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daß für t«S devtscsie Wart „Schadenfreude" fvrn Aeyuivakevt in den an» deren Kultursprachen eLiftiert." Diese Bemerkung rst frappant »nd gibt zu denken. Besonders löblich scheint dasieniae, waS Wigand »ver die Ritterlichkeit dem weiblichen Geschlecht gegenüber äußert. Wer sich in anderen Ländern umgeschen bat, in England. Frankreich, Amerika, wird den Eindruck nicht los^ daß sich der Durchschnillsdcutsche io der OefsenrUchkclt Frauen gegenüber sehr viel rücksichtsloser und ungezoge ner beniminl, als eS bei anderen Nationen der Fall ist. Sehr hübsch ist das Wort von der „diskreten Harmonisierung der Konversation". Wo findet man einen Deutschen, der im Gespräch den anderen ausreden ließe, und wer von uns vermag mit Ruhe zu opponieren und die Meinung deS anderen in ihrer individuellen Berechtigung gelten zu lassen? Bücher wie Wigands „Unkultur" haben Anspruch auf Nachsicht, wenn sie hier und da im Eifer über die Grenzlinie, die Gerechtigkeit und Geschmack ziehen, hinansgeben. Der Autor meint es gut mit seinen Landsleuten und will chnen zu einer höheren Daseinsform ver helfen. Er will wirken, und daher mutz er die Dinge beim rechten Namen nennen, mutz dick auftrageu und derb austrumpfen. Es wäre wünschcnsN'crt, daß das kleine Buch viel gelesen würde: auch den jenigen Leser, der sich einer gewissen Kultur zu erfreuen glaubt, wird es zur Sclbstprüfung anregen. Deutscher Reich. Leipzig, 20. Juni. * Zwei Lmr-eSverrtttSprozeffe werden wieder am 29. und 30. Juni das Reichsgericht beschäftigen. Am 29. Juni wird sich der Fabrikbeamte Josef Egeusperger aus KayserSberg (Oberelsaff), geb. am 9. Marz 1884 in Gebweiler, wegen Verrats militärischer Geheimnisse zu verant worten haben und am 30. Juni der 33jährize Tagelöhner Joseph Thnet aus Banzenhelm (Oberelsaff) wegen Versuchs deS Verrats militärischer Geheimnisse. * S * Ter Kaifer begab sich um 8 Uhr im Automobil vom Schloß aus nach der Bahrenwalder Heide bei Hannover zur Besichtigung des KönigS-Ulanenregiments. Am Kolonnenweg stieg der Kaiser zu Pferde, hier von den Generälen v. Loewenfeld und v. Bock und Polach empfangen. Das Regiment unter Oberst Freiherrn v. Luetzow stand auf der Heide in Parade. Als Zuschauer waren auf dem Platze die Offiziere des Militärreitinstitutes und die Kriegsschiiler anwesend. Der Kaiser ritt die Front des Regiments ab und nahm den Parade marsch in Zügen im Schritt ab. Es folgte ein Exerzieren des Regiments mit Gefechtsübung, wobei das Militärrcitinstilut den Feind markiert«. Nach der Kritik und einem Parademarsch des Regi ments in Eskadronfronten im Trabe setzte sich der Kaiser an die Spitze des Köuigs-Ulanenregimcnts und ritt fo durch die Stadt zur Kaserne des Regiments. Die Garnison von Hannover bildete Spalier. Ueber- auö zahlreiches Publikum begrüßte den Kaiser mit andauernden Zurufen. Das Wetter ist schön. Der Kaiser^ traf 10»/» Uhr an vcr Ulanenkaserne ein und ließ das Regiment in Sektionen und die gesamte Garnison vorbeimarschieren. Dor Kaiser nahm das Frühstück mit den Offizieren deS Regiments im Kasino ein. * In der gestrigen V«nVeSnrtSfitzung wurde das Einverständnis mit der Ueberweisung der Vorlage, betreffend die Außerkurssetzung der Fünspfennigstücke der älteren Geprägeform au den 7. und 4. Ausschuß, des Entwurfes