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Tagesgeschichte. Unter Bethetligung mehrerer Mitglieder des deutschen Reichstags hat Mitte Juli in Berlin eine Versammlung der Friedensliga statt gefunden, deren Bestreben darauf gerichtet ist, zur Vermeidung krie gerischer Zusammenstöße auf die Einsetzung von Schiedsgerichten hin zuwirken. Eigentliche Beschlüsse wurden nicht gefaßt, namentlich ver mied man das Eingehen auf die Abrüstungsfrage, deren Diskussion vor Jahren so sehr in den Vordergrund gedrängt worden war, daß dii Friedensliga nur mit Mühe ihr Ansehen ausrecht zu erhalten ver mochte. Es ist eben eingesehen worden, daß die Abrüstungsforderung thatsächlich Unmöglichkeiten gegenübersteht, und daß es nicht angeht, eine einzige Macht zur Abrüstung zu bestimmen, um anderen Staaten hierdurch ein gutes Beispiel zu geben. In diesem Falle würde Ab rüstung zur Wehrlosigkeit geführt und die Möglichkeit großer Gefahren in sich geschlossen haben. Von Abrüstung war gerade im Beginn des Sommers 1870 viel die Rede gewesen, und wenige Wochen später erklärte uns Frankreich den Krieg. Abrüstung ist also gewiß nicht zu erreichen, als nicht der Wille sämmtlicher Mächte erkennbar wird, ihre Armeen auf einen Präsenzstand von verschwindend geringer Stärke zu bringen. Die Friedensliga erachtet es dagegen für möglich, An hänger für dte Idee eines Schiedsgerichts zu gewinnen, dem sich zwei in Konflikt gebrachte Mächte zu stellen haben, bevor sie zu den Waffen greifen, und die Schiedsrichter hätten abzuwägen, welche der beiden Parteien im Recht und welche im Unrecht sei. Die Wirkung des Schiedsrichterspruchs würde, wie die Friedensliga erwartet, in einzelnen Fällen eine solche sein, daß der ins Unrecht gesetzte Staat von gewaltsamer Geltendmachung seines Willens absehe, und wenn die Friedensliga, die sich weiter Beziehungen bis in die höchsten Kreise rühmt, erst nur ein einziges Mal die Einsetzung eines Schiedsgerichts durchgesetzt habe, so könne sie, wie argumentirt wurde, mit großer Ruhe abwarten, ob ihre Bemühungen nicht doch von Erfolg sein würden. Dem Schiedsgericht hätten Fürsten und Staatsmänner, die dem jeweiligen Streitfälle fern ständen, anzugehören, und es bedürfte einer Deklaration der Mächte, daß sie in dem Schiedsgericht eine Autori tätsinstanz erblicken würden, deren Vota bindend für sie wären. Ein Schiedsgericht hätte, wie die Mitglieder der Friedensliga sich über zeugt halten, den französisch-deutschen Krieg (?) und gerade so jetzt den englich-egyptischen Konflikt verhindern können. Wenn aber — und das ist die Schlußfolgerung der Liga — Schiedsgerichte aufkom men und wenn sie Kriege verhüten, so ist die Abrüstungsfrage ihrer Lösung um so näher gerückt, je mehr sich das Ansehen der Schieds gerichte als ausschlaggebende Instanz erhöht und befestigt. Die Liga wird nächstens einen Kongreß in Brüssel abhalten. Der „Berl. Act." schreibt: „Die Börsensteuer ist bekanntlich in den ersten drei Monaten ihrer Erhebung vornehmlich in ausnahms weiser Form zur Erhebung gelangt. Vom Oktober bis Dezember 1881 wurde neuerdings der Abschluß von Börsengeschäften rc. zum erster Mal besteuert, aber es fand in dieser Zeit auch die Abstempe lung der zur Cirkulation im Deutschen Reich bestimmten fremden Pa piere erstmalig, und zwar zu einem ermäßigten Tarif statt, sodaß da für zu jener Zeit ein ganz ausnahmsweiser Andrang stattfand, und ausnahmsweis erhöhte Einnahmen eingingen. Die vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1881 erzielte Einnahme von 3,215 808 M. ist somit nicht maßgebend für den wirklichen Ertrag der Steuer. Die reguläre