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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 17.06.1908
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-06-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080617026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908061702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908061702
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-06
- Tag 1908-06-17
-
Monat
1908-06
-
Jahr
1908
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Dezug-'PreiS lür L»tP»ia «U> >uol»r«» durch a»I«r» trüg« »üd Surdilrur, tu» Hau« ^bracht l «»»gab« t (nur morgen«) vtertmMrUch S vi., monatlich I M.; «u«a<che U (morgen« und adend«) vcerM» lthclich «.SO M., monatlich I.sv Di. Durch dt« choft M de,teden: <2 mal täglich) innerhalb Leutlchland« und der deutichen Kolonien merreljährlich ü,2b M., monatlich I,7S M. aullchl. P»p- deltellgeld, chr Oesterreich v U 66 «, Ungarn 8 L oierteljLhrlich. ,s«rn«r la Bel gien, LLnemarl, den Donauftaaten, Italien, Luremdurg, illiederland«, Norm egen, «tui- land Schweden, Schwei» und Spanien. In allen übrigen Staaten nur direkt durch bte >Lxp«d. d. Bl. erhälllich. «donnement-Annadme: Uugulkusvlatz 8, bei unseren Trägern, Blialen, Spediteure« und Auuahmeltellen, sowie Postämtern UN» Briesträgern. Di« einzelne Kummer koftei I» HfA, 'Redaktion und «rvebition: ZohanniSgasse 8. »elevbon Nr. >4E Nr. I4W8. Nr 146»». Abend-Ausgabe 8. UeiWgerTagMM Handelszeitung. Ämlsblatt des Mates und des Molizeiauttes der Lladt Leipzig. Nr. 168. Mittwoch 17. Juni 1908. Lnzeigeu-Prrr» ch» Sulerai« au« p«lp»iu und Um^du», dmSgeipallen, Pettlzmle 2b PI., stnaazlell« »nzmgen SÜ«., «evaum» » »«» au«wärt« » Pt., NrHameu l.20 «g ,m»Nu«la»»SVPt., ftiuui» «n»elge»7SV„ «eüame, USt) «t. Inserat«v. BetzdrdeM a «mUicheuDetiavPI. Beilagegedüür SM.». Lausend epkl. Post gebühr. ch«Ichätt«a»zeigen an bevorzugter Stelle im Preise erhäht. Rabatt nach Darrs geliertestt« Nultrüar Wunen nicht zurück» gezogen werden. Itr da« itrscheineu an bestinuuren Lagen und Plätzen wird kern, Garantie übernommen dist^sämtlichen Filiale» u^östni Nun^«»- Lzpeditioara de« Irr» and Lntzlaude«. Haupt-Sstiale Berit» i »arl Luncker, Herzogl. Bayr. Halb«» Handlung, Lützmvstroste UX (Telephon VI. «r. 4MS). Haupt-Filiale vre«deu: Seetzrahe 4.1 (Deleobon 462O. 162. Jahrgang. Das wichtigste. * Die Döberitzer Kaiserrede wird im Ausland lebhaft kommentiert. sS. d. des. Art.) * Die Resultate der preußischen Landtagswahlen liegen nunmehr abgeschlossen vor. (S. d. bes. Art.) * Der Kaiser von Oesterreich hat an den Prinzen von Cumberland zu seinem Eintritt in das deutsche Heer ein Glück wunschtelegramm gerichtet. (S. Dtschs. R.) * Auf einem Bankett des Republikanischen Bundes in Paris er- klärte Minister Pichon, die neue Allianz Frankreichs werde einzig für den Frieden benutzt und solle Frankreich vor Kompli kationen schützen. sS. Ausl.) * Die Duma nahm die Borlagc des Wegebauministeriums, be treffend den Bau eines zweiten Stranges der sibi rischen Bahn, dessen Kostenanschlag 127 Millionen Rubel be trägt, an. * Der spanische Marineminister ordnete an, daß der Kreuzer „Carlos V." nach Larach'e gehen soll. * Der republikanische Nationalkonvent der Vereinigten Staaten fordert eine Tarifrcform und Fortsetzung der Politik Roosevelts. iS. Ausl.) Die Döbevitzev Ttaiserrvovte und die fresse. Wie vorauszusehen, haben die Aeußcrungcn des Kaisers in Döberitz iui Auslande einen lebhaften Widerhall erweckt und zu den mannigfal tigsten Kommentierungen Veranlassung gegeben. Tic Stimmung in Paris. (Von unserm Pariser ^.