einer Prüfungsordnung für Zahnärzte in den 4. Aus schuß, der Erhebung von Wechsel- und Scheckprotesten durch die Post verwaltung au den 5., 4. und 6. Ausschuß, der Gestaltung der Drei markstücke an den 7. und 6. Ausschuß und betreffend die Teilnahme des Reichs an der Weltausstellung in Brüssel im Jahre 1910 an den 4. und 7. Ausschuß beschlossen. Dem Beschlüsse des Reichstages vom 8. Januar, betreffend die Einführung von HandelSiuspektoren, wurde keine Folge gegeben. * Ltaaissekretir Tcrnbnrg reiste gestern abend von Pietermaritz burg nach Johannesburg, wo er im Earltonhotel als Gast des Gouverneurs Aufenthalt nahm. Während seines Verweilens in Natal unterzog Derlkdurg die verschiedenen dort schwebenden Fragerr, insbe sondere die Frage des Zivildienstes und die Eisenbahnfrage, einer ein gehenden Prüfung. * Tie Martnr-AnsormattouSfahrt. Die aufderMarino-Jnsorniatioos-. fahrt begriffenen Mitglieder des BundeSratS und des Reichstags sind auf dem Lloyddampfer „Derfflinger" auf der Bremer Rh-ve ein- gerroffeu. Sie begaben sich gestern mit einem Sonderzug nach Vegesack zur Besichtigung der dortigen Werstaulagen. * Tie Hambmgische Staatshaushalts-Abrechnung über das Jahr 1900 ergibt einen Fehlbetrag von 2 191278,41 gegenüber der Schätzung von 4 144 000 * Fürst Eulenburg. Ob der für den 29. Juni vor dem Schwur gericht des Landgerichts Berlin I angesetzte Termin gegen den Fürsten Eulenburg an diesem Tage beginnen wird, steht immer noch nicht fest. Es ist in den letzten Tagen ein neues Hindernis eingetreten. Vor der Strafkammer des Landgerichts beginnt heut« eiu großer Prozeß Wiener wegen KonknrSvergeheaS und find hierfür 10 Tage in Aussicht genommen. Ja diesem Prozeß fungiert Justizrat Wronker, der Verteidiger des Fürsten Eulenburg, ebenfalls als Rechtübeistand. Da nun am 29. d. M. dieser Prozeß noch nicht beendet sein kann, fo ist Justizrat Wronker an diesem Tage noch mcht verfügbar. Die Verhandlung gegen den Fürsten Eulenburgs wird daher wohl um einige Tage hinausgeschoben werden müssen. Der Prozeß wird sich auf längere Zeit ausdehnen, da mit Rück sicht auf den Gesundheitszustand des Fürsten fedeu Tag nur wenige Sstrnden verhandelt werden soll. * Cumberland oder Braunschweig - Lüneburg. Der „Deutsch. Tageöstg." wird zum Eintritt des Prinzen von Cumberland in das deutsche Heer geschrieben: „Ein Prinz dieies Namens existiert nicht. Der frühere Kronprinz von Hannover hat von der verstorbenen Königin Viktoria von England den Titel, Rang ^ind die Würde eines Herzogs von Cumberland und damit Sitz und Stimme im englischen Oberhaus erhalten. Dieser Titel hastet nur an der Person, die übrigen Familienmitglieder res WelsenbauscS haben mit diesem Titel nichts zu tun. Es ist also falsch, von einen« Haute Cumberland oder von einem Prinzen oder einer Prinzessin von Cumberland zu sprechen. Es gibt nur ein Haus Welf, und sämtliche männlichen Glieder dieses Fürstenhauses führen den Titel „Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, Prinz von Großbritannien und Irland", sämtliche weiblichen Mitglieder führen den Titel „Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg, Prinzessin von Großbritannien und Irland". Auch die früheren Könige von England und Hannover aus dem Welfenhause haben nebenher stet« den Titel Herzog zu Braunschweig und Lüneburg geführt. Nur