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Beilage zu Nr. 34 des Amts- u. Wochenblattes für Wilsdruff. Freitag, den 28. April k88l. Bcskiidtrc Kcilnznchcu. Erzählung von Ludwig Habicht. Verfasser der Nvmane: „Auf der Grenze" „Der rechte Erbe". Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) In der Regel werden seichte und oberflächliche Naturen durch Geists und tiefes Wissen gelangweilt und abgeschreckt; aber Graf Ti- nodi war Ungar, er hatte ein feuriges Temperament und wußte Geist an Andern sehr gut zu schätzen, ja es war ihm eine Welt, die auf ihn eine besondere Anziehungskraft ausübte, und wenn er Gertrud nicht überall hin zu folgen vermochte, war ihm doch ihre Unterhal tung eine Quelle des Genusses, die ihn um so mehr erquickte, je frem der sie ihm bisher gewesen war. Seltsam genug, je deutlicher Stephan seine Bewunderung für Ger trud an den Tag legte, je ruhiger wurde es in ihrem Herzen. Das war doch nicht die Verwirklichung des Ideals, das einst durch ihre Mädchenträume gegaukelt . . . Um das Bild jenes Mannes, der ihr einst so liebenswürdig begegnet, hatte die Erinnerung einen zu rosigen Schleier gewoben, als daß ihr jetzt die Gegenwart genügen sollte. Wenn sie an ihn gedacht, hatte sie stets zu ihm hinaufgeschaut, er war ihr seelentief und gedankenreich vvrgekommen, sie halte gemeint, daß sich in seinem Innern eine Welt spiegeln müsse, daß er ganz anders sei als sie Alle und weit über ihnen stehe, und nun befand sie sich einem Menschen gegenüber, der wohl den feinsten gesellschaft lichen Schliff besaß, der aber ihrem ungewöhnlich scharfen Geiste seine innere Hohlheit nicht verbergen konnte und der über die gewöhnlichen artigen Redensarten der vornehmen jungen Herren nicht hinauskam. Sie hatte eben geglaubt, daß er Alles wissen müsse und in ihrer Un terhaltung Gegenstände berührt, die freilich etwas abseits vom Wege lagen und sie gewahrte sogleich, daß ihm das Alles neu war, daß er nur mit Anstrengung aller Geisteskräfte das Gespräch weiter füh ren konnte und daß ihm unwillkürlich Zeichen der Bewunderung ent schlüpften, wenn sie bei ihrem Plaudern ganz ohne Absicht ihr reiches Wissen, ihre seelische Tiefe verrieth. Mochte auch seine gesellschaft liche Stellung höher sein, geistig stand er tief unter ihr und damit war für das feinsinnige Mädchen eine Kluft vorhanden, die sich bei näherem Verkehre nicht füllen konnte, sondern nur erweiterte. Nicht nur ihr Geist fand in der Unterhaltung mit Stephan keine Genüge; auch ihr Herz gerieth nicht mehr in so lebhafte Bewegung, wie in der ersten Stunde ihres Wiedersehns. Ja, sie entdeckte zuletzt einen Keim von Abneigung in ihrem Innern, über den sie sich selbst keine Rechenschaft geben konnte. Es war vielleicht das dunkle Em pfinden eines uncntweihten Mädchenherzcns, das sich einem Manne gegenüber befand, der den Becher der Lust bereits mit vollen Zügen geschlürft und dessen moralische Grundsätze niemals fest gewesen. — Wohl suchte Graf Tinodi diese Nachtseiten seines Wesens vor dem jungen Mädchen sorgfältig zu verbergen; aber Gertrud hatte doch die Ahnung, daß Stephan wüster, leidcnlchaftlicher war, als er sich jetzt gab nnd diese Ahnung ließ vollends in ihrem Herzen kein wärmeres Gefühl für ihn auskeimen. Graf Tinodi ahnte freilich nicht, was und wie viel ihn von dem jungen Mädchen trennte. Sie blieb zwar ein wenig kühl und zurück haltend; aber in größerer Gesellschaft gestattete sie ihm doch die Rechte eines näheren Bekannten und plauderte harmlos und unbefangen mit ihm. Die innern Kämpfe, die dieses junge Herz bereits durchmachte, entgingen ihm völlig. — Anfangs hatte Gertrud die Annshcrung Stephans nicht ohne Herzklopfen bemerkt. Hätte er ihrem Ideal ent sprochen, würde sie Niemand so tief, so glühend geliebt haben als ihn. Seine Persönlichkeit machte auf sie einen gewinnenden Eindruck nnd seine Seele stieß sic ab, je mehr sich dieselbe vor ihr enthüllte. Sie empfand gegen ihn einen moralischen Widerwillen, der bei näherer Bekanntschaft nicht ab-, sondern