Volltext Seite (XML)
Wochenblatt für für Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Siebenlehn und die Umgegenden für die Königl. Amtshauptmannschast zu Meißen, das Königl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff. Dreiundvierzigsser Jahrgang. 1883. Rr. 48 Freiing, den 8. Juni Erscheint wöchentlich L Mal (Dienstag und Freitag.) AbonnememsprciS vierteljährlich 1 Mark. Eine einzelne Nummer kostet-10 Ps. Jnseratenannahmr Montags u. DoanerStagS bis Mittag ir Mr. Erscheint oöchentltch S Mal Dienstag und Freitag.) AbvnnementSvreiß ierteljährlich I Mark. Eine einzelne Nummer kostet 10 Pj. Znseratenannahmr RontagS ».Donnerstags bis Mittag 1« Uhr. Bekanntmachung. Donnerstag, den 14. Juni 1M3, vormittags 9 Uhr, findet im hiesigen Verhandlungssaale öffentliche Sitzung des Bezirksausschusses statt. Die Tagesordnung ist aus dem Anschläge in hiesiger Hausflur zu ersehen. Meißen, am 6. Juni 1883. Königliche Amtshauptmannschast. v. Bosse. Was liest unser Volk? Es ist jedenfalls eine sehr wichtige Frage, vielleicht noch wichtiger als die: Was ißt und was trinkt unser Volk? Mit der letzteren hat sich die Sanitätspolizei zu beschäftigen. Sie hat darüber zu wachen, daß weder in festen noch in flüssigen Nahrungsmitteln gesundheitsge fährliche Stoffe dem Volke verabreicht werden. Würde also ein Flei scher verdorbenes Fleisch, ein Wildprethändler in Verwesung überqe- gangenes Wildpret, ein Brauer oder Weinhändler gifthaltiges Bier oder Wein verkaufen wollen, so würde die Sanitätspolizei dem zu wehren haben, ja eventuell würde sie sogar strafend einschreiten müssen. — Wie stehts aber nun mit der Frage: Was liest unser Volk? Wer beschäftigt sich mit dieser Frage? — Kann nicht durch geistige Gift stoffe oft viel größeres, umfangreicheres Verderben angerichtet werden als durch materielle? Können nicht durch Gedanken und Anschauun gen, welche einen sittlich verfaulten und verwesten Herzen entsprungen sind, auf grundverkehrte Gedankenwege verführt und in Anschauungen hineingeleitet werden, welche eine Quelle namenlosen Elendes ».Jam mers sind? Wer kennt nicht jene abscheulichen Machwerke einer na menlos blasirten Frivolität, wer kennt nicht jene mit allen Reizen einer sittenlosen Phantasie geschmückten Romane, in welchen die Nicht achtung der Moral mit glänzenden buntschillernden Farben geschildert, die teuflischste Niedertracht mit glänzendem Mantel verhüllt, der Selbst mord als endgültiges Sühnmittel für unzählige Schande und Laster gepriesen wird? Und werden nicht derartige geistige Pest-Miasmen in tausenden ja hunderttausenden von Büchern durch Kolportage und Leih bibliotheken in unser armes Volk hineingetragen? Wann wird doch endlich die Zeit kommen, wo man nicht blos fragt: Was ißt und trinkt unser Volk, sondern auch: Was liest unser Volk? Tngesgeschichte. Mit definitiver Annahme des Krankenkassengesetzes und der No velle zur Gewerbeordnung seitens des Reichstags hat die Regierung auf dem Gebiete der inneren Politik zwei wesentliche Erfolge errungen und es ist daher begreiflich, wenn man in den leitenden Kreisen einen der Regierung günstigen Verlauf auch der noch übrigen Verhandlungen erwartet, namentlich was den Etat pro 1884/85 anbelangt. Ob aber der Reichstag noch bis zur Erledigung dieser Vorlage zusammenzu halten sein wird, ist in Anbetracht der gegenwärtig herrschenden wahr haft tropischen Hitze sehr zweifelhaft