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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 15.06.1908
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-06-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080615022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908061502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908061502
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-06
- Tag 1908-06-15
-
Monat
1908-06
-
Jahr
1908
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Bezugö.Preit chr L^t» «d >Uo«rt« d«rch u»j«r« »rLtzer «i S«dtt«» bi» Ha»« ^bracht, Uülgab« L <»« m»r«r»5) vi«t«YL-rllch » «i.. w»»amch 1 vi.: «n«g»di I »2 abend«) viertel» jthrlich <S0 «., mimatlich l.«) W. Lurch dir chvft u> de, lehr»: fl mal täglich) innerhalb Dentichland« und der deutschen Kolonien vierteljährlich b,2b M., monatlich I,7S M. autlchl. Po«, bestellgeld, chr Oesterreich « L 66 », Ungar» 8 L vierteljährlich, sternrr i» vrl- gir», Dänemark, den Donankaaten, Italien, Luxemburg, ikiederland«, ««wegen, «uh» land Schweden, Schweig und Spanien. In alle» übrigen Staaten nur direkt durch bt» Lxped. d. Vl. erhältlich. «bonnement-Unnadmei «uguftusvlatz 8, bei unseren Dräger», Filialen, Spediteur« und Annahmestelleii, sowie Postämtern uu» Briefträgern. Di« einzelne «ummer kostet 1v "strdaktioa «ud Lrvrditton: Johaanisgasse 8. Telephon Rr. 11692. «r. 14693. Rr. 1469». Abend-Ausgabe S. KWiMTaMall Handelszeitttng. Ämtsvsatt des Males und des Vottzeiamtes der Lladt Leipzig. 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R.j * Der durch die Molitor-Prozesse bekannt gewordene Rechtsanwalt v. Pannwitz wird als zweiter Verteidiger Für st Eulen, burgs fungieren. (S. Dtschs. R.j * Der Besuch des Zaren in Italien wird im Juli erfolgen. lS. Ausl.) * Dem Pariser „Matin" zufolge ist die Zarin an einem Herz leiden erkrankt. lS. Ausl.) Thüringen nnö die preutzisehen Eisenbahnen. Wie wir bereits kurz telegraphisch meldeten, fand gestern in Eisenach unter dem Vorsitz des Landtagsabgcordneten PH. Sam- Ha m m e r - Sonneberg eine vierstündige Konferenz von Land tagsabgeordneten der Thüringer Staaten statt, um die Frage der Eisenbahnverhältnisse und die Stellung zur preußischen Staatsbahn zu besprechen. Die bereits im Oktober vorigen Jahres eingeleiteten Bestrebungen gehen dahin, aus den Ueberschüssen der preußischen Staatsbahnen einen angemessenen Anteil zu erhalten, wie ihn der Verkehr Thüringens nach seiner Ausdehnung und Größe verdient. Bei der Konferenz waren die Landtage sämtlicher thüringischer Staaten vertreten, auch einzelne Handelskammern hatten Abgeordnete entsandt. Rcichstagsabgcordnetcr E n d e r s - Sonneberg leitete die Be ratungen mit einem einstündigen, sehr beifällig aufgenommenen Vortrag über „Die preußische Eiscnbahnpolitik und ihre Rückwirkung auf die thüringischen Staaten" ein und beleuchtete die staatsrechtliche Seite der Frage dahingehend, daß unsere Verfassung klipp und klar vorschreibt, daß Eisenbahnen nicht zu Erwerbsquellen einzelner Verbände oder Staaten dienen dürfen, sondern gleichmäßig allen Reichsangchörigen nützen sollen. Die deutschen Eisenbahnen entwickelten sich immer mehr als Finanzinstitute der einzelnen Bundesstaaten. Preußen besitzt gegen wärtig 36 480 Kilometer vollspurige Bahnen. Seit dem Ucbergang der thüringischen Eisenbahnen an Preußen sind die Thüringer Staaten in Eisenbahnangelcgcnhciten von Preußen auf Gnade oder Ungnade ab hängig. Preußen hat im Verkehrswesen Großes geleistet, und niemand wird die Privatwirtschaft im Eisenbahnwesen