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Bekanntmachung, die Anmeldung der Wehrpflichtigen zur Nekrutirungsstammrolle betr. Auf Grund der Bestimmungen in ß 23 der deutschen Wchrvrdnung vom 28. September 1875 fordern wir alte am hiesigen Orte aufhältlichen männlichen Personen, welche im Jahre 1863 innerhalb des deutschen Reichsgebietes geboren sind, oder deren Eltern oder Fa milienhäupter an irgend einem Orte desselben ihren Wohnsitz haben, sowie alle diejenigen, welche bei frühen, Gestellungen vom Militärdienste zurückgestellt worden sind oder ihrer Militärpflicht überhaupt noch nicht Genüge geleistet haben, bei Bermeidung von Geldstrafe bis zu 30 Mark oder Haft bis zu 3 Tagen andurch aus, in der Zeit vom 15. Januar bis zum 1. Februar 1883 unter Abgabe ihrer Geburts- oder Loosungsscheine sich persönlich zur Aufnahme in die RecrutirungsstammroUe in der hiesigen Rathsexpe- dition anzumelden. Diejenigen Militärpflichtigen, welche keinen dauernden Aufenthalt haben, oder von hier als dem Orte, wo sie ihren dauernden Auf enthalt haben, zeitig abwesend sind — wie auf der Reife begriffene Handlungsdiener, oder auf der See befindliche Seeleute u. s. w. — sind von ihren Eltern, Vormündern, Lehr-, Brod-, oder Fabrikherren, bei Vermeidung der angedrohte» Strafen, während des oben festgesetzten Zeitraumes, zur Stammrolle anzumelden. Wilsdruff, am 31. Dezember 1882. Der Stadtgemeinderath. Ficker, Brgmstr. Das Jahr 1882 neigt sich seinem Ende. Es war kein gutes Jahr. Am Schluß des vorigen Jahres athmete man ordentlich erleichtert auf, daß es über standen sei. Man sagte sich, schlimmer als dieses kann das bevor stehende doch nicht werden. Es hat aber die bescheidenen Hoffnungen, die man darauf fetzte, nur theilweis erfüllt. Die Erndte war zwar gut — und auch wieder nicht, wie Viele sagten — aber Handel und Wandel haben sich nicht in dem Maße gehoben, wie man Hütte er warten dürfen. Die Ursache kennen wir Alle. Es ist die leidige Politik. Welche Anstrengungen haben im Jahre 1882 wieder ge macht werden müssen, um den in allen Fugen krachenden europäischen Frieden in leidlicher Verfassung zu erhalten. War der in Egypten zum Ausbruch gekommene Krieg eine unmittelbare Bennruhigung, so gab der wachsende und immerfort geschürte Völkerhaß stets neue Ver anlassung zu wohlbegründeteu Aeugsten. Zwar ist einer der Haupt attentäter auf den Frieden mit Tode abgegmigen, General Skobeleff; wie lange aber dauerte es, bis sein jesuitisches Gegenstück, der im Dunkeln wühlende, all dies Unheil begünstigende Jgnatieff von seinem Posten entfernt war? Der Dritte im Bunde, Gambetta, sah sich auch genöthigt die Segel zu streichen — aber der Anhang dieser drei Männer blieb, und der ist immer „päpstlicher als der Papst". Trotz aller Friedensversicherungen in den Thronreden rc. wurde die Sache so schlimm, daß Bismarck zu guter letzt, um sich und uns ein ruhiges Weihnachtsfest zu sichern, recht nachdrücklich und verständlich Winke mit dem Zaunpfahl nach links und rechts geben mußte. Suchen wir nach der hervorstechendsten Charaktereigenthümlichkeit des Jahres 1882, fo heißt sie Deutschenhetze. In den meisten öster reichischen Landen, in Rußland, in Frankreich — im Osten, Süden und Westen — haben die Völker in dem Ansturm gegen das Deutsch thum zu überbieten gesucht. Was ist die Ursache dieser Erscheinung? Die Deutschen sind die „Allerweltshelfer", sie tragen Kultur und Ge sittung hin, wo sie nur festen Fuß fassen. Woher also dieser Haß, der bei den Slaven wie bei den Romanen in so merkwürdiger Ueber einstimmung zu Tage tritt? Die Deutschen haben ja auch üble Eigen schaften, wer wollte es leugnen? Uns will es aber scheinen, als ob die Deutschen im Auslande weniger ihrer schlechten als gerade ihrer guten Eigenschaften halber gehaßt und verfolgt würden. Das klingt widersprechend; wer aber den „Lauf der Welt" kennt, werd sich die Sache zu erklären wissen. Wir leiden ja oft mehr durch unsere Tu genden als durch unsere Fehler. Die Deutschen sind fleißig, intelligent und sparsam, sie kommen daher in: Ausland überall voran, in wirth- schaftlicher wie gesellschaftlicher Hinsicht. Dies ruft überall mehr Neid, Undank und Haß hervor, als Anerkennung rc. So ist es auch im gewöhnlichen