgefallen. Wer konnte denken, daß dieser Mensch so was im Schilde führen würde! Die Geschichte ist mir freilich unangenehm, wenn ich Dir ehrlich bekennen soll, biu ich froh, daß der junge Mensch ein Schlupfloch gefunden und glücklich forlgekommen ist. Man wird hier abgebrüht, weil man es mit so viel nichtsnutzigen Galgenvögeln zu thun hat, die trotzdem so vortrefflich zu heucheln verstehn; aber bei Paul Pasko bin ich den Gedanken nicht los geworden, daß er im Grunde ein herzensguter, trefflicher Menfch war. Er hatte so etwas Vornehmes an sich, das selbst die Strüflingsjacke nicht weg bringen konnte. — Er ist fort und ehrlich gestanden, ich will hoffen, daß ich ihn nicht wiöderfehe." Der Banquier wurde durch diefe überraschende Nachricht wie von einem Alpdruck erlöst. Seitdem er den Neffen der Gräfin gesehen, war er den Gedanken nicht mehr los geworden, daß Paul Pasko am Ende doch unschuldig sei. Wenn ihm eine seltsame Aehnlichkeit so furchtbar täuschen konnte, war es nicht möglich, daß er auch das erste Mal sich wirklich geirrt haben konnte? Und welche schwere Verantwortung hatte er durch sein damals so fest und bestimmt abgegebenes Zeugmß auf sich geladen! Wäre er früher schon mit dem Lord zusammengetrofsen, er würde nimmermehr mit solcher Entschiedenheit in Paul Pasko den Räuber des Bakonywaldes wiedererkannt haben. Wie seltsam, daß ein Engländer die Befreiung des Gefangenen herbeigesührt! Vielleicht waren der Lord und Pasko Verwandte und damit am ehesten ihre außerordentliche Aehnlichkeit erklärlich. Es war das freilich eine höchst wunderliche Annahme, aber warum sollte sie nicht^möglich sein? Hartenberg mochte nicht weiter darüber grübeln, auch später nicht die Gräfin damit belästigendes genügte ihm, daß der Gefangene frei tvar und er stimmte mit seinem Schwager in dem Wunsche überein, daß es Paul Pasko gelingen möge, sich für immer die Freiheit zu bewahren. Im Laufe der Jahre traten ohnehin diese Ereignisse selbst für den Banquier immer mehr in den Hintergrund, wie mächtig sie ihn auch einst erregt und beschäftigt. Es ist die geräuschlose und doch so gewaltige Arbeit der Zeit, die unaufhaltsam zertrümmert und bei Seite schiebt, was noch so schwer auf unserer Brust gelastet, was noch so erschütternd in unser Leben eingegriffen. Wir begreifen cs nach Jahren dann selbst nicht mehr, wie uns Dinge so ungeheuer in Anspruch nehmen konnten, die uns letzt völlig gleichgiltig lassen. Wir sind eben ganz Andere geworden, eh' wir selbst nur eine Ahnung davon haben und zuweilen werden wir es uns niemals recht bewußt, welche Umwandlungen wir durch gemacht. Und für Hartenberg besonders wurde es leicht, die dunkle Ange legenheit völlig zu vergessen. Das Geschick schien ihn jetzt ganz be sonders zu begünstigen; selbst seine kühnsten Spekulationen hatten einen glänzenden Erfolg und nach wenigen Jahren gehörte er zu den reichsten Geschäftsmännern der österreichischen Kaiserstadt. Die Regierung zog ihn bei mehreren finanziellen Unternehmungen mit heran; er wurde für seine Verdienste mit Orden und Titeln belohnt; aber er ließ sich das Glück nicht zu Kopfe steigen und besonders war es der Einfluß seiner stillen, bescheidenen Frau, die ihn vor dem Uebcrmuth bewahrte, der die meisten Parvenüs so unerträglich macht. Wohl führte der jetzige Geheime Eommerzien-Rath und Millionär ein anderes Haus, als damals der schlichte Banquier; Leute aus den höchsten Ständen fanden sich in seinen Salons ein, doch am behag lichsten fühlten sich Hartenbergs im engsten Familienkreise, zu dem freilich Gräfin Lassar mit ihrem Töchterchen längst gehörte. Sarolta war wieder gesnnd und das übermüthige glückliche Kind wie zuvor. War es ein seltsam frühes Erwachen ihrer Seele, oder fesselte sie ein unerklärlicher, magnetischer Zauber an den jungen Har tenberg? Wer konnte cs entscheiden; aber seitdem sie ihren Spiel kameraden wieder hatte, war ihr Gemüth völlig bcrnhigt. Jetzt schloß sie sich nur noch leidenschaftlicher anWchibalo an; er allein vermochte sie zu leiten und ihre immer mehr vortretende unzähmbare Wildheit zu zügeln. Die Gräfin begann endlich für den Schulunterricht ihrer Tochter zu sorgen. Anfangs mochte Sarolta davon gar nichts wissen und sträubte sich hartnäckig, irgend etwas zu lernen; aber auf die Vor stellungen Willibalds hin saß sie nun ebenso leidenschaftlich