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windstill war; denn sonst würden nicht allein die angrenzenden Stra ßen gefährdet gewesen sein, sondern die ganze Kaserne, übrigens ein altes, die Stadt verunzierendes Gebände, worin ein Regiment Infanterie und Ulanen liegen, wäre ein Raub der Flammen geworden. Der Spezialkorrespondent der Berliner „National-Zeitung", wel cher die Reise zur Krönungsfeier in Moskau über Petersburg gemacht hat, erzählt unter Anderem: „Von Gatschina, dem bekannten Lustschloß und Privateigenthum der kaiserlichen Familie, bis Petersburg ist die Bahn mit Soldaten besetzt, welche die Augen scharf auf den Bahnkörper gerichtet haben und die Bewegung jedes sich ihm Nähern den genau beobachten. Doch das ist noch das Wenigste: auch die ganze Strecke von Petersburg bis Moskau, die mehr als sechshundert Werst umfaßt, wird auf dieselbe Weise bewacht. Mindstens alle hundert Schritte, oft aber auch in kürzerer Entfernung blitzt ein Bajonett hinter den Bäumen und Sträuchern auf, zuweilen stehen die Soldaten auch unmittelbar auf dem Eifenbahndamm, den sie im langsamen Schritt abmessen und dadurch vor jeder Wiederholung eines Attentats zu schützen suchen. Mit besonderer Sorgfalt giebt mau auf die Brücken Acht, welche die furchtbaren Unternehmungen der Nihilisten so sehr begünstigen. An jeden: Straßenübergang sind zwei Soldaten aufgepflanzt, die sich, so weit wir beobachten konnten, nicht von der Stelle rühren dürfen. Trotz ihres schweren Dienstes schauen die Bursche fröhlich und Wohlgemuth ihrer Pflicht ins Antlitz. Wie sie sich in den weißen, auf dem Felde aufgespannten Zelten versam meln, oder sich um das Feuer lagern, das sie unter ihrem Kessel an- gemacht haben, erscheinen sie zufrieden und glücklich, daß das Wohl befinden ihres Kaisers in ihre Hände gegeben ist. Allerneuesten Nachrichten zufolge ist am gestrigen Sonntag die Krönungsfeier in Moskau ohne Zwischenfall vollzogen worden. In Frankreich hat ein Deputirter zum Budget von 1884einen Antrag gestellt, der eine Reihe von Luxus st euern umfaßt. Sein Vorschlag erhöht die Steuern auf Luxuswagen, auf Reit- und Wagen pferde, verdoppelt die Hundesteuer, belegt den Grund und Boden, wo man ohne Jagdschein das ganze Jahr jagen darf, mit einer Abgabe von 10 Fres, für den Hectar und bestimmt, daß für jeden Livreebe dienten für's Jahr 20 Fres, mit einer Vermehrung von 10 Fres, jähr lich für jeden weiteren Bedienten bezahlt werden sollen. Schließlich fordert er eine Abgabe für Adelstnel; dieselbe beträgt jährlich für einen Fürsten (Prince) 100, für einen Herzog 80, für einen Marquis 70, für einen Grafen 60, für einen Baron 50, für einen Vicomte 40 und für einen einfachen „von" 80 Fres. Außerdem kann Jeder er mächtigt werden, einen dieser Titel zu tragen, wenn er außer den jähr lichen Abgaben dem Staatsschatz für den Prinzentitel 50,000, für den eines Herzogs 45,000, für den eines Marquis 40,000, für den eines Grafen 35,000, für de» eines Barons 30,000, für den eines Vicomtes 25,000 und für das einfache „von" 30,000 Frcs. bezahlt. Der Er trag aller dieser Abgaben soll in die „Kasse der Invaliden der Arbeit" fließen. Vaterländisches. Wilsdruff. Am Sonnabend Nachmittag ertrank beim Baden in der Mulde der hoffnungsvolle 18jährige Sohn des Böttchers Her mann Plattner von hier; derselbe, in hiesiger Stadt als Musiker sehr gut gelernt, stand beim