Erhebung der Börsensteuer findet seit Anfang d. I. statt. Nach einer amtlichen Mittheilung sind durch dieselbe (allerdings durch die Steuer auf Lotterielose einbegriffen) im ersten Quartal des Etatsjahres 1882/83 2,400 873 M. eingekommen. Die Einnahmen per 1. Januar bis 31. März >882 betrugen 2,713 443 M.; man wird nach diesen Er gebnissen den Jahresertrag der Börsensteuer inkl. Lotteriesteuer auf etwa 10,000 000 M. veranschlagen dürfen. Die Begegnung des Kaisers Wilhelm, welcher am 8. d. (heute) Gastein verläßt, mit dem Kaiser Franz Josef ist nunmehr bestimmt auf diesen Tag festgesetzt. Als Begrüßungsort ist die Station Strobel gewählt, bis wohin der österreichische Kaiser, der bereits seit dem 31. Juli in Ischl weilt, unserem Monarchen von dort aus entgegeufährt, worauf die Reise bis Ischl gemeinsam erfolgt. Am Donnerstag er wartete Kaiser Wilhelm noch den Besuch seiner Tochter, der Groß herzogin von Baden, in Gastein, die dort von Eisenach über München eintrifft und sich im September nach Stockholm zu begeben gedenkt, um daselbst das freudige Ereigniß, welches in der Familie des schwe dischen Kronprinzenpaares bevorsteht, abzuwarten. Die Befürchtungen, daß die „Jtalianissimi" in Triest die dort soeben eröffnete Ausstellung nicht ohne Demonstration und grobe Ex zesse vorübergehen lassen würden, haben sich nur als zu sehr berechtigt erwiesen. Ein nichtswürdiges Attentat wurde am Mittwoch Abend in der zehnten Stunde begangen. Als der Veteranenverein mit 1000 Fackeln, begleitet von einer großen Volksmenge, über den Korso zog, um dem Erzherzog Karl Ludwig eine Ovation zu bringen, wurde aus einem Hause am Korso eine Petarde geschleudert, welche neben dem an der Spitze des Veteranenvereins gehenden Präsidenten Platzte, diesen leicht streifte und mehrere Andere schwer verwundete. Der Veteranen zug erschien gleichwohl zur angesagten Stunde vor der Stadthalterei brachte daselbst unter enthusiastischer Theilnahme der Volksmenge seine Ovation dar. Unter tiefer Erbitterung zogen die Schaaren des Volks, „Vivat Austria", „Vivat Arciduca" rufend, auf den großen Platz, während andere vor das Redaktionslokal des „Independente" zogen, des Schild der Redaktion zertrümmerten und in der Druckerei des Blattes, sowie in einigen Kaffeehäusern, welche von der Jtalianissimi besucht werden, alle Fenster einschlugen. Nur mit Mühe konnte die Sicherheitswache weiteren Aeußerungen der Erbitterung vorbeugen. Bei Port Said und im Suezkanal werden sich sämmtliche Kriegs flotten der Welt, oder doch Theile derselben, ein Rendezvous geben, denn es scheint nun beschlossene Sache zu fein, daß man auch den kleinen Mächten das Vergnügen gönnen will, den Suezkanal zu be schützen; der Schutz soll eben international ausgeübt werden. Jnzwi- fchen geht es mit den egyptischen Angelegenheiten nicht vorwärts. Die Pforte macht zwar Anstalten mit den Truppensendungen, sie beklagt sich aber in einem neuen Rundschreiben, die Engländer legten ihr Hin dernisse in den Weg (beanspruchter Oberbefehl rc.); auch könne sie den Arabi nicht eher in Acht erklären, als bis ihre Truppen in Egypten festen Fuß gefaßt hätten. Jedenfalls zwei schöne Brüder, die da zu sammen arbeiten sollen, wird Mancher denken. England hat erklärt, wichtige Dokumente in Händen zu haben, aus denen hervorgehe, daß der Sultan im Einvernehmen mit Arabi Pascha gehandelt habe. — Hanemann, geh du voran! Ueber eine Rekognoszirung der Engländer per Eisenbahn wird berichtet: General Sir Archibald Alison und Oberst Duncan bestiegen den Zug, den Kapitän Fischer befehligte. Der Zug, der schnell dahin rollte, hatte an