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die sich der Laube näherten. „Heiliger Gott, mein Vater!" flüsterte Constanze. „Wer mag der Andere sein?" fragte leise Edgar. „Es ist des Vaters Dämon, der Baron Jllnow." Armen; allmählich versank sie in tiefe Träumrrei, und ein wehmüthiges Lächeln bildete sich um ihren halbgeöffneten Mund, dessen leises Beben zu sagen schien: „Ich bin doch noch glücklich." „Wer vermöchte uns zu trennen, theure Constanze," unterbrach endlich Edgar das Schweigen. „Du und meine Liebe! Wo sollte da eine Gefahr sein, die ich mir zu überwinden nicht getraue?" „Ich danke Dir, Edgar, füe die süßen Worte des Trostes. Ach, ich bin so glücklich im Bewußtsein Deiner Liebe! Ist doch die arme Frieda von Erlau noch weit unglücklicher als ich." „Sieh, und doch ist sie so muthig und stark. Sie weiß ja, daß Arthurunschuldig ist, und daß er ihr bald zurückgegeben werden muß." „Ach, könnte ich ihr doch auch ihr Eigenthum zurückgeben!" fügte Constanze mit einem Seufzer hinzu. Wieder versanken beide in trauriges Nachdenken. Und gleichsam, als wollte sie die Liebenden trösten, flötete eine einsame Nachtigall, die sich auf den höchsten Zweigen einer schlanken Birke wiegte, ihr süßes Liebeslied. Fast unwillkürlich sahen Beide nach dem Vogel auf und fester schmiegte sich Constanze an die hochwallende Brust des Geliebten. „Hörst Du die klagenden Töne?" fragte sie ernst, „sollte das der trübe Schlußaccord unserer reinen Harmonie sein?" „O nicht doch, Constanze! Wer vermöchte die starken Banden unserer Herzen zu trennen?" Sanft umschlang er die Geliebte und drückte heiße Küsse auf die Pupurlippen. Aus dieser Umarmung wurden die Liebenden durch nahe Tritte gestört, und bald darauf unterschieden sie die Stimmen zweier Männer, „Durchlaucht, er ist seit einem Jahre hier in der Residenz und hier in den besten Familien eingeführt," „Kennen Sie ihn genauer?" „Er verkehrt oft in meinem Hause, Durchlaucht." „Woher kommt er?" „Aus Rußland." „Man sagt, er werde sich mit der reichen Gräfin von Dornberg in nächster Zeit verloben?" „So ists, Durchlaucht. — Die öffentliche Verlobung soll noch in diesem Monat stattfinden." „Ich begreife nicht, daß er sich bei dem Raubanfalle nicht ver- theidigt hat." „Er hat es gethan. — Doch wenn Ew. Durchlaucht geruhen wollen, ihn zu empfangen, ich habe ihn gebeten, mich zu begleiten, und er wartet im Vorzimmer." „Gut, lassen Sie ihn eintreten." Der Polizei-Präsident ging und kehrte bald mit dem Baron zu rück, welcher sich mit der einem Manne von gesellschaftlicher Etiquette eigenen Grazie tief verneigte. „Herr Baron von Jllnow?" fragte der Fürst. „Zu dienen, Euere Durchlaucht!" entgegnete er mit abermaliger tiefer Verbeugung. „Ich wünsche Ihnen Glück, Herr Baron, zu Ihrer bevorstehenden Verbindung mit der Gräfin von Dornberg und bedauere gleichzeitig, daß Sie in meinem Lande, und noch dazu in unmittelbarer Nähe der Residenz überfallen und beraubt worden sind." „Ich möchte dem Geschick für diesen Unfall dankbar sein, da mir durch ihn das hohe Glück zu Theil geworden ist, dem edelsten Fürsten meine tiefe Ehrfurcht bezeuge» zu können." „Gefällt es Ihnen in meinem Lande?" „So sehr Durchlaucht, daß ich für immer hier zu bleiben gedenke." „Das freut mich. — Doch würden Sie mich verbinden, Herr Ba ron, wenn Sie mir den ganzen Hergang der unseligen Ueberfalls- Affaire einmal ganz genau erzählen wollen." „Wie Ew. Durchlaucht befehlen." Er begann: „Ich hatte mit der Gräfin von Dornberg eine Spazierfahrt nach der Sommerresidenz Ew. Durchlaucht vorgenommen. Die herrlichen Anlagen, die in dem schönsten Blumenflore prangten, fesselten unsere Aufmerksamkeit so sehr, daß uns der Abend dort überraschte. Es fing bereits an zu dunkeln, als wir in den Wagen zur Rückfahrt gestiegen, und kaum waren wir in den eine Stunde vor der Residenz gelegenen Wald eingebogen, als Plötzlich, begünstigt von der Dunkelheit sechs vermummte Männer aus dem Holze hervorbrachen. Zwei fielen den Pferden in die Zügel und riefen dem Kutscher mit gehaltenen Pistol ein Halt zu, während die übrigen