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reich und England ins Auge faßte, glaubte man einem Paradoxon gegenüber zu stehen. Heute, nach dem Zwischenfall von Madagaskar, beschäftigt sich bereits die öffentliche Meinung mit einer solchen Even tualität. Aus Madagaskar kommt die Kunde von einem Vorgänge, der möglicherweise ernste Folgen nach sich ziehen kann. Der Admiral, welcher die französischen Truppen und das französische Geschwader in Tamatave befehligt, hat den Offizieren u. Mannschaften des englischen Kriegsschiffes „Dryad", welche dem Leichenbegängniß des englischen Konsuls in Tamatave beiwohnten, die Rückkehr nach der „Dryad" ab geschnitten und außerdem den Sekretär des verstorbenen Konsuls und einen englischen Missionär, namens Shaw, wegen angeblicher Konspi ration mit den Howas, verhaften lassen; ferner sollten die Franzosen die Flaggen aller auswärtigen Konsulate in Tamatave eingezogen haben. Der ganze Vorfall ist bereits im englischen Unterhause zur Sprache gekommen, wobei der Premier Gladstone erklärte, daß das Londoner Kabinet erst nähere Informationen über diese peinlichen u. ernsten Vorgänge abwarten wolle. Eine Hochfluth hat im Golf von Bombay in Indien schreck liche Verheerungen angerichtet. In der Stadt Surat an dec Mün dung des Tapti sind 6000 Häuser eingestürzt, viele Dörfer wurden gänzlich weggeschwemmt, der Verlust an Menschenleben ist ungeheuer. (Ob es sich um eine Sturmfluth oder eine Ueberschwemmung durch Wolkenbruch handelt, ist nicht ersichtlich.) Vaterländisches. Wilsdruff. Wie wir erst heute erfahren, hat auch der hiesige Stadtgemeinderath bald nach dem Bekanntwerden des Mylauer traurigen Ereignisses an Seine Majestät unsern allverehrten König Albert ein Telegramm abgesandt, worin im Namen der Behörden so wie aller Bewohner der Stadt der Freude über die glückliche Errettung des geliebten Landesvaters aus drohender Lebensgefahr Ausdruck ge geben war. Schon nach wenigen Stunden gelangte auf gleichem Wege der herzlichste Dank Sr. Maj. des Königs an den Stadtgemeinderath zurück. — Se Maj. der König Albert ist am Sonnabend von seiner Reise nach Wer dau und Crimmitschau spät Abends wieder in Pillnitz eingetrosfen. In Chemnitz und Zwickau fanden ehrfurchtsvolle Begrüßungen statt. Werdau war über und über geschmückt, Fahnen, Guirlanden, Kränze, Ehrenpforten sah man, wohin man nur blickte. Um 9 Uhr Vormittags traf Sc. Majestät ein und ward feierlichst empfangen, ein Fräulein von Ziegenhierd überreichte unter sinnigster Ansprache ein Bouquet. Se. Majestät besichtigte sodann das Etablissement von Otto Ullrich, dvrnach die Spinnerei von Adolf Schmelzer und das Etablissement von Eli Schwalbe, die Kammgarnspinnerei des Stadtrathes Hermann Schmelzer und sodann die Lokaltäten im Rathhause, in welchen zugleich die höhere Web- und Fabrikantenschule eine vor zügliche Ausstellung von Schülerarbeiten arrangirt hatte. Se. Majestät nahm überall eingehend Kenntniß, sprach auch wiederholt seine Befriedigung aus, worauf der Königliche Zug nach dem Etablissement der Firma C. B. Göldner sich in Bewegung setzte. Nach erfolgter Besichtigung dieses Etablissements stieg Se. Majestät bei dem Mitinhaber der genannten Firma, Kommerzienrath Göldner, ab und nahm daselbst mit den Herren seines Gefolges, sowie den Spitzen der Stadtvertretung ein Dejeuner ein, worauf Allerhöchstderselbe seine Reise gegen halb 2 Uhr Nachmittags nach Crim- mitschau weiter fortsetzte. Die Stadt Crimmitschau hatte ein Festkleid angelegt, wie »och nie zuvor; alle Straßen, die der königl. Zug Passirte, hatten sich umgewandelt in blühende Gärten. Gegen 2 Uhr traf Se. Majestät ein. Nachdem die feierlichste Begrüßung und die Vorstellung der verschiedenen hervorragenden Persönlichkeiten erfolgt war, galt der erste