zurückwünschen. Abec durch die Ungunst der geschichtlichen Entwickelung der Eisenbahnpolitik ist Thüringen in eine Lage gekommen, die ungerecht ist. Es zahlt gleich Preußen dieselben Verkehrssteuern und trägt zu den Millionenüber schüssen der preußischen Staatsbahnen ganz bedeutend bei, ohne daraus einen Anteil zu erhalten. Hier hat Preußen die Verpflichtung, ein Un- recht gut zu machen. Die preußischen Staatsbahnen haben nach dem letzten Etat einen Ueberschuß von 703 Millionen Mark, der nach Abzug der Verzinsung der abgeschriebenen Grundschuld und Amortisation des ganzen Anlagekapitals einen Rcinüberschuß von 541 Millionen Mark ergibt. Nach dem Verhältnis der Streckenlänge müßten davon mehr als 15 Millionen Mark auf Thüringen entfallen. Dank dieser Ricsenüber- schüsse kann Preußen durch ständige Erweiterung der Linien die Ren tabilität der ganzen Anlage ständig steigern. So betrugen z. B. die Ueberschüsse 1894 382 Millionen, 1896 503, 1898 520, 1902 526, 1904 616, 1906 678 und 1908 703 Millionen Mark. Das Thüringer Eisenbahnnetz stellt einen kleinen, aber vollwertigen Teil im großen Staatseisenbahnnetz dar; Thüringen gebührt deshalb auch ein Teil oer Ueberschüsse. Einen Rechtsboden hat man bei dieser Forderung leider nicht unter den Füßen. Da aber der jetzige Zustand nicht dem Geist der Verfassung, nicht der Billigkeit und Gerechtigkeit entspricht, wird es nicht schwer sein, die öffentliche Meinung im Sinne des Referats zu beeinflussen und eine Bewegung in die Wege zu leiten, die dahin führt, daß sich Preußen auf seine Pflicht besinnt, auch die Kleinstaaten an den Ueberschüssen aus den Eisenbahnen teilnehmen zu lassen. Das beste wäre allerdings die Schaffung von Reichseisenbahnen. Professor Dr. A n s ch ü tz - Sonneberg verbreitete sich hierauf, ge stützt auf ein umfangreiches, unantastbares amtliches Material, in längerem, ebenfalls recht beifällig aufgenommenem Vortrage über die Vcrkehrsbedingungen der Thüringer Staaten. Er erbrachte den Nach- weis, daß der Verkehr der thüringschen Lande mindestens so groß ist, als der Durchschnittsverkehr Preußens. Nach der Berufsgliederung nach Handel, Industrie und Verkehr steht Thüringen an 3. Stelle. Der Erwerb der Thüringer Bahnen hat das Verstaatlichungswerk Preußens erst abgeschlossen und rentabel gemacht. Die zentrale Lage Thüringens, seine rege Industrie, seine land- und forstwirtschaftlichen Erzeugnisse, seine Kalischätze und nicht zuletzt seine landschaftliche Schön heit machen es zu einer Hauptschlagader, zu einem Durchgangs- und Speisegebiet für den Eisenbahnverkehr und für die Millionenüberschüsse Preußens. Auch dieser Redner schließt mit dem Wunsche, daß Preußen aus eigener Initiative heraus die Thüringer Staaten entschädigen möge da in dem gegenwärtigen Verhalten eine nicht zu verstehende Härte liege. Die Stellung jenes Wunsches sei keineswegs ein Raubzug auf die preußischen Finanzen. Hierauf erstattete Landtagsabgeordneter S a m h a m m e r - Sonne berg Bericht über die differentielle Behandlung der einzelnen Thüringer Staaten bei Abschluß der Staatsverträge von Eisenbahnbauten. Er erbrachte den Nachweis der willkürlichen Behandlung der Einzel staaten seitens der preußischen Eisenbahnverwaltung beim Abschluß solcher Verträge, bei denen lediglich der Gesichtspunkt der Rentabilität, nicht aber daS allgemeine Interesse zum Ausdruck komme. Er findet in den verlorenen Zuschüssen der armen Kleinstaaten und der oft sehr durch Steuern gedrückten Gemeinden eine Härte sondergleichen und wünscht eine Rückgewährung wenigstens