vier zu beiden Seiten des Wagens sich aufsteUten, und uns ebenfalls mit vorgehaltenen Pistolen Geld und Werthsachen abforderten. Rasch entschlossen, riß ich in Ermangelung anderer Waffen dem Kutscher die Peitsche aus der Hand, um mich mit dem umgekehrten Stiel zur Wehr zu setzen. Allein die erschrockene Gräfin hielt mich, besorgt für ihr Leben, zurück, fürchtend, daß die Räuber durch Wiederstand zum Abfeuern der vorgehaltenen Pistolen gereizt werden möchten und bat innig ihrem Beispiele zu folgen und wie sie alle Kostbarkeiten den Räubern zu übergeben. Mit Zähnen knirschend gab ich ihren Bitten nach, und kaum waren die Schurken im Besitz unserer Werthsachen, so stoben sie auseinander, um in wenigen Augenblicken im Walde zu verschwinden." „Abscheulich!" rief der Fürst. „Haben Sie sogleich nach Ihrer Ankunft Anzeige gemacht?" „Zu dienen, Durchlaucht! — Mein erster Weg war zu dem Polizei-Präsidenten." „Was haben Sie nach geschehener Anzeige für Maßregeln ergriffen?" fragte der Fürst den Polizei-Präsidenten." „Ich beorderte sofort eine Abtheilung Gensdarmen, den Wald abzusuchen, ließ alle Eingänge zur Stadt bewachen, allein alle Be mühungen blieben erfolglos." Der Fürst schärfte dem Polizei-Präsident nochmals die größte Thätigkeit ein und sicherte dem, der die Verbrecher zur Strafe über lieferte, eine namenhafte Belohnung und Beförderung zu. Beide wurden sodann entlassen, wobei der Fürst dem Baron an der bereits geöffneten Thür sagte: „Ich hoffe, Herr Baron, daß wir uns noch recht oft sehen; melden Sie Ihrer Braut, der Gräfin von Dvrnberg, mein herzliches Beileid an dem betroffenen Unfall." Diese Worte drangen wie ein Donnerschlag in die Ohren eines Mannes, der auf eine Audienz im Vorsaal wartete. Es war der Justizath Kersten. Die strahlengeschmückte Königin des Tages ging zur Rüste und spiegelte scheidend ihre letzten Strahlen auf den Wipfeln der Bäume des Schloßparks zu Söllnitz ab. Langsam starben die Strahlen an den grauen Mauern des Schlosses ab und allmählich brach die Nacht herein. An dem Hellen Himmelszelte leuchteten die lichten Sterne auf, und in den Wipfeln der Bäume rauschte es wie süßes Liebesgeflüster. Auch aus einer dicht umwachsenen, süß duftenden Jasminlaube tönte ein trauliches Flüstern. Es waren die Stimmen Edgars und Constanzes. Constanze hatte zärtlich das Haupt auf die Schulter Edgars geneigt. Dieser hielt die Geliebte umfaßt, indem er mit weicher Stimme sprach: „Laß uns den Muth nicht verlieren, theure Constanze. Sieh, wie die Natur im reichen Frühlingsschmucke prangt! Und doch war sie vor wenig Wochen noch mit Schnee und Eis bedeckt! Und so wie der Lenz nach starrer Winternacht die Flur schmückt und beglückt, so wird auch uns nach herben Tagen des Leides die Sonne des Glückes wie derkehren." „O, suche mich nicht mit vergeblichen Hoffnungen zu täuschen, Edgar," entgegnete Constanze mit bewegter Stimme, „ich kenne unsere Lage in ihrem ganzen, schrecklichen Umfange, und bei Dir, Geliebter, fühle ich den Muth, Alles zu ertragen, was mir das Schicksal auf bürdet." Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und brach in heftiges Weinen aus. „Um Gottes willen, sei still, liebes Herz," bat Edgar, indem er die Thränen aus dem schönen Auge küßte, „vielleicht ist Dein Vater doch nicht so schuldig, als wir fürchten. Und wenn auch, was hat dies mit unserer Liebe zu thun? Duweißt, mein Vater ist ein reicher aber völlig vorurtheilsfreier Mann, er wird die schuldlose Tochter nicht für die Fehler ihres Vaters verantwortlich machen. Und an meiner Liebe zweifelst Du gewiß nicht." In ihren feuchten Augen glänzte ein leichter Hoffnungsstrahl. In einer süßen Hingebung der Liebe und Unschuld lag sie in seinen Vorsichtig erhoben sich die Liebenden und schlichen aus der Laube. Indessen war wegen der Nähe der Ankommenden an eine Flucht nicht mehr zu denken, und so blieb ihnen nichts übrig, als sich in den Park zurückzuziehen und sich in dem hinter der Laube gelegenen dichten Strauchwerk zu verbergen. Zu ihrem nicht geringen Schreck nahmen Beide in der Laube Platz. „Hier können wir