der Front einen leeren Wagen, der in kurzen Zwischenräumen vorgestoßen wurde, um etwaige unter den Schienen angebrachte Minen explodiren zu lassen. Ihm folgte der erste eisengepanzerte Geschützwagen mit den Nordenfeldtröh- reu, welche in der Front hervorragten, wie die Horizontalpfeifen einer Orgel. Diesem Wagen folgten drei andere, mit Blaujacken vollgepfropft, welche sich hinter Sandsäcke verschanzten. Darauf kam die Maschine mit noch drei von Soldaten besetzten gepanzerten Wagen. Dicht hinter diesem folgte ein anderer Zug mit der Reserve. Nach kurzer Fahrt längs des Mareotischen Sees mußte der Zug da Halt machen, wo eine Maschine vormittags aus den Schienen gerathen war. — Arabis Vorposten griffen die Engländer an, jedoch zu langsam, um denselben gefährlich zu werden. Wäre die egyptische Infanterie rascher vorgerückt, so hätte General Alison, der sich mit einer kleinen Eskorte vorgewagt hatte, in großer Gefahr geschwebt. Bei einer andern Gelegenheit warfen die englischen Vorposten die Gewehre weg und nahmen reisaus. Die Krisis in der egyptischen Frage geht schnell ihrem Höheu- punkte entgegen. Drei Transportschiffe mit Artillerie und Munition sind von .Konstantinopel nach Alexandrien abgegangen; dieselben wer den unterwegs zwar noch weitere Truppen aufnehmen, aber dessen un geachtet wird es sich bald zeigen müssen, ob England seine Drohung ausführl, die Türken in Egypten nicht landen zu lasfen, bevor die Proklamation gegen Arabi erlassen worden sei. Der Sultan hat die letztere vorläufig verweigert, und nach dem Manifest an das egyptische Volk, welches Arabi neuerdings veröffentlicht hat, kann der Sultan gar nicht dem Verlangen Englands nachkommen. In dem Manifeste wird nämlich die brittische Flotte beschuldigt, aus Rache dafür, daß die Forts Widerstand geleistet, das arabische Quartier in Alexandrien beschossen zu haben. Um die wehrlosen Einwohner zu schonen, wäre er (Arabi) mit den Truppen abgezogen. Der Khedive habe den brit- tischen Truppen die Thore der Stadt geöffnet, wegen welcher Verrä- therei der Sultan den Khedive abgesetzt habe und jetzt Truppen sende, um den Feind zu vertreiben. Arabi werde zur geeigneten Zeit in Ale xandrien einmarschieren und gemeinsam mit den Muselmanen au« Stambul nicht allein die Ungläubigen, sondern auch die eingeborenen Landesverräther, den Khedive mit, züchtigen. Da Arabi Pascha somit dieMutorität des Sultans ausdrücklich anerkennt und mit dessen Trup pen sich gegen die im Lande befindlichen „Feinde" verbinden will, so kann ihn der Sultan vor den Mohamedanern nicht wohl als einen Rebellen hinstellen. Vaterländisches. — Das anhaltende Regenwetter ruft die Besorgniß wach, daß die noch nicht eingeernteten Halmfrüchte „auswachsen" werden. Leider liegen schon aus einzelnen Gegenden Sachsens Berichte über die stellen weise bereits eingetretene Gefahr vor und die Klagen der betroffenen Landwirthe über den Ausfall der Ernte, die bis vor Kurzem noch zu den besten Hoffnungen Anlaß gab sind nur zu berechtigte. In einzelnen Distrikten ist die Kalamität insofern eine noch größere, als das Hochwasser die Felder überschwemmt hat. — Potschappel, 2. August. Ein Allarmsignal der hiesigen Feuerwehr meldete heute Mittag kurz nach l1 Uhr ein Feuer in un serm Orte, in den Niederlagsräumen des Herrn Kaufmann Roßberg. Das verheerende Element griff mit so kolossaler Schnelle um sich, daß trotz der Hilfe, die von Seiten der hiesigen Feuerwehr, noch mehr aber von hilfsbereiten Nachbarn schleunigst gebracht wurde, ein für die Kalamitosen beträchtlicher Schaden erwachsen ist. Leider ist hier bei ein Menschenleben