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den ihm gebührenden Platz einnehmen, dann werden die Völker auch ihren Kriegsheeren entsagen können; eher aber nicht. Deutschland denkt nicht an Eroberungen; ihm liegt es ferne, ein Weltreich werden zu wollen, es will vielmehr nur neben anderen großen Ländern die Sache der Civilisation und der Wissenschaft fördern. Darum werden wir auch leine Angriffskriege führen, uns aber vertheidigen, wenn man es wagt, unseren Frieden zu stören. Wenn in Frankreich sich der Friede befestigt, dann wird er gesichert sein in ganz Europa. Das ist es, worauf Alles hinausläuft. — Auch der bekannte Ab rüstungsapostel, Herr von Bühler, hielt eine Rede, in der das Verhältniß zwischen Frankreich und Deutschland und speziell die gam- bettistische Partei als ein Hinderniß zur Verwirklichung seiner Ideale hingestellt wurde. Der Gesammtschaden, der durch die Ueberschwemmungen in 14 Bezirken Südtirols an Gemeinde- und Privatgut angerichtet worden ist beträgt 15 593 000 Fl. An Sammelgeldern sind bisher, ausschließ lich der vom Kaiser gespendeten Summe, 250 000 Fl. eingegangen. Klagenfurt, 28. Oktober. Infolge neuerlicher andauernder Regengüsse steigt die Drau rapid. Der Bahnverkehr zwischen Ober drauburg und Lienz ist wieder eingestellt. Die Ueberschwemmung des Möllthales ist größer als im September. Im Gailthale wurde der Postverkehr eingestellt, mehrere Brücken sind weggerissen. Die in Kirchbach weilende Schadenerhebungs-Kommission ist daselbst vom Wasser eingeschlossen. Innsbruck, 28. Oktober. Der Verkehr auf der Bozen-Meraner Bahn ist eingestellt; ebenso ist der Bahnverkehr auf der Strecke Trient- Lavis unmöglich. Beide Geleise zwischen Greis und dem Brenner sind unfahrbar. Auch im Brixeuer Bezirk schwellen die Bäche an. Aus Niederdorf und Toblach wird Wassersnoth gemeldet. Alle Nach richten deuten darauf hin, daß sich die Katastrophe von nenem und vielleicht noch furchtbarer wiederholt, da die provisorischen Schutz bauten kaum Stand halten dürften und das Erdreich allseits gelockert ist. Triest, 29. Oktober. In dieser Nacht sind drei der größten Kauffahrteischiffe total zu Grunde gegangen. Die Mannschaft wurde theilweise gerettet. Marseille, 28. October. In hiesiger Gegend hat eine große Ueberschwemmung stattgefunden, mehrere Flüsse sind ausgetreten, Ortschaften unter Wasfer, das Eisenbahngeleise bei Cannes weggeriffen. Vor St. Raphael sind 10 Schiffe gescheitert. Der Schaden ist ein sehr bedeutender. Die französische Regierung hat Beweise, daß in Frankreich eine Organisation bestand, zu einer bestimmten Zeit in ganz Frankreich eine revolutionäre Bewegung ausbrechen zu lassen. Diese Bewegung wird nun als gescheitert erachtet. In allen Städten und Jndustrie- orten bestanden kleine Gruppen anarchischer Afiliirter, meist junge Leute von 18 bis 25 Jahren. Ihre Parole, Schriften und Mittheil- ungen empfingen sie von reisenden Agenten, wichtige Befehle werden ihnen mündlich mitgetheilt, revolutionäre Blätter erhalten sie meistens gratis. Einige dieser Gruppen maskirten ihre Organisation mit dem Namen „Syndikatskammer". Einzelne Gruppen einer bestimmten Region sind zu einem Departement vereinigt. Jede Konföderation hat bestimmte Zeichen und einen besonderen Namen. Die Exekutions gruppen sind im Lande zerstreut, das leitende Komitee har seinen Sitz in Genf. Jede französische Föderation entsendet einen Delegirten in das Genfer