für die Fälle, in denen die ge schaffene Bahn rentiere. In der sehr lebhaften Debatte wünscht Abg. Polz-Weimar, daß man den Gedanken einer Rcichseisenbahn mehr in die Einzellandtage und von da ins Volk trage. Web er-Gera, Krämer-Sonneberg, L up old-Gera, Oberbürgermeister L i e b e t r a u - Gotha, Geheimrat Oßwald - Altenburg, Dr. Matthes- Eisenach, Senator Mohler- Gotha u. a. sprechen dafür, daß das heute vorgetragene reiche und über zeugende Material in Druck gegeben und den Parlamenten, Handels kammern, Negierungen und der breiten Masse zur Förderung der be sprochenen Bestrebungen zugänglich gemacht werde. Der neugewählte oe- schäftsführende Ausschuß wird wegen Gewährung von Mitteln zur Aus führung dieses Beschlusses sich an die thüringischen Landtage wenden. Oberbürgermeister Liebetrau wünschte neben der Bestellung eines ständigen Bureaus wegen Lösung der Frage die Einrichtung eines Nach richtendienstes für die einzelnen Landtage. — Zum Schlüsse wurde nach stehende Resolution einstimmig angenommen: „Die in Eisenach versammelten Abgeordneten der thüringischen Landtage und Mitglieder der Handelskammern sind mit den Aus führungen der Referenten in allen Punkten einverstanden, beschließen die Drucklegung der Vorträge und erklären sich einstimmig bereit, im Sinne der durch die Vorträge gegebenen Anregungen in eine energische Propaganda für die Interessen der Thüringer Staaten in der Eisen bahnfrage einzutreten." Der internationale Vergarbeiter- ksngresz. (Von unserem Pariser I-.-Korrespondenten.j Paris, 12. Juni. Der internationale Kongreß der Bergleute, der hier tagte, hat unter starkem Vorgewicht der deutschen Delegierten eine Anzahl interessanter Beschlüsse gefaßt. Zwei Anträge, ein französischer und ein deutscher, die beide auf ein gleiches Ziel hinausliefen, betrafen die Festlegung eines Mindestlohnes. Der französische Antrag verlangt sie durch den Staat, der deutsche durch die Syndikate. In England und Amerika haben die Bergleute durch die Syndikatsorganisation die Festlegung eines Mindest lohnes errungen; im französischen Nordrevier besteht bei mehreren Ge sellschaften die mündliche oder kontraktliche Verpflichtung, nicht weniger als 6,18 Fr. Tageslohn zu zahlen. Der Delegierte Löffler brachte den Nachweis, daß in Deutschland der Lohn von einer Mine zur anderen wechselt, wennschon die Lebensbedingungen überall ungefähr dieselben sind. Verschiedenheit der Löhne rühre in der Hauptsache von der Ein führung gewisser Methoden der Akkordarbeit her. Im Nuhrrevier habe der Durchschnittslohn 1904 4,18 .K betragen, 1907 4,87 .E, in den staal- lichen Bergwerken habe er 1900 3,56 betragen, 1907 4,28 « im Re vier von Halle, wo Anthrazit gegraben wird, hätte er 1907 3,95 er reicht, nur 18 Pf- mehr als 1900. Doch diese Mehrzahlung wäre weniger als eine wirkliche Lohnerhöhung anzusehen, sondern als das Resultat der Ueberarbeit, die von den Arbeitern verlangt werde. Die Zolltarife von 1902 hätten überall die Lebensmittelpreise zum Steigen gebracht, so daß die Lage der Bergleute weniger gut wäre. Selbst die christlichen Syndikate, die für die Zolltarife eintraten, müßten heute zugeben, daß die Arbeiter nicht davon profitiert haben. Ein anderer deutscher Dele gierter Corspus unterstützte in polnischer Sprache (!s diese Bemerkungen, worauf zwischen den zwei englischen Abgeordneten Onious und Cavins, als ersterer die deutschen Forderungen unterstützte, ein lebhafter Streit entstand. Onious behauptete, daß der Mindestlohn in Northumberland nicht existiere, wogegen Cavins protestierte