Stadtmusikdirektor Kießig in Nossen in Con- dition. Der so plötzliche Tod dieses braven Jünglings hat dessen Eltern in tiefste Betrübniß versetzt. Der Verunglückte wird heute hier beerdigt werden. — Wir gestatten uns die geehrten Leser auf das im heutigen Jnseratenrheile angezeigte öffentliche Konzert des hiesigen gutreuommirten Gesangvereins „Liedertafel" aufmerksam zu machen. Dieses seit längerer Zeit guteingeübte Konzert verspricht durch sein fein ausgewähltes Programm sehr genußreich zu werden, weshalb wir dem geehrten Publikum den Besuch dieses Konzertes bestens empfehlen können. — Es dürfte nicht uninterresfant sein, zu hören, daß bei der Krönungskommission in Moskau auch ein geborener Tharander mit fungirt. Es ist das Herr August Lommatzsch, Besitzer des Hotels Demut in St. Petersburg, dem der Kaiser die Bewirthung sämmtlicher Volksmassen beim Krönungsfeste in Moskau übertragen hat. Der von ihm ausgearbeitete Bewirthungsplan wurde in allen Stücken als vorzüglich anerkannt und er selbst darauf, auf besonderen Wunsch des Kaisers, durch den Grafen Woronzow zur Krönungskommission zuge zogen. — Der vorige Freitag war ein für unser hohes Königshaus wie für das Sachsenland bedeutsamer Tag. An ihm vollendete S. K. H. Prinz Friedrich August sein 18. Lebensjahr. Damit ist der jugend liche Prinz großjährig geworden; er würde nach Artikel 8 der säch sischen Verfassung unter gegebenen Verhältnissen berechtigt sein, als König die Regierung anzutreten. Die gesammte königl. Familie be ging diesen Tag in Hosterwitz. — In schauererregender Weise ist am Morgen des 23. Mai in Heidersdorf bei Sayda ein in der dortigen Mühle beschäftigt ge wesener 19 Jahre alter Mühlburfche von einem Plötzlichen Tode ereilt worden. Derselbe wollte um besagte Zeit den großen Treibriemen auf die Transmissionswelle auslegen, als er plötzlich vom gehenden Zeuge erfaßt und in dasselbe hineingezogen, zur Decke hinangeschleu dert und zwischen letztere und eine an derselben befestigte Welle hin- eingequetscht wurde, so daß das Mühleuwerk augenblicklich still stand; der Leichnam konnte nur mit äußerster Mühe wieder herausgezogen werden. Die Verstümmelungen, die der Verunglückte erlitten hat, sind nicht zu beschreiben. Wermsdorf. Eine Dienstmagd namens Keller, 19 Jahr alt, wurde am 23. Mai von ihrem Bräutigam, dem Strumpfwirker Eichler, 24 Jahre alt, mit dem sie feit längerer Zeit in Unfrieden lebte, beim Grasabsicheln überfallen und derart mit einem Messer in Brust, Rücken und Arm gestochen, daß sie lebensgefährlich darniederliegt. Durch ihr Hülferufen erschreckt, entfloh Eichler nach einem liefen Teiche, wo er sich vermuthlich ertränkt hat. — Selten nur dürfte es einem Knappen vergönnt sein, eine gleich lange Schicht im Dienste des Bergbaues zu verfahren, wie der seit Kurzem pensionirte Gängsteiger Uhlemann in Braud. Mit Ausnahme einer vierwöchentlichen Krankheit ist derselbe fast 56 Jahre lang aus .Beschert Glück Fundgrube" frisch und rüstig ein- und ausgefahren. ,Der Tag feiner letzten Schicht ist seitens der Grubenverwaltung und dss Beamtenpersonals, wie seitens der gesammten Arbeiter mit großer Theilnahme begangen würden. Am vorigen Dienstag Abend stürzte in der Blücherstraße in Leipzig ein 4 Jahre alter Knabe aus dem Fenster der im 4. Gestock gelegenen Wohnung seiner Eltern in den Hofraum hinab und blieb auf der Stelle todt liegen. — 