unser Gespräch beenden," sprach der Justizrath, sich auf die Bank niederlassend. Auch der Baron nahm Platz. „Es gilt also Vorsicht, Herr Justizrath!" sprach er. „Was mag der Oberförster bei dem Minister gewollt haben?" „Das weiß ich nicht; mir ist nur bekannt geworden, daß die Verhaftung seines Sohnes besprochen worden ist, und daß er sich einen Erlaubnißschein zum Besuch seines Sohnes ausgewirkt hat." „Tod und Teufel!" „Man spricht bereits in der Residenz davon, daß die Untersuchung sehr leichtfertig geführt worden und der Förster unschuldig sei. — Sie werden also gut thun, den Burschen so rasch als möglich zu entlassen." „Das geht nun nicht so rasch ab — und die plötzliche Nieder schlagung der Untersuchung würde noch mehr Verdacht erregen." „So geben Sie ihm Gelegenheit zur Flucht." „Das' wäre der beste Ausweg. — Aber wo nehme ich das Geld für Aron her?" „Sollte das so ängstlich fein?" fragte der Baron. „Gewiß!" versetzte der Justizrath; „da wir nun einmal einen Freundschaftsbund geschlossen haben, will ich ganz offen sein. Unter den Papieren Erlau's fand ich vor Kurzem einen angefangenen Brief, in welchem unter Anderem die Worte standen: „Die auf meinen letzten Willen bezüglichen Papiere werden meine Kinder in dem geheimen Fach des Familienschmuckkastens finden." Ich habe von diesem ge heimen Fach keine Ahnung gehabt." „Und will der Jude das Kästchen nicht herausgeben?" „Nein, er verlangt zuvor die Summe, die ich Ihnen gegeben, und diese bin ich gleich zu schaffen außer Stande." „Hm, so schreiben Sie morgen dem Juden, daß das Geld bereit liege, und fordern Sie ihn auf, das Kästchen auf das Schloß zu bringen, und da den Betrag in Empfang zu nehmen. Ist er aber dort, so giebt es ja Mittel genug, ihn zur Herausgabe — wenigstens der Papiere zu zwingen." „Sie kennen ihn nicht — er besteht wie sein Vorfahr Shylok auf seinen Schein." „Nun, so mag er seinen Trotz büßen und das Schicksal Erlau's theilen." In diesem Augenblicke zitterte ein leises Stöhnen durch die stille Nacht. Erschrocken sprangen die Männer auf.— Indessen es war Alles wieder still, und so viel sie umherspähten, nirgends gewahrten sie etwas Verdächtiges. „Es wird ein Nachtvogel gewesen sein!" sprach der Justizrath. „Teufel, wenn man uns belauscht hätte!" entgegnete sich ängstlich umschauend der Baron. Beide schlichen dem Waldpfade zu und trennten sich dort. In dem Gebüsch aber lag Constanze ohnmächtig zu den Füßen des Geliebten, welcher vergebens Alles aufbot, sie in das Leben zu- rückzurufen. (Forts, folgt.) Vermischtes. * Eine Fügung Gottes. Man schreibt dem Wiener „Fremden blatt" aus Weitra im Waldviertel: Dieser Tage spielten zwei Brüder, von denen der eine 8 Jahre, der andere beinahe 4 Jahre alt ist, un weit einer Mühle am Bache. Um die Mittagsstunde stürzt der jüngere Knabe in den Bach. Der ältere bemerkt die Gefahr und stürzt sich in das Wasser, das wohl nicht sehr tief ist, aber hier ein starkes Ge fälle hat. Das Kind schwebt in großer Gefahr; wird es nicht auf derselben Stelle, wo es hineinfiel, herausgezogen, ist es verloren, denn cs wird von dem immer schneller fließenden Wasser unter das Räder werk der kaum zwanzig Schritte entfernten, im Gange befindlichen Mühle getrieben. Es scheint auch dem unausweichlichen Tode von den Wellen zugetrieben zu werden. Der ältere Bruder eilt nach, von dem Gefälle der Wassers unterstützt. Schon hat er den Bruder er reicht — schon umklammert er den Halbtodten Kleinen, scheinbar aber nur, um mit ihm zu sterben. Mit schrecklicher Eile werden beide Kinder dem zermalmenden Räderwerke zugetrieben, die reißendenden Wellen tragen den schreienden und den betäubten Knaben in die Arme des Todes. Kein Mensch hört die jammernden Hülferufe. Schon kommen die festumschlungenen Brüder beim Rade an, schon droht eine Felge den Arm des älteren zu erfassen — da bleibt die Mühle plötzlich stehen; es läutet 12 Uhr, entblößten Hauptes naht betend ein Müller bursche, der — da zum Gebet und zur Mittagsruhe die Mühle außer Gang gebracht wurde — unwissentlich die beiden Kinder aus ihrer Lage befreit hat.