-Korrespondenten.) Paris, 16. Juni. Die Kaiserworte in Döberitz werden in der französischen Presse reichlich kommentiert, aber, was erstaunen und auch nicht erstaunen mag, in sehr ruhiger, friedlicher, beinahe zufriedener Weise. Jedesmal wenn in Berlin ekwas autoritär gesprochen wird, vergeht in Paris augen blicklich alle Freude an den diplomatischen Kunststückchen König Eduards. Es finden sich immer mehr Blätter, die die wachsende üble Laune in Berlin für sehr verständlich finden, und die Kaiserworte, an Soldaten gerichtet, für ganz natürlich. Tas vielgclesenc „Iourna l" schreibt: „Wilhelm H. ist im mili tärischen Leben nichts weniger als ein Souverän, der sich an höfische Bedenken kehrt. Warum sollte er nicht zu Soldaten als Soldat ge sprochen haben, indem er den Diplomaten die Sorge läßt, Oel in das Räderwerk zu gießen? Und man muß schon anerkennen, daß die Worte, die man ihm in den Mund legt, recht gut den Eindruck widerspiegeln, den die Zusammenkünfte in London und Reval und mehr noch die Kommentare gewisser Prcßorgane in den Sphären des großen deutschen Generalstabs hervorriefen. Man muß betonen, daß der Ausspruch keinen agressiven Charakter trägt. Der Kaiser sagte bloß: „Wenn man Deutschland in die Zwangslage versetzt, wird es sich verteidigen." Wer ist der Bürger eines in vollem Aufschwung befindlichen Reiches von 60 Millionen Seelen, der diesen einfachen Ausdruck der elementarsten patriotischen Pflicht verleugnen würde? Hat Bebel nicht gesagt, daß die deutschen Sozialdemokraten als erste an die Grenze eilen würden, wenn sie bedroht wäre? Der einzige Punkt, der in der kaiserlichen Erklärung Bedenken erregt, ist die Anspielung auf die Einkreisung Deutschlands, die vielleicht nicht das Ziel der Politik König Eduards ist, aber unbestreitbar diesen Anschein erweckt. Das bringt einige Ab- Wechselung in den optimistischen Ton der offiziösen Note, und man ent deckt das Risiko, das natürlicherweise die Rückseite der Medaille bei einer so glänzenden, aber sehr gewagten Politik ist, wie sie der britische Herrscher führt. Die Warnung, die nicht ungelegen kommt, scheint der wahre Charakter der kaiserlichen Erklärung zu sein. Deutschland wünscht nicht den Krieg, es kann ihn nicht wünschen, besonders unter den gegen wärtigen Umständen, aber es erinnert an seine Existenz, sein« Interessen, seine Rechte. Warum sich darüber aufregen, da cs ja abgemachte Sache ist, daß es keinen neuen Dreibund gibt, daß die Politik der Lntsnt« eoocUnl« und des englisch-russischen Einverständnisses durchaus friedlich ist und niemand schädigen soll? Vielleicht wäre es indessen an gebracht, den Anschein mit der Realität etwas mehr in Uebercinstim- mung zu bringen. Man hat seit drei Wochen zuviel von Heeres- und Bündniskombinationen und Kriegsevcntualitäten gesprochen. Die Worte des Kaisers sind ein Appell an die Klugheit." — Für ein französisches Blatt anerkennenswert gesprochen. — Der „Radikal" sagt: „Sollte uns diese kaiserliche Meinung aufregen? Sie kann uns keinen Grund zur Unruhe geben, wenn wir nicht dem Dreibund einen anderen Drei bund, an dem wir teilnehmeu, gegenüberstellen wollen, wenn wir nicht der Macht Deutschlands Abbruch zu tun, es von seinem Platze zu ver- drängen und seinen Einfluß in Europa und der Welt zu schwächen beab sichtigen. Das ist aber nicht der Fall. Ganz und gar nicht." Der „Figar o" schreibt: „Zum zwanzigsten oder vierzigsten Male soll Kaiser Wilhelm vor den Soldaten eine Rede in kriegerischem Ton gehalten haben. Zuerst wollte man den Sinn und die Tragweite ver stärken und behauptete, die militärischen Attaches wären zugegen ge wesen, zweifellos -ugezogen, um zu hören. Aber das ist nicht richtig. Man weiß nicht einmal, ob die Rede Wilhelms H. vor oder nach der Zusammenkunft von Reval gehalten wurde. Und warum vorher oder nachher erstaunen, daß der Deutsche Kaiser vor den Soldaten als ein Soldat spricht? Daß er ihnen anempfiehlt, für alle Fälle, selbst die schlimmsten, bereit zu sein, für alle Aufgaben, selbst