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Beilage zu Nr. 34 des Amts- u. Wochenblattes für Wilsdruff. Freitag, den 28. April 1882. T agesgcschichte. Berlin, 24. April. Der Bnndesrath nahm mit 36 gegen 22 Stimmen das Tabakmonopol an, die Anträge Bremens und Hamburgs wurden abgelehnt. Wie es heißt, haben die Bundesrathsausschüsse zum Monopolentwurf beschlossen, daß bereits bestehende Tabaks fabriken, welche an die Monopolverwaltung übergehen, nach wie vor Kommunalsteuer zahlen, von der Monopolverwaltung neuerrichtete aber nicht; nach dem Entwürfe erhalten Personalentjchädigungen: das tech- nifch ausgebildete Hilfspersonal sür Handel und Fabrikation, die tech nisch ansgebildeten Arbeiter über 20 Jahre alt, und Händler und Fabrikanten, welche das Geschäft vier Jahre vor Publikation des Ge setzes betrieben haben. Die von den Tabak- und Cigarrenarbeitern in Leipzig ausge gangene Petition gegen das Tabakmonopol und gegen jede höhere Belastung des Tabaks hat nach dem der „Volks-Zeitung" vorliegenden Verzcichniß in ganz Deutschland 78,300 Unterschriften gefunden. Es befinden sich darunter, wie in dem Verzeichniß genau angegeben ist, auch eine Anzahl von Konsumenten, vor Allem aus Bremen, wo man es für nothwendig erachtet hat, der Petition möglichst großen Nachdruck zu geben, doch figuriren, da man streng die Arbeiter bei der Tabak- nnd Cigarrenfabrikation getrennt hat, unter den Bremer „Konsumenten" wohl eine sehr große Anzahl von Arbeitern, welche in der Tabak branche Beschäftigung finden, und somit eigentlich nicht den Konsu menten zuzurechnen sind. Zieht man diejenigen, welche als Konsumenten die Petition unterzeichnet haben, von der Gesammtziffer ab, so bleiben 61,423 Tabak- und Cigarrenarbeiter, welche die Petition unterzeichnet haben. Meiningen, 21. April. Die Handels- und Gewerbekammer des Kreises Meiningen sprach sich heute, nach einem gründlichen und interessanten Vortrag des Cigarrenfabrikanten Klimpel aus Salz ungen und auf dessen Antrag in erster Linie gegen das Tabaks monopol und gegen eine Erhöhung der Tabaksteuer, wenn aber völlige Sicherheit für Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Sachstandes auf längere Zeit nicht verschafft werden könne, sondern bei Ablehnung des Monopols die Frage der stärkern Neubelastung des Tabaksbaues in ein neues Stadium treten sollte, für schleunige Einführung des Tabakmonopols aus, daß jedenfalls jeglicher Erhöhung der Tabakssteuer vorzuziehen sei, indem eine solche einer großen Anzahl von Fabriken den Todesstoß versetzen und ein Privatmonopol schaffen würde. In der mehrfach angekündigten öffentlichen Sitzung war — auch ein Zeichen der Zeit — ein einziger Zuhörer, ein höherer Staatsbeamter, anwesend. Die „Südd. Pr." schreibt: „Sehr hübsch ist die Art, wie die Fortschrittspartei unausgesetzt die Tabakinteressenten für ihre In teressen zu gewinnen sucht; der neueste Ukas des Herrn Eugen Richter enthält den unsterblichen Satz: „Was bisher auS den Kreisen der Tabakindustriellen an Geldmitteln für politische Parteizwecke aufge bracht wurde, ist nicht der Rede Werth." Richter ist sonst kein Freund des Reichskanzlers, aber darin ist er mit ihm einverstanden, daß der Tabak „mehr bluten" muß. Nur ist dabei ein Unterschied wahrzu nehmen; der Kanzler will das „Blut" des Tabaks in die Kasse des deutschen Reiches leiten, Richter in diejenige seiner eigenen Partei." Da Fürst Bismarck seine Rückkehr nach Berlin bis zum 1. Mai verschob, wird die Eröffnung des Reichstages durch seinen Stellver treter, den Staatssekretär v. Bötticher, erfolgen. Die Eröffnung findet auch nicht im Schlosse, sondern im Sitzungssaale des Reichstages statt und die dabei zu verlesende Thronrede dürfte nach offiziösen Anden- tnngen hauptsächlich einen Hinweis auf nothwendigen Erweiterungen des finanzpolitischen Theiles der Botschaft vom 17. November