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Beilage zu Nr. 12 des Amts- u. Wochenblattes für Wilsdruff. Freitag, den N. Februar 1883. Vogel Greif. Novelle von Emilie Heinrichs. ^Nachdruck verboten^ (Fortsetzung) Da kam dem Freiersmann ein glücklicher Gedanke. „Sie werden doch jedenfalls die bevorstehende Künstler-Maskerade besuchen, Fräulein Flora?" begann er mit einem zuckersüßen Lächeln, wobei er sehr subtil den gefärbten Schnurrbart strich. „Nein!" versetzte diese kurz. „Ist noch nicht ausgemacht", nahm der Vater ärgerlich das Wort, „so viel ich darüber vernommen, soll es äußerst pompös werden — warum sollen wir uns ein solches Fest, das in jeder Hinsicht distinau- irt zu nennen, entgehen lassen?" „Hm, wer sein Geld bezahlt, erhält Einlaß", bemerkte Flora naserümpfend. „Sicherlich nicht", rief Herr Becker eifrig, „ich versichere Sie, mein Fräulein, daß in dieser Hinsicht haarscharfe Comrole gehalten wird. Es soll in der That ein feltenes Fest werden und ich begreife nicht —" „Daß ich kein Vergnügen daran finde?" fiel Flora ironisch ein; „o, mir sind solche Maskenscherze sogar verhaßt, da ein Jeder im ge wöhnlichen Leben schon Masken genug trägt und selten oder nie sein wahres Gesicht zeigt." „Sie sind sehr witzig; auf Ehre! äußerst geistreich gesagt, Fräu lein Flora!" lächelte Herr Becker; „doch denke ich, man nimmt die Sache wie sie ist, harmlos, amüsant, mehr verlangt man ja im Grunde nicht vom Leben." „Sie sind äußerst genügsam, mein verehrter Herr Becker!" lachte Flora spöttisch; „ich bin in sochen Fällen selbstsüchtiger." „Papperlapapp!" rief der Vater dazwischen, „ich werde morgen Karten besorgen und Du magst an Dein Kostüm denken." „Dann haben Sie wenig Zeit, mein Fräulein!" meinte der Hage stolz; „in drei Tagen ist schon die Maskerade." „Laß also die Karten nur unterwegs, Vater!" — in drei Tagen kann ich mir keinen Anzug auswählen. Apropos, Herr Becker!" setzte sie nach einer Pause gesprächiger hinzu, „waren Sie schon in der Kunstausstellung?" „Nein, mein Fräulein! — sie ist erst seit wenigen Tagen er öffnet." „Ich war auch noch nicht dort, - horibel, bei meiner Vorliebe für Kunst und Künstler," fuhr Flora plaudernd fort. „Eine folche Vorliebe habe ich nie an Dir bemerkt", meinte der Vater erstaunt. „Sie verläumdet sich selber, die böse Flora! — da sie sich stets dem soliden Kausmannsstanbe zuneigte," schaltete die Mutter schüch tern ein. Herr Winkelmann runzelte die Stirn und schwieg, er mochte sich in des Freiers Gegenwart nicht muthwillig selber auf dieses Glatteis begeben. „Alle Kunstkreise sind entzückt von einer schottischen Bergpartie", plauderte Flora unbekümmert weiter, webei sie das Dessin ihrer Stickerei, welche zu einer Brieftasche verwandt werden sollte, mit einer Art Zärtlichkeit betrachtete. „Von wem ist das Bild?" fragte der Vater kurz. „Mir ist der Name des Künstlers entfallen, Papa! Morgen möchte ich die Ausstellung besuchen, Sie begleiten mich wohl dorthin, Herr Becker!" „Mit dem größten Vergnügen", rief dieser entzückt; „wann be fehlen Sie, mein Fräulein?" „Um 11 Uhr." „Ich werde mich pünktlich einstellcn," „Oder hast Du Zeit, Papa?" „Ich bin ja leider ein Geschworener — ein widerwärtiges Amt, dem man sich mit dem besten Willen nicht entziehen kann", versetzte Herr Winkelmann, sich vergnügt die Hände reibend über seine ver nünftige Tochter, während Herr Becker vor Freude strahlte und die Mutter leise den Kopf schüttelte. „Abgemacht also", sprach Flora in ihrer energischen Weise, woran der Vater, wenn es nur nicht seine Pläne kreuzte, mit Stolz sein Ebenbild erkannte. „Ich würde Dich darum bitten, Mama!" fetzte sie hinzu, „wüßte ich nicht, daß Dein