zunahm. Wie viel Leichtsinn, Ge wissenlosigkeit und Frivolität ruhte auf dem Grunde seiner Seele nnd in seiner lebhaften, unbesonnenen Weise gestaltete er dem klugen Mäd chen oft daun einen Einblick in sein Inneres, wann er es am wenig sten gewollt. Gertrud war deshalb sehr erfreut, als sie von ihrem Oheim die dringende Einladung erhielt, mit ihm ein norddeutsches Seebad zu besuchen. Der alte Herr hatte wegen Kränklichkeit als Director jcner Straf anstalt, die Paul Pasko kennen gelernt, seinen Abschied genommen, und da er für Gertrud bei seinen jeweiligen Besuchen in Wien eine große Zuneigung gefaßt, so hatte sich in ihm der Wunsch festgesetzt, seine Nichte auf dieser Fahrt als Begleiterin zu haben. Dem alten Herrn war nicht leicht zu widerstehen; bei seinem energischen Charakter war er stets gewöhnt gewesen, Alles durchzusetzen, was ihm durch den Kopf ging; trotzdem glaubten Hartenberg sowohl wie seine Fran, daß ihre Tochter die ohnehin recht wunderliche Ein ladung des Oheims nicht annehmen würde. Für sie war ja eine solche Reise wenig verlockend, besonders jetzt, wo Graf Tinodi Gertrud so rückhaltlos seine Huldigungen darbrachte und sie dieselben wenigstens nicht ganz von der Hand wies. Zum großen Erstaunen der Eltern war Gertrud sofort bereit, den Wunsch ihres Oheims zu erfüllen, ja sie schien eine ganz besondere Freude daran zu habem Wollte sie Stephan ausweichen, oder ihn nur prüfen, ob seine Gefühle die Trennung überdauern würden? Nicht einmal die Mutter wagte hierüber ihre Tochter auszuforschen; sie wußte schon, daß Gertrud gern ihren eigenen Weg ging und zu feinfühlig war, um nicht solche Fragen wie eine Störung zu empfinden. Und heimlich mußte sie ihre Tochter bewundern, die hiermit sicher das Rechte traf. Wenn die Liebe des heißblütigen Ungars diese Prüfung aushielt, dann war sie echt und verdiente das vollste Vertrauen, wenn nicht, hatte Gertrud nicht viel an ihm verloren und Frau Hartenberg kannte ihr Kind, sie wußte, daß es viel zu stolz war, um dann einen solchen Verlust nicht überwinden zu können. Gertrud hatte ausdrücklich gebeten, ihre Reise geheim zu halten; denn sie wollte einer Erklärung Stephans sorgfältig ausweicheu und wußte wohl, daß eine solche Nachricht leicht geeignet war, die Ent scheidung herbeizuführen. Auf ihren Wunsch gaben die Eltern am Abend vor der Abreise noch ein kleines Fest; so konnte sie dem Grafen am unbefangensten ihre Absicht mittheften und ihn verhindern, sein dadurch in Wallung gebrachtes Herz zu öffnen. Wie eitel und selbstgefällig mich Stephan war, er hatte endlich doch die cigenthünftiche Zurückhaltung Gertrud» bemerkt, die von seinen feurigen Huldigungen weit mehr erkältet als erwärmt wurde. Wollte die Kleine sich dadurch nur interessanter machen oder besaß sie wirklich jene deutsche Nüchternheit, über die Graf Tinodi früher genug ge spottet? — Er konnte darüber nicht in's Klare kommen; aber was auch der Grund war, gerade diese Schwierigkeit, die sich ihm entgcgen- stellte, erhöhte seine Leidenschaft nnd machte ihm den Besitz des ohnehin viel umschwärmten Mädchens noch kostbarer. Auch heute, an diesem kleinen Feste, wurde die schöne und geist reiche Tochter von jungen Verehrern so umringt, daß es Stephan ganz unmöglich war, sie allein zn sprechen und seltsam genug zog sie sich heute mehr als je von ihm zurück. Wie er auch versuchte, sich ihr allein zu nähern, es gelang ihm nicht; er mußte sich, wie die Uebrigen, damit begnügen, ein paar flüchtige Worte mit ihr auszu- tanschcn. Jetzt bemerkte er, wie sich Gertrud vielleicht ein wenig ermüdet, in ein Nebenzimmer zurückzog und er folgte ihr rasch. „Störe ich Sie?" fragte er leise und seine Stimme zitterte vor innerer Erregung. „Durchaus nicht", war ihre unbefangene Antwort. „O Fräulein Gertrud, dürfen Sie es mir verargen, wenn ich endlich nicht mehr länger an mich halten kann und mich über Sie ein wenig beklage?" Er hatte während des Sprechens einen Stuhl heran gerückt und seine Augen ruhten mit einem schwermüthigen