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«rcht das Höchste, obwohl sie Alle wie rasend klatschen, wenn er aus der Kanone fährt. Ja, hinter dem Berge haben auch Leute gewohnt," „nd der stark gebaute Mann warf sich ein wenig in die Brust. Der alte Herr mochte aus meiner Miene gelesen haben, daß ich das kühne Wagniß des Franzosen nicht mit derselben fieberhaften Auf merksamkeit verfolgte, wie die übrige Versammlung, nnd dadurch schien ich seine Freundschaft rasch gewonnen zu haben, denn ohne meine Ant wort abzuwarten, fuhr der Fremde mittheilsam fort: „Wir haben auch etwas in dem Genre geleistet und ich kann selber sagen, es wirds uns sobald Niemand nachmachen." Nun war mein Interesse geweckt. Da hatte ich wieder einmal einen jener „arbeitenden Künstler" vor mir, die mein Landsmann Holtet in seinen „Vagabunden" so köstlich geschildert hat. Erst jetzt sah ich mir den alten Herrn genauer an; er hatte gar nichts Absonderliches, sondern ganz das Aussehen eines ehrlichen biedern Philisters, aber ich war daran gewöhnt. Alte Seiltänzer streifen rasch den letzten ro mantischen Flitter von sich ab, sobald sie ihrer Kunst Lebewohl ge sagt haben. Nur auf dem Seile kommt Alles, was sie sind und ge ben können, zu angenehmer Erscheinung. Der alte Mann erinnerte mich in seiner Behaglichkeit an den alten Kolter, mit dem ich in meiner Jugend zusammengetrofsen war, und ich sagte es ihm auch. Er zuckte etwas mitleidig die Achseln. „Wir waren ihm über," bemerkte er mit selbstbewußtem Lächeln. „Stolz will ich den Spanier sehen," mußte ich unwillkürlich denken, der alte Seiltänzer wandte so kühn und sicher den Pluralis majestatis an, wie ein Theater- und Bücher-Rezensent. „Wir haben in Deutschland nur in unserer Jugend gespielt," fuhr der emeritirte Luftspringer mit stolz erhobenem Haupte fort. „Dann sind wir nach England und Frankreich gegangen, und dort wird man noch heut von den verwegenen Schweizern erzählen, denn wir haben sie Alle verdunkelt." „Sie sind ein Westfale, nicht wahr?" fragte ich lächelnd, denn ich hatte an seiner Aussage sogleich den Sohn der rothen Erde erkannt. Er nickte zustimmend mit dem Kopfe. „Damals galt im Auslande der Deutsche noch Nichts," sagte er, als wolle er sich darüber entschul digen, daß er sein Vaterland verleugnet. „Wir mußten uns als Schwei zer ausgeben, sonst wär es nicht gegangen. Aber wir haben auch Alle verdunkelt, damals gab es in ganz Frankreich und England Niemand, der es mit uns aufnehmen konnte." Die grauen Augen des alten Mannes begannen zu leuchten; er nahm hastig einen Schluck Bier und starrte dann, wie in seliger Er innerung verloren, vor sich hin. „Wenn sind Sie auf die Idee ge kommen, sich gerade dieser Kunst zu widmen?" fragte ich nach einer Pause, denn für mich liegt darin das Hauptinteresse an einem Men schenschicksale, zu erfahren, wie und wodurch Jemand den entscheidenden Lebensweg einschlägt, das läßt uns stets die tiefsten Blicke in das so verworren scheinende und sich so oft in Harmonie auflösende Dasein werfen. Er sah mich verwundert an, dann sagte er wieder in seiner etwas breitspurigen Weise: „Der Künstler muß geboren werden. Mir so wenig wie meinem Bruder ward es an unserer Wiege vorgesungen, daß wir uns einmal auf dem Seile unser Brot verdienen würden." Ah, jetzt begriff ich erst, warum der Mann beständig das stolze „wir" gebraucht hatte. Sein Bruder war also auch Seiltänzer geweten. „Ja sehen Sie mich immer an, es