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r r n e Btilagc zu Nr. 68 des Amts- u. Wochenblattes für Wilsdruff. Freitag, den 23. August 1882. Verschlungene Aahnen Zeitroman von Ferd. Kießling. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Endlich, als etwas mehr Ruhe eingetrelcn war, nahm der Ober förster wieder das Wort: „Alle Glücklichen haben heute Gaben gespendet, und gerade die, welche Fortuna am reichsten bedacht, stehen mit leeren Händen hier. Nun, Arthur und Edgar, was habt Ihr Eueren Nachbarinnen zu spenden? Beide schlugen erröthend die Augen nieder. „Seht, wie gut es ist, daß Ihr einen Vater habt, der an Alles denkt." Mit diesen Worten nahm er zwei kleine, reichverzierte Kästchen aus einem Schranke und setzte sie vor seine Söhne hin. Fast zugleich öffneten Arthur und Edgar dieselben. Sie enthielten — Verlobungskarten. Tief gerührt sanken die glücklichen Paare den Eltern an die Brust und diese legten segnend die Hände auf das Haupt ihrer Kinder. In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür und Aron trat ein. Nachdem er von allen Seiten herzlich begrüßt worden war, fragte ihn der Oberförster scherzend: „Stört es den Israeliten nicht, das Christfest mit uns zu begehen und an unserer Freude Theil zu nehmen?" „Herr Oberförster," entgegnete er lächelnd, „hab ich gehört vor Kurzem von unserem Rabbiner einen Vers, der gewiß mit Ihrer und meiner Ansicht übereinstimmt. Er lautet: „Ob Jub', ob Christ', ob Heid', ob Muselmann, Wir alle schaun zum Herrn des ewigen Lichtes, Doch der, dem And'rer Glück nicht freuen kann, Der sage auch von seinem Glauben nichts! Jedweder Glaub' ist recht und fest begründet, Der seine Freud' an Lieb' und Wohlthun findet." „Bravo, Aron," sprach der Oberförster, dem Juden die Hand schüttelnd, „wollte Gott, es dächten alle Priester so wie Euer Rabbiner." „Aron," rief jetzt Edgar aus, „ich weiß, welch' innigen Antheil Sie an uns nehmen, darum sollen Sie der Erste sein, der unser Glück erfährt." Er überreichte Aron eine Karte. „Nehmen Sie auch die Unsere, Aron," fügte Arthur bei. „Zwei Brautpaare!" rief er freudig, und den Glücklichen die Hand reichend, fuhr er fort: „Gott segne Sie. Er lehre Sie die schweren Tage der Trübsal vergessen und mache Sie recht glücklich. Aber nun soll mir noch Jemand sagen, daß Ahnungen Thorheiten sind. Als ich erfuhr, daß Arthur heute zurückkehreu würde, lief ich eilig hin, nm zu kaufen ein kleines Geschenk; ich wählte zwei Ringe und es war, als ob mir Je mand zuflüslerte: „Aron, nimm vier Stück!" Ich thats, und nun sehe ich, daß die innere Stimme doch Recht gehabt hat." Mit diesen Worten reichte er jedem der Brüder ein Etui, in welchem sich je zwei äußerst reiche und sinnig gearbeitete Ringe befanden. „Seht," sprach er mit freudigem Gesicht, „so habt Ihr zu den Verlobungskarten auch gleich die Verlobungsringe." Mit Worten in nigen Dankes wurde das reiche Geschenk entgegen genommen und bald darauf glänzten die Ringe an den Fingern der vier Glücklichen. „Aron," sprach die 'Oberförsterin bewegt, „wer noch ein Wort von dem Egoismus der Juden sagt, der hats mit mir zu thun." Aron lächelte und reichte der Oberförsterin die Hand. Die Uhr hatte bereits die zehnte Stunde verkündet, als die Be diensteten das Zimmer mit herzlichsten Dankesworten verließen; allein die Uebrigen blieben noch vereint und der