und behauptete, seit 25 Jah ren hätten die Syndikate dort den Mindestlohn von sb 5/2 ck durchge'etzt. Die beiden Engländer gerieten sich derart in die Haare, daß die Sitzung ausgehoben werden mußte. Der Reichsratsabgeordnete Jarolim präsi dierte der zweiten Sitzung, in der der deutsche wie der französi'che Antrag über den Mindestlohn durch Aneinanderfügung angenommen wurde. Dann schritt man zur Beratung über zwei höchst wichtige Anträge Frankreichs und Belgiens: 1s Wir sind der Ansicht, daß im Falle des Generalstreikes in einem Land die Bergarbeiteivereinigungen anderer Länder die Kohlenproduktion durch teilweises Feiern beschränken. 2j Es ist von höchstem Interesse für die Bergleute aller Länder, daß die Kohlenproduktion auf internationale Weise reglementiert wird. Sobald der Kohlenverbrauch nachläßt und sich Vorräte (Stockss anzuhäufen be ginnen, ist es Pflicht der Vereinigung jedes Landes die Kohlenproduk tion durch eine mehr oder minder große Zähl von Feiertagen zu ver ringern. Wenn sie so handeln, werden die Bergleute sich gute Löhne be währen und bessere Arbeitsbedingungen erzielen. Die Zahl der Feier tage wird durch das internationale Komitee festgesetzt." In der Bera- tung ergab sich der alte Gegensatz zwischen deutschen und englischen Bergleuten. Während Deutschland fast nur Kohlen für seinen eigenen Bedarf produziert, exportiert England 28 Prozent. Darum sind die Feuilleton. Die Welt ist und bleibet doch Welt, das ist des Teufels Braut. Luther. )ni Schatten -er Titanen. Bon Max Hochdorf. Im Jahre 1847 war Hungersnot in Westpreußen, wie im ganzen Osten des deutschen Vaterlandes. Die Bauern wußten nicht, woher sie die Nahrung für Frau und zitternde Kinder nehmen sollten. Die Menschen wurden krank, verzweifelt und gebrochen. Die Alten starrten aus müden, stumpfen Äugen. Wehrlos, den Kampf ums Dasein kaum noch wagend, beschieden sich die Rüstigen. Mit gefalteten Händen und wisperndem Gemüt sahen die Kleinen zum Himmel und wußten nicht, warum der liebe Gott mit seiner Güte so geizig an ihnen vorbeischreite. Da erbarmte sich eine Frau, eine schöne, reiche Dame, die treuste Mutter, die empfindlichste Seele, die entschlossenste Helferin, die auf einem großen Nittergute bei Marienwerder die Herrin war, der Leiden den und Geprüften. Sie übte das Mitleid und das Erbarmen, soweit ein einziger Mensch hierzu imstande ist. Und als die Gelder, die sie besaß, nicht mehr zulangten, da reiste sie nach der Hauptstadt Berlin. Da versetzte sie ihre Kleinodien, Armgeschmelde, goldene und juwelen geschmückte Halsketten, Ringe und das ziselierte, kostbare Kleinzeug der schönheitsliebenden Edeldame, auf dem Leihamt. Sie kehrte heim, sie Hatte Geld für Brot und Fleisch der Armen, half den Frauen, die meist verflucht, verstoßen und verfemt werden. Sie hieß Jenny von Gustedt; sie war damals »m blühenden Alter von 36 Jahren, die Gattin eines geraden, mit Reichtümern leidlich ausgestatteten Gutsbesitzers, die sorgende und kluge Mutter mehrerer Kinder, die Freundin von vielen Geistern, die als der Erde Seltenstes und Erlesenstes durch die Weltgeschichte gehen durften. Im gleichen Jahre, da Jenny von Gustedt ihr wundervolles Werk der Milde tat, erhielt sie von einer Nonne aus der französischen Haupt stadt lange Briese. Sanft sprach die Nonne, geistlich, Marie vom Kreuze genannt; die Nonne war die Schwester der Frau Jenny von Gustedt. Die französische Himmelsdienerin die Schwester der deutschen Guts herrin? Ja, und beide aus kaiserlichem Geblüte, aus einem starken, einst sehr grünen, dann