die schwierigsten, z. B. wenn es sich darum handelt, mehrere« vr-e'. .igtcn Gegnern stand zuhalten. Man kann doch nicht erwarten — besonders v»n Wilhelm H.. — daß er auf dem Manöverfeld oder in den Kasernen Reden hält, wie ein einfacher Landrat in einer Bauernversammlung. Daß die „Nordd. Allg. Ztg." schweigt, ist das einzige passende Mittel, den Worten des Kaisers ihren persönlichen Charakter zu belasten. Bei früheren ähn lichen Gelegenheiten wurde i» der Wilhclmstraße zu solchen Reden Wil helms H. erklärt, so wie ich cs hier tat: „Worte eines Soldaten an Soldaten, militärische Beredsamkeit." Nichts geht in Europa vor und nichts ist in den letzten Wochen vorgegangen, was in Deutschland ernste oder affektierte Befürchtungen rechtfertigen könnte. Die russische Re gierung hat in ihren offiziösen Blättern eine Erklärung veröffentlicht, die niemand erlaubt, die Zusammenkunft in Reval als eine Drohung aufzufasten, und die angebliche Einkreisung ist nur eine Luftspiegelung. Ich erinnere mich, daß Marquis di Rudini, damals italienischer Ministerpräsident, zu mir sagte: „Man will den Dreibund und den Zwcibund gegenüberstellen. Nun, ich behaupte, daß der Dreibund und der Zweibund bloß zusammen einen Fünferbund für den Frieden aus- machen." Diese Worte sind zehn Jahre lang wahr gewesen, solange Ruß land ungeschwächi war: Sagen wir jetzt, datz der Dreibund und das dreifache Einverständnis zusammen einen Scchserbund für den Frieden ausmachcn, wenn niemand schlimme Absichten hat, und wir wenigstens erlauben keinem, uns die Absicht nnterzuschieben, die Wcltruhe zu stören, um nichts als um des Vergnügens willen." * Die Presse in England. Der „Morning Leader" schreibt: „Die Gerüchte, die gestern an der Börse verbreitet waren, daß der Deutsche Kaiser mit Rücksicht auf die politische Lage seine norwegische Reise aufgeschoben habe, sind durchaus unbegründet. Der Kaiser hat keine Aende- rung irgendwelcher Art in seinen Plänen getroffen. Die Depression an der Börse ist nicht politischen Komplikationen, sondern anderen Ursachen zuzuschreiben. Die Beziehungen zwischen dem Kaiser und König Eduard sind herzlicher als je, und die des Kaisers und des Aaren nicht weniger freundlich. Die Redereien von einem „Einkreisen" Deutschlands sind leere Worte." „Wir sind", fügte der Gewährsmann des „Leader" hinzu, „vollständig ruhig in unserer Kraft und denken nicht daran, den Frieden der Nationen mehr zu stören als sie den unseren." Kein einziges großes Blatt, selbst nicht die Hetzblätter „Standard", „Daily Expreß" und „Daily Mail", haben sich mit der Rede des Kaisers in Döberitz be schäftigt. Nur die „Daily News" schreiben: „Es wäre bester gewesen, daß Sir Edward Grey, der den Frieden wünscht, zuerst Frieden mit der einzigen Macht sucht, die ihn zu bedrohen scheint. Wir hoffen, daß er dort noch gesucht wird, obgleich diese Hoffnung nicht durch solche flammenden Aeußerungen wie des Kaisers gerade gestärkt wird. Wenn der Kaiser Frieden will, so darf er nicht fortfahren, solche Funken über die Pulvermagazine Europas zu entsenden." Eine italienische Stimme. Der römische Korrespondent des „M atin" hatte eine Unterredung mit einem Mitgliede der italienischen Regierung über die dem Deutschen Kaiser in den Mund gelegten Worte, die er in Döberitz getan haben soll. Die betreffende Persönlichkeit erklärte, daß die Worte nicht überschätzt werden dürften. Der Deutsche Kaiser sei ein überzeugter Anhänger des Friedens. G Zur Ansprache des Kaisers erfährt die „Inf." an unterrichteter Stelle noch folgendes: Die Worte des Kaisers sind in der Presse entstellt worden. Wenn der Kaiser in seiner Eigenschaft als oberster Kriegsherr in einem lediglich militä rischen Milieu sich in ähnlicher Weise geäußert hat, so ist vor allem zu bemerken, daß dies vor 14 Tagen