böser Kopfschmerz das stunden lange Herumwandern und Beschauen durchaus nicht duldet." „Nein, mein Kind, das wäre mir unmöglich, so gern ich Dir Deinen Wunsch erfüllte," erwiderte die Mutter sauft. Herr Becker fühlte einen gelinden Schauer bei dem Gedanken an ein stundenlanges Herumwandern und Beschauen gemalter Leinwand, was durchaus nicht seine Passion war und sein Podagra unangenehm berührte. Doch mußte er durch die angenehme Perspektive einer solchen Gesellschaft schon einige Stunden Märtyrerthum auf sich nehmen. Als er endlich das Haus des künftigen Schwiegerpapas verließ, klopfte ihm dieser draußen im Vorgemach vergnügt aus die Schulter und flüsterte: „Jetzt nur vorwärts, Freund! sie sitzt an der Leim ruthe." Drinnen aber meinte die Mutter: „Willst Du Dich des Vaters Willen fügen, mein Kind?" Flora packte ihre Stickerei zusammen, ergriff eine brennende Kerze, und erwiederte leise: „Diese alte Vogelscheuche soll mir nur als Mit tel zum Zweck dienen. Gute Nacht, mein gutes Mütterlein!" Sie küßte Sie lächelnd nnd begab sich nach ihrem Zimmer, wo sie noch lange nicht ans Schlafen dachte, sondern sich an den eleganten Schreibtisch setzte, um eilig ein duftiges Billet zu schreiben, einzusie geln und mit der Adresse Ferdinand Römers zu versehen. Geräusch los schlüpfte Sie alsdann in eine winterliche Vermummung, zog einen dichten Schleier vor das Gesicht und verließ durch ein Seitenpförtchen, zu welchem sie einen Schlüssel besaß, das väterliche Haus, um ihr Briefchen einem in unmittelbarer Nähe befindlichen Briefkasten anzu- vertrauen. Unbemerkt gelangte sie in ihr trauliches Nest zurück und lag schon nach einer halben Stunde in süßem Schlummer, Flora war zu klug, um irgend einer Vertrauten sich und ihren Ruf zu überliefern. Sie träumte von ihm, der mit dem Bruder unten auf der Straße stand, unbekümmert um deu Schneesturm, der sein blondes Haar zer zauste, und wohl fünf Minuten lang nach ihrem Fenster hinaufschaute. „Gute Nacht, mein süßes Lieb!" seufzte er, und brummend zog Adalbert ihn mit sich fort. „Hättest weiß Gott Lust, in diesem Wetter eine Serenade zu brin gen," lachte er, „da würde die Melodie in der Kehle festfrieren; komm, holder Minnewart!" Hätte Ferdinand gewußt, was für ihn im Briefkasten ruhte, er wäre vor Freuden ein winterlicher Nachtschwärmer geworden. So aber trieb ihn die Kälte nach Hause ins warme Bett, wo er träumte, doch nicht von der holden Flora, seiner Blumengöttin, sondern boshaft genug, von seinem Nachbar Becker, der ihn zu seinem Commis engagiren wollte und die Auktion seines Waarenlagers anordnete. Vor Schrecken erwachte er und mit dem schadenfrohen Traum zog auch die Sorge wieder ein und die schweren Gedanken an all' die schlimmen Wechsel, die wie Riesen von allen Seiten auf den Armen eindrangen. III. Als Ferdinand Römer am nächsten Morgen in sein Comptoir trat, setzte er sich hin, um die eingelaufenen Briefe, deren Inhalt er schon an der Adresse erkannte, mit einem unterdrückten Seufzer zu lesen. Da fiel sein Blick auf ein zierliches Briefchen, dessen Form und Handschrift so ganz von den Geschäftsbriefen abwich, und mit zitternder Hand und klopfendem Herzen wollte er es öffnen. Doch nein, das war nichts fürs Comptoir, wo ihn in jedem Augenblick ein profaner Ruf aufstören konnte, ihre Zeilen hier zu lesen, dünkte ihm eine Entweihung. So zog er sich rasch in sein Nebenzimmer zurück, drückte erst einige Küsse auf das Kouvert und öffnete es mit lieber Ungeduld. Flora fchrieb: „Mein Trauter! Morgen Mittag um 11 Uhr werde ich die Kunstausstellung besuchen. Daß Dein Nachbar, der ge färbte Perrücken-Affe, meine LauvoZurclo bildet, soll Dich nicht küm mern; er ist