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haben, ihre Schuldigkeit zu thun, sondern sich auch für die Ehre des hannoverschen Corps, wenn es erfordert wird, aufzuopfern, Hierzu haben wir jetzt Gelegenheit und nie capitulire ich!" Freilich stieg dennoch eine große Bedenklichkeit, welche er nur gegen Scharnhorst aussprach, in ihm auf, das war die Ungewißheit über den Ausfall der Schlacht bei Mouskron. Hatte Clairfait sie gewonnen und wurde der wichige Ort, welcher zur Erhaltung von West-Flandern so nothwendig war, in der darauffolgenden Nacht ver lassen, so gewann der Feind gewissermaßen das wieder, was er durch die Schlacht verloren hatte. Und dennoch war es unmöglich, wegen des gänzlichen Mangels an Munition und Lebensmitteln, die Unternehmung noch 24 Stunden zu verschieben. Der General wählte daher einen Mittelweg; er beschloß, sich nur mit 1800 Mann durchzuschlagen und die übrigen Zweihundert indem Orte zur Vertheidigung zu lassen, in der Hoffnung, daß diese sich bis gegen 9 Uhr des nächsten Morgens halten würden; ein Zeitpunkt, in welchem die Clairfait'sche Armee, wenn sie den Tag vorher bei Mous kron gesiegt hätte, bei Menin eintreffen mußte. Rechnet man hierzu noch, daß der Ort an der einen Seite durch den Lys-Fluß und eineUeberschwemmung total eingeschlosseu war, vor dem Iper-Thore sich ein feindliches Lager befand, der Weg nach Coutrei, wie dieser Ort selber vom Feinde besetzt, und nur der eine Weg nach Rouselaer offen war, wo der überschwemmte Gelumwe-Bach die Gefahr erhöhte und von der Wegnahme und Behauptung einer Brücke die Möglichkeit der Unternehmung allein abhing, so kann man sich einen schwachen Begriff von dem Muthe und der Tapferkeit dieser kleinen Schaar und ihres heldenmüthigen Anführers machen, welche uns mit Staunen und Bewunderung erfüllen muß und die es wohl verdient, aus dem Moder der Archive im frischen, lorbeergrünen Glanze dem Geschlecht der Gegenwart vor Augen geführt zu werden, daß es sich erfreue mit gerechtem Stolze seiner tapferen Väter, deren Thaten in der deutschen Geschichte manch ruhmvolles Blatt anfüllen. 6. Bevor wir unsere hannoverschen Brüder auf diesem Todeswege begleiten, müssen wir zu dem Vicomte Hektor d'Anville iu dem Augen blicke zurückkehrcn, wo er, das Päckchen mechanisch in der Hand hal tend, wie geistesabwesend dem sich entfernenden Charles Laroche nachstarrte. Lieutenant Braun, ein junges, lebenslustiges hannöversches Blut, ließ die Schüsse abfeuern, um die ihm in den Tod verhaßten Jako biner zu vertreiben, konnte ihnen aber doch seine Verwunderung nicht versagen als er die Männer so furchtlos und langsam zurückgehen sah. „Verfluchte Kerle!" murmelte er, „das wird daheim für ein arm seliges zusammengelaufenes Gesindel gehalten, ja prosit! — den Teufel haben sie im Leibe, das geht darauf los, als wäre das Leben das kleinste Gut und man kanns doch nur einmal verlieren. He, Vicomte! sehen Sie Gespenster?" wandte er sich plötzlich zu diesem; „was haben Sic denn nur dort hinüber zu starren?" Der Vicomte seufzte tief auf, strich sich über die hohe Stirn und legte dann seinen Arm in den des Lieutenants. „Sie haben sich, so lange wir in Menin beisammen sind, immer als theilnehmender Kamerad und Freund gegen mich bewiesen. Lieu tenant Braun!" sprach er mit gedämpfter Stimme, langsam mit jenem der Schanze zuschreitend, „unter den Emigranten, welche meistentheils frühere Offiziere König Ludwigs gewesen, habe ich keine speziellen Freunde, obgleich Vaterland und ein gemeinschaftliches Unglück uns in Noth und Tod