der in Braun schweig herrschende Herzog heißt Herzog von Braunschweig und Lüneburg, Prinz vou Großbritannien und Irland. ES hat daher im Lande Braunschweig stets sehr unangenehm berührt, wenn von den Vertretern der NeichSregierung bei osfiziellen Reden oder Schreiben an Mitglieder des Welfenhauses der Titel Herzog zu Braun schweig und Lüneburg sortgclassen wurde, da man sich dann immer sagte, die Herren verweigern den Titel absichtlich. Der jetzt in Bayern eingetretene Prinz kann also nicht anders genannt werden, und cs bat der Name resp. Titel weder etwas mit dem Bundesrat noch nut der Braunschweiger Frage zu tun. Strittig ist nur die Frage, ob der Chef des Hauses sich nicht Herzog von Braunschweig und Lüneburg nennen könnte, obgleich er an der Regierung verhindert ist. Der König Otto von Bayern ist auch an der Regierung verhindert und führt trotzdem den Titel. Da der Herzog sich aber selbst Herzog zu Braunschweig und Lüneburg unterschreibt, kann diese Frage wohl ruhen." * Fall Marckwalv. Der Königsberger sozialdemokratische Redak teur Marckwald, der bekanntlich im Gefängnis zu Allcnstein mit Netzestricken beschäftigt wurde, hat jetzt, dem „B. T." zufolge, auf Grund des Einschreitens des Justizministeriums, entsprechend den gesetz lichen Bestimmungen und seinem Anträge gemäß, die Erlaubnis zur Selbstbeschäftiguug erhalten. * Die Aussperrung der 8VV Arbeiter der Gothaer Waggonfabrik ist endgültig beendet. Die Direktion läßt die Lohnerhöhungen, die vor den Differenzen eingetreten waren, bestehen. Wegen Organisations angehörigkeit finden keine Maßregelungen statt; dafür erklären die organi sierten Arbeiter sich bereit, mit den Arbeitswilligen, die eingestellt sind, friedlich zusammenzuarbeiten. Die Ausgesperrten werden vom nächsten Montag ab nach Bedarf wieder eingestellt werden. Ausland. Italien. * Der Zwischenfall in der Drputiertcnkammer ist bis auf den Waffen, gang Santini-Zambelli erledigt. Die Vertreter der Presse haben nach befriedigenden Erklärungen des Kammerpräsidenten die Berichterstattung über Lre Kanuuersitzung wieder ausgenommen, lieber den Empfaiig der Journalisten beim Kammerpräsidenten und die Erklärungen des Prasi- deuten meldet uns ein Privattelcgramm unseres ^.-Mitarbeiters: Rom, 19. Juni. (Pribattelegramni.) Der Präsident der Depu- tiertenkammer empfing heute die Kommission der Journalisten. Dabei erklärte er, daß er schon in der gestrigen Sitzung offiziell seinem Be dauern Ausdruck gegeben habe darüber, daß ein Deputierter direkt und beleidigend zur Preßtribüne gesprochen habe. Er selbst habe stets die größte Hochachtung und Rücksicht gegen die Preße als seine Ob- liegenheit betrachtet. Daraufhin erklärte sich die Kommission für bc- friedigt und teilte mit, daß die Pressevertreter ihre Arbeit wieder auf. nehmen werden. — Das Duell zwischen Santini und Zambelli wird trotzdem stattfinden. Außerdem hat Santini nun auch Barzilar ge fordert. — Auch die meisten Journalistcnvereine in der Provinz hatten ihren Anschluß an den Streik der Parlanrcntsberichterstatter erklärt und die Parlamentsbcrichte unterdrückt. Frankreich. * Zur Erörterung der Marokkopolitik i« der Sammer wird uns ge. meldet: Paris, 19. Juni. (Telegramm.) Die Erörterung der Marokko- Politik verspricht sehr bewegt zu werden. Manche glauben, zu ihrer Beendigung werde