schnell hingewelkten Stamme; beide Töchter eines kaiserlichen Mannes, der einst auf beneidetem Throne saß, der setzt, ein Jahr vor dem Sturme der Völkerrevolutionen, verblichene Herrlichkeit gern auslöschen wollte, um in die hingehende, verstehende Liebe seiner beiden reif gewordenen Töchter zu flüchten. Der kaiserliche Mann hieß Jerome; er war der Bruder des Eroberers Napoleon Bonaparte; er hatte einst das Königtum von Westfalen verwaltet. Er war von den Töchtern, die einem illegitimen Bunde entsprossen, waren, lange Jahre nicht gekannt worden. Die Mutter dieser spät wiedergefundenen Kinder hieß Diana von Pappenheim. Als Diana noch Jugend, Schönheit, geheim stachelnden Reiz besaß, da lohte in Deutschland ein Krieg der Be freiung. Ein treuer Knecht des vertriebenen Napoleon, vielleicht ein zu treuer, war Jorome. Er erblickte mit Schrecken und mit innerer Gewißheit den sinkenden Stern des Bruders. Aber er konnte nicht bis zum Ohr und zum Herzen des Kaisers dringen. Er wollte der erschütterten Macht des Bruders wieder zum siegenden Leben verhelfen. Aber man ließ ihn nicht. So suchte er Trost in der Liebe mit einer Edcldame seines Hofes, einer unendlich gerühmten Schönheit, der Diana von Pappenheim. Diana, eine sehn süchtige, ungewöhnlich begabte Frau, die Gattin eines Mannes, der in Geistesumnachtung dahinsiechte, gab sich dem sicbcnundzwanzigjährigen König mitUeberschwenglichkeit und romantischerÄnbetung hin. Wir wissen wenig von ihr; nur so viel, daß sie lange zu dem Geliebten hielt, daß ihre anfängliche Schwärmerei sacht zur dauernden Untertänigkeit wurde. Jsrome war ein Bruder des Titanen, aber im Vergleich zu dem riesigen Manne ein Kleiner, die Kinder seiner Liebe, die immerhin das starke Blut der korsischen Familie empfingen, stehen, wie er selber, im Schatten der Titanen. Tas ist die geheime Tragik des westfälischen Königs. Wie solche Natur aber in Jenny von Gustedt weiterwirkte, das ist eben in einem sehr guten, mit Abgeklärtheit und mit tiefer Herzlichkeit ge. schriebenen Buche erzählt worden. * * * Lily Braun, die Frauenrechtlerin, die mit blühender Rhetorik für Freiheit und Veredelung der Liebe wirkt, ist die Verfasserin dieses Erinnerungswerkcs, das bei George Westermann in Braun schweig erscheint. Frau Braun ist selbst im Schatten der Titanen aus gewachsen. Sie kann erweisen, welche Fäden des Blutes vom kaiserlichen Prinzen J4rome bis zu ihrem bürgerlichen Dasein lunabsühren. Sie ist eine Urenkelin dieses Kanias von Westfalen. Aber aus einem wunderlichen Wege ging das alles vor sich. Dieser König Jerome ist ein Prasser gewesen, sagt man, ein leicht fertiger Herr, der im kaiserlichen Glanze der Bonapartes nur die Mittel suchte, seine jämmerlichen Vergnügungen und schmutzigen Freuden zu bezahlen. Dies Urteil, das am „König Lustik" haften ge blieben ist, prüft Lily Braun noch einmal nach, und sie kcmmt zu ganz anderen Ergebnissen, deren Gerechtigkeit und deren Ernste sich kein Vorsichtiger verschließen darf. Hier erscheint J6rome als ein Mann, der nur deswegen schwach und unselig bleiben mußte, weil ein zu Starker über ihm stand. Das war der große Napoleon. Jerome hat sich sein ganzes Leben lang gegen den Einfluß dieses Mächtigen gewehrt. Er wollte das Glück seiner Untertanen, und er wollte nicht, daß Westsalen durch wahnwitzige Kriegskontributionen gebrandschatzt würde. Aber der Kaiser wollte es anders. Verzweifelt schrieb ihm einmal der königliche Bruder: „Es kann doch unmöglich den Absichten des Kaisers entsprechen, daß ein Souverän in seinem eigenen Lande solchen