und ist es daher wohl möglich, daß er sich schon nach Erledigung der Zuckersteuer.Vorlage vertagen wird. Am Montag genehmigte das Haus definitiv den Handelsver trag mit Italien, sowie die Literar-Konvention mit Frankreich. Wie man hört, hatte gestern der Abg. v. Bennigsen eine Unter redung mit dem Fürsten Bismarck. Letzterer sprach sich, als die Rede auf die Vertagung des Parlaments kam, sehr entschieden dahin aus, daß er unter allen Umständen die völlige Durchberathung des Etats noch vor der Vertagung erwarte. In weiten Kreisen ist ver Wunsch laut geworden, in Erfüllung einer nationalen Ehrenpflicht, Schulze-Delitzsch ein Denkmal zu errichten. Zur Besprechung dieser Angelegenheit, insbesondere des zu erlassenden Aufrufs, soll eine Versammlung von Freunden des Ver storbene» und seiner Bestrebungen am Dienstag den 12. Juni, Abends 8 Uhr im Reichstagsgebäude zu Berlin stattfinden, zu welcher aus ganz Deutschland Theilnehmer eingeladen sind. In Petersburg steht eine Untersuchung bevor, bei der es sich um nicht mehr und nicht weniger als 150 Millionen Rubel handelt, die die Accisenverwaltung dem Staate unterschlägt. Jetzt bezieht der Staat mehr als 200 Millionen Rubel von der Äranutweinsteuer; ein Ostsee-Provinziale hat den Beweis geliefert, daß die Einnahme doppelt so groß sein könnte, wenn der Staat nicht hintergangen würde. — Bei einem Festmahl in Moskau gelegentlich der Krönung richtetete der Oberbürgermeister von Moskau an den Zaren die Worte: Das Volk hoffe von dem neuen Regenten, daß er eine konstitutionelle Re gierung einführen werde. Als Antwort erfolgte an die Censurbehörden der Befehl, die Veröffentlichung dieser Ansprache zu verhindern. Vaterländisches. Wilsdruff. Wir machen unsere geehrten Leser darauf aufmerk sam, daß nach dem am 1.d. M. in Kraft getretenen Sommerfahrplan der sächsischen Staatsbahnen und der Anschlußbahnen mancherlei kleine Veränderungen eingetreten sind, namentlich auch bezüglich der von hier aus gern und oft benutzten Omnibuszüge der Berliner Bahn, und verweisen deshalb besonders auf den in heutiger Nummer befind lichen abgeänderten Tageskalender. Am 4. dieses Monats und folgende Tage fand wiederum eine Auslosung Königlich Sächsischer Staatspapiere statt, von welcher die 4 "/„ Staatsschulden-Kassenscheme von den Jahren 1852/55/58/59/62/66 und /68, 4"/„ (vormals 5 "/„) dergleichen vom Jahre l867, 4 "/„der gleichen vom Jahre l869, 4"/„ dergleichen vom Jahre 1870 und die durch Abstempelung in 3 Vs u. 4 "/„ Staatspapiere umgewandelten Löbau-Zittauer Eisenbahn-Aktien lüt. st und k, ingleichen die den 1. Dezember 1883 nnd bez. den 2. Januar 1884 zurückzuzahlenden, auf den Staat zur Vertretung übernommenen 3 '/s "/„ Partialobligationen von den Jahren 1839/41, 4 "/„ Schuldscheine vom Jahre 1860 und 4 "/„ (bez. vormals 5 "/„) dergleichen vom Jahre 1866 der Leipzig- Dresdner Eiseubahn-Kompagnie betroffen werden. Die Inhaber von Staatspapieren genannter Gattungen werden hierauf noch besonders mit dem Hinzufügen aufmerksam gemacht, daß die Listen der gezoge nen Nummern in der Leipziger Zeitung, dem Dresdner Journal und dem Dresdner Anzeiger veröffentlicht, auch bei sämmtlichen Bezirks steuer-Einnahmen und Gemeindevorständen des Landes zu Jedermanns Einsicht ausgelegt werden. Mit diesen Listen werden zugleich die in früheren Terminen ausgelosten, aber noch nicht abgehobenen Nummern wieder aufgerufen, deren