Besuch der Firma Grimm u. Albrecht, wobei Se. Maj. der König das regste Interesse für die heimische Industrie an den Tag legte. Weiter beehrte der hohe Gast mit seinem Besuche die Firmen Kürzel, Franz, Döhler und Zeiner u. Schumann. Die Maschinenfabrik von Richard Franz stellte in Anwesen heit des Königs eine große Platte in Gußeisen her mit der Huldigungsaufschrift: „Heil Sr. Majestät dem König". Zu beiden Seiten dieser Aufschrift prangte je eine Krone. König Albert freute sich sichtlich dieser Aufmerksamkeit. In den Fabriken unterhielt sich übrigens der Monarch mehrfach huldvollst mit einzelnen Arbeitern und fragte freundlich nach Dem und Jenem, so daß der landesväterliche Besuch auch nach dieser Seite hin den angenehmsten Eindruck hervorrief. Außerdem ward noch das Köngliche Amtsgericht und das Nathhaus besucht und dann kurz nach 4 Uhr zum Diner nach dem Hotel „Vereinshos" gefahren. Pünktlich um 5 Uhr gab der König, durch seinen Eintritt in den herrlich ausgeschmückteu Saal, das Zeichen zum Beginn der Tafel. Im Ganzen zählte die Tafel 41 Couverts, geladen waren sowohl Herren von Crimmitzfchau, als auch von Werdau, von Netzschkau und von Frankenhausen. Während der Tafel konzertirte das Stadtmusikchor, sowie der aus ca. 200 Mann bestehende Sängerbund „Canon". Halb 7 Uhr wurde die Tafel aufgehoben. Bei der Abfahrt stand auf dem Perron eine Anzahl weißgekleideter Ehrenjungsrauen, um dem Monarchen den Abschiedsgruß zu bieten. Se. Majestät nahm diesen Gruß in der freundlichsten Weise auf und äußerte scherzend: „Nun, wenn Sie auch nicht für besseres Wetter gesorgt haben, so meine ich, ist es doch immerhin besser, als in so heißen Tagen zu reisen, wie wir sie in der letzten Zeit so vielfach zu verzeichnen hatten." Nuf der Rückfahrt nahm Se. Majestät bei kurzem Aufenthalt in Chemnitz Gelegenheit, seiner Freude über den Aufschwung unserer sächsischen Industrie, den er heute aufs Neue bestätigt gefunden habe, Ausdruck zu verleihen. Er habe auf seiner heutigen Reise wieder Etablissements iu Augenschein genommen, die geradezu einzig in ihrer Art seien. (Dr. N.) — Auch aus Sachsen meldet man den Fall eines unschuldig Verurtheilten: Am 18. April verurtheilte das Schwurgericht zu Leipzig den Wirthschaflsgehilfen Eiselt aus Obersachsenfeld bei Schwar zenberg, welcher des in tz 177 des R.-Str.-G.-B. behandelten Ver brechens angeklagt war, auf Grund des Wahrspruchs der Geschworenen zu drei Jahren Gefängniß. Eiselt wurde sofort verhaftet und nach Rechtskraft des Urtheils zur Strafverbüßung in das Gefängniß zu Zwickau abgeführt. Auf Antrag der Vertheidigung, welcher es ge lungen war, neues Material zur Beurtheilung des Falles zu erbringen, hatte das Landgericht zu Leipzig die Wiederaufnahme des Verfahrens zu Gunsten des Verurtheilten verfügt. Die neuen Erhebungen waren derartig befördert worden, daß bereits am 7. Juli die anderweite Ver handlung vor dem Schwurgericht stattfinden konnte. Ueber die Details derselben können wir, da die Sitzung unter Ausschluß der Oeffentlich- keit stattfand, nicht berichten. Dieselbe endete jedoch mit der vollstän digen Freisprechung des Eiselt, welcher sofort auf freien Fuß gesetzt würde, nachdem er nahezu ein Vierteljahr unschuldig im Gefängniß gesessen. — Am 6. August wird in Leipzig der diesjährige internatio nale Produktenmarkt abgehalten. — Abermals ist der sächsische Name außerhalb Sachsens in glän zendster Weise zu Ehre und Ruhm gelangt. Der als Landwirth wohl bekannte und speziell um die Schafzucht wohlverdiente Herr Ritter gutsbesitzer Otto Steiger in Leutewitz bei Meißen hat auf der Ham burger internationalen Thierausstellung zwei erste Preise für Re sultate ausgezeichneter Schafzucht erhalten; er theilt diese Auszeichnung mit der vogtländischen Kollektivausstellung, welche