geschehen ist, also vor der Begegnung in Reval, und zu einer Zeit, wo ein Teil der auswärtigen Presse eine direkt feindselige Stimmung gegen Deutschland zur Schau trug und dieser in zahlreichen Artikeln Ausdruck gab. Llbgesehen hiervon, ist es selbstverständlich, daß derartige Aeutzerungen jeden Tag fallen können, da sie lediglich dazu dienen sollen, auf die Tätigkeit im Heere anspornend zu wirken. Ausländische Generale usw. scheuen sich bekanntlich keines wegs, bei ihnen paffend erscheinenden Gelegenheiten zu gleichen Zwecken Feuilleton. Oie Freiheit besteht in der Gerechtigkeit, D o l n e y. * Persönliche Erinnerungen an Rudolf Falb. Von Hermann Kienzl, Berlin. Es war im Jahre 1896. Da traf ich einen Bekannten aus der steirischen Heimat. Wie treibt es der und der? Und Falb —? „Ach traurig! Wissen Sie denn nicht? Falb ist gelähmt." Rudolf Falb hatte sich den Keim seines tödlicher. Leidens geholt, als er, Gesundheit und Leben in die Schanze schlagend, drei Jahre außerhalb der letzten Grenze menschlicher Kultur in den Urwäldern von Peru ver brachte. Wie er im Jahre 1880 von jenseits des Meeres heimkam, war der kraftvolle, schöne Mann ergraut, und von Jahr zu Jahr nahmen nun die Freunde mit Besorgnis das Wachstum des Uebels wahr. Es war ein allzu schmerzlicher Gegensatz zwischen dem frischen Willen dieses Mannes, der von jeder Erkenntnis leines körperlichen Zustandes frei war, und seinem Siechtume, wenn er mühsam und gebeugt, schleifenden Schrittes, die Straße entlang tastete! Unbarmherzig übte noch der starke Geist die Herrschaft über den Körper aus: er gönnte dem erschöpf ten Leibe das am wenigsten, was der Kranke brauchte: Ruhe. Gönnte sie ihm nicht bei Tage, nicht in den durchwachten Nachtstunden. Von Stadt zu Stadt reisend, hielt er mitunter bis an die zwölf Vorträge in einer Woche. Hätte er auch nicht für eine zahlreiche Familie sorgen müssen, Rast und Erholung würde es für ihn, den Ruhelosen, doch nie mals gegeben haben. Die Peitsche seiner Energie trieb ihn von Wissens quell zu Wissensquell und immer wieder auf das Forum des öffent lichen Kampfes. Die nächsten freien Stunden nützend, suchte ich Falb in seiner Be hausung in der Goltzstraße zu Schöneberg auf. Ich hatte Falb schon in meinen Bubentagen gekannt, — den jungen Helden, das frohe, taten kühne Äug' im wettergebräunten Antlitz, die heiter strahlende Denker stirn, die schlanke, biegsame Gestalt. Nun saß im breiten Sorgenstuhle, an dem mit Büchern und Schriften bedeckten Tische, ein bleicher Mann. Schneeweiß wellte sich das Haar und der lange, lange Bart. Die Angen halb verdeckt von den müden Lidern. In den schmerzlich bewegten Zügen saß der Gram und flackerte unruhig. Wie ich Falb wicdersah, da sprach der Anblick eindringlich: Siehe Faust im hohen Alter! Falb aber hatte die Sechzig noch nicht erreicht. Schon jener erste Besuch in der Krankenstube hatte ein« unqewöhn- lich lange Dauer. Es schien, als hätte sich in Falb eine übergroße Fülle von Mitteilungsbedürfnis angestaut. Er, der gewohnt war, was er erforscht und errungen batte, unmittelbar, Aug in Aug, der Welt vor- zutragen, dem Mitteilung eine innere Notwendigkeit war. wartete nun lange Wochen der Freunde, die serneblieben. Deshalb ließ er mich, als längst die Nacht dem frühen Nachmittage gefolgt war, nicht eher scheiden, als bis ich ihm versprochen hatte, am nächsten Sonntage wiederzukom men. Und ich kam oft. Ich habe kein unberufenes Urteil abzugeben im Streite der wissen schaftlichen Meinungen. Doch eines sei mir unbenommen, eines ist die Pflicht des Ueberlebenden: zu sagen, daß Falbs außergewöhnliche Per sönlichkeit über alle, die ihn kannten, die Macht der inneren Wahrhaf tigkeit besaß. Er beherrschte fast alle lebenden und toten Sprachen und war des Chinesischen und der Sprache der peruanischen