1>r. Wislicenus, der bekannte Wanderlehrer des Volksbildungs- Vereins, hat vor einigen Tagen in Seifhennersdorf einen Vortrag über die Lage des Handwerks gehalten und unter anderem ausgeführt: „Deutschland war vor der Reformation das reichste Volk in Europa, jedoch durch den schrecklichen 30 jährigen Krieg, der unser Vaterland in eine Wüste verwandelte, sind wir von unserer Höhe herabgestürzt und haben uns seit jener Niederlage nicht mehr recht herausarbeitcn können. Wir traten arm ins 19. Jahrhundert. Dazu kommt, daß sich unser Volk ungeheuer vermehrt; es nimmt jährlich, wenn man 50 000 Answanderer abrechnet, um 600 000 Menschen zu. Diese wollen sich nähren, und da seit der Einigung Deutschlands und seit dem Milliardensegen Jeder auf Besserung hoffte, diese aber noch nicht erfolgt ist, so herrscht eine allgemeine Klage unter allen Stände». Die Klage des Handwerks tritt au »ns besonders heran, denn die Hand werker haben immer eine hervorragende Stellung eingenommen. Man sagt, das deutsche Handwerk sei auf dem besten Wege zu Grunde zu gehen; dies ist nicht wahr. Wahr ist es jedoch für gewisse Gegenden, besonders wo Weberei getrieben wird, daß der Handwerkerstand an selbständigen Meistern zurückgeht, daß die große Industrie die kleine» Meister verdrängt. Auf anderen Gebieten hat das Handwerk aber bedeutend an Vertretern zugenommen. Ihre Zahl hat sich verfünf facht, das Volk nur verdoppelt. Der Handwerkerstand klagt, die Kon kurrenz fei zu groß, besonders die schäbige Konkurrenz. Es giebt aber Mittel, nm das Handwerk zu heben. Der Handwerker muß etwas kaufmännisch denken; er muß sich Kunden suchen (reisen); die Kunden zu erhalten suchen (Versprechen halten) und baar zahlen. Sodann muß sich das deutsche Volk eine schuellere Methode des Arbeitens an- gewöhuen (der amerikanische Arbeiter arbeitet in einer Stunde doppelt soviel als dec deutsche) und es muß den Sonntag heiligen. Ein Volk, das den Sonntag nicht heiligt, ist am Montag matt. Höchst schädlich für das Handwerk sind auch die sogenannten „Blauen Montage" der Handwerker. Man hat berechnet, daß dadurch unser Volk jährlich 2 Milliarden Mark verliert; in England und Amerika kennt man den blauen Montag nicht. Daß Dr. Wislicenus, der be kannte Freidenker, jetzt zu der Ueberzeugung gekommen ist, daß unser Volk den Sonntag heilig halten muß, ist gewiß eine bezeichnende Wandlung, die sich auch in liberalen Kreisen zu vollziehen beginnt. — Mit dem 9 Uhr in Dresden-Altstadt abgehenden Personen- zuge hatte am Vormittage des 25. Mai auch ein Gerichtsdiener aus Bautzen einen Gefangenen nach Zwickau zu transportiren. Auf der Fahrt zwischen Edle Krone und Klingenberg hat Letzterer das Koupe selbst geöffnet und ist, die in Folge der großen Steigung dort statt- findende langsamere Fahrt benutzend, dem Zuge entsprungen. Doch nicht lauge sollte er sich der Freiheit erfreuen. Der seine Strecke revidirende Bahnmeister in Klingenberg und auf der Strecke arbeitende Leute nahmen den Entsprungenen fest und brachten ihn nach dem Bahnhof Klingenberg. Der Transporteur ist in Bobritzsch ausgestiegen, um seinen Pflegebefohlenen wieder suchen zu helfen und fuhr mit ihm im nächsten Zug von Klingenberg weiter. — Meißen. In einem Steinbruch bei der Karpfenschenke sind am 24. Mai durch herabgestürztes Gestein mehrere Steinbrecher schwer und einer leicht verletzt, zwei aber gänzlich verschüttet