v. I. enthalten. Der feierliche Empfang des preußischen Gesandten von Schlözer im Vatikan hak am 24., Vormittag IIV2 Uhr, statlgefunden. Der Papst saß unter einem Baldachin und war von seinem ganzen Hof staate, dem Majordomus, dem Ober-Ceremonienmeister, der Nobel garde und der Palastwache umgeben. Der Gesandte überreichte seine Crcditive mit einer offiziellen Ansprache. Der Papst gab in seiner Erwiderung der Freude über die Wiederanknüpfung der diplomatischen Beziehungen Ausdruck. Darauf wurden die Hofstaaten entlassen und v. Schlözer hatte sodann noch eine halbstündige Privataudienz beim Papste. Nach derselben stattete der Gesandte dem Cardinal-Staats sekretär Jacobini einen Besuch ab. Wie dem „Berl. Tagebl." ans München berichtet wird, erregt daselbst die Verhaftung von vier Personen, wegen versuchten Landes- verrathes ungeheures Aufsehen. Als Anstifter zu diesem Verbrechen gilt ein seit einiger Zeit in München lebender französischer Offizier, Baron Graillier, der von seiner Regierung beauftragt sein soll, sich in Besitz militärischer Geheimnisse von größter Wichtigkeit zu setzen. Seine Mitschuldigen sind ein Schweizer, namens Brunner und ein bayerischer Baron Kreittmayr. Dem bayerischen Leutnant Fleischmann wurden von Graillier 30,000 Mark für Herbeischaffung von Urkunden und Befestigungsplänen zugesichert. Der Offizier stellte sich anfangs willig, reichte aber sofort die Denunziation ein. Man schritt nun zur Verhaftung Grailliers, Brunners und des schwer gravirten Offiziers Kreittmayr sammt seiner Geliebten. Aus Moskau sind nahe an tausend dort ansässige Juden in schonungslosester Weise ausgewiesen worden. Generalgouverneur Fürst Dolgoruky erklärte einer Deputation, daß er nicht helfen könnte, da er Weisungen habe. Dieser Tage kommen zweihundert flüchtige Familitn aus Kischenew und Balta in Brody an; der Zuwachs wird d^t täglich immer stärker, die Noth der Emigranten ist unbeschreib lich groß. Die „N. fr. Pr." meldet aus Petersburg: Die Katastrophe in Balta übertrifft die vorjährigen Judenhetzen bei Weitem. 6000 Fa milien mit 15,000 Köpfen sind allen Entbehrungen preisgegeben. Durch Verheimlichung des Elends wurden bisher Sammlungen vereitelt. Die Hauptschuld wird der lokalen Administration, die sich ohnmächtig erwies, zugeschrieben. Schleunige Justiz gegen die Exzedenten wurde durch kaiserlichen Befehl angeordnet und der Flügeladjutant Graf Kutaissow soll abermals die Ursache der Bewegung untersuchen. Das ist Alles. Die wahren Ursachen der Bewegung bleiben fortbestehen und äußern sich in den lokalen Verhältnissen. Ueberall herrscht Erre gung unter den Bauern, die bestimmt erwarten, daß den Gutsbesitzern zu ihren Gunsten Land abgenommeu wird. — Beunruhigende Nach richten kommen aus den Ostseeprovinzen. In verschiedenen Gegenden des Flachlandes sind bedrohliche Gerüchte verbreitet, unter Anderen, daß die Dorfkirchen mittelst Dynamit in die Luft gesprengt werden sollen. Die Pastoren sehen sich genöthigt, den Gottesdienst unter freiem Himmel abzuhalten. — Die Mutter des verhafteten Bogdano witsch Kobosew ist, wie nunmehr verlautet, eine geborene Fürstin Schachowskoj. Vaterländisches. — Se. Majestät der König hat bei Gelegenheit Allerhöchstseines Geburtstages auch Heuer wieder dem Sächsischen Militärvereins bund eine außerordentliche Unterstützung von 600 Mark bewilligt. — Am Sonntag Vormittag entstand im Tharandter Staatsforst revier, in der Nähe von „Edle Krone", ein Waldbrand, welcher circa 5 Hektar 10—20jährigen Bestand, sowie vom angrenzenden Privat- revrer auf Somsdorfer Flur circa 1 Hektar 6—8jährigen Kiefern-, Fichten- und Birkenbestand vernichtet. Ueber die Entstehung ist z. Z. nichts bekannt, doch scheinen Spaziergänger durch Wegwerfcn von Feuer deu Brand verursacht zu haben. — Am 24. April hatte der allbeliebte Jüngling Max Beger aus Ullendorf