verbinden, ich kann zu keinem Einzigen Vertrauen fassen, weil ich durchgehends der Festigkeit ihres Charakters mißtraue. Sie wissen, daß ich noch eine Schwester in der Stadt habe." Braun nickte theilnehmend. „Wir Beiden," fuhr der Vicomte mit einem schweren Athemzuge fort, „sind die einzigen von unserer Familie, welche die Guillotine bis lang verschont; — ich sage bislang, da es für uns noch nicht aller Tage Abend geworden. Meine Mutter starb vorher eines natürlichen Todes, Gott sei ge lobt! — Mein Vater, zwei meiner Brüder und ein Oheim bestiegen das Blutgerüst. — Die Schwester und ich wurden Angesichts des schauerlichen Todes gerettet — ich ahne jetzt erst, durch wen, und das macht mein Unglück geradezu unerträglich." „Durch jenen verwundeten Jakobiner, von welchem der Andere Ihnen dieses Päckchen zuwarf," ergänzte Lieutenant Brann. „Ja," versetzte der Vicomte seufzend, „er und kein anderer wird eS gewesen sein, jener Leon Ferrand, welcher das Gastrecht in unserem Hause mit Füßen trat und meine Schwester mit unwürdigen Liebes banden umstrickte. Als ich dieses Verhältniß eines Malers zu der Tochter einer der edelsten Familien des Landes erfuhr, schäumte ich vor Wuth, ich ent ehrte ihn wie einen Hund, indem ich ihn mit einer Peitsche züchtigte und sein Gesicht mit meinen Sporen zeichnete. Er sprach den Fluch über unser Haus aus, den furchtbarsten Fluch, welchen mein Ohr je mals vernommen und der gräßlich in mir wiederhallte, als ich die Meinen durch Henkershand sterben sah, diese Henkershand, welche durch Königsmord geadelt worden ist. Seit jener Stunde verfolgt mich der schauerliche Fluch des Jakobiners, — ich trieb ihn mit meiner brutalen Rache in die Reihen der Königsmörder, — er verabscheute vordem jene Ideen einer zügellosen Freiheit. Und jetzt muß ich denken, daß er meinLeben gerettet, o, Freund! dieser Gedanke macht mich wahnsinnig." Braun schüttelte den Kopf, er verstand dieses Gefühl des Edel mannes, welches von Stolz und Reue gebildet war, nicht recht. „Und liebte Ihre Schwester diesen — Maler?" fragte er leise. „Freilich liebte sie ihn und wird ihn noch bis zu dieser Stunde lieben, obgleich sie seiner niemals wieder erwähnte. Doch lassen wir das jetzt, es bleibt sich gleich, da er im Sterben liegt und sie schon halb auf der Guillotine. „Das wolle Gott verhüten," rief Braun erschreckt. „Verhüte er die Scheußlichkeiten, die Ströme Blutes, welche um Rache zum Himmel dampfen?" höhnte Hektor, die geballten Fäuste wie außer sich einporstreckend. „Nein, ich habe weder Glauben noch Vertrauen mehr, so lange es ein Gott zulassen kann, daß die Hölle überall siegt. Doch was sollen diese Klagen, thörichte Zeitverschwen dung! — Sie sollen mir beistehen, mein theurer Freund, die arme Schwester von der Guillotine zu retten, — entweder stirbt sie im Kampfe an meiner Seite oder ich bleibe bei ihr auf dem Blutgerüst." (Fortsetzung folgt.) E Vermischtes. — Es wird interessiren, über die alten und berühmten Jagdgründe in denen Se. Majestät der Kaiser nebst dem König von Sachsen und zahlreichen Fürstlichkeiten während der letzten Tage dem Waidwerk oblag, Näheres zu erfahren. Die Forsten des Werbellin bergen 3000 Hirsche, die größte Anzahl, die an irgend einem Punkte innerhalb eines bestimmt abgegrenzten Reviers gehalten wird. Dicht bei Schloß Hu bertusstock ist das uralte Rendezvous, durch Documente seit 1000 Jahren historisch beglaubigt, und hier setzt es blutige Kämpfe der Eifersucht, während deren der Mensch das tödtliche Blei auf seine Opser sendet. Vom Jagdschloß