über ihren Büchern, wie sie dieselben vorher verabscheut hatte. Und es hatte nur weniger Worte von ihm bedurft. „Sarolta, wenn ich Dich be wundern soll, daun mußt Du einmal noch mehr wissen als ich," und nun wollte sie sich mit glühendem Eifer sich diese Bewunderung erringen. Auch hier war Sarolta wieder, wie in so Vielem, seltsam und eigenthümlich, und entfaltete eine Energie, die man bei ihr am wenigsten gesucht hätte. Ihr Eifer erlahmte nicht, wie Alle gefürchtet hatten; das auf stachelnde Wort Willibalds blieb in ihr hasten und bei ihrer außer ordentlichen Begabung lernte sie Alles wie im Fluge. Die Jahre kamen und gingen. Aus dem Kinde wurde ein junges Mädchen, das sich früh zu einer außerordentlichen Schönheit entwickelte und bald die Aufmerksamkeit und Bewunderung der Männerwelt aus sich zog- Willibald hatte inzwischen längst seine Studien vollendet und da ihm sein Vater völlig freie Wahl gelassen, sich den Naturwissenschaften gewidmet- Als Sarolta so weit herangereift, um in den Salons der vor nehmen Gesellschaft zu glänzen, hatte der junge Gelehrte berits im Forschensdrange das Elternhaus verlassen. Er durchwanderte ferne Welttheile, um seine Kenntnisse zu bereichern und seine Berichte von den Gefahren und Abenteuern, die er bestanden, nahm Sarolta besonders mit wahrer Begeisterung ans. Nun schuf die Ferne den theuren Jugendfreund zu einem Menschen, den sie noch mehr bewundern mußte, und der in ihren Augen zu einem Helden der Wissenschaft wuchs. So sollte derjenige sein, den sie liebte, so kühn und muthig! — Ihre frühere Schwärmerei für Willibald erhielt noch eine höhere Färbung und sie kam jetzt völlig zum Bewußtsein, daß sie ihn mit all' der Leidenschaft liebte, der sie fähig war. Vielleicht würden sich ihre Gefühle niemals zu dieser Gluth ent wickelt haben, wenn Willibald immer in ihrer Nähe geblieben wäre und ihr beiderseitiges Verhältniß Hütte sich zu einer gemächlichen Jugendfreuudschast umgestaltet; aber jetzt wob die Fremde um ihn einen eigenthümiichen Zauber, gerade in einer Zeit, wo ihr Herz zu erwachen begann. All' die jungen Männer, die sich an sie herandrängten, waren wohl recht hübsch und zuweilen auch interessant, doch sie konnten den Vergleich mit dem Abwesenden nicht aushalten, der in ihrer Er innerung immer mehr zu einer Jdealgestalt emporwuchs. Gräfin Lassar hatte ihren bleibenden Aufenthalt in Wien genommen und kehrte nur jedes Jahr auf wenige Monate in die Heimath zu rück, um ihre Verwandten zu besuchen und in die Verwaltung ihrer Güter die nöthige Ordnung zu bringen. Getreulich fand sich dann Stephan bei seiner Tante ein, scherzte und spieue mit Sarolta und war der alte, leicht erregbare Menfch, auf den die Jahre nicht den mindesten Einfluß zu haben schienen. Wie lustig und übermüthig konnte er lachen, wenn ihn die Gräfin an seine Engländerrolle erin nerte; er fragte dann wohl zuweilen flüchtig nach ihren deutschen Freunden und der blonden Gertrud; aber die Einladung seiner Tante, einmal nach Wien zu kommen, schlug er doch hartnäckig aus, obwohl die österreichische Regierung endlich die damals in aoutumatiaiu ver- urtheilten Theilnehmer des Aufstandes begnadigt hatte. „Ich verabscheue Wien," war seine beständige Antwort. Durch Stephan erfuhr jetzt wenigstens die Gräfin zu ihrem Trost, daß Ladislaus nicht in die Hände seiner Verfolger gerathen sei, wie sie gefürchtet, sondern sich glücklich nach England gerettet habe, wo er auf immer zu bleiben gedenke. Wirklich erhielt sie von ihrem Neffen später direct Nachricht, der sich entschuldigte, daß er die Seinen so lange ohne Nachricht gelassen habe; aber es sei ihm unmöglich ge wesen, aus seinem ersten Versteck ein L-deuszeichen von sich zu geben, weil er damit sich und Andere der höchsten Gefahr ausgesetzt haben würde. Jetzt fühle er sich in dem freien Lande geborgen und habe keine Heimath mehr. ... Gräfin Lassar verstand wohl, was ihr Neffe damit sagen wolle. — Ihr Schmager, Graf Tinodi, war bereits gestorben; er hatte nicht mehr das Glück gehabt, Ladislaus wieder zu sehen; ja die Sorge und Angst um den Liebling mochte seinen Tod beschleunigt haben, und auf Ladislaus hatte gewiß das Hinfcheiden des Vaters den er schütterndsten Eindruck gemacht; nun war das stärkste Band, das ihn an die Heimath gefesselt, zerrissen — er blieb iu der Fremde. . . ,