worden. Letztere, namens Mehlig und Häuschen von Diere, sind am anderen Morgen aus dem Steinwerk todt herausgebracht worden. Bei Mehlig ist die Uhr noch im Gange gewesen. — In Loßnitz bei Freiberg fand man am 26. d. Abends den 52jährigen beurlaubten Sträfling der Arbeitsanstalt Hilbersdorf, K. Aug. Heimann aus Reichenbach b. Siebenleh», im Straßenteiche da- felbst entseelt auf. Die Beine waren unterhalb des Knies mit seinem Halstnche zusammen gebunden. — Einen zwar dem Tode entsprechenden aber doch immer außer gewöhnlichen Gegenstand, sich daran aufzuhängen, wählte sich dieser Tage in Chemnitz ein Lebensmüder. Der Unglückliche, ein dortiger Kattundrucker hatte sich auf dem alten Friedhöfe an einem Grabkreuz erhängt. — Wir machen auch in diesem Jahre darauf aufmerksam, daß das Ab reißen und Entwenden der Btüthen (Hollunder und dergl.) von Bäumen und Sträuchern, wobei meistens die Bäume und Sträucher arg beschädigt werden, als Diebstahl, bezw. als Sachbe schädigung im Sinne von § 303 des Strafgesetzbuches bestraft wird. Letzterer Paragraph bestimmt, daß, wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, mit Geldstrafe bis zu 1000 M. oder mit Gefängniß bis zwei Jahren bestraft wird. Geschieht die Beschädigung an Gegenständen, welche zum öffentlichen Nutzen oder zur Verschöne rung öffentlicher Wege, Plätze oder Anlagen dienen, so tritt noch H 304 des Str.-G-B. Gefängniß bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bis 1500 M. ein. — Im Monat März wurden in 186 Sparkassen im König reich Sachsen in 82,520 Posten 6,569,253,28 M. ein- und in57,205 Posten 7,011,722 M. zurückgezahlt. Die einzelnen Kreishauptmann schaften sind an diesen Beträgen wie folgt betheiligt: Dresden: 24,491 Einzahlungen mit 1,710,184,93 M. und 20,530 Rückzahlungen mit 1,898,906,93 M.; Leipzig: 23,863 Einzahlungen mit 1,788,677,83 M. und 18,042 Rückzahlungen mit 2,143,030,07 M.; Zwickau: 26,356 Einzahlungen mit 2,346,828,46 M. und 13,339 Rückzahlungen mit 2,241,379'99 M.; Bautzen: 7810 Einzahlungen mit 723,562,06 M. und 5294 Rückzahlungen mit 728,405,01 M. — In den drei ersten Monaten d. I. wurden zusammen in 340,707 Posten 26,726,996,12 M. ein- und in 221,076 Posten 23,981,455,57 M. zurückgezahlt, gegen die gleiche Zeit des Vorjahres 331,849,07 M. weniger Einzah lungen und 55,700,36 M weniger Rückzahlungen. — Oschatz, 23. Mai. Die Einweihung des hiesigen neuen Schulgebäudes, das eines der schönsten im ganzen Lande ist, soll nun bestimmt am 19. Juni vorgenommen werden. Die Feier soll in zwei Abtheilunge» zerfallen, nämlich in die eigentlichen Einweih ungsfeierlichkeiten und in das für diesen Tag in Aussicht genommene Schulfest. An Se. Exz. den Kultusminister v. Gerber wird für diese Einweihungsfeierlichkeiten eine Einladung ergehen. Vermischtes. * Der Kreml, zu deutsch die „Burg" zu Moskau, der Mittel punkt der gegenwärtig dort stattfindenden Krönungsfeier, besteht aus einer großen Anzahl alter, zum Theil sehr ausgedehnter Paläste, Kirchen und sonstiger Gebäude. Er liegt auf einem, die ganze Stadt beherrschenden, über 100 Fuß hohen Hügel, in welchem sich nicht nur alle Erinnerungen Moskaus, sondern auch diejenigen des ganzen alten Rußland vereinigen. Für die Russen ist der Kreml die heiligste Stätte, erst die Kanonen und Glocken des Iwan Weliki verkünden ihm, daß der Zar den Thron seiner Väter bestiegen hat. Der festungsartige