Leben. Wer vorwärts strebt und sich herausarbeitet, der kann sich auf ein gut Theil Uebelwollen gefaßt machen; das bleibt Keinem erspart. Dies kommt aber auch daher, daß der Nebenmensch immer nur den Erfolg sieht; die Arbeit und das Stück vom eignen Leibe, was dahinter steckt, beachtet er nicht. Wir haben es also auch im Völkerleben im Grunde mit rein menschlichen Eigenschaften zu thun. Bleiben diefe reagirenden Kräfte im Völker- und Gesellfchaftsleben in ihren Grenzen, fo nimmt Jeder das Pücklein, was er davon zu tragen bekommt, gern auf sich. Mit etwas Humor und Geist ist darüber schon wegzukommen. Seit einer Reihe von Jahren geht aber ein immer mehr Besorgniß erregendes Anwachsen dieser Eigenschaften vor sich. Der Geist der Selbstüberhebung, Ausschließlichkeit und Unduld samkeit hat wieder einmal das Uebergewicht gewonnen in der Welt. Aus ihm wachsen Neid und Uebelwollen nothweudig hervor. Dieser Geist herrscht aber nicht nur im Vvlkerleben, auch im Innern, im ge sellschaftlichen Leben nimmt er überhand. Der Geist, der sich in unserm politischen Parteileben, in dem chronisch gewordenen Kulturkampf, in unserm geschäftlichen und gesellschaftlichen Verkehr kund that, ist vor wiegend dieser Art und die Anzeichen der Verschärfung mehren sich auch hier fast mit jedem Tage. Der Stein ist im Rollen, und ob die Diplomatie im Stande ist, ihn noch lange aufznhalten ist fraglich. Die blutigen Judenhetzen des nun soweit hinter uns liegenden Jahres sind böse Vorboten. — Das sind keine tröstlichen Aussichten für das kommende Jahr, sie drängen sich aber unabweisbar dem Beobachter auf und damit zurückzuhalten, wäre eine nicht zurechtfertigende Unter- lassung.(Hildb. Dorfztg.) Taqesgeichichte. Während man im Reichstage annimmt, daß die Aussichten auf ein Zustandekommen des Unfallversicherungsgefetzes in dieser Session sehr gering sind, dagegen das Krankenversicherungsgesetz wahrscheinlich eine Mehrheit auf sich vereinigen werde, ist in Blättern, welchen offi ziöse Mittheilungen zngeheu, in den letzten Tagen mehrfach betont worden, daß Fürst Bismarck größeren Werth auf die Annahme der Unfallversicherung als auf die Krankenversicherung lege und daher in amtlichen Kreisen die Berichte über die geringen Aussichten der erstern große Mißstimmung hervorgerufen hätten. Der „Kreuz-Ztg." wird nunmehr versichert, daß die Regierung, in der Hoffnung, daß noch beide Vorlagen zur Annahme kommen könnten, jede Störung der Be- rathung derselben fernzuhalten beabsichtige, und aus diesem Grunde auch die Novelle zum Aktiengesetze, welche vom Reichsjustizamte ab geschlossen sei, nicht mehr zur Vorlage bringen werde. Berlin, 28. Dezember. In der gestrigen Sitzung hat derBun- desrath zunächst den Landeshaushalt für Elfaß-Lothringen in der ihm vorgelegten Gestalt unverändert genehmigt und die Vertheilung der Matrikularbeiträge von 100 Millionen Mark für das Rechnungsjahr 1883/84 nach der aufgestellten Berechnung gut geheißen. Auf Preußen fallen davon dem Etat für 1883/84 zufolge 50 Millionen, aus Sachsen 5 Millionen Mark. Die Nachrichten von neuer Noth, von neuem Elend in den schon so schwer heimgesuchten Ueberschwemmungsgebieten mehren sich in er schütternder Weise. Was die grausige Flut bei ihrem ersten Losbruch noch verschont hatte, ist diesmal von ihr heimgesucht worden, und hilfsbedürftiger, nothleidender, denn bisher, stehen unsere Landsleute am Neckar, Main und Rhein vor ihren verwüsteten Weingärten, ihren in der schlammigen Flut ersäuften Felder. Die erste Noth ging inso fern gnädig vorüber, als sie wenigstens die Menschenleben schonte. Diesmal ist das entfesselte Element von weniger Milde gewesen. Gleich dem ersten Ansturm erlagen eine Anzahl Menschen. Hefft die Waisen versorgen, die Hungrigen speisen, die Niedergedrückten wieder aufrichten durch den Trost, daß mitfühlende Herzen ihrer gedenken! Gebt rasch und reich! Karlsruhe, 28. Dezeniber. Nach den eingegangenen Berichten ist der Bodensee bei Konstanz seit gestern von 3,43 auf 3,67 und der Rhein bei Waldshut auf 5,60 gestiegen. Die Wiese-Hausener Brücke ist zerstört, ebenso der Damm bei Schopfheim; die Brücke Lörrach- Wiese ist zusammengestürzt und dabei sind zwanzig Menschen in die Fluten gestürzt, nur wenige davon wurden