eine Nachtsitzung nötig sein. Den Standpunkt der Regierungsgegner kennzeichnet im voraus die Betrachtung des com. bisrischcn „Rappel": „Die Politik des Quai d'Orsay hat sich so augen scheinlich vorbehaltlos für die Sache Abdul Aziz' eingesetzt, daß Mulen Hasids Sieg die Niederlage des Ministers des Aeußern ist. Das ist nicht das einzige Mißgeschick unseres Ministers. Seine Politik war zugleich so zweideutig und so ungeschickt, daß er künftig eine glückliche Ent schließung gar nicht mehr fassen kann. Anerkennt er Muley Hafid, so läßt er Marokkaner im Stich, die sich im Glauben an die Tangerer Gesandtschaft für Abdul Aziz dloßgestellt haben, weil sie hofften, von Frankreich unterstützt zu werden; beharrt er dabei, Abdul Aziz zu ver- leidigen, so öffnet er eine Aera von Geld, und Blutopfcrn, diploma- tischen Zusammenstößen und ärgerlichen Notenwechseln mit feindlichen Staatskanzlern." Spanien. * Uebcr die bevorstehende Reise des Königspaares wird gemeldet: Madrid, 18. Juni. (Tel.) „Eorrespondeucia" versichert, daß das spanische Königspaar dem ö st erreicht sch en Kaiser Anfang September einen Besuch abstatten wird. Der Aufenthalt des spanischen Königspaares wird vier Tage dauern. Das spanische Königspaar wird bei dieser Gelegenheit nicht nach Deutschland kommen, da der Deutsche Kaiser dem König noch immer einen Be such schulde. Auf der Hin- und Rückreise wird in Parrs Auf enthalt genommen. Das spanische Königspaar wird wahr scheinlich auch die Köuigi n von Holland im Haag oder in Amsterdam besuchen und danach vier Wochen inkognito auf der Insel Wight verweilen. Rußland. * Tie Kredite für Schiffsbauten, die die Duma abgelehut bat, sind jetzt im Gegensatz zu dieser Körperichaft vom Reichsrat bewilligt worden. Petersburg, 19. Jnni. (Tel.) Im Reichsrat macht sich gegenüber den von der Duma abgelehnten Krediten für Schiffsbauten eine Schwenkung bemerkbar. Die Jinanzkommission des Reichsrats nahm die Kredite mit 13 gegen 8 Stimmen an. Wenn sich die Mehrheit im Reichsrate der Finanz kommission anschsießt, gelangt die Frage zur Anbahnung einer Verständigung zwischen den beiden Häusern in die Bereinigte Kommission des Reichsrats und der Duma. Marokko. * Muley Hafid ist nun auch in Tanger zum Sultan proklamiert worden. Es wird darüber berichtet: Tanger, 19. Juni. (Telegramm der Deutschen Kabelgramm-Gesellschaft.) In einer hier gestern abgehaltenen Notabelnversammlung wurde die Proklamierung Muley Hasids zum Sultan beschlossen. Als der ehemalige Kriegsminister Gebbas hiervon Kenntnis erhielt, drohte er, aus jeden schießen zu taffen, der Muley Hafid proklamierte. Geb bas ist be kanntlich rin Werkzeug der hiesigen französischen Gesandtschaft. * Tie EntschädigungSkommisfion hat nu u ihre Arbeit begonnen. Casablanca über Tanger, 18. Juni. (Telegramm der Deutschen Kabelgramm-Gesellschaft.) Uebcr die so wichtigen Verhandlungen der Ent- schädigungLkommission wird für nichtsranzösische Korrespondenten schwer sein, rasch von hier aus zu berichten, da jetzt nur wöchentlich eine regel mäßige Post von hier nach Tanger geht und da die Fran zosen den Dienst des drahtlosen Telegraphen für sich allein in Anspruch nehmen. Gestern vormittag um 10 Uhr sand die 1. Sitzung der Eutschädiguugskommission unter dem Vorsitze des Pascha Mulev Lamin statt. Sämtliche Delegierte waren