ist so," fuhr der alte Herr in guter Laune fort: „Aber kommen Sie in den Nebensaal, hier unter dem Lärm läßt sich doch nicht ruhig plaudern, dann will ich Ihnen meine Lebensschicksale erzählen." Ich folgte ihm bereitwilligst, denn ich war doch neugierig geworden, und nachdem wir ein stilles Plätzchen gefunden hatten, begann er sogleich: „Unser Vater war ein höherer Gerichtsbeamter und aus uns Jungen ganz was Besonderes — vielleicht ein Minister — werden, das war unseres seligen Vaters einziger Wunsch. Und es ist auch wirklich ganz was Besonderes aus uns geworden," setzte er lächelnd und nicht ohne Selbstironie hinzu. „Nur gut, daß es der Alte nicht mehr erlebt hat. Wenn wir auf dem Seile schwebten, dann sagte mein Bruder oft, „Fritz, wenn uns jetzt der Vater sähe!" Der nichtswürdige Bengel wußte nur zu gut, daß ich schon bei dem Gedanken daran die Balance beinahe verlor. Sie müssen nicht glauben, daß dies Karl aus Bosheit that; wir spielten uns oft solche Streiche und doch hingen wir wie die Kletten aneinander. O, mein armer Bruder!" und seufzend, mit höchst schwermüthiger Miene, blickte der alte Herr in sein Glas. Ich wußte ihn wieder in das rechte Fahrwasser bringen, sonst erfuhr ich am Ende nicht, was ich wissen wollte. „Und wie kam es, daß Ihr Schicksal doch eine solche Wendung nahm?" fragte ich hart näckig. Der alte Seiltänzer erhob den Kopf. „Ach, wir waren ja für nichts Anderes bestimmt," antwortete er lebhaft: „Der Vater mochte uns immer ermahnen, daß wir in der Schule tüchtig lernen sollten, um einmal etwas Ordentliches zu werden. Die glänzenden Zukunfts bilder, die er uns zuweilen entwarf, machten auf seine beiden unge- rathenen Jungen keinen Eindruck. Sobald wir die Schulstube hinter uns hatten, stürmten wir hinaus in den Garten, der hinter unserm Hause lag. Wir wohnten freilich nur zur Miethe, was uns aber durchaus nicht hinderte, jeden Baum bis zum höchsten Wipfel zu er klettern, uns auf den schwächsten Aesten zu schaukeln, die nur zu oft abbrachen und uns unsanft zu Boden schleuderten. Karl kam deshalb auf den Gedanken, die große Waschleine der Mutter auszuführen und sie zwischen zwei Bäumen aufzuspannen. Nun hatten wir unser Tra pez, und wenn der Vater in seinem Amtszimmer glaubte, daß wir hinter unsern Büchern hockten, wetteiferten wir Brüder mit einander, wer auf unserem Seil die schwierigsten und schönsten Kunststücke aus- führen konnte. Karl überraschte mich eines Tages damit, daß er nur mit einem Fuße am Seile hing und sich dann wieder in die Höhe schwank. Nun ruhte ich nicht eher, als bis ich ihm auch dieses Kunst- stück nachmachen konnte.(Fortsetzung folgt.) Vermischtes. * Brand. Aus dem niederbayerischen Orte Lalling wird der „Donauztg." unterm 9. Oktober geschrieben: Die verflossene Nacht ist für die Ortschaft Padling eine verderbliche geworden. Um Mitter nacht entstand auf bisher unbekannte Weise im Stadel des Gürtlers Marx Feuer, und kaum in einer halben Stunde standen infolge des heftigen Sturmes von den zwölf Wohnhäusern des Dorfes deren elf in vollen Flammen. Die schleunigst erschienene Feuerwehr Hunding konnte nicht einmal mehr die durch die Mitte des Dorfes führende Straße betreten und mußte sich begnügen, das etwas geschützt stehende zwölfte Haus des Dorfes vor dem verheerenden Elemente zu retten. Leichtbegreiflich konnte bei dem rasenden Umsichgreifen des Brandes die Mehrzahl der so schwer heimgesuchten Dorfbewohner nichts retten