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Beilage Kochenblattes für Wilsdruff. zu Nr. 66 des Amts- u. Z Freitag, den 18. August 1882. Ernte-Aussichten in Nordamerika. Seit mehreren Wochen hat sich in Nordamerika das Wetter so zum Besseren gewendet, daß die ohnehin schon guten Ernteaussichten dadurch noch bedeutend gewonnen haben. Der zu erwartende Ertrag der Weizenernte wird auf mindestens 450 Millionen Bushel (163 Millionen Hektoliter) geschätzt, wahrscheinlich würden aber 500 Mill. (182 Mill. Hekt.) erreicht und damit die bisher bei Weitem beste Ernte des Jahres 1880 noch übertroffen werden. Gegenüber der Mißernte in 1881 (380 Mill. Bushel) wird die diesjährige Ernte aller dings sehr günstig ausfallen, danach aber dürfte die Exportfähigkeit der Vereinigten Staaten Heuer hinter derjenigen der Jahre 1879 und 1880 zurückbleiben, einmal, weil die Vorräthe ziemlich gelichtet sind, die Bevölkerung in der letzten Zeit an Zahl, Wohlstand, also eigenem Bedarfe, ungemein rasch zugenommen hat und dann, weil die Mais ernte geringer ausfallen dürfte, als in Mitteljahren, was den Ersatz im inländischen Verbrauch durch andere Getreidearten zur Folge hat. In Betreff des Mais erhält nämlich der vorliegende Bericht die An gabe, daß, obgleich die damit bestellte Bodenfläche um 4 Prozent oder 2,5 Millionen Acres zugenommen hat, doch der Stand der Saaten bisher keine hohen Erwartungen zuläßt. Wegen der durch die Frühjahrskälte verspäteten Aussaat, des folgenden nassen und kalten Wetters und vieler Ueberschwemmungen waren anfänglich die Aussichten sehr trübe. Im Juni stärkten sich die Saaten, und auch die erste Julihälfte war gut; wenn die Witterung im August günstig bleibt, kann noch ein Theil des Schadens sich ausgleichen, wird der Stand mit 85 Prozent einer Mittelernte bezeichnet. Augenblicklich nach dem Durchschnittsertrage des Vorjahres würde dies Heuer eine Ernte von nur 1200 Millionen Bushels ergeben; diese könnte aber auch durch Besserung der Saaten in den letzten Wochen bis auf 1500 oder 1600 Millionen Bushels steigen. Die Roggeuernte ist derjenigen des Weizens verhältnißmäßig gleich günstig, nämlich mit 100 zu schätzen, was also 24 Millionen Bushels gäbe. Hafer scheint ertragsreich, Gerste mittelmäßig. Aller Beachtung Werth erscheint die Thatsache, daß der Kartoffelbau in Amerika ungemein rasch zunimmt; die Er weiterung der demselben gewidmeten Fläche beträgt seit vorigem Jahre nahezu 7 Prozent. Dieser Umstand darf nicht übersehen werden, be sonders Hierzuland, von wo in den letzten Jahren bedeutende Mengen dieser Feldfrüchte nach Nordamerika ausgeführt worden sind. Die Gesammt-Kaitoffelausfuhr des deutschen Reiches hat im Jahre 1877 19 Millionen, in jedem der Jahre 1879 und 1880 35 Mill. Mark betragen. Amerika, das bisher Kartoffeln eingefnhrt, dürfte nach den vorliegenden Berichten bald die gegentheilige Handelsrichtung ein schlagen, und uns speziell in England Konkurrenz machen. Uebrigens ist eine übertriebene Kartoffelausfuhr aus Deutschland in diesem Jahre kaum zu befürchten, da die Ernte hinter der des Vorjahres weit zu rückbleibt, obwohl sie zu den schlechten, wie man eine Zeit lang be fürchtete, nicht wird zu rechnen sein. Verschlungene Jahnen Zeitroman von Ferd. Kießling. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Bald trat Aron ein. Um vor Lauschern sicher zu sein, führte ihn der Justizrath in ein anstoßendes Zimmer, und bat ihn mit gesuchter Freundlichkeit, Platz zu nehmen. „Nun, Aron, ich habe Sie rufen lassen, um unsere Angelegenheiten zu regeln, da ich in einigen Tagen so viel Geld zu bekommen hoffe, um ihre Forderungen zu befriedigen." „Sollte ich doch meinen, da Sie erst in einigen Tagen das Geld bekommen," entgegnete kalt Aron, „so hätte auch die Unterredung Zeit gehabt bis dahin." „Mag's sein; indessen um das Geld zu haben, brauche ich einige in dem Juwelenkästchen befindliche Dokumente, und ich muß so noch einmal auf meine früher ausgesprochene Bitte zurückkommen." „Und ich kann nichts weiter sagen, als was ich Ihnen früher schon gesagt habe." „Sie bleiben bei Ihrer Weigerung?" „Ja, ganz entschieden." „Sie werden mir doch das Recht zugestehen, aus meinem Kästchen eine für Sie absolut werthlose Kleinigkeit herausnehmen zu dürfen?" „Ich will dahin gestellt sein lassen, ob das Kästchen Ihr Eigen thum ist —" „Aron," unterbrach ihn der Justizrath, „zweifeln Sie, daß das Juwelenkästchen mein Eigenthum ist?" „Ich kanns nicht leugnen, ja." „Und das wagen Sie mir zu sagen?" rief der Justizrath wüthend. „O, ich wage'noch mehr, Herr Justizrath -- ich wage Ihnen zu sagen, daß das Kästchen dem Herrn von Erlan gestohlen worden ist." Der Justizrath prallte erschrocken zurück: sein Gesicht war kreide weiß geworden, und mit unsicherer Stimme sprach er: „Ich glaube, Sie sind betrunken, Aron." Aron warf dem Justizrath einen verächtlichen Blick zu, als er entgegnete: „Ich bin so nüchtern wie damals, als ich das Kästchen in den Händen des Herrn von Erlau sah." Einen Augenblick schien es, als wolle der Justizrath alle Fassung verlieren; er war aufgesprungen, aber die Beine versagten ihm den Dienst und bald sank er wieder in den Studt zurück. „Was Sie doch alles wissen wollen," stieß er nach einer Pause mühsam hervor. Aron schien sich an dem Anblick des niedergeschmetterten Mannes zu meiden. Ruhig fuhr er fort: „O, ich weiß noch mehr, Herr Justizrath. Ich weiß, wie ein gewisser, hochangesehener Mann einen alten Verwalter in seine Schlingen zog, und wie er diesen, nachdem er ihn zu Fälschungen verleitet, nach Amerika sandte." „Mensch, seid Ihr rasend?" rief entsetzt der Justizrath. „Ich weiß," fuhr Aron, unbekümmert um den drohenden Blick seines Gegners, fort, „wie derselbe hochangesehene Mann einen Un schuldigen wegen Mordes in Haft behielt, während er das Schweigen des sich selbst anzeigenden Schuldigen mit hundert Thalern erkauft." „Teufel!" knirschte der Justizrath. „Bist Du allwissend?" „Das ist nur der da droben, der auch den Mann, von dem ich eben sprach, vor seinen Richterstuhl fordern wird," sprach Aron feierlich. Es trat eine lange Pause ein. In der Brust des Justizraths kämpften furchtbare Dämonen; seine Stirnader war angeschwollen und um die schmalen, farblosen Lippen spielte ein Zug teuflischer Bosheit. „Aron," begann er, „ich weiß, wer Ihnen die Märchen von einem bestochenen Verwalter und was sonst noch aufgebunden hat, und obgleich mir das Recht zustünde, Sie wegen dieser Verdächtigungen sofort in Haft bringen zu lassen, so will ich es Ihnen doch verzeihen." „Mich in Haft bringen lassen?" fragte kalt Aron. „Noch giebt es Gerechtigkeit. Wenn auch nicht in Söllnitz auf Ihrer Amtsstube, so doch in der Residenz." „Aron, noch einmal, mäßigen Sie Ihre Zunge." „Ich möchte Sie lieber bitten, zu bedenken, daß ich nur hierher gekommen bin, um mein Geld zu fordern. Ich stehe nicht als An- klagter in Ihrer Amtsstube. Können Sie nicht zahlen, nun so sehe ich mich genöthigt, die Hilfe des Gerichts in Anspruch zu nehmen." Der Justizrath, wohl einsehend, daß er auf diesen Wege nicht zum Ziele gelange, zog mildere Saiten auf. „Lassen Sie uns doch unsere Angelegenheiten ohne Erregung be sprechen, lieber Aron," begann er. „Nur aber