Oberförster bat Frieda, ein Lied zu singen. Auch die Uebrigen stimmten in die Bitte mit ein. Frieda nahm am Piano Platz und nach kurzem Vorspiel sang sie: „Bald schmückt die starre Erde Sich wieder neu und jung Mit blumiger Geberde Und neuen Frühlingsprunk. Auchs Herz hat eine Sonne Mit frischer Frühlingspracht. Die Lieb mit ihrer Wonne Hats sreundtich angelacht. Nun mag sichs Herz nicht halten Mit seiner Liedersüll, So mag es frei denn schalten, Es war ja lange still. Froh mags den Schöpfer loben, Der schuf die Friihlingspracht, Ja, Vater, Du da droben, Hast Alles wohlgemacht!" Längst war Mitternacht vorüber, als endlich die Glücklichen die Ruhe suchten. Droben über dem Försterhause stand der Mond im reinstem Glanze, und es war, als ob er den lichten, flimmernden Sternen, denen er auf seiner Wanderung begnegnete, erzählte, daß er noch nie so glückliche Menschen gesehen habe, als heute in dem Försterhause. Sechszehntes Kapitel. Die Bewohner der Residenz kamen seit einiger Zeit aus der Auf regung gar nicht mehr heraus. Der Verhaftung einer Verbrccherbande war die grausige Szene im Hause des Fräulein von Hoyer gefolgt, und hieran schloß sich wieder die Arretur des bisher in hohem Ansehen gestandenen Justiz- rath Kersten. Ueber letzteren Fall herrschten die verschiedensten Gerüchte. Wäh rend man hier nur von Veruntreuungen und widerrechtlicher Besitz nahme des Schlosses Söllnitz sprach, erzählte man sich dort von weit schlimmeren Verbrechen und fast in jedem Hause bildeten diese Fälle das stehende Tagesgespräch. Auch im Gasthofe zum goldenen Helm drehte sich das Gespräch um die vorerwähnten Themata. Hier saßen an dem massiven, mächtigen Stammtische zehn bis zwölf Bürger der Residenz beim schäumenden Biere, und der behäbige s Wirth hatte unter seinen Gästen mit Platz genommen, die Bedienung j seiner Frau und der schmucken Kellnerin überlassend. „Ja, ja," nahm der Kaufmann Schubert das Wort, „ich Habs von der Frau des Gerichtswachtmeisters gehört, die bei mir ihre Ein käufe macht, der Justizrath Kersten ist auch eines Mordes verdächtig." „Wie?" riefen alle erstaunt, „eines Mordes und an wem denn?" „Das ist noch nicht an die Oeffentlichkeit gedrungen." „Das ist ja entsetzlich," warf der Wirth em. „Ja," fuhr der Kaufmann fort, „es mag ein sauberer Patron sein, dieser Justizrath Kersten, und die Göllnitzer wissen ein Lied da von zu singen." „Sein Sohn, der Assessor," bemerkte ein Anderer, „scheint der ebenbürtige Nachfolger seines Vaters zu sein, und bei ihm bewährt sich das Sprichwort: der Apfel fällt nicht weit vom Stamme." „Das arme Fräulein von Hoyer liegt seit der aufregenden Szene noch immer schwer krank." „Ja, und das unglückliche, vom Assessor betrogene Mädchen ist ihrem Elende erlegen," fügte der Wirth bei. „Was hört man denn von der Bande, die im lustigen Zecher aufgestöbert worden ist, Wirth?" „Die sollen sich noch immer aufs Leugnen legen, trotzdem, daß eine Menge Belastungsmaterial gegen Sie vorliegt." „Na, die Verhandlung wirds schon klar legen. — Vielleicht sind die Schurken auch bei dem gegen den Baron Jllnow und die Gräfin Dornberg verübten Raubanfalle betheiligt gewesen." „Kann wohl sein," fügte der Kaufmann bei. „Doch, a propos," fuhr er fort, „habt Ihr schon gehört, daß in drei Wochen die Hochzeit der beiden stattfinden wird?" „Da werden wohl unsere reichen Stutzer vor