als das nackte Leben und einiges Vieh. Der Jammer und die Noth der armen Leute ist entsetzlich. Leider ist auch ein Menschenleben zu beklagen: die 87jährige Austragsbäuerin Th. Zellner konnte nicht mehr zeitig genug gerettet werden und ist ein Opfer der Flammen geworden. Alle Ernte- und Futtervorräthe, alle Fahrnisse, fast sämmtliche Haus einrichtungen sind verbrannt; auch ein Pferd, mehrere Kühe und Jung rinder sind umgekommen. * Kindesraub durch einen Adler. In Denver, Kolorado, Vereinigte Staaten von Nordamerika, wird jetzt ein außerordentlich großer Adler in einem Käfig gezeigt. Ueber die Gefangennahme dieses, mit ausgebreiteten Flügeln mehrmals 9 Fuß messenden, menschenräu berischen Vogels berichtet: „Amerika", daß er von R. A. Donglas, einem alten Grenzer, am North Platte in Nebraska durch einen Schuß am Flügelgelenk verwundet ward, als er sich eben mit dem 14 Monate alten Töchterchen des Genannten in die Luft erhoben hatte. Das Kind stand unweit des Vaters, als dieser die Hühner fütterte, als er den Adler von dem Federvieh verscheuchen wollte, packte der Raub vogel das Kind und trug es bis zu einer Höhe von 20 Fuß in die Lüfte, ehe noch der entsetzte Vater seine an der Fenz lehnete Schrvt- flinte erreichen und abfeuern konnte. Der Adler ließ darauf wohl das Kind aus seinen Klauen fallen, doch wurde die arme Kleine durch den Sturz so erheblich verletzt, daß sie am nächsten Tage verschied. Der verwundete, geflügelte Räuber ward eingefangen. * Einen gräßlichen Tod fand dieser Tag eein Kind in Hatt- dorf bei Nordhausen. Dort kochte eine Frau in einem großen Kessel Pflaumenmus. Als sie sich auf einen Augenblick entfernte hatte, beugte das kleine, auf einem Stuhl neben dem Kessel sitzende Kind derselben sich nach vorn, stürzte in die kochende Masse und verschied, trotzdem es gleich darauf herausgezogen wurde, nach wenigen Stunde» unter fürchterlichen Qualen. * Ein Paradies für Frauen. In Finnland hat sich in einigen Dörfern unter dem Landvolk eine originelle Sekte verbreitet, deren Hauptdogma auf der Oberherrschaft der Frau in der Familie gegründet ist. Die Bekenner dieser Sekte, mögen sie eine wirliche Ehe schließen oder ein gegenseitiges Zusammenleben mit einer Frau eingehen, legen einen Eid darauf ab, sich vollständig der Frau zu unterwerfen und an einem bestimmten Tage in der Woche derselben zu beichten. Die Mehrzahl dieser Sektirer zeichnet sich durch mäßige Lebensart und Moralität aus. Die Frauen wählen ihrerseits aus ihrer Mitte eine „Herrin" deren Obliegenheit darin besteht, darüber zu wachen, daß die Männer ihren Eid halten, und diese im Uebertretungsfalle zu strafen. Diese Sekte hat Aehnlichkeit mit einer noch wenig bekannten Sekte in Sibirien, den sogenannten „Purifikanten," welche gleichfalls die Ober herrschaft der Frauen anerkennen. * Eine aufmerksame Gattin. Die Frau eines steinreichen Bankiers ging grade an ihres Mannes Geburtstag demselben mit einer erheblichen Summe Geldes durch. Dem Manne gelang es, sie einzu holen, und nun fragte er sie im hellsten Zorne: „Wie konntest Du grade an meinem Geburtstage mir das anthun?" Die liebenswürdige Frau aber antwortete heiteren Gemüthes: Ich wollte Dich eben über raschen." Der schöne Sommer. „Wissen Sie schon, daß der Mayer wäh rend des letzten Sommers zum Millionär geworden ist?" — „Nicht möglich, der arme Mayer? Im Frühjahr hatte er kaum hundert Mark? Weister denn so schnell reich geworden?" — „Er hat Re