anwesend, Deutschland, England, Frankreich, Italien, Portugal und Spanien vertreten; außerdem waren zwei marokkanische Delegierte erschienen, nachdem ein von Abdul Aziz eingrgangeneS Begrüßungs schreiben verlesen worden war, wurde Muley Lamin zum ständigen Präsidenten gewählt, zu Vizepräsidenten auf Vorschlag der deut- scheu Vertreter- der französische und spanische Delegierte, die weiteren Bureauwahlen wurden ohne Schwierigkeit vollzogen. Als Endtermin für die Eiureichung von Reklamationen setztrman d«u LttJuli fest. Der Per treter Frankreichs schlug vor, geheim zu verbandeln, dem widersprach jedoch der VertreterDeutschlands unter Hinweis daraus, daß der Korrespondent des „Temps" Piementa und der französische Presteagent Karam als Pttvatdolwetscher der marrokanischen Delegierten den Verhandlungen beiwohnten. Ein endgültiger Beschluß wurde in dieser Frage noch nicht gefaßt. Man bildete drei Händige Untcrkommijsionen, eine deutsch-englische, eine spanisch-portugiesische und eine französisch-italienische nebst einem Marolkaner, sowie eine nicht ständige italieuisch-portugiesiiche jür die nicht vertretene» Nationen. Amerika. * Die Wahlbtlse -er Bereinigten Staate« st» Panama P nun in die Wege geleitet worben. New Jork, 19. Juni. (Tel.) 800 Marinesoldaten find nach Panama unterwegs, angeblich um die Unruhen bei den bevorstehenden Wahlen zu verhindern. ns zu gelangen! Daß Mensa, ist, galt der Feuilleton. Schule rrn- Leben. In jeder Klasse bekamen wir's -» hören: Nicht für die Schule, für das Lebeu lernen wir! Geglaubt hat's freilich keiner. Denn wie soll es auch jungen Menschen einleuchten, daß man erst lange Jcchre durch die Schuiwüste wandern muß, um ins Ta deS Lebens zu gelangen! Daß man in der Jugendzeit so zu sagen auch schon ein Mensch ist, galt der Schule mindestens als etwas Unwichtiges, wenn's von chr nicht ver- aesseu oder gar geleugnet wurde. Sv war es vor 20 und noch vor 10 Jahren, so ist es vielleicht auch noch beute, aber sicher wird es nicht so bleiben. Solche Worte sind kern Zeichen der Undankbarkeit. Unsere Schulen und unsere Lehrer taten gewiß ihr bestes, sie meinten das, was sie das Leben nannten, sei eine so bitter ernste Sache, daß man den lebensfrohen Sinn der Jugend rechtzeitig eindämmen müsse. Und den noch ist ein Geschlecht berangewachseu, denen die Lebensweisheit der alten Lehrer zu grau und trüb erscheint, ein Geschlecht, das sich feines Lebens freuen will all sein Leben lang in der Jugend wie im Alter. Dieses Geschlecht rechtet nicht mit der Vergangenheit; es nimmt die Sache, die Menschheit mit selbstverständlicher Sicherheit in die Hand, und es wird Menschen und Institutionen so zu ändern suchen, daß auch die kommenden Generationen sich ihres Lebens werde» freuen dürfen. Und io ist es gut, denn der Lebende hat immer recht. Man hat einen Anfang gemocht. An Dr. Lietz, den Gründer deS Landeserziehungshecms zu Ilsenburg, knüpft die Bowvgung an, die Schule aufs Land zu verlegen. Zwei seiner Mitarbeiter — Paul Geheeb und Dr. G. Wuneken — haben den Grundgedanken weiter ausaebcrut und vertieft. In einem Jahresbericht *s gelben sie Rechen schaft über ihre Schöpfung, über die Freie Schulgemeinde Wickersdorf, die am 1. September 1906 eröffnet wurde. Stolz und doch bescheiden klingen die Worte, die vou dem Ziel der Schulgemeinde