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dorthin, wo die Fürsorge für das materielle Wohl sich mit der Pflege idealer Güter verbindet und vor Allem mit der ernsten Obhut für die sittlichen Grundlagen eines christlichen Gemeinwesens. Selbstverständ lich wird sich die Landesvertretung nicht von der Stimmung des Landes trennen, sondern der Richtung folgen, welche ihr durch dieselbe gezeichnet wird. Sie wird mit patriotischer Pflichttreue die ihr unter« breiteten Vorlagen der Regierung prüfen und die Verständigung suchen, welche zu positiven Resultaten einer voraussichtlich mühevolle», aber lohnenswerthen Arbeit führt, wenn sie nach der Absicht des Kaisers da hilft, wo sofort geholfen werden muß. In der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses am 16. d. wurde von Kveller von 397 Stimmen mit 390 zum Präsidenten, v. Heeremann von 386 Stimmen mit 316 Stimmen zum ersten und v. Benda mit 256 von 347 Stimmen zum zweiten Vizepräsidenten erwählt. Der Gegenkandidat Stengel erhielt 83 Stimmen. Die liberale „Börsenzeitung" sagt über die Präsidentenwahl: „Es ist ein Symptom von nicht geringer Bedeutung, daß die national liberale Fraktion die ihr von den Konservativen und Freikonservativen angebotene Stelle eines zweiten Vizepräsidenten des Abgeordneten hauses angenommen hat. Bisher vertrat die nationalliberale Fraktion bekanntlich die Ansicht, daß ihr, als Repräsentantin der Gesammt- liberalen, die Stelle des ersten Vizepräsidenten gebühre. Indem sie jetzt diesen Standpunkt aufgegeben hat, zog sie einerseits eine deutliche Scheidelinie zwischen sich und den beiden weiter nach links stehenden liberalen Fraktionen und bekundete andererseits ihre Bereitwilligkeit, im neuen Abgeordnetenhause nach Möglichkeit mit den Konservativen zusammen zu arbeiten. Schon bei diesem ersten Fraktionsbeschluß zeigt es sich, das der numerische Verlust, den die Nationalliberalen bei den Wahlen erlitten haben, durch die gleichzeitig erlangte größere Einheitlichkeit der Fraktion ausgeglichen ist. Einzelne ihrer Mitglieder, wie z. B. der Abg. Weber (Erfurt), die ganz besonders eifrig für ein grundsätzliches Zusammengehen mit den anderen Liberalen wirkten, sind nicht wieder in das Abgeordnetenhaus zurückgekehrt. Ihre Ab wesenheit kommt natürlich den Bemühungen derjenigen zu statten, die eine Verständigung mit der Regierung und den Konservativen nicht von der Hand weisen wollen. Daß die sezessionistische und fortschritt liche Presse mit dieser Wendung höchst unzufrieden ist, kann nicht Wunder nehmen; sie ist es um so mehr, als eine eventuelle dauernde Verständigung zwischen den Nationalliberalen und den Konservativen im preußischen Abgeordnetenhause naturgemäß und nothwendig auch auf die Parteibeziehungen im deutfchen Reichstage bestimmend ein wirken wird." Berlin, 18. November. Die Stimmung bei allen Parteien des Abgeordnetenhauses ist gerade keine so rosige, da von Steuer erlaß ohne Einführung neuer Steuern nicht die Rede sein kann, aber, abgesehen davon, auf alle Fälle ein Defizit von 31 Millionen getilgt werden muß. Die Etatsstärke des deutschen Heeres, mit Einschluß Bayerns, wird sich im nächsten Jahre belaufen auf 18,117 Offiziere, 51,587 Unteroffiziere, 788 Zahlmeisteraspiranten, 5325 Spielleute (Unteroffi ziere), 8102 Spielleute (Gemeine), 347,849 Gefreite und Gemeine, 3532 Lazarethgehilfen, 10,091 Oekonomiehandwerker, 1698 Militärärzte, 782 Zahlmeister, 618 Roßärzte, 656 Büchsenmacher, 93 Sattler und 81,598 Dienstpferde. Auf die Infanterie kommen davon 