zu beklagen: Der 12jährige Albert Schuffen- Hauer, der Sohn eines hiesigen Bahnarbeiters, welcher sich mit in den Niederlagsräumen befand, wollte sich durch ein Fenster retten, hatte sich aber in das eiserne Gitter desselben so fest eingeklemmt, daß ihm ein Entrinnen weder nach vorwärts noch nach rückwärts möglich war, sodaß er wahrscheinlich nach wenigen Sekunden erstickte. Den in dieser Lage hängenden Leichnam anzusehen, dessen Kleidung vom Feuer als bald verzehrt worden war, war herzzerreißend. Derselbe war buch stäblich braun gebrannt, an seinen Fleischtheilen gesprungen und so zu sagen geröstet. Der Kopf und obere Rumpstheil und linke Arm des Bedauernswerthen befanden sich innerhalb des Fensters, während der rechte Arm und beide Beine durch das Eisengitter gesteckt waren und so die schreckliche, hilflose Lage des kleinen Opfers verriethen. — Dresden. Das Programm für die Festlichkeiten, welche bei dem im September zu erwartenden Besuche Sr. Maj. des Kaisers in Dresden stattfinden werden, ist zwar noch nicht festgestellt, als sicher darf aber angenommen werden, daß der hohe Herr, der, aus Schlesien kommend, am Nachmittag des 14. September hier erwartet wird, seinen Einzug in die Stadt vom Schlesischen Bahnhofe aus durch die Anton straße nach dem Albertplatze und von da durch die Allee der Haupt straße und über die Augustusbrücke halten wird; es ist wenigstens das Stadtbauamt mit den Vorarbeiten für die Ausschmückung dieser Ein zugslinie beauftragt worden. — Eine wahre Diebesbande zu ermitteln, ist jetzt der Schutzmanschaft zu Chemnitz gelungen. Es sind dies sieben Knaben im Alter von 7—10 Jahren, welche, wie sich jetzt ergeben, während des verflossenen Jahr marktes eine Menge Diebstähle verübt haben. Speciell scheinen die jungen Diebe auf die Verkaufsstände der Porzelan-, Spiel- und Ga- lanteriewaarenhändler ihr Augenmerk gerichtet zu haben, denn es wurden eine ganze Menge derartiger Gegenstände, als Töpfe, Eierbecher, Sahn- becher, Zuckernäpfchen, Taschenmesser, Mundharmonikas, Gummibälle, Porzellanfiguren und dergl. gefunden. Der Hanptanführer scheint ein 10 Jahre alter Knabe gewesen zu sein, welcher, wie die Anderen an gegeben, sie allemal gestoßen habe, wenn sie nicht schnell genug beim Stehlen zugegriffen hätten. — Das „Meißner Tageblatt" schreibt: „Zu 12 Tagen Gefängniß verurtheilt wurde wegen Beamtenbeleidigung am vorigen Montag vom hiesigen Schöffengericht der während der letzten Reichstagsersatzwahl i» hiesiger Gegend mehrfach als Parteigänger der Fortschrittspartei aufgetauchte Kaufmann Bücking aus Dresden. Bücking hatte die Gens- darmen Schindler und Schilde beleidigt, mit Beziehung auf welche er gelegentlich einer in Weinböhla stattgefundenen Wahlversammlung geäußert hatte: „Die Sache sei abgekartet, sie seien gekauft." DaS Schöffengericht sah trotz der gegentheiligen Aussagen der von Bücking gestellten Entlastungszeugen auf das beeidete Zeugniß Schindlers hin obige Aeußerung für erwiesen an und verurtheilte den Genannten zu oben erwähnter Strafe. Als Vertheidiger Bückings fungirte der Rechts anwalt Schedlich aus Dresden. — Eine furchtbare Strafe bekam am Montag Abend ein Thier quäler in Leutersdorf. Der Knecht eines dasigen Gutsbesitzers hatte bereits auf dem Wege zum Stalle ein Pferd sehr geschlagen. Als er die Mißhandlung auch im Stalle fortsetzen wollte, schlug das Thier aus und schleuderte den Schinder weit von sich. Besinnungslos, mit förmlich zerfetztem Gesicht, zerschlagenen Vorderkiefern und Nasenbein, wurde der Mensch unter den nebenan stehenden Thieren hervorgezogen und in ärztliche Pflege gegeben.