sprechen: „Die Ausgabe der Schul«, also unsere Ausgabe ist, den Fortbestand Lessen zu ermöglichen, waS der Geist der Menschheit bisher erarbeitet hat; unser einziges Ziel ist, Kultur zu erreichen, zu be wahren und schließlich vielleicht auch zu schaffen." So großes wird in dem weltabgeschiedenen Dörfchen des Thürmger Waides gewollt. Aber die Männer und Frauen, die einem „v«r oaorrnn" gleich, yinausgezooen sind, um mit der Jugend für die Jugend zu leben, dürfen fo großes wollen, denn sie wissen den Weg, und wenn die 65 Schüler nno Schüle rinnen, die dort in stiller, treuer Arbeit zu Menschen erzogen werden, indem man sie Menschen sein läßt» einst ins Leben hinouszieben, so werden sic als beredte Apostel immer neue Freundesicharen der Aickers- dorfer Gemeinde zuführen Der Unterricht muß dahin streben, sich überflüssig m mache». Da wird kein „Lehrstoff" in bestimmten Portionen Stunde nir Stunde ver abfolgt. In allen Fächern werden die Schüler zu selbständiger, aus- dauernder und zielbewnßter Arbeit erzogen, und auf diese Weise wird erreicht, daß in den obersten Klassen der Lehrer lediglich noch Exami nator ist. Ein abschließendes Urteil darüber, wie sich diese Methode be währt, wird natürlich erst dann gegeben werden können, wenn der Aus bau der Schule, in der auf der Grundlage des Lehrplanes der preußi schen Oberrealschuke mit fakultativem Unterricht in den alten Sprachen gearbeitet wird, vollendet ist, und wen» die Schule eine Schüleraenera- tion entlassen haben wird, die ihr von deu untersten bis zur höchsten ' Jena 1208 — Engeo DiederichS verlor Stufe angehört hat. Doch nach den bisherigen Erfahrungen und Er folgen darf man schon jetzt prophezeien, daß die freie Schulgemeinde mit dieser Methode triumphieren wird. Wie sich bereits jetzt zeigt, vermag die Arbeit von den Schülern so beguem bewältigt zu werden, daß man in Wickersdorf — etwa wegen Ueberbürduna — das Versprechen, „Kultur zu erreichen, zu bewahren und schließlich vielleicht zu schaffen", mit der Erledigung deS Pensums nicht schon für eingelöst zu halten braucht. Dort hat man Zeit. Man hat Zeit, die Schüler einzuführeu in das Verständnis philosophischer, künstlerischer und sozialer Problem«, man hat Zeit, in Zwiesprache und Gedankenaustausch all dem Fleisch und Blut zu geben, und ihnen so einen weiten und freien Ueberblick über dos Leben zu eröffnen, und man hat Zeit, diese reiche Geistigkeit aus einem Leben der Gesundheit, der r^raft und der Schönheit erwachsen zu lassen. Ich war nicht in Wickersdorf, und man könnte vielleicht meinen, ein naiver und ungebändigter Optimismus narre mich, bescheidene Anfänge zu großen Taten umzuwerten und als Erfüllungen zu preisen. Allein der Jahresbericht enthält außer Worten auch Bilder. Auf dielen sah ich die Wickersdorfer Jugend bei Arbeit und Spiel, in der Äerkstätte und draußen in Wald und Feld, und alle diese Bilder, die doch nur ein schwacher und matter Abglanz des Wirklichen sind, sagten mir, daß man hier am Werke ist, den Jungbrunnen der Menschheit neu zu fassen, daß er klar und ungetrübt zum starken und stolzen Strome werde. vr. I-. 