große Zahl leider beweist, wie viele Inte ressenten zu ihrem Schaden die Auslosungen übersehen. Es können dieselben nicht genug davor gewarnt werden, sich nicht dem Jrrthume hinzugeben, daß, so lange sie Zinsscheine haben und diese unbeanstandet eiugelöst werden, ihr Kapital ungekündigt sei. Die Staatskassen kön nen eine Prüfung der ihnen zur Zahlung vorgelegten Zinsscheine nicht vornehmen und lösen jeden echten Zinsschein ein. Da nun aber eine Verzinsung ausgeloster Kapitale über deren Fälligkeitstermin hinaus in keinem Falle stattfiudet, so werden die von den Betheiligten infolge Uukenntniß der Auslosung zuviel erhobenen Zinsscheine seinerzeit am Kapitale gekürzt, vor welchem oft empfindlichen Nachtheile sich die In haber von Staatspapieren nur durch regelmäßige Einsicht der Ziehungs listen (der gezogenen wie der unabgehoben gebliebenen Nummern) schützen können. — Dresden. Sr. Exzell, dem Staatsminister Freiherrn v. Könneritz ist von Sr. Maj. dem Kaiser Wilhelm der Kronenorden 1. Klasse verliehen worden. — Die zehnwöchentliche Uebung der in diesem Jahre zur übungs pflichtigen Ersatz-Reserve 1. Klasse überführten Militärpflichtigen im Bereiche des Königl. Sächs. Armeekorps beginnt am 20. August d. I. Diejenigen, welche einer Gestellungsordre zur Uebung nicht Folge leisten, werden am 10. Nov. d. I. bei dem Schützenregiment Nr. 108 zu einer Nachübung herangezogen. — Eine Einrichtung, welche besonders in Landschulen Einfüh rung verdient, ist in der Schule zu Bühlau getroffen worden. All jährlich wird daselbst im Frühjahr ein Obstbaukursus für Knaben aus der ersten Klasse eröffnet. In der Schulbaumschule lernen die Kinder praktisch das Pflanzen, Veredeln und Pflegen der Obstbäume. Beim Austritt aus der Schule erhält dann jeder Knabe, der an dem Kursus theilgenommen hat, vor Ostern einen Baum, welchen er selbst veredelt hat, zur eignen Anpflanzung. Derartige Einrichtungen würden gewiß dazu beitragen, die Liebe zur Natur zu heben, Interesse für den Obstbau zu wecken und der leider oft vorkommenden Rohheit, daß Bäume freventlich beschädigt werden, mehr und mehr zu steuern. — Burgstädt, 4. Juni. Gestern Mittag wurde hier ein böh mischer Maurer in seinem Logis von einem böhmischen, zur Zeit arbeitslosen Stricker, namens Marschner, mittelst eines Hammers erschlagen. Der Mörder begab sich nach vollbrachter That zu dem Gendarmen Fleischer in Burkersdorf, versuchte diesem gegenüber den Tod des Erschlagenen als Selbstmord darzustellen, mußte aber nach seiner Verhaftung doch die That gestehen, da selbst Blut an seinen Kleidern wahrzunehmen war. Der Mörder war bis vor 8 Tagen in Burkersdorf wohnhaft und stammt aus Böhmen, nahe der sächsischen Grenze, in der Gegend von Sebnitz. — Ein trauriges Ende fand am Donnerstag auf dem Rittergute Kleiuförstchen bei Bautzen der erst 17jährige Knecht Ernst Schiede aus Medewitz. Er hatte Auftrag erhalten, in ein 3 Mtr. tiefes Jau chenloch zu steigen, um die den Dienst versagende Jauchenpumpe zu reinigen. Der üble Geruch in diesem Loche veranlaßte den Schiede, sich eine Cigarre anzubrennen, wodurch die in der Grube befindlichen Gase sich entzündeten und der arme junge Mann urplötzlich völlig in Flammen stand. Trotzdem gelang es ihm noch, an der Leiter emporzusteigen und sich in einen Wassergraben zu werfen — doch die Brandwunden waren schon zu arg geworden und er mußte Tags darauf sterben. .