9529 Offi ziere, 28,491 Unteroffiziere und 231,687 Gefreite und Gemeine, auf die Jäger 424 Offiziere, 1144 Unteroffiziere und 9376 Gefreite und Gemeine, aus die Landwehrbezirkskommandos 326 Offiziere, 2507 Unteroffiziere und 243,316 Gefreite und Gemeine, auf die Cavallerie 2358 Offiziere, 7247 Unteroffiziere und 53,518 Gefreite und Gemeine, auf die Artillerie 2530 Offiziere, 8896 Unteroffiziere und 39,049 Ge freite und Gemeine, auf Pionniere u. s. w. 406 Offiziere, 1479 Unter offiziere und 3708 Gefreite und Gemeine, auf den Train 200 Offiziere, 992 Unteroffiziere und 90 Gefreite und Gemeine. Außerdem fallen noch 313 Offiziere, 831 Unteroffiziere und 90 Gefreite und Gemeine auf besondere Formationen lSchloßgardekompagnie u. s. w.) und 2031 Offiziere auf nicht regimentirte Offiziere u. s. w. (Kriegsministerium, höhere Truppenbefehlshaber, Gouverneure u. s. w.) Auf den Macho der italienischen Botschaft, Henry Ferrara ist in Berlin ist am 15. d. I. ein Raubanfall gemacht worden. Der Attache, welcher gewohnheitsmäßig seinen Heimweg allabendlich vom Offizierskasino am Pariser Platz durch die Königgrätzerstraße nach seiner in der Hedemannstraße gelegenen Wohnung nahm, wurde in der Nacht zum Mittwoch in der Nähe der Lennestraße von 2 Strol chen überfallen und trotz heftiger Gegenwehr mit seinem Todschläger von einem der Räuber durch einen Messerstich verwundet, während der andere ihm eine lederne Geldtasche mit 150 M. Papiergeld aus dem Ueberzieher riß. Auf Hülferufesdes Angegriffenen nahmen die Ban diten Reißaus, wodurch Signor Ferrara das noch bei sich führende, mit Goldstücken gefüllte Portemonaie und feine goldene Uhr rettete, trotzdem er mit aufgeknöpften Röcken ging. Die Verwundung des Attachs» ist erfreulicherweise eine nur leichte. Die Kriminalpolizei ist in energischter Weise mit der Ermittelung der Thäter beschäftigt. Einer preußischen Ministerialverfügung zufolge soll gegen alle diejenigen, welche — namentlich an Arbeiter — Branntwein nicht gegen baar verkaufen, sondern solchen borgen, unnachsichtlich das Ver fahren auf Konzessiousentziehung eingeleitet werden. Diese Maßregel darf um so mehr allgemein freudig begrüßt werden, als sie geeignet erscheint, der Unmäßigkeit im Branntweingenusse, die auf Grund des vielfach eingerissenen Borgsystem einen höchst schädlichen Umfang an genommen hat, erheblichen Eintrag zu thun. Zu einer schrecklichen Katastrophe kam es vergangene Woche auf dem Gute Allik an der russischen Grenze, wo der Besitzer, Graf Ban- towski, den mit 80 Menschen gefüllten Flachsbrechraum mittags ge schlossen hatte, damit die Leute nicht hinausgehen und etwa Flachs entwenden konnten. Durch einen unglücklichen Zufall entzündete sich der Flachs am Ofen und erfüllte bald den ganzen Raum mit ersticken dem Qualm. In der Panik retteten sich nur etwa 40 Menschen durch das einzige vorhandene Fenster, 16 wurden später mit der größten Anstrengung gerettet und 14 kamen in den Flammen um. Zum Prozeß Arabi wird den Londoner „Daily News" aus Kairo geschrieben: „Es giebt viele wohlunterrichtete Leute in Kairo, welche starke Zweifel darüber hegen, ob die politischen Prozesse über haupt weitergesührt werden. Gewiß ist, daß die Entdeckung wichtiger Dokumente, welche durch Arabis geschickten und unermüdlichen Anwalt gemacht worden ist, nur zu viele hohe Personen in Egypten, der Türkei und anderen Ländern kompromitiren, welche das lebhafteste Interesse das ganze Verfahren eingestellt zu fehen, woraus geschloffen wird, daß gegen Arabi möglicherweise nicht