mit dem Geschirr seines Großvaters, des Gutsbesitzers Döring daselbst, Sand nach Bockwen gefahren. Auf dem Heimwege sind ihm in der Nähe von Spittwitz wahrscheinlich die Pferde durch gegangen und er ist vom Wagen gestürzt. Man fand ihn, gefährlich am Kopse verwundet, auf der Straße liegend und brachte ihn in die Wohnung seiner Großeltern. Ohne das Bewußtsein wieder zu erlangen, starb der Verunglückte nach 3 Stunden. — Ueber den gegenwärtigen Stand der Saaten im Königreich Sachsen theilt die „Leipz. Ztg." Folgendes mit: Der in der Blüthe befindliche Raps steht überall sehr schön, hat mithin von den Nacht frösten in der ersten Hälfte des April nicht das Mindeste gelitten: Wintergetreide steht durchgängig außerordentlich schön; die Blößen, welche in demselben hier und da vorkommen, veranlaßt durch die Un zahl Mäuse, sind von keiner wesentlichen Bedeutung. Die frühen Sommergetreidesaaten sind sehr schön aufgelaufen und erfreuen das Auge durch ihren prächtigen Stand. Der Klee hat sich gegen früher ziemlich erholt, läßt jedoch immer noch viel zu wünschen übrig; es würde damit noch weit schlechter stehen, wenn wir einen harten Winter gehabt hätten. Selbst die günstigste Witterung vermag die Schäden nicht zu heilen, welche die immer noch in Unmassen vorkommenden Mäuse au ihm angerichtet haben. Uebrigens ziehen sich jetzt diese Nager aus den Kleefeldern, wo sie den Nachstellungen der Raubvögel mehr ausgesetzt sind, in das Wintergetreide, namentlich in den schon ziemlich hoch herangewachsenen Roggen zurück, wo man ihnen durch Fallen rc. nur schwer beikommen kann. Was die Obstbäume betrifft, so standen Kirsch- und Pflaumenbäume in voller Blüthenpracht und verliehen der Landschaft einen unbeschreiblichen Reiz. Gelitten haben von den Nachtfrösten nur Aprikosen und Pfirsiche, aber diese sehr be deutend, sowie frühe Kirschen in Thälern, wo sich die Blüthen schon sehr entwickelt hatten, doch ist bei den Kirschen der Schaden nicht allzu erheblich, wenn man berücksichtigt, daß sich überhaupt nicht aus jeder Blüthe eine Frucht entwickelt, sondern daß eine große Zahl derselben abzufallen pflegt. Von dem Wein ist der frühe ebenfalls durch die Nachtfröste mehr oder weniger geschädigt worden. — Chemnitz, 26. April. Nach einer gestern bei der hiesigen k. Staatsanwaltschaft eingegangenen Verordnung des k. Justizministe riums hat sich Se. Maj. der König bewogen gefunden, die dem Flei schergesellen Karl Theodor Türpe aus Limbach wegen Ermordung der 7 Jahre alten Lydia Clara Voigt in Mittelfrohna zuerkannte Todesstrafe im Gnadenwege in lebenslängliche Zuchthausstrafe zu verwandeln. Es wird nunmehr unverzüglich die Ueberführung Türpe's in die Strafanstalt Waldheim erfolgen. — In Nossen und Umgegend hat vor 30 Jahren die Bienenzucht einen großen Aufschwung genommen, und die Bienenstöcke zählten nach Tausenden. Vom Jahre 1852 an verlor ein Bienenzüchter nach dem andern seine Bienen, sodaß im Jahre 1860 nur noch wenige Stöcke übrig waren. Vergeblich suchte man die Ursache der Abnahme der Bienen zu ergründen; einem alten Imker ist es gelungen und hat er beobachtet, daß die Blüthen der Ebereschen, die seit jener Zeit dort mehrfach angepflanzt sind, den Bienen beim Genüsse einen langsamen aber unausbleiblichen Tod bringen. — Pirna. Die hiesige Stadtverwaltung hat beschlossen, die Verabreichung des Stadtgeschenks an Durchreisende bis auf weiteres auszusetzen. Von vielen Seiten wird dieser Beschluß freudig begrüßt, da derselbe uns von einer kostspieligen Maßregel befreit, welche das gewerbmäßige Landstreicherthnm großzieht, ohne dem Unwesen des Hausbettels abzuhelfen. Ein guter Fußgänger schafft sich in unserer Gegend in einem Tage durch die Ortsgeschenke eine Einnahme von 2 M. — gewiß eine Thatsache, die manchem Steinbrecher zu denken geben muß, der bei allem Fleiße oft nicht mehr als M. 1,50 unter