Neid fast platzen, wenn sie seben müssen, wie ein Fremder die von allen umschwärmte schöne und reiche Gräfin heiniführt." Dieses Gespräch wurde durch den Eintritt einer schönen, aber bleichen und krank aussehenden Frau unterbrochen. Sie mochte in der Mitte der dreißiger Jahre stehen. Ihr schlanker Wuchs wurde durch ein eng anliegendes, schwarzes Kleid noch mehr hervorgchoben, und die ganze Erscheinung hatte etwas ungemein im- ponirendes. Um den fein geschnittenen Mund lag ein Zug stiller Ergebung und die schönen Angen schienen vom Weinen geröthet. Der Wirth ging auf sie zu. „Mit was kann ich dienen, verehrte Dame?" fragte er. „Ich bin in Ihren Gasthof empfohlen worden und bitte, mir ein Zimmer anweisen zu lassen," entgegnete sie. „Ihr Wunsch soll sogleich erfüllt werden," sprach er mit einer Verbeugung. „Bertha," fuhr er zu seiner Frau gewendet fort, „bringe diese Dame nach Nr. 2." Die Wirtbin zündete Licht an, und während dieser Zeit legte der Wirth der Dame das Fremdenbuch vor und bat sie, ihren Namen einzutragen. Sie erfaßte die dargereichte Feder und schrieb: „Frau Elsa Tschernikoff aus Nowgorod." Der Wirth nahm dankend das Fremdenbuch weg und bat die Dame, seiner Frau zu folgen. Kaum hatte die Fremde das Zimmer verlassen, so nahm der Kaufmann das Gespräch wieder auf. „Wer ist diese Dame?" fragte er den Wirth. Dieser las den Namen aus dem Fremdenbuche vor. „Nowgorod," fragte er, „wo mag das liegen?" „Ei, mit Ihrer Geographie scheint es nicht weit her zu sein," antwortete selbstbewußt der Kaufmann. „Die Stadt liegt in dem gleichnamigen russischen Gouvernement am Ausflusse der Wolchow aus dem Ilmensee. Im Mittelalter überragte diese Stadt bei weitem Petersburg, doch ist die Einwohnerzahl auf etwa 20,OM Seelen herab- gegangen." „Sie wissen aber auch Alles, Schubert," entgegnete der Wirth. „Nun, es fehlt mir noch genug; doch in der Geographie haben meine Eltern das Schulgeld nicht weggeworfen. — Was mag die Dame hier wollen?" fuhr er fort. „Ich weiß es nicht; die Rubrik „Zweck des Aufenthaltes" hat sie unausgefüllt gelassen. Vielleicht hat sie einen Trauerfall hier, denn ihre Augen schienen verweint, und auch die schwarze Kleidung läßt dies vermuthen." Jetzt wurde die Thür aufs Neue geöffnet, und zu aller Erstaunen trat der Baron von Jllow in das Zimmer. Mit einer tiefen Verneigung trat ihm der Wirth entgegen. „Was verschafft mir die hohe Ehre, Herr Baron?" fragte er. „Es ist eine Dame bei Ihnen abgestiegen," eutgegnete er, mit sichtlicher Erregung kämpfend, „die mir schrieb, daß sie mich zu sprechen wünsche." „Gewiß, Herr Baron, es ist eine Frau Elsa Tschernikoff aus Rußland." Der Baron zuckte bei Nennung des Namens leicht zusammen, dann sprach er: „Bitte, führen Sie mich zu ihr." Er nahm ein Licht und bat den Baron, ihm zu folgen. Beide stiegen die Treppe hinauf und bald waren sie an dem Ziumer, welches die Fremde bewohnte, angelangt. „Hier ist das Zimmer, Herr Baron." „Ich danke. <Änd die anstoßenden Zimmer auch bewohnt?" fragte er nach einer Pause. „Nein, Herr Baron." „Gut" Er trat ein. Der Wirth verneigte sich und ging. Hören wir dem Gespräch der Beiden zu. „Weib, welcher Dämon führt Dich hierher?" rief eintretend der Baron. „Manuel," entgegnete mit thränenerstickter Stimme die Frau, „und das fragst Du noch? Habe ich das an Dir verdient, daß Du mich vorhin verleugnetest?