lieber» griffen ausgesetzt ist." Aus diesem Satze liest man das Zähneknirschen Jeromes, seinen gefesselten Willen, das Gute zu vollbringen, das ihm nicht gelingen sollte. Jerome war einer von den Setzten, die zu dem ae- stürzten Imperator hielten. Bei Belle-Alliance hat er den Tod gesucht, wie der tapferste Kricgsmann. Er war Zeit seines Lebens un- erschrocken und kühn, gütig und vornehm. Daß er in der traurigen Episode seines kurzen Königtums mehr Unheil als Glück schuf, soll nicht auf Kosten erdichteter Laster gesetzt werden, die der König in Wirklich- eit gar nicht besaß. So verteidigt die Urenkelin den Ahn, und sie pricht weiter von dem vereinsamten Manne, der viele, viele Jahre päter die Liebe der Kinder genießt und erbittet, die ihm die viel be trauerte, mit unsäglicher Zartheit und Wehmut in der Erinnerung gehegte Diana von Pappenheim geboren hat. Jörome hielt das Bildnis der Geliebten oft in Händen. Wenn der Frühling in Paris einzicht. dann sitzt er am Fenster und läßt die Sonnenstrahlen über das Gesicht gleiten, das er einst geküßt hat. Er besucht die jüngere Tochter Dianas, Pauline, die sich als Nonne Marie nannte, in ihrem Kloster zum heiligen Kreuze. Und dort sprechen Vater und Tochter immer wieder von der Schönheit der Verstordenen, die sehr groß und sehr vollkommen gewesen sein muß. Vor allem die Augen und der Mund Dianas reden von sehr viel geheimer Seelenpracht und der Fähigkeit des Beglückens. Dann treten die so Vertrauten mit der Jenny von Gustedt in Briefvcrkehr. Tie Geschwister sehen sich manch mal in Paris, und dort umarmen sie auch den Vater. Ter schreibt dann nach der Trennung seiner in Deutschland weilenden Tochter Briese voller Liebenswürdigkeit und wohltuender Besorgtheit. Er schreibt sie mit einer kleinen, kritzelnden Schrift. Viel Pünktlein setzt er an die einzelnen Lettern, kein Strichlein vergißt er. Er ist ein Mann, der ruhig und friedvoll geworden ist, der sich Zeit lassen kann und es gerne tut. Die Orthographie des Schreibenden ist sehr sorgfältig. Jede Stürmcrei, jede Lautheit und Verwegenheit sind aus dem Stil ver bannt. So ist das Bild Jvromes, wie es Lily Braun zeichnet. Sie hat es nicht voreingenommen und überhastend entworfen, sondern bedacht und jedes Zeugnis emsig prüfend. Nach dem Leben Jöromes, der*auf dem Welttheater die peinliche Rolle gespielt hat, erzählt Lily Braun von dem Wirken und dem har monischen Dasein der Jenny von Gustedt. Was Jerome galt, konnte die Verfasserin nur aus verstaubten Dokumenten erraten. Was Jenny von Gustedt gewesen ist, das hat sie selbst erfahren. Jenny von Gustedt war die Großmutter Lilys gewesen. Ein Alter von 79 Jahren hat die Greisin erreicht, und als sie ihre Tage schwinden fühlte, da bat sie sich beeilt, der Enkelin in Briefen, in vertrauten Ge sprächen und wohlverwahrten Dokumenten alles zu übergeben, was ihre Kenntnis einer großen Zeit gewesen ist. Denn Jenn» hat das Glück gehabt, in Weimar erzogen zu werden, in Weimar die Mädchenjahre zu vollbringen. Goethe sab im Jabrc 1826 das fünfzehnjährige Mädchen Jenny. „Tie Augen werden viel Unheil anrichten", sagte der Dichter. „Warum denn gerade die Augen?" fragte das Mädchen Jenny. Und der Dichter batte unrecht. Jenny ist keine kalte Natur gewesen. Sie war eine tiefe, ergriffene Seele, sie ging als oft und gern gesehener Gast nicht mit Bethinens hitziger Ver- liebtbcit in das Goethesche Haus. Sie war darinnen stets mit einer lächelnden, freundlichen Dankbarkeit. Sie benahm sich sehr klug, sie
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