gerettet. Bei dem heute früh ausgeführten Versuch, einen Zug von Appenweier nach Kork zu fahren, entgleiste die Lokomotive. Ein Reifender wurde dabei getödtet und drei Eifenbahnbeamte verletzt. Die Bahnstrecke von dem Haupt bahnhof von Mannheim nach Käferthal ist unfahrbar. Auch der Güter bahnhof in Mannheim ist überflutet und die Verbindungsbahn zwischen dem Personenbahnhof und Güterbahn oberhalb der Rheinbrücke ist bedroht. Zerstört sind ferner die Brücken bei Utzenfeld, Zell und Wehr. Die Dreifam ist bei Freiburg aus 1,55 gestiegen, an der Freiburger Steinbrücke ist ein Ufereinbruch erfolgt. Von der Elz wurde dieKa- stellbrücke bei Waldkirch und die kleine Langenbrücke bei Emmendingen zerstört, der Kiuzigdamm unter der Offenburger Eisenbahnbrücke ist gebrochen, die Vorstadt von Offenburg ist überflutet. Bei Kehl ist der Rhein seit gestern von 4,05 auf 5,18 gestiegen, die Murg zeigt bei Rastatt 5,20 und übersteigt die Dämme um 1,59 Ctm., die Rothen- felser Brücke ist zerstört. Mannheim, 28. Dezember. Hier ist durch die Dammbrüche vom Neckar und Rhein eine Katastrophe eingctreten, wie noch niemals im Laufe dieses Jahrhunderts. Jeden Augenblick wird der Einbruch des Wassers in die Stadt befürchtet. Fortwährende Alarmsignale ebenso wie Plakate der Behörden rufen die Einwohner zur Hilfe. Tausende Soldaten, Feuerwehr und Freiwillige errichten allerorts Nothdämme, da furchtbares Steigen des Wassers signalisirt ist. Drei Schiffer sind beim Bergen von Materialien ertrunken. In Heidelberg steht der Neckar bis zum Marktplatz und aller Verkehr ist gehemmt. Die Riedbahu ist feit heute früh unterbrochen. Auf den meisten ba dischen Limen ist der Betrieb gestört. In Brühl sind zwei Personen ertrunken. In Offenburg kam ein Kind in den Fluten um. Das hier und in der Umgegend verursachte Unglück ist vorläufig unabseh bar. Aus vielen Theilen der äußeren Stadt konnten die Bewohner nur mit Lebensgefahr aus ihren Wohnungen gerettet werden. Mehrere Häuser sind eingestürzt. Mannheim, 30. Dezember, 12 Uhr Mittags. Nachdem hier die Gefahr vorübergegangen, ist die benachbarte Pfalz von einer furcht baren Katastrophe betroffen worden. Heute Nacht 3 Uhr brach der Damm zwischen Friesenheim und Oppau, wodurch die Wassermassen in beide Orte stürzten und entsetzliche Verheerungen anrichteten. Häuser sind eingestürzt und viele Menschen ertrunken. Soeben treffen von Speyer Pioniere mit Pontons in Ludwigshafen ein, um zahllose auf Dächern in genannten Orten um Hilfe jammernde Menschen zu retten. Hemshof und die Anilinfabrik sind sehr gefährdet. Worms, 30. Dezember. Zu beiden Seiten des Rheins haben Dammbrüche stattgefunden, das ganze Ried ist überschwemmt. Aus Buerstadt und Bobstadt sind die Einwohner geflüchtet, die Häuser stürzen dort zusammen. Näheres fehlt noch, Hilfe geht ab. Ein recht charakteristisches Pröbchen, wie weit die Deutschenhetze in den Ländern der ungarischen Krone geht und zu welchen erbärm lichen Mitteln sie greift, hat kürzlich ein ungarifches Blatt in Klausen burg geliefert. Es ereifert sich über den deutschen Gesangverein „Hi- laria" und schreibt: „Die Mitglieder der in Klausenburg befindlichen deutschen Liedertafel Pflegen in ihrem unbekannten Nest die in Jodeln entartete, harte und gefchmacklose Musik ihres Vaterlandes. Sie be dienen sich auch der deutschen Sprache im gesellschaftlichen und ge schäftlichen Verkehr. Wir bitten die Freunde unseres Blattes, uns die Namensliste der Mitglieder dieser Liedertafel mittheilen zu wollen, damit wir die Sippschaft kennen lernen, welche sich den Gebräuchen, der Sprache und dem Gefühl jenes Staaies nicht anpassen will, der ihnen Brod, Obdach, Feiheit und Ordnung gewährt (!?)." Rußland hat am 18. Dezember fein 300jähriges sibirisches Ju biläum gefeiert. 300 bitterkalte Jahre sind es her, daß es sich die weiten Länderstrecken einverleibt hat, die man Sibirien nennt und die nicht durchweg nur Schnee und Eis sind, sondern auch fruchtbare Ge filde und unter der Erde unerschöpfliche Gold-, Silber- und Kohlen bergwerke enthalten. Freilich, die vielen Taufende von Verbannten, die in den Bergwerken oder auf dem Zobelfang ihr Leben vertrauern, sie haben nicht jubilirt; für sie ist Sibirien das große eisige Staats- gefängniß.