Komitee, welchem auch der bekannte Fürst Krapotkin zugezogen wurde. Dem Komitee gehörte auch ein amnestirter Kom munist an, welcher sagte, Rußland sogar werde in Erstaunen versetzt werden durch den Ausbruch in Frankreich. Im August hielt das Comitee eine Sitzung. Die Unruhen in Montceau-les-Mines wurden aber nicht von diesem Komitee geleitet, sondern waren hauptsächlich eine Folge der klerikalen Chikanen, womit die Minendirektion die Ar beiter behelligte, welche darob empört waren. Namentlich werden die Frau des Minendirektors und ein Geistlicher von Bois-Duverne be schuldigt, die Gemüther besonders erregt zu haben. Alle Korrespon denzen mit dem revolutionären Komitee' und die Aufrufe fielen in die Hände der Polizei. Die Dynamitpatronen zeigten eine Schweizer Fabriksmarke. Die Regierung beschäftigt sich sehr mit dieser Ange legenheit, sie wird in der Kammer ein Vertrauensvotum für ihre Maß regeln verlangen und wahrscheinlich erhalten. So telegraphirt man wenigstens der „N. Fr. P." aus Paris. London, 28. Oktober. In ganz England herrscht fortdauernd strömender Regen. Mehrere Ortschaften Themsethals stehen unter Wasser. In Odessa sind neuerdings wieder zahlreiche Verhaftungen, man schreibt von 90, vorgekommen. Die Verhafteten sind beschuldigt, po litische Propaganda für die Partei der Terroristen gemacht zu haben. Die Polizei hatte infolge der Entdeckung einer geheimen Druckerei in der Wohnung des Studenten Malachow die Mitgliederliste in die Hände bekommen. Die Nihilisten verbreiten, die Prokureure hätten die Verhafteten zur Ablegung eines offenen Geständnisses mit Hinweis auf den sicher nach der Krönung des Czaren in Aussicht stehenden Straferlaß aufgefordert. Vaterländisches. Wilsdruff. Das herrliche Herbstwetter des gestrigen und heu tigen Tages nicht allein, sondern auch zwei muntre Maikäfer, die uns heute der Wirthschaftsbesitzer Herr Lange von hier in unsere Expedition brachte, erinnern uns an den schönen Monat Mai; aber auch eine Seltenheit dürfte es sein, jetzt lebende Maikäfer zu finden. — Dresden. In der dieser Tage beendigten vierten diesjäh rigen Schwurgerichtsperiode fanden an 10 Sitzungstagen 29 Haupt verhandlungen gegen 32 (29 männliche nnd 3 weibliche) Angeklagte statt und hatten die Geschworenen insgesammt 247 Fragen zu beanl- worten. Von den Anklagen lauten 6 auf Verbrechen gegen die Sitt lichkeit, 4 auf Brandstiftung, 7 auf betrüglichen Bankerott und Meineid, je 1 auf Raub, versuchten Todschlag, Münzverbrechen und Körper verletzung mit nachfolgendem Tode, sowie 11 auf Urkundenfälschung, Diebstahl und Betrug. 15 der Beschuldigten wurden zusammen zu 78 Jahren 11 Monaten Zuchthaus, 15 derselben zusammen zu 19 Jahren 3 Monaten Gefängniß und zu Haftstrafe in der Dauer von 6 Monaten 15 Wochen 2 Tagen verurtheilt, sowie eine der Ange klagten dauernd für unfähig erklärt, wieder als Zeuge eidlich vernom men zu werden. — Freiberg, 28. Oktober. Heute Vormittag 8 Uhr fand die Hinrichtung des am 15. Febr. 1862 zu Cleuden geborenen und vom Schwurgericht Freiberg wegen Mordes zum Tode verurtheilten Tisch lergesellen Felix Oskar Apitzsch im Hofe der hiesigen königl. Gefange nenanstalt mittelst der Guillotine durch den sächsischen Landesscharf richter Brand aus Pfaffroda in Gegenwart der Spitzen der Behörden, der 12 gesetzlich vorzuladenden Zeugen, einer Abtheilung Gendarmerie, einer Anzahl Offiziere der Freiberger Garnison und etwa 150 mit