Ausdruck auf ihrem schönen, geistreichen Antlitz. Gertrud ahnte wohl, wo der Graf hinaus wolle; sie suchte ihm aber durch einen Scherz auszuwcichen. „Ach, Sie wollen nur, wie all' Ihre Landsleute, durch Klagen interessanter werden." Stephan ließ sich heute durch eine solche Neckerei nicht irre machen; er wollte endlich bekennen, was ihm durch das Hirn fieberte. „Sie schenken mir auch nicht das kleinste Zeichen von Gunst; Sie behandeln mich wie alle Uebrigen und doch habe ich altere Rechte. Bin ich nicht seit Jahren Ihr Freund? hat mich nicht das Bild des kleinen lieben Mädchens von Meran überall hin begleitet und mich endlich hierher gelockt?" Graf Tinodi sagte wohl damit eine Unwahrheit; aber seine glühende Phantasie spielte ihm in solchen Augenblicken leicht einen Streich; er war jetzt vielleicht selbst überzeugt, daß er Gertrud schon damals glühend, leidenschaftlich geliebt habe. Wurde ihm doch ihr Besitz immer theurer, je mehr er sich in weite Ferne rückte. Gertrud wußte durch Sarolta, daß Stephan niemals wieder nach ihr gefragt, sie bei Besuche» in Ungarn mit keinem Wort erwähnt; sie hatte damals diese Kränkung verschmerzt und es begreiflich gefunden, daß der junge vornehme Herr die Bewegung mit dem Kinde längst vergessen. Wie kam deshalb der Graf zu einer solchen Versicherung? lag nicht darin die Absicht, sie zu tauschen? Was sie dunkel geahnt, erhielt jetzt volle Klarheit. Stephan war kein goldechter Charakter, der volles Vertrauen verdiente. Wen» sie sich instinctartig mehr und mehr von ihm abgewandt, war cs gewiß geschehe», weil ihre reine Seele vor den Abgründen zurückicheute, die in ihm ruhen mochten. Ein Ab scheu erfaßte sie vor diesem glatten, weltgewandten Men schen, der durch solche Lügen auf ihr Herz Eindruck zu machen suchte. Wie gern hätte sie in edler Entrüstung aufgeflammt und ihm zuge- schlcudert: „Hallen Sic mich für thöricht genug, Ihnen solche Betheu erungen zu glauben?" — Aber wie es auch in ihrem jungen Herzen stürmte, die gesellschaftlichen Formen forderten ihre Rechte, sie durfte diese abscheuliche Heuchelei nur mit einem Lächeln abfertigen. „Es ist nicht artig von Ihne», daß Sie mich für so meltunerfahren halten," sagte sie nach einigen raschen Athemzügen leichthin. Stephan sah sie nur ganz verwundert au; er konnte sich diese Antwort nicht erklären. „Würden Sie mir sonst mit so viel Feuer ein Märchen erzählen?" fnhr sie ruhig fort. „Doch ich fühle selbst, daß mir Menschenkenntniß fehlt und daß mir Reisen recht nothwendig ist. Ja, blicken sie mich immer verwundert an. Ich hätte mich am liebsten ohne Abschied aus Wien gestohlen, aber Papa sagt, das sei nicht schicklich und so will ich Ihnen wenigstens Lebewohl sagen." Sie war dabei schon aufgestanden und der Thür zugeschritten und hatte das Alles in jenem leichten Unterhaltnngstvn gesprochen, der Gertrud, wenn sie wollte, so sehr zur Verfügung stand. Sie nickte ihm mit freundlich gleichgültigem Lächeln zu und noch eh' sich Stephan von seiner grenzenlosen Bestürzung erholen konnte, war sic im Saal verschwunden. Graf Tinodi blieb noch lange wie angewurzelt am Thürpfosten stehen und strich sich seinen zierlichen Schnurrbart. — Er wußte nicht, was er von Gertrud dciiken sollte. Trieb die Kleine nur ihr Spiel mit ihm? war sie bereits die vollendetste Kokelte, die sein Herz nach Laune und Willkür mißhandeln wollte, oder liebte sie ihn wirklich nicht? — Stephan war viel zu eitel, um das Letztere anzunehmen;, nur das eine war ihm klar, daß er alle Ursache hatte, über das Benehmen Gertruds empört zu sein. Nun, das stolze übermnthige Ding, das ihn jetzt so schändlich zn tyrannisiren suchte, sollte dennoch von ihm unterjocht werden, das schwur er sich mit dem ganzen Feuer eines Magyaren und der Gedanke an seinen endlichen Sieg gab ihm die alte Sicherheit zurück. — (Fortsetzung folgt.) Die Fruchtbarkeit des Meeres. Von F. Neibcstein. In der Nacht von St. Johannes, vom 24. auf den 25. Juni, fünf Minuten nach Mitternacht, sängt in den nördlichen Meeren der