führen zwei unterirdische Gänge, das Pfeifen rohr und die Zauberflöte genannt, bis hart an den Rendezvous-Platz heran, und von diesem sichern Versteck wird mancher Kapitalhirsch ge schossen. Aber alles das hat die Hirsche von ihrer alten Zusammen kunftsstätte nicht vertrieben, und so liegt etwas Mystisches auf diesem uralten Jagdgrunde, der die Zeiten altheidnischer Germanenfürsten mit unseren Tagen verbindet. Wer je unter den vielhundertjähriaen Eichen am Ufer des tiefblauen Werbellin-Sees gewandelt ist, wird sich dem geheimnißvollen Zauber der sagenreichen Stätte nicht haben ent ziehen können. * Ueber ein entsetzliches Unglück berichtet der „Anz. s. Libau" Folgendes: In Rutzau (Kurland) sind beim Brande einer Riege (Darre) 14 Personen ums Leben gekommen. Dieselben hatten bis spät in die Nacht Flachs gebrochen, hatten dann das Abendessen eingenommen und sich darauf in die Hitzriege, wo eine behagliche Wärme herrschte, zur Ruhe niedergelegt, in der Absicht, vor Tagesanbruch ihre Arbeit fort zusetzen. Von der angestrengten Arbeit dieses Abends und der vor angegangenen Nacht ermüdet, waren sie vermuthlich bald in sehr festen Schlaf gesunken, ohne gewahr zu werden, daß das hölzerne Gebäude inzwischen in Brand gerathen war. Acht von ihnen hatten die Flam men wahrscheinlich späterhin bemerkt nnd waren von ihrem Lager auf- gesprnngen, um durch die Thür dem Feuertode zu entfliehen; in Folge des Rauches haben sie jedoch den Ausgang nicht mehr zu finden ver mocht, denn am andern Morgen fand man diese acht verkohlt hinter der verbrannten Thüre, während die übrigen sechs der Tod auf ihrer Schlasstätte ereilt hatte. Man nimmt an, daß einer der Verunglückten geraucht und sich niederlegend seine noch nickt erloschene Pfeife bei Seite gesetzt, deren Inhalt, auf den Flachsabfall gelangt, diesen angezündet hat. * Am 14. Novbr. glitt in Koburg eine junge Dame aus und stürzte. Sie war ihres engen an den Knieen zusammen gebundenen Kleides und ihrer hohen Stelzenschnhe halber buchstäblich außer Stande sich allein aufzuhelfen. Eine herbeispringende Frau brachte sie wieder auf die Beiue. Die unsinnige Mode ist wirklich dazu angethau, Un fälle herbeizuführen, namentlich, wenn sie sich auch die Haare ü la Wahnsinn über die Stirn in die Augen gekämmt haben, so daß die Damen das Ansehen eines Seidenpudels haben. Ein kleiner Junge sagte neulich, als er einer solchen aus einer Pension zurückgekehrten Dame mit „Simpelfranzen" ansichtig wurde: „Mutter, mach die Thüre zu, es kommen Zigeuner!" Schon Abraham a Santa Clara, der Wiener Hofprediger voll Witz nnd Laune predigte vor 200 Jahren Jahren gegen die unsinnigen Haarfrisuren von der Kanzel: „Die Mädchen sehen aus, als hätte sie der Teufel rückwärts mit dem Kopf durch eine Gartenhecke gezogen, wo lauter Dörner darin sind." * Weinen und Lachen. (Aus einem Briefe von Wieland.) Es kann ein jeder lachen, nicht aber weinen, wenn er will. Das Lachen ist oft eine erzwungene Bewegung um ein Nichts; das Weinen hat meist einen tieferen Grund und es immer für Schwäche halten wollen, wäre ein Frevel an dem besten Theil des Menschen. Es giebt Ge schöpfe, dennen die innere Stimme nie einen Klagelaut entriß, die auch bei dem Leiden eines andern, bei dem durch Gram erloschenen Auge eines Unglücklichen unberührt bleiben — ihre Hoffnung geht nach außen die Ansprüche der Seele sind ihnen nichtig. Aber selbst solche Herz losen sind in der Gesellschaft eher zu ertragen, als Menschen, die sich um alle Achtung bringen durch unausgesetzte Lustigmacherei. Den Fein