genschirme vermiethet!" Ein schweres Brandunglück hat das an der Bahn von Göt tingen nach Kassel belegene Städtchen Dransfeld betroffen. Am Freitag Mittag wurde die Stadt Göttingen bereits telepraphisch um Hülfe vou dort gebeten. Sofort eilten denn auch die freiwilligen Löschmannschaften mit dem Schnellzuge an die Brandstätte und began nen ihre bis 3 Uhr in der solgenden Nacht währende Arbeit. An den bis zum Dach mit Frucht gefüllten Scheunen fand der Brand, unter stützt durch den überaus heftigen Wind, nur allzureiche Nahrung. Allgemein wird absichtliche Brandstiftung angenommen. Ein der That Verdächtiger ist bereits zur Haft gebracht. Mit großer Schnelligkeit sprang die Flamme von einem Gehöft zum andern, schon wurde das Postgebäude geräumt und der größte Theil der geängstigten Einwohner packte in Hast seine Habseligkeiten, weil es schien, als solle der ganze Ort — wie im Jahre 1834 — wiederum in Asche gelegt werden, als endlich in den frühen Morgenstunden des Sonnabend die aufs Höchste gespannten Anstrengungen der Bürgerschaft, der Feuerwehren und des aus Göttingen requirirten Militärs mit Erfolg gekrönt wurden. Aber erst am Sonntag vermochte man das Unglück einer Schätzung zu unter ziehen, der Anblick der völlig niedergebrannten Straßenviertel war ein erschütternder. 34 Wohnhäuser sind zerstört; die Noth der Heimge suchten ist schwer. Die reiche Ernte ist leider gar nicht versichert ge wesen. * Wässerige Kartoffeln mehlig zu machen. Um diesem besonders in nassen Jahren häufig vorkommenden Mißstände abzuhelfen, wird in der „Braunschweigschen landw. Zeitung" den Hausfrauen ge- rathen, dieselben vor der Zubereitung einige Zeit in der Nähe des warmen Ofens auszubreiten. Nachdem die überflüssige Feuchtigkeit verdunstet, werden sie mehlig und gewinnen merklich an Wohlgeschmack. Das selbe kann übrigens auch unmittelbar vor dem Zersetzen dadurch erreicht werden, daß man an jeder einzelnen rundherum einen schmalen Streifen abschält. Die so vorbereiteten Kartoffeln brauchen nicht so lange zu kochen, werden mehlig und auch schmackhafter. Das vielfach angewendete starke Pressen der abgesottenen wässerigen Kartoffeln in einem Tuche wird dagegen als unpraktisch bezeichnet. * Eine sonderbare Erbschaftsgeschichte erzählt „Champers Journal" von einem Bürger von Ärooklin, der bei seinem Tode 71 Paar Hosen hinterließ. Seinem letzten Willen gemäß kamen diese zum Besten der Stadtarmen so zur Versteigerung, daß kein Käufer eines Paares auf ein zweites bieten durfte. Diese seltsame Bedingung fiel bei dem Ver kauf nicht weiter auf; aber einige Tage darauf fand einer der Käufer bei genauer Untersuchung seines Kaufes einen kleinen leinenen Beutel, der oben im Futter eingenäht war. Als er denselben öffnete, fand er darin Hundertdollarsnoten. Er erzählte von seinem Funde, veranlaßte dadurch die andern 70 Hosenkäufer, ihren Kaus gleichfalls zu unter suchen, und da fand sich, daß jeder Einzelne um tausend Dollar reicher geworden war. * Bei Sankt Goar wurde im Rhein ein riesiger Stör im Ge wichte von 200 Pfund gefangen. Das Ungethüm schlug mit dem Schwänze wie rasend um sich und einer der Fischer, der ihm zu nahe kam, mußte es mit einem zerbrochenen Arm büßen. * Wahlprogramm für jeden, der es annehmen will: Wähle, wie du, wenn du steuerst, Wünschen wirst, gestimmt zu haben! Den Herren Gemeindevorständen empfiehlt Formulare, die Schöffen- und Geschworenenwahl betr., L. SerAvr» Luvdckruekvroi.