für vorzügliches Rindvieh prämiirt wurde. — Das beste Weinjahr, welches in der Pflege des sächsischen Rebenbaues bekannt ist, war das Jahr 1783, wo allein in dea kur fürstlichen Bergen der Lößnitz bei Dresden 640 Faß gekeltert wurden. Nach dem Winzerglauben, daß die besten Weinjahre sich aller hundert Jahre wiederholen, müßten wir also auch 1883 ein sehr gutes Wein jahr bekommen. Ueber die kurfürstlichen Winzer ist nach den vorlie genden chronikalen Ausweisungen viel geklagt worden. In gutem Rufe stand früher besonders der Wein von Kötzschenbroda. Dies geht auch aus einem Schreiben Luther's an den Gerichtshalter des Bischofs Jo han» von Meißen in Stolpen hervor, mit dem er wegen der Predigt vom heiligen Abendmahl in einen Federkrieg gerathen war. „Er soll auf ein andermal zu nüchtern Morgens Zeddul schreiben, ehe er noch des Weines von Kötzschber zu viel getrunken, aus das nicht Noth sei, zu argwöhnen, er habe fein Gehirn zu Kötzschber verloren, daß er selbst nicht wisse, was er sage." — Die diesjährigen Jagdaussichten sind übereinstimmenden Berichten zufolge als vortrefflich zu bezeichnen. Das Feldhuhn hat in vielen Gegenden das zweite Gelege ausgebracht; die erste Brut zeigt sich bereits sehr kräftig. Von Hasen ist der 3. Satz zu sehen nnd ein 4. zu erwarten. Das Hoch- und Schwarzwild, welches eben falls eine zahlreiche Nachkommenschaft aufweist, ist gezwungen, der anhaltenden Dürre halber, in Folge deren die untere Aefung im Wald und Gebüsch nur noch an wasserhaltigen Stellen vorhanden blieb, seine Nahrung auf den Feldern zu holen, und richtet eS daher gerade in diesem Jahre bedeutenden Schaden an, da auch der Pilzwuchs des früher ausgebliebenen Regens wegen recht spärlich ist. — Eine Bekanntmachung der k. Amtshauptmannschaft Grimma konstatirt das Auftreten der sogenannten Blutlans an Aepfelbäumcn des dortigen Bezirks, namentlich in der Wurzener Gegend. — Im Dorfe Straßberg bei Plauen i. V. brannten am 13. d. M. drei Bauerngüter nieder. — Am 13. d. M. ist das Rittergut Tannenberg bei Geyer bis auf die Umfassungsmauern nicdergebrannt. Leider hat der Be schädigte nicht versichert. Brandstiftung wird vermuthet. — Einen entsetzlichen Fall that in Nestädtel bei Schneeberg ein 10jähriger Schulknabe. Er war auf ein niedriges Dach geklettert, um ein Wespennest zu zerstören, dabei fiel er herab und zwar gerade auf einen Zaun der Art, daß ihm einige Spitzen in den Leib drangen. Nach vielen Schmerzen ist der Aermste am Tage darauf gestorben. — Auch in der industriereichen Stadt Chemnitz gedenkt man demnächst mit der Errichtung von Arbeiterwohnungen vorzugehen, wie solche bereits in mustergiltiger Weise bereits in Mühlhausen im Elsaß und bei Hamburg bestehen. Ein Kreis von Arbeiterfreunden hat sich zu dem genannten Zwecke zufammengeschlossen und, nachdem man der Frage ein eingehendes Studium schon länger zugewendet, nunmehr auch Pläne und Kostenanschläge anfertigen lassen. Man denkt zunächst nur eine geringe Anzahl kleinerer Häuser für je eine Arbeiterfamilie zu errichten. Jedes diefer Häufer würde in ein hübsches Gärtchen zu liegen kommen. Die Gesellschaft wird von jedem Gewinn absehen, selbst das Anlagekapital nur ganz mäßig sich verzinsen lassen und demnach die Häuser zu möglichst billigen Preisen und so abgeben, daß es den betreffenden Familien gelingen könnte, neben der Miethe alljährlich noch eine Abzahlung auf den Kaufpreis zu ermöglichen, bis allmählig das Grundstück ganz in ihren Besitz überginge. — Herr Gymnasial-Oberlehrer Dr. Rietzsch in Dresden hat in seiner in dem diesjährigen Programm des Gymnasiums zum heiligen Kreuz in Dresden enthaltenen Abhandlung „Die Grundlagen der Le bens-, Aussteuer- und Altersrentendersicherung" nach eingehender Dar legung der Grundsätze für