kurz, Herr Justizrath wenn ich bitten darf, denn meine Zeit ist gemessen," entgegnete Aron. „Einen Augenblick Geduld. Ich hoffe, wir werde» bald einig werden." „Sollte mir lieb sein." Der Justizrath verließ das Zimmer und kehrte bald darauf mit einer Flasche Wein und zwei gefüllten Gläsern zurück. „Kommen Sie, Aron," sprach er gleichgiltig, „trinken Sie ein Glas Wein, es spricht sich dabei besser." Aron durchzuckte ein furchtbarer Verdacht. Er warf einen schnellen Blick auf die gefüllten Gläser, und seinem scharfen Auge entging es nicht, daß die Färbung des Weines in dem ihm zugeschobenen Glase eine andere war, als in dem des Justizraths. „Ich trinke keinen Wein," sagte er ruhig. „Ach, Thorheit, Aron, langen Sie zu." Er leerte sein Glas bis zur Hälfte und fuhr dann fort: „Ver suchen Sie nur, er ist nicht schlecht." Aron jedoch blieb fest bei seiner Weigerung. „Sie haben doch nicht etwa auch gegen "en Wein so viel Miß trauen, als gegen mich?" „Nun, offen gesagt, halte ich Ihnen gegenüber die Vorsicht in jedem Falle gerathen," entgegnete der Jude. Der Justizrath lachte höhnisch auf. „Wer hat Ihnen denn die vorerwähnten Märchen aufgebunden?" fragte er vorsichtig. Doch Aron war nicht minder schlau. Er entgegnete: „Das ist mein Geheimniß." „Weiß nun das angebliche Geheimniß sonst noch Jemand?" „So viel mir bekannt ist, nicht." „Nun, so werde ich sorgen, daß es mit Dir begraben wird," rief wuthschänmend der Justizrath. Ich werde Dir ein Gefängniß anweisen lassen, in welchem Du Zeit hast, über Deine elenden Ver leumdungen nachzudenken." Aron prallte zurück. „Jetzt entschließe Dich kurz. Willst Du das Kästchen herausgeben oder nicht?" „Ich fürchte weder Ihre Drohungen noch Ihre Rache, Herr Ju stizrath. So lange ich lebe, empfangen Sie das Kästchen nicht." „Nun, so stirb!" schrie der Justizrath wild auf, und gleichzeitig klammerte er seine Hände so fest an die Gurgel des Juden, daß es diesem unmöglich war, einen Laut von sich geben. In diesem Augenblicke trat der Diener ins Zimmer. Erschrocken ließ der Justizrath sein Opfer los. „Schurke," brüllte er den Diener an, „habe ich Dir nicht befohlen, uns allein zn lassen?" „Herr Justizrath, drei Herren wollen Sie sprechen, sie sagen —" „Hinaus, weise sie ad." Aber die Ankommenden standen bereits hinter der Thür und traten ein. Bei dem Anblick der Eintretenden schrak der Justizrath zusam men. Sie waren ihm leider nur zu gut bekannt. Es waren zwei Kommissare und der Staatsanwalt. „Ack', Entschuldigung meine Herrn," stammelte der Justizrath. „Sie treffen mich eben in der unangenehmen Situation, diesem Menschen gegenüber von meinem Hausrechte Gebrauch machen zu müssen." Der Staatsanwalt entgegnete nichts auf diese Ausrede, sondern schritt auf den Justizrath zu und sprach: „Im Namen des Fürsten, Sie sind Gefangner, Herr Justizrath. Nur einen Augenblick verließ den Justizrath die Fassung, dann sprach er mit scheinbarer Ruhe: „Ich folge Ihnen, meine Herren. Jedenfalls liegt diesem Akte irgend ein Jrrthum zu Grunde, der sich bald aufklüren wird." Er wandte sich nach dem Tische und ergriff rasch das dem Juden zugeschobene Glas. Aber noch ehe er es zum Munde führen konnte, hatte es ihm Aron weggerissen. Erstaunt sahen die Männer den Juden an. Doch dieser sprach: „Meine Herrn, ich bitte, nehmen Sie auch dieses Glas mir, es dürfte Ihnen Stoff zu einer weiteren Anklage geben." „Wie so?" fragte der Staatsanwalt. „Dies Glas wollte der Herr Justizrath mir kredenzen, aber ich fürchte, es ist mit Gift gewürzt." Der Staatsanwalt gab einem seiner Begleiter einen Wink und dieser nahm das Glas an sich.