sinnigen gefällt man nur, wenn man natürlich und einfach sich gehen läßt, wie man ist, und die Aufgabe, Männer von Geiste, die nie zur Unzeit lachen, zu belustigen, wird selten jemand lösen mit dem Bestre ben, es zu wollen; deshalb machen denn auch die allezeit fertigen Spaßmacher in guter Gesellschaft die meisten Verstöße. * Ein gelungener Scherz. Drei hübsche junge Mädchen, ge rade in Berlin angekommen, gingen unter strömendem Regen nur mit einem Schirme versehen in die Stadt. Die dritte, die bald seit wärts, bald hinten die schützende Deckung des Schirmes suchte, war immer unter der Traufe und so bot ihr ein junger Mann, der hinter ihr ging, seinen Schirm an. Sie lehnte ab, als man aber gezwungen war, die Straße zu überschreiten, entschloß sie sich, seinen Antrag an zunehmen. Als das Mädchen den jungen Mann ansah, bemerkte sie den träumerischen Blick eines Taubstummen; er deutete noch dazu auf seine Ohren und den geöffneten Mund und schüttelte den Kopf. Das Mädchen war sogleich frei von aller Verlegenheit und sagte zu einer ihrer Freundinnen: Anna, ist es nicht schrecklich, daß dieser hübsche junge Mann taubstumm ist? Anna war auch derselben Meinung und nun wurde nach Mädchenart der Jüngling kritisirt von der Farbe seiner Augen bis aus den Schnitt seines Anzuges. Anna meinte so gar, er werde einen Gatten saus rsxroobo machen, da er nie schelten und nie sich in etwas mischen könne. Als sie an ihrem Bestimmungs orte angekommen waren, verbeugten sich die drei Mädchen und lächelten. Der junge Mann zog seinen Hut. Wie groß aber war der Schreck der drei, als er mit großer Deutlichkeit hinzusetzte, es sei ihm angenehm, ihnen von Nutzen gewesen zu sein. Mit einem unterdrückten Schrei machten sich die Mädchen aus dem Staube. * Gegen den Titulaturcnzopf, hat der verstorbene Geh. Re- gierungsrath Jacobi zu Liegnitz noch kurz vor seinem Tode einen Ar tikel geschrieben, der in der „Monatsschrift für deutsche Beamte", deren Redakteur der Verstorbene war, jetzt veröffentlicht wird. Im Jahre 1848 sei der erste Schritt geschehen zur Beseitigung der Prädikate: „Hochlöblich", „Wohllöblich", „hochedel", „edel", sowie der bei Be richten rc. an Behörden gebräuchlichen Anrede „Ein" oder „Eine" an statt „Das" oder „Die"' rc.; es hat aber nicht nachhaltig geholfen. Es sollte daher im Verkehr der Behörden untereinander und mit dem Publikum die sachliche Erledigung in anständiger Form genügen, und auf solche Redensarten, wie „gehorsamst", „ehrerbietigst", „hochgeneig- test", bezw. „ergebenst", „gefälligst", gar kein Gewicht gelegt, vielmehr auf Beseitigung solcher unnützen Förmlichkeiten hingewirkt werden. Man sollte als Muster einer einfach sachlichen Form z. B. die Fassung empfehlen: „Auf die Verfügung vom — zeige ich an, daß >" und für den Schluß: „Hiernachbeantrageich, zu genehmigen, daß—". Wir würden noch weiter gehen und dringend wünschen, daß die Be hörden mit dem Abschneiden eines der lächerlichsten deutschen Zöpfe der Titulatur der Hoch-, Hoch- und Wohl-, Hochwohl-, Wohl-, Hoch- edel- rc. Geborenheit den Anfang machten. Sind wir Menschen doch alle ohne Ausnahme nur wehgeboren. Nichts abgeschmackter, als daß wir dem größten Theil unserer Mitbürger die Anerkennung des Ge borenseins überhaupt versagen und dann in subtilster Weise untersuchen, wo die Wohl-, Hochwohl rc. Geborenheit anfängt oder aufhört. Schon im vorigen Jahrhundert wurde gegen die Titelei in der Presse ange kämpft, aber es half nichts, jetzt nach hundert Jahren heißt es noch immer: „Der Zopf, der hängt ihm hinten,"