weniger gesündigt worden ist, als von ihm gegen Andere gefehlt worden ist." Vaterländisches. — Meißen, 17. November. Seiten des hiesigen Raths ist ans Grund der k. sächs. Armeuordnung vom 22. Oktober 1840 den hie sigen Gast- und Schankwirthen ein Vcrzeichniß von 39 Personen hie siger Stadt, die mit Steuer» und öffentliche» Abgaben ans das Jahr 1880 in Rest geblieben, zum Aushängen in ihren Lokalen zngestellt worden, welchen das Aufliegen, Zechen und Spiele» bei bis zu 60 M. ansteigender Geld- oder Haftstrafe nicht zu gestatten ist. Kontra ventionen werden im Wiederholungsfälle mit Schließung der Schank stätte bestraft. Das künftig auszuhängende Vcrzeichniß der Restanten vom Jahre 1881 dürfte dem Vernehmen nach noch reichhaltiger werden. — Ein auf der Reise sich befindliches 28jähriges Fräulein, Tochter eines Getreidehändlers in Riesa, hat sich am Mittwoch Nachmittag in der 5. Stunde in Tharandt durch 6 Revolvcrschüffe getödtet. Am Abend vorher hatte die Bedauerswerthe ihrer in Dresden wohn haften Schwester ihr grausiges Vorhaben mitgetheilt, worauf Letztere in Begleitung eines Beamten in Tharandt erschien, um die Lebens müde von ihrem Entschluß abzubringen, kam aber leider einige Augen- blicke zu spät, denn der Tod hatte bereits sein Opfer gefordert. Un glückliche Liebe soll das Motiv zum Selbstmord gewesen sein. — Chemnitz, den 16. November. Diesen Nachmittag 3 Uhr verunglückte auf hiesigem Bahnhof der hier stationirte, in Hilbersdorf wohnhafte Oberschaffner Weck. Derselbe wurde von einer Lokomotive erfaßt, welche ihm beide Beine zermalmte und einen Arm, sowie die rechte Kopfseite schwer verletzte. Der Verunglückte, Vater von nenn Kindern wurde zwar noch lebend mittelst Siechkorbs in das Stadt krankenhaus gebracht, verschied aber nach ganz kurzer Zeit bei vollem Bewußtsein. — Abends 6 Uhr 15 Min. gerieth der Weichenwärter Lindner, ebenfalls von hier, aus noch unermittelte Weise unter den um diese Zeit nach Hainichen abgehenden Personenzug. Die hierbei erlittenen Verletzungen führten den sofortigen Tod Lindner's herbei, welcher ebenfalls eine zahlreiche Familie hinterläßt. In beiden Fällen ist Niemand ein Verschulden beizumessen. — Eine von den Bürgern willkommen geheißene, de» Bieraus schank betreffende Bekanntmachung hat der Stadtrath zu Oschatz er lassen. Danach hat jeder Inhaber einer Schankstätte vom 15. d. M. ab in seinen Schanklokalen an einer leicht bemerkbaren Stelle ein mit lesbarer Schrift herzustellendes Vcrzeichniß aller in seiner Schankwirth- schaft nebst Zubehörungen (z. B. in Kellern, Niederlagen rc.) lagern den Biersortcn mit genauer Angabe der Brauereien, aus denen die selben stammen, auszuhängen, auf Verlangen auch dieses Vcrzeichniß jedem Gaste vorzulegen. Dieses Vcrzeichniß muß gleichzeitig die An gabe enthalten, ob das Bier in Fässern oder Flaschen aufbcwahrt wird und ob es mittels Bierdruckapparates oder vom Faß oder von Flaschen zum Ausschank gelangt. Die Prüfung dieses Verzeichnisses in der Zeit, solange der Ausschank erfolgt, ist den Polizeiorganen, sowie dem städtischen Eichmeister übertragen worden. — Bautzen, 18. November. In dem heute vor hiesigem Schwur gericht verhandelten Prozeß gegen den Gärtner Bock sprachen die Ge schworenen das Schuldig aus, und wurde Bock in drei Fällen wegen Mordes, weiter wegen versuchten Mordes und Rückfallsdiebstahls zum Tode, zum Verluste der bürgerlichen Ehrenrechte und zu 15 Jahren Zuchthaus verurtheilt. Die Anklage mar von Herrn Oberstaatsanwalt Petri, die Vertheidigung von Herrn Rechtsanwalt Sachße aus Bautzen vertreten. Im gefesselten Zustande, von zwei Gendarmen begleitet, wurde der Mörder, eine ziemlich gedrungene Gestalt mit bartlosem Gesicht, in den Verhandlungssaal eingcführt. Geboren am 9. Oktbr. 