2. «Haeckels phylogenetische Sammlung. Aus Jena wird gemeldet: Prof. Ernst Haeckel bestätigt die Meldung, daß er leine phylogenetische Samm lung zur 350jährigen Jubelfeier dec Universität Jena zum Geschenk machen wolle Dagegen stellt er in Abrede, daß diese Sammlung den Wert von einer Million habe; seine ganzen Sammlungen repräsentierten einen Wert von einer Million, aber zum Teil seien diese seit 24 Jahren dem Zoologiichen Institut zum Geschenk gemacht und würden dort auch bleiben. * Ter Kaiser und -te AuSgrabunyen in Tante». Der Museums direktor Lehner aus Bonn Kat, wie die „Inf." von unterrichteter Seite erfährt, vor kurzem «ine Zusammenstellung über die Ergebnisse der von ihm geleiteten Ausgrabungen bei Tanten am Rbein verfaßt, die dem Kaiser vorgelegt worden ist. Der Monarch hat seiner Freude über das Resultat der Ausgrabungen schriftlich Ausdruck gegeben. Tatsächlich sind auch bemerkenswerte Funde gemacht worden, dir geschichtlich jedem Kenner des römischen Heerwesen« in der Zeit des ersten Jahrhunderts u. Chr. willkommen sein müssen. Im vorliegenden Falle bandelt eS sich aller Voraussicht nach um die Zeit in den Jahren 69/70 n. Chr. Ganz besonder» interessiert bei den Ausgrabungen die Anlage der Hindernis mittel, die errichtet wurden, um dem Feinde die Annäherung an das Lager unmöglich zu machen. So fand man eine ganze Reihe von „Spitzgräben", die hintereinander angelegt waren und zwischen denen oder in denen dichte Dornen hecken, die noch ganz gut erhalten sind, sich befanden. Bon ganz besonderem Jatereff« muß es für irden Kenner dieser Zeit sein, daß konstatiert wurde, daß die fünfte und fünfzehnte Legion damals um Tanten di« Befestigungen errichtet haben bezüglich sie verteidigten. Man hat nämlich eine ganze Reihe von Stempeln sur jede Legion (..Terra Sigillata") dort gefunden, aus denen unzweifelhaft hervorgeht, daß da» doppelte Legionslager bei Tanten von ihnen benutzt worbe. . Auf -eur «ebiete -er Krebsforschung hat der Leiter der Hydro- therapeutischen Anstalt der Universität Berlin, Geheimer Medizinalrat Professor Dr. L. Brieger, im Verein mit seinem Assistenten Dr. Job. Trebing Studien über di« antitryptische Kraft des menschlichen Blutserum» gemacht, welche der Diagnostik und der Therapie der Krebskrankheit eine Reihe neuer Gesichtspunkte eröffnen. Durch diese klinischen Studien, über welche in der »B«rl. llta. Wochenschrift" Nr. 22 berichtet wird, find zum ersten Mal« Beobach. tungen der Einwirkung proteolytischer Fermente, d. h. eiweißlösender Fermente, auf ihr Berhalten zum menschlichen Blutserum in systematischer Weise an gestellt worden, welche zunächst der Krebsforschung neue Bahnen weisen. Gleich bei den ersten Versuchen war eS Brieger und Trebing ausgefallen, daß im Blutserum eines Krebskranken auffallend viel Hemmungskörper vor handen waren, d. h. Substanzen, welche die riweißlösend« Wirkung Le im Körver normalerweise vorlommenden eiweißlösenden Fermentes der Bauchspeicheldrüse, de» Trypsins, verhindern. Nach de» anaeslellten Unter- suchungen vermag man den KrebS schon frühzeitig zu erkennen. Diese Briegersche Methode ermöglicht e» auch, nach einer stattgehabten Operation zu beurteilen, ob sich im Körper noch Neubildungen befinden, oder solche etwa im Entstehen begriffen sind. Diese Methode gestattet fernerhin, gutartige von bösartigen Ge schwülsten zu unterscheiden, was für die Operation und Behandlung des Patienten von großer Bedeutung ist. Neben der Untersuchung de» Blutserums Krebskranker wurden auch noch andere Kraukheit-zustände, soweit