Versicherungen der fraglichen Art auch die für Altersversorgung zu zahlenden Prämien berechnet und bemerkt so dann in Bezug auf die Königlich Sächsische Altersrentenbank: „Da sich nur gesunde Leute Renten zu kaufen Pflegen, müßten die Prämien dieser Bank etwas höher ausfallen, als die nach der allgemeinen Sterblichkeitstabelle berechneten. Wenn sie trotzdem nicht höher sind, so ergiebt sich, daß die Bank durchaus keinen Gewinn aus ihrem Ge schäfte ziehen will. Nach dem Prospekte trägt der Staat sogar den ganzen Verwaltungsaufwand und haftet für die von der Bank über nommenen Verbindlichkeiten. Es kann also eine solidere und billigere Altersrentenbank nicht gedacht werden als die Königlich Sächsische. Wenn diese Bank noch nicht so allgemein benutzt wird, wie sie es ver dient, so ist der Grund in dem mitunter sehr berechtigten Argwohn zu suchen, den man gegen das Versicherungswesen überhaupt hegt, der aber hier durchaus nicht angebracht ist." — Den hartgeprüften Gläubigern des entwichenen Pianoforte fabrikanten Ascherberg tn Dresden scheint jetzt eine etwas bessere Zukunft heraufzudämmern. Seit der Flucht jenes edlen Herrn sind die vorhandenen Vorräthe aufgearbeitet und die schon von früher her gemachten Bestellungen ansgeführt worden. Ans diese Weise ! wurden Pianos und Flügel im Wcrthe von etwa 150,000 Mark nach ' dem Auslande exportirt. Die Fabrik ist also, wenn sie in strenger ' Solidität geleitet wird, lebensfähig. Die Firma Menz u. Pekrun, einer der Hauptgläubiger Ascherberg's beabsichtigt nun, die Fabrik in ein Aktienunternehmen umzuwandeln und ladet die Gläubiger Ascher» bergs zur Betheiligung ein. Die Dinge liegen eben so, daß bei Durch führung des Concurses für die Gläubiger so gut wie Nichts heraus springt, während die Umwandlung in ein Akten-Unternchmen eine mäßige Entschädigung in Aussicht stellt. Die Sirene. Novelle von Ludwig Habicht. Verfasser der Romane: „Zwei Höse", „Auf der Grenze", „Der rechte Erbe". (Fortsetzung.) Agathe war die Aelteste von sechs Geschwistern. Die Mutter starb früh, und das junge Mädchen erhielt zeitig eine sehr große Selbst- stäudigkeit. Der Vater ließ sie gewähren, er machte sich gern das Leben bequem, und als er bemerkte, wie seine älteste Tochter sich merk lich rasch entwickelte und sich in ihrer ruhigen, verständigen Art der Wirthschaft und der Erziehung der jüngeren Geschwister annahm, zog er sie in seiner unentschlossenen, schwankenden Weise überall zu Rathe, wo es eine Entscheidung zu treffen galt. Er that zuletzt nie etwas ohne Zustimmung Agathens, denn er lernte bald ihren scharfen Verstand schätzen nnd bewundern. Durch diesen Anschluß ihres Vaters gewann Agathe ein noch größeres Selbstvertrauen und ein noch sicheres Auf treten, das zuweilen schon die Schranken echter, edler Weiblichkeit über schritt. Sie war ans Befehlen gewöhnt, und eine gewisse Herrschsucht machte sich bei ihr geltend. Ihren Willen mußte sie überall durchsetzen, nnd das Energische ihres Wesens würde sich noch unangenehmer geltend gemacht haben, wenn nicht eine große Herzensgüte die Härten ihres Charakters ein wenig ausgeglichen hätte. Mochte ihr Trotzkopf auch zuweilen verletzen, sie wußte immer wieder die Leute mit ihrer Schroff heit zu versöhnen. Am meisten litt wohl ihre kleine Freundin Hertha darunter, und dennoch wurde Agathe wohl von Keinem so innig und schwärmerisch geliebt, als gerade von ihr. Das weiche, echt weibliche Gemülh Herthas brauchte Jemand, an den sie sich anschmiegen, die Ueberfülle seiner Gefühle auf ihn ausströmen konnte, und Agathe nahm die Zärtlich keiten der Kleinen mit jener Ueberlegenheit hin, die ihr eigen war und die sie in allen Lebenslagen bewies. Auch sie lieble Hertha, freilich mehr in ihrer kühlen, nüchternen Weise; aber sie war dennoch