Zutrittskarten versehenen Einwohnern statt. Dem Delinquenten war vorgestern eröffnet worden, daß Se. Maj. der König von dem ihm zustehenden Begnadigungsrechte keinen Gebrauch gemacht habe und da her das Urtheil vollstreckt werden würde und nahm Apitzsch diese Mil theilung mit ziemlicher Fassung entgegen. Im Laufe des gestrigen Tages nahmen der bedanernswerthe Vater des Verbrechers sowie die Stiefmutter A.'s von dem ungerathenen Sohne weinend Abschied, und auf wiederholten Wunsch erschien auch der Vater des von Apitzsch er mordeten Mädchens, Strafanstaltsinspector Päßler aus Nossen, in der Zelle des Delinquenten. Letzterer bat wehmüthig um Verzeihung, und äußerte der bejammernswerthe Vater zu dem Mörder seines Kindes: „Ich verzeihe Dir, aber die Mutter des von Dir ermordeten Kindes verzeiht Dir nicht; grüße mein Kind von Vater und Mutter, wenn Du vor Gottes Richterstuhl erscheinst!" Bis Morgens nach 3 Uhr schlief der Verbrecher, dem bereits gestern Nachmittags das Abendmahl verabreicht war und heute früh 7 Uhr fand sich der Anstaltsgeistliche in der Zelle ein und verblieb bis zur Vollstreckung der Execution an der Seite des Mörders. Punkt 8 Uhr öffnete sich die Gefängnißpforte und geführt, bez. getragen, schwankte der Delinquent lautlos dem Schaffst zu. Herr Staatsanwalt Bernhard eröffnete hierauf dem Ver brecher mit lauter Stimme, daß sein Leben verwirkt und nunmehr das Todesurtheil vollstreckt würde, übergab ihm den Meister Brand und wenige Secunden später war Apitzsch von den Gehilfen aufs Brett geschnallt, unter das Fallbeil geschoben und mit einem dnmpfen Schlage der Mord gesühnt. Nachdem der Scharfrichter das Haupt des Mör ders emporgehoben, erklärte der Staatsanwalt die Execution für be endet und es wurde sodann die von den Angehörigen nicht reclamirte Leiche an die Anatomie der Universität Leipzig abgesandt. — Es dürfte nicht allseits bekannt sein, daß in dem sächsischen Städtchen Johanngeorgenstadt eine der größten und leistungs fähigsten Glacühandschuhfabriken besteht. In derselben sind 100 Hand schuhmacher, fast ebensoviel Weißgerber, Dresseure u. s. w. und ca. 300 bis 400 Arbester und Arbeiterinnen beschäftigt. Fast ganz Jo hanngeorgenstadt nährt sich von diesem Geschäft, da außer der Fabrik gegen 500 Mädchen beschäftigt werden. Der Export beziffert sich auf ca. 1000 Dutzend per Woche nach Amerika. — Ein von Georg Richter in der Oekonomischen Gesellschaft im Königreich Sachsen gehaltener Vortrag. „Die Landwirthschaft Australiens und der Vereinigten Staaten Nordamerikas," findet soeben durch diese, wie durch G. Schönfeld's Verlag in Dresden (40 Pf.) Verbreitung und wird dazu beitragen, die Befürchtungen zu mindern, welche die Konkurrenz jener Länder auch für unsere heimische Land wirthschaft bezüglich des Getreidebaues erregt hat. Das schon mehr fach besprochene Thama wird hier nach den Ergebnissen erörtert, welche die physische Erdkunde darbietet. Lage, Klima, besonders die Regen verhältnisse der genannten Länder stellen sich hiernach wenig günstig dar. Auf dem größtentheils unfruchtbaren Boden Australiens bieten nur einige östliche Gebiete Bürgschaft für reichliche Ernten; hauptsäch lich ist daher die Ausfuhr von Thierprodukten von internationaler Bedeutung. In Nordamerika, wo es unter gleichen Polarkreisen käl ter ist, als bei uns, wird nur das große Tiefland vom Golfe von Mexiko bis nach Canada zum sicheren Gebiete für landwirthschaftlichen