Wilden ebenso mächtig, wie er seine Vorträge französisch, englisch, italienisch und spanisch halten konnte. Ein in den humanistischen und naturwissen schaftlichen Gebieten fast gleichmäßig entwickeltes Wissen vereinigte sich in seinem Haupte mit der starken, glühenden Phantasie des Künstlers, des Dichters. Wenn seine schöpferischen Gedanken, während er eben ihnen Ausdruck gab, aus sich stets wieder neue Ideen gebaren, neue Ketten um die scheinbar weit voneinander getrennten Spitzen der Er kenntnis und Erfahrung schlangen, neue Perspektiven eröffneten, da war es, als ob einer der sagenhaften Seher spräche, deren nach innen gerichteten Blicken sich die Geheimnisse enthüllten. Sein Ausdruck jedoch war klar und schlicht, lebendig zwar und feurig, aber frei von jedem hohlen Pathos, von jeder Phrase. Seine Sprache hatte sich, das letzte Merkmal seiner Schulung als Theologe und Prediger, das allzuhelle Hochdeutsch des steirischen Kaplans, der von bäuerlichen Eltern stammt, bewahrt. sFalb war katholischer Geistlicher und in dieser Eigenschaft an der Grazer Schule der Neligionslehrer des Dichters Rosegger ge wesen; er legte das Priesterkleid ab und trat aus der katholischen Kirche aus.) Von den Jahren übermütigen, frohen Glückes, in denen Falb, dem nichts Menschliches fremd blieb, die Freude am Dasein rückhaltlos bekannte, war ihm ein wehmütiger Nachklang goldenen Humors geblie ¬ ben, der sich freilich, wenn er in Gesprächen gegen manchen kleingeistigen Gegner Fehde führte, in harten Sarkasmus verwandelte. Je länger er, redend, die Gedankensäden spann, desto wuchtiger drang sein fester Glaube, seine inbrünstige Ueberzeugung in seine Worte, und oft sing seine Stimme in Erregung zu beben an. Ohne jemals mit seinem Wissen zu prunken — „er habe ja nichts anderes zu tun gehabt, als zu lernen und zu forschen", pflegte er lächelnd zu sagen —, ereiferte sich der Gelehrte besonders, wenn seine Gegner ihm geringschätzig Vielwisserei zum Vorwürfe mochten. „Sie sollen mir nur ben Mangel an Gründlichkeit beweisen, aber so lanae sie nichts anderes vorzubringen haben, als daß ich nicht Doktor und nicht Univerff- tätsprofessor bin, oder wenn sie gar mir, der ich schon als Theologe das Lateinische wie das Deutsche las, einen lateinischen Druckseycer auss Kerbholz schreiben, so lange bin ich von meiner Dummheit nicht über zeugt." Und dann sprach er über die moderne Krankheit der Wissenschaft, das Spezialistentum, dessen Pfleger nur zu häufig den Blick für das große Ganze, für den Zusammenhang der Dinge, verlören. Gewiß fördere die Teilung der Arbeit vielfach die Forschung, aber das Bewußt- sein, daß der Teil zum Ganzen gehöre, dürfe nicht verloren geben. Sonst höre die Entwickelung auf und trete die Destruktion an ihre Stelle. Er könne nicht „Bauhandwerker" sein, sein Streben sei auf den Grundriß gerichtet. Und er betonte, was wohl keiner, der die Gabe der Divination besitzt, in Abrede stellt: den schöpferischen Einfluß der befruchtenden Phantasie auch auf die exakte Wissenschaft. Dabei wies er barauf hin. wie wunderbar manches dichterische Genie in ahnungsvollem Unbewußt- fein vorausgesagt habe, was es nicht beweisen konnte, was aber später die Wissenschaft aus ihrem Wege ergründete und bestätigte: und er zitierte aus dem Prolog im Himmel s„Faust") die Worte Raphaels: „Die Sonne tönt nach alter Weise in Brudersphären Wettgesang." Die Erdbeben- und Wettertheorie war es übrigens durchaus nicht mehr, die Falb zu jener Zeit in seinen Gesprächen mit Vorliebe er örterte. Die erklärte er in festem Tone für durchaus abgeschlossen und unerschütterlich: es gebe da nichts mehr zu beweisen und nichts Neues mehr zu ergründen. Stehe nun der Zusammenhang zwischen den Stel lungen des Mondes zur Erde (»Flutfaktoren") und den meteorologischen Vorgängen