sie dem Bttegerschen Institute zugäuglich waren, systematisch mittel» der erwähnten Reaktion geprüft. Dabei hat sich di« Tatsache ergeben, daß die Bildung des Trypsinhemmnngskörpers im Blute auch bei manchen Fällen von Diabetes vermindert erscheint, im Gegensatz zu dem Ferment bei Krebsleiden; die gleiche Erscheinung zeigte sich bet gewissen Stabten der Syphilis. Neben den vorerwähnten KrankheitSznsiänden wurden de» weiteren auch Tuberkulös- und Nierenkranke untersucht, wo sich unter deu ersteren bet der Hätste der Patienteu herabgesetzte, bei den anderen normale Blothemmungen zeigten. Bei den Nierenkranken war die Hemmung um ein weniges vermehrt, stärker hingegen bei den untersuchten Blutkranken, wo Wert« erreicht wurden, wie bei Krebskranken. WaS besonders interessant erscheint, ist, daß rin Patient mit Amöbendyseuterie auch eine beträchtlich« Erhöhung der antitryptischen Kraft de» Blutserums aufweist, während di« sonstigen nicht karzioomatösen Erkran kungen, besonder» von Magen und Speiseröhre, und and«« gutartige Geschwülste normale Verhältnisse darboten. . * Zum 7V. Geburtstag SchmnllerS. Zorn 34. Jnni, dem 70. Geburt-- tag SchmoverS, werden, wie aus Berlin gemeldet wird, große Vorbereitungen getroffen. Schüler, Freunde und Verehrer haben sich zusammengetan, um diesen Lag tu würdiger Form zu feiern. Dem Jubilar sind unter anderem folgende Ueberraschungen zugedacht: seine von Professor Wandschneider ausgeiühcte Büste, sowie eine Porträt-Radierung aus der Feder von Professor Rudolf Schulte im Hofe. Ferner wird ein von seinen Freund«» und Schülern ge- schrieben«» zweibändige« Werk: „Die Entwicklung d«r deutschen Volkswirtschaft», lehre im 19. Jahrhundert" überreicht werden. Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg, dessen Vorsitzender Schmoller ist, bereitet eine Festschrift vor, deren Mitarbeiter die hervorragendsten Namen führen. Ferner wird der Verein für Sozialpolitik durch seinen zweiten Vorsitzenden Geheimen Justizrat Gierke und dir Gesellschaft für soziale Reformen durch ihren Borsttzrnd«» Freiherr« v. Berlepsch ihre Glückwünsche darbringen. * Meta Alltags eagltscheS Theater tu verlt». Fräulein Meta Illing, die die Absicht hat, rin ständige» engliichr» Theater in Berlin zn begründen, weilt augenblicklich in England, um mit Autoren und Schauspielern Kontrakte für chr Unternehmen abzuschließen. Fräulein Illing gibt zu, daß chr Projekt kehr schwer durchführbar und auch schwer rentabel zu gestalten sein wird, sie hofft aber und glaubt, schon im nächsten Frühjahr durch eine englische Truppe moderne englische und amerikanische Autoren in Berlin zu Watte kommen lassen zu können. Kaiser Wilhelm und der ganz» Berliner Hof interessieren sich lebhaft für da» Projekt. * Kleine Chronik. Zum Rektor der Technischen Hochschule in Berlin ist für da» Jahr 1908^09 ein Mitglied der Abteilung für Architektur, Pros. Richard Bormann gewählt und al» solcher vom Kaiser bestätigt worden. — Am 15. d. M. starb im Alter von 83 Jahrrn di« bekannte GesangSprosefforin Caroline Prucknrr. — Der Direktor de» Hamburger „ Earl-Schultze- Theater»'' tritt, wie unser It.-Korrelpondrnt au» Hamburg schreibt, mit dem 31. August d. I. von der Leitung dieser Bühne zurück. Er wird seine ganz« Tätigkeit von da ab dem Hamburger „Neuen Operettentheater" widm«,.