Betrieb; die Fruchtbarkeit des Urbodens ist immer mehr »ach Westen gedrängt worden und zur bisher vernachlässigten Düngung ausgesog ener Landstriche ist bereits der Bedarf an Guano aus Europa ein steigender geworden. Die Umkehr zu intensiver Landwirthschaft aber wird die Ärbeit mehrerer Jahrzehnte, enorme Gelder und schwere Krisen beanspruchen, trotz der Bemühungen des Kongresses, fördernd einzuwirkeu. Alle diese Verhältnisse hat der Vortragende, obgleich kein Landwirth, geographisch und volkswirthschaftlich in so belehrender Aus führung dargelegt, daß sich das angekündigte Schriftchen allgemeiner Aufmerksamkeit empfiehlt. Ein Scherz. Erzählung von Ludwig Habicht. Lieber Leser, hast Du schon einmal ein Irrenhaus besucht? Dann wirst Du wissen, daß die dort empfangenen Eindrücke unauslöschlich sind. Wir stehen vor den tiefsten Abgründen des Lebens und erkennen schaudernd, wie dünn oft die Wände sind, die uns von der Welt des Wahnsinns trennen. Eine fixe Idee und das Seelenleben ist verrückt, — ein einziger, furchtbarer Schicksalschlag nnd die Nacht des Wahn sinns breitet sich über den klarsten Geist. — Ich habe deshalb vor dem Besuch eines Irrenhauses stets eine Scheu gehabt, aber ich wollte einen Roman schreiben, in dem einer meiner Helden wahnsinnig wurde und um in der Wirklichkeit meine Studien zu machen, überwand ich mein lange gehegtes Vorurtheil und entschloß mich, eine Privatirrenanstalt zu besuchen. Die Erlaubniß dazu wurde mir bereitwilligst ertheilt und mit Gefühlen, für die ich keine Worte habe, wanderte ich an der Seite des mich begleitenden Arztes durch diese zum Theil freundlichen, von Unglücklich-Glücklichen bewohnten Räume. Ja, sie sindtheilweise glücklich, diese Irrsinnigen; sie leben in einer Welt, die sie sich selbst geschaffen haben und die sie so düster oder so freundlich ausmalen, wie es ihnen nur immer gefällt; eine Fluth wunder barer, seltsamer Träume umspielt beständig ihre Seelen und nur das Erwachen — die lichten Augenblicke — müssen schrecklich sein. In dem großen Saale, der die weiblichen Irrsinnigen barg, er regten zwei Frauen mein besonderes Interesse. Die Eine saß mit niedergeschlagenem Haupte in ihrem Lehnstuhle und starrte mit einem Ausdruck der Schwermut!) und des Schmerzes vor sich hin, der etwas unendlich Rührendes und Erschütterndes hatte; die Andere wanderte mit quecksilberner Beweglichkeit durch den Saal, stieß von Zeit zu Zeit ein übermüthiges Lachen aus, das aber plötzlich abbrach. Dann rang sie die Hände und murmelte vor sich hin: „Es war ja nur ein Scherz!" Der Doktor wandte sich zuerst an die Schwermüthige und fragte nach ihrem Befinden. Sie blickte nicht auf, sondern sagte nur leise: „O, Doktor, ich bin zu schlecht!" und heiße Thränen entstürzten ihren Augen. „Was quält Sie schon wieder?" fragte der Doktor. „Ich habe ja so viel auf meinem Gewissen," schluchzte sie und über das blasse abgehärmte Gesicht rollte Thräne an Thräne. „Sie haben ja nichts Schlimmes gethan!" „Doch, Doktor! Sie wissen es ja. Ich habe meine Schwester vergiftet, meinen Schwager, Alle, Alle! O, ich bin zu schlecht! — Und die tiefste Reue, die furchtbarste Zerknirschung prägte sich in ihrem Antlitz aus. Sie weinte dann noch leise vor sich hin. „Ist es wirklich eine Giftmischerin?" fragte ich. „O behüte," entgegnete der Doktor. „Sie ist so unschuldig wie ein Kind und bildet sich das Alles ein. Da sehen Sie, welch' seltsame