in der Atmosphäre fest, und habe er^ wie Tatsachen beweisen, den richtigen Schlüssel für die Berechnung dieser Wirkungen gefunden, so sei der Rest nichts mehr als ein Rechenexempel von Fall zu Fall; ein zwar mühsames Rechenexempel, das ihn leider fortwährend viel Zeit koste, das aber jeder geübte Schüler, dem er die Behelfe an die Hand geben würde, lösen könnte. Er wies darauf hin, daß auch der Wider spruch so manches theoretischen Gegners verstummt sei und bei anderen eine verschämte Annäherung sich vollzogen habe. Ab und zu sei man, nachdem man ihn so lange als „Wettcrmacher" wissenschaftlich geprügelt habe, auch schon auf den Einfall geraten, ihm das persönliche Eigentum an seinem Systeme streitig zu machen; eine reuevollere Anerkennung, als dieses fruchtlose Bemühen verrate, könne er sich gar nicht wünschen. Uebrigens rühre ihn das Urteil der Menschen nicht, da doch der liebe Herrgott ihm immer wieder sein Plazet spreche, und er sich in seinem Gewissen mit seinem Gotte — er meine die Wahrheit — im schönsten Einvernehmen befinde. Immerhin erzählte mir Falb auch von den großen Augenblicken seines Lebens, in denen nicht nur die Geltung seines Systems, sondern auch sein eigener Glaube auf dem Spiele stand, und deren bedeutungs- voller Inhalt seinen Weltruf begründete und seine Ueberzeugung niet- und nagelfest machte. Diese hochdramarischen Begebenheiten, in denen Wissenschaft und Lebensschicksale in seltsamer Weise miteinander ver knüpft waren, sind übrigens aus Falbs öffentlichen Vorträgen oeinui. Er hat die Bewohner der Stadt Archippa in Peru ftm Jcchre 1868) rechtzeitig vor dem Ausbruche des Vulkans Misti gewarnt, der seit Jahr tausenden erloschen schien und kurz nach Falbs Vorhersage zu toben be gann und die Stadt einäschcrte. Er hat im Juli des Jahres 1874, als der Aetna vollkommen ruhig und kein Wölklein über seinem Gipfel lag, die Eruption dieses Vulkans genau für den 27. August desselben Jahres öffentlich verkündigt, woraus sich in der gelehrten und ungelehrten Welt Hohn und Spott über den Propheten ergoß. Falb reiste nach Sizilien und verlebte dort, als sich bis zum 28. August kein Zeichen der Erfüllung zeigte, Tage der aufregendsten Qual- und Nervenspannung. Man mußte es nun gehört haben, wie er den Zustand der Erschütterung und des höchsten Taumels beschrieb, in den er gestürzt wurde, als in der Nacht zum 28. August jammernde und heulende Menschenmaffen den erschöpft Eingeschlummerten weckten: der Aetna stand in Flammen und 280 Stöße durchbebten in dieser Nacht die Erde! Ganz ähnlich war es in Agram im Jahre 1880. Da hing sein wissenschaftliches Ansehen überdies mit dem Sein oder Nichtsein des damaligen Banus von Kroatien eng zu sammen. Ter Bonus hatte — nach dem Erdbeben vom 9. November — zur Beruhigung der Bevölkerung Falb berufen, um von ihm zu erfahren, ob eine Wiederkehr der Katastrophe zu erwarten sei. Falb kündigte neue Elementarereigniffe für die Zeit zwischen dem 12. und 16. Dezember an. Agram wurde dadurch in fieberhafte Unruhe versetzt und die Opposition im Landtage bemächtigte sich, auf das Gutachten von Falbs wissen'chaft- lichen Gegnern gestützt, der allgemeinen Erbitterung, um unter Be schimpfungen des Gelehrten die Stellung des Banus zu erschüttern. Falb, persönlich in der kroatischen Hauptstadt zu Gast, befand sich in un- behaglichster Lage, die sich aber mit einem Schlage veränderte, als, un mittelbar vor dem Ende der Frist, da? Erdbeben mit furchtbarer Ge- walt hereinbrach. Inmitten großer Angst und Not gab eS einen Triumphator. In Amerika besonders hat Falb eine Reibe von Erdbeben und vul- konischen Ausbrüchen vorausgesagt, und sein Ansehen war dort, als er im Jahre 1877 nach Peru kam, groß. Er erzählte mir von Huldigungen
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