ungefährlich, obgleich er sich allen Ernstes einbildet, mich zu heirathen. Natürlich erwartet Dich Deine unverändert Dich liebende Flora. — k. 8. Ich hasse die Postscriptums, da man sie uns stets zuschiebt: dießmal gehts nicht anders, weil ich Deinen Bruder, den berühmten Maler, dessen Bild alle Welt lobt, dort begrüßen möchte. D.O. „Göttliche Flora!" jubelte Ferdinand, „Du liebst mich unverän dert; o! nun fürchte ich alle gefärbten und ungefärbten Perrücken-Affen der ganzen Welt nicht mehr. — Warum sie meinen Bruder sehen will? setzte er nachdenkend hinzu; „natürlich, sie kennt ihn nicht, er ist ja noch nicht lange hier, und die Begleitung eines berühmten Künst lers in der Ausstellung ist doppelt interessant. — Ich muß ihn davon benachrichtigen." Noch einmal küßte er den Brief mit einer Art Schwärmerei, die einem Kaufmann etwas komisch anstand, und verbarg ihn dann in der linken Westentasche, nahe dem liebenden Herzen, worauf er sich mit ernster Geschäfrsmiene, die ihm heute gar nicht gelingen wollte, nach seinem Laden begab. „Meyer", sagte er zu dem jüngsten Lehrling, „Sie können wohl sogleich zu meinem Bruder gehen. Ich ließe ihn bitten, in einer Stunde bei mir vorzusprechen. Halten Sie sich unterwegs nicht auf, die Sache hat Eile." Der Lehrling begab sich sogleich auf den Weg. Es war seltsam, — das duftige Liebesbriefcheu schien Glück ge bracht zu haben, da in diesem Augenblick einige fremde Herren ein traten, um sich neu zn equipireu. Ferdinand machte ein gutes Geschäft, — sie wählten nicht lange und zahlten ohne zu dingen und zu handeln den geforderten Preis. Es war das erste glückliche Ereigniß im Geschäfte nach langer Zeit und sollte an diesem Tage auch nicht das letzte bleiben. Flora hatte Glück gebracht! — Da wars kein Wunder, daß unser junger Anfänger heute das an- haltende Schneegestöber für Hellen Sonnenschein hielt. Als Adalbert kam und verwundert nach dem frühen Begehr fragte, zog ihn der Ueberglückliche in sein Zimmer, um ihn Floras Brief zu zeigen. „Reizend, auf Palette!" sagte der Maler; „zwar liegt's nicht in meinem Plan, heute die Ausstellung zu besuchen, aber wer kann sol cher Bitte widerstehen!" „Was sic nur dabei iw Schilde führt, Deine Anwesenheit zu wünschen?" meinte Ferdinand, ihn fragend anblickend. „Na, meinetwegen gewiß nicht", lachte Adalbert; „die Sache liegt klar, ich soll mich an den Perrücken-Affen hängen, um Euch freie Bahn zu verschaffen." „Wahrhaftig, Du hast Recht, — so viel Schlauheit hätte ich ihr doch nicht zugetraut." „Kindeskopf! einem Weibe ist jede List zuzutrauen; übrigens ist Deine kleine Flora allerliebst — pikant — ich freue mich auf ihre Bekanntschaft." „Verliebe Dich nur nicht in sie, das wäre mir Hagel auf meine Saaten," sprach Ferdinand kleinlaut. „Brr, eifersüchtig — schäme Dich! so klein von mir zu denken. — Apropos, hast Du ein Frühstück für mich? Dein Junge holte mich beinahe aus den Federn, ich bin hungrig wie ein Wolf." „Damit kann ich dienen, doch müssen wir eilen, es geht schon auf elf." „Soeben zehn geschlagen, verliebter Krämer! Kommst früh genug in die heiligen Hallen der Kunst, welche eine listige Weiberseele mit einem Rendezvous profaniren will. Schändlich, muß meine schottische Bergpartie — Alle Wetter!" fuhr er plötzlich auf, „da fällt mir die verrückte Engländerin zur rechten Zeit noch ein. Wann hat sie mich bestellt?" Er riß seine Brieftasche heraus und fand nach langem Suchen die Notiz: Hotel Royal, Abends 5 Uhr — Mrs. Waterford. — „Na, da haben wir Zeit, bis dahin kann Dein Weizen prächtig blühen." Ferdinand ließ ein Frühstück auftragen und spendirte in seiner Herzensfeligkeit eine Flasche Rheinwein und echte Havannazigarren.