1855, als Sohn eines Ziegelarbeiters, erlernte der Angeklagte die Gärtnerei, diente in den Jahren 1875 bis 1878 als Soldat bei dem 12. Jägerbataillou in Freiberg und war zuletzt, nachdem er am 2. Weihnachtsfeiertage 1880 geheirathet hatte, im Dorfe Nebelschütz auf hältlich. Die Verbrecherlaufbahn Bocks, der im vollen Umfange ein Geständniß ablegt, beginnt am 8. Juli 1873 mit dem Niederbrenne» einer Scheune in Leisnig, der am 20. Juli eine zweite folgte, wobei noch mehrere Scheunen von den Flammen verzehrt wurden, und am 26. August 1873 brannte der rachsüchtige Bursche, meist aus nichtigen Gründen eine dritte Scheune nieder. Nachdem Bock seine Militärzeit beendet, trat er bei Herrn von Uckermann in Luttowitz in Stellung, verlor aber seinen Posten ini Juni 1879 und nachdem er mehrfachen Baumfrevel verübt, dafür schließlich nach erfolgreichen Recherchen des Gendarm Mittasch, dem er von diesem Zeitpunkte ab den Tod schwor, eine Strafe von 7 Monaten 2 Wochen Gefängniß verbüßt hatte, bez. schon vorher brannte er hintereinander und zwar am 1. September 1880 ein Gutsgebäude und am 19. Dezember 1880 ein Wohnhaus, am 5. Mai 1881 ein Wohnhaus, am 6. Mai eine Scheune und am 27. November 1881 abermals ein Wohnhaus und eine Scheune nieder. In der bestimmt ausgesprochenen Absicht, den Gendarm Mittasch zu erschießen, stahl der Verbrecher am 20. August in Nebelschütz bei Ka menz bei Gelegenheit des dort einquartirten, auf dem Durchmärsche befindlichen 2. sächs. Jägerbataillons ein Gewehr und vergrub dasselbe vorläufig, worauf er am 16. September d. I. einem Arbeiter 16 M. stahl, nach Freiberg reiste und dort in der darauffolgenden Nacht von dem Schießstande der 4. Kompagnie mittelst Einbruchs 192 Patronen stahl. Einen Theil derselben vergrub er in der Nähe, mit den übri gen reiste er nach Kamenz zurück und schoß hierauf zunächst in der Nacht zum 3. September unweit Kamenz, um sein Gewehr zu Proben, den Gutsbesitzer Gottlob Münnich aus dem Hinterhalte nieder. I» der Nacht zum 12. Oktober ereignete sich dann die schauerliche Szene, welche dem Fuhrmann Georg Jäschke und dem Gendarm Weidlich das Leben kostete. — Postalisches. Im Interesse der Bewohner von Ortschaften, welche keine eigene Postanstalt besitzen, ist schon seit längerer Zeit die Einrichtung getroffen worden, daß den Landbriefträgern sowohl ge wöhnliche Briefe, wie auch eingeschriebene Briefe, leichtere Packete, Werthsendungen im Betrage bis zu 150 M. — und Abonnements beträge für Zeitungen nebst dem etwaigen Bestellgelde mitgegeben werden dürfen. Zu diesem Zwecke führt jeder Landbriefträger ein Annahmebuch mit sich, in welches er die ihm übergebenen Sendungen, mit Ausnahme der gewöhnlichen Briefe, einzutragen hat. Wer die Aufgabe bewirkt hat, ist berechtigt, sich dieses Annahmebuch vorzeigen zu lassen, damit er sich von der Eintragung seiner Sendung überzeugen kann; auch darf er, wenn er will, die Eintragung im Annahmebuch selbst bewirken. Die Einlieferungsscheine, welche von der Postanstalt ertheilt wer den, hat der Landbriefträger bei dem nächsten Bestellgauge, bei wel chem dies möglich ist, an denjenigen auszuhändigen, der die Aufgabe bewirkt hat. Diese Einrichtung schafft für diejenigen, welche einen weiteren Weg bis zur nächsten Postanstalt haben, eine ungemeine Erleichterung.