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Wochenblatt für Erscheint wöchentlich 2 Mal Dienstag und Freitag.) Abonncmentspreis vierteljährlich 1 Mark. Eine einzelne Nummer ksste^lO Pf. Jnseratenannahme Montags ».Donnerstags bis Mittag 12 Uhr. für die Königl. Amtshauplmannschast zu Meißen, das König!. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff. Zweiun-vierzigster Jahrgang. Erscheint wöchentlich 2 Mal (Dienstag und Freitag AbonnemcutspreiS vierteljährlich 1 Mark Eine einzelne Nummer für kostetet) Pf Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Siebenlehn und die Umgegenden. Rr. 5« Freitag, den 14. Juli 1882. Die Genußsucht sonst und jetzt. Die Einen klagen die Gegenwart der größten Genußsucht an, die Andern antworten, das sei nur eine der beliebten Verunglimpfungen der Gegenwart zu Gunsten der.Vergangenheit und geben höchstens zu, daß die Genußsucht die Formen gewechselt habe und verfeinert worden fei. Wer hat Recht? War die Vergangenheit oder ist die Gegenwart mehr in Genußsucht verfallen? Die Ankläger der Gegenwart führen die Blasirtheit der Jugend, die Zunahme der Vergnügungslokale aller Art und des Verbrauchs von Genußmitteln, die Zunahme der Selbst morde und Verbrechen und Vergehen ins Feld. Die Ankläger der Vergangenheit verweisen auf die Berichte über die sinnlose Verschwen dung im alten Rom zur Zeit des Verfalles, auf die aktenmäßig fest stehende Prachtentfaltung und Völlerei unsrer deutschen Vorfahren im Mittelalter bei Hochzeiten und anderen Festen, oder auf die lockern Sitten im 17. und 18. Jahrhundert in den höhern Ständen Deutsch lands unter dem Einfluß des französischen Hoslebens. Um den Streit zu entscheiden, wird man die Verbreitung der Genußsucht ansehen müssen. Die Genußsucht tritt heute nicht mehr in so krassen Formen auf wie früher. Was uns von der wahnsinnigen Verschwendung der egyptischen Cleopatra oder des römischen Caligula erzählt wird, daß sie kostbare Perlen in Wein auflösten und tranken; was wir von den Schwelgereien des Schauspielers Aesop wissen, daß er seinen Gästen eine Schüssel zum Preise von 6000 Louisd'or vor setzte, die aus lauter geschlachteten Vögeln bestand, welche zum Sprechen abgerichtet gewesen waren, — das ist für uns so unfaßbar, daß wir Verrücktheit und nicht mehr Genußsucht nennen. Aber auch das Meiste von dem, was uns sonst noch von den Genüssen des alten Rom be richtet wird, wäre heute einfach unmöglich, Ebenso wenig wird es die Gegenwart mit der Art und Weise aufnehmen können, in welcher unsere biederen mittelaltrigen Vorfahren beim Essen und Trinken den Genuß des Lebens suchten; auch was uns der einer späteren Zeit angehörende edle Ritter v. Schweinichen erzählt, muthet uns seltsam an. Auch die rasfinirten Genüsse, welche man sich im vorigen Jahrhundert in Nachahmung des französischen Hofes in kleinen deutschen Residenzen gönnte, verlieren hentzutage an Geschmack. Was aber die Genußsucht solcher Gestalt verloren hat, das hat sie an Breite gewonnen. Der Genußsucht huldigten früher Einzelne — einzelne Personen und einzelne Städte in einem Grad, der uns heute märchenhaft vorkommt. Heute wird sie lange nicht mehr so ans die Spitze getrieben, wie damals, aber sie ist allgemeiner geworden, hat viel weitere Kreise des Volkes ergriffen. Beim Urtheil über frühere Zeiten kommen immer nur einzelne bevorrechtete Personen nnd Stände in Betracht, die große Masse kam gar nicht zur Geltung; die frohuden- Pflichtige Landbevölkerung z. B. wußte aus guten Gründen nichts von Genußsucht. Heute ist die Welt demokratischer geworden; die durch Erfindung der Buchdruckerkunst eingeleitete Bewegung zur Ver allgemeinerung und zum Nivelliren ist durch Erfindung der Dampfkraft und der Eisenbahnen um einen riesigen Sprung vorwärts gekommen. Es giebt keine Standesbesonderheiten mehr, im guten wie im schlimmen Sinne. Die Neigungen, welche den Einen ergreifen, ergreifen heute bei dem viel regeren Verkehr, bei der lebendigeren Berührung aller Stände und Personen unter einander, auch den Andern. Indem die vorgeschrittene Kultur die rohe Genußsucht, welche früher in den be vorrechteten Klassen sich kund gab, zurückgedrängt, pflanzt sie gleich zeitig Genußsucht in Kreise hinein, welche früher davon nichts wüßten, weil sie früher eben noch mit den allerdringendsten Bedürfnissen zu kämpfen hatten. So betrachtet verlieren also die Klagen über die Genußsucht unserer Tage keineswegs an Begründung, aber doch an Gehässigkeit gegen die Jetztzeit. Es ist einfach das Ergebniß eines geschlichteten Prozesses, den wir vor uns sehen. Wir müssen es zu bannen versuchen, aber wir können das sicherlich nicht, indem wir zu überlebten Formen zurückkehren. Tagtsgeschichte. Wenngleich von den sozialpolitischen Gesetzentwürfen der Reichs regierung zur Zeit noch keiner in Kraft getreten ist, fo hat doch das Ausrollen der Frage der Arbeiterversicherung bereits mancherlei wohl- thätige Folgen gehabt. Ein praktischer Versuch, dessen Tragweite auf den ersten Blick einleuchtet, wird augenblicklich aus diesem Gebiete an gebahnt. Aus zuverlässigster Quelle erfährt man, daß die Besitzer großer Werke, wie Krupp in Efsen und die „Union" in Dort mund, augenblicklich mit vorbereitenden Arbeiten beschäftigt sind, um eme Lebensversicherung ihrer Arbeiter, welche mit dem sechszigsten Lebensjahre fällig werden foll, also in gewissem Sinne auch eine Alters versicherung in sich schließt, einzuführen. Die Versicherung soll unter Beihülfe der Arbeitgeber aus der freien Initiative der Arbeiter hervor gehen, der Beitritt somit freigestellt sein. Kaiser Wilhelm ließ dem Komitee für die Hygieine - Ausstellung eine Beihülfe von 100,000 Mark anweisen, so daß nun, da auch die Stadt Berlin 200,000 Mark zuschießt, ohue jede Besorgniß an den Wiederaufbau gegangen werden kann. Der Ausschuß ist der Ansicht, das neue Ausstellungsgebäude solle, von Eisen und Glas erbaut, auf dem bisherigen Platze errichtet werden und zwar genau in der Aus dehnung und nach demselben Plane, der für die zerstörte Ausstellung entworfen worden war. Alle bisherigen Erfahrungen werden sich verwerthen lassen; kurz, es kann alles nur noch besser als vorher ge macht werden. Hamburg rüstet sich zum Fest des deutschen Sängerbundes. Die Festhaile faßt 9000 Sänger und 10,000 Zuhörer. Die großen Concerte finden am 11. und 12. August statt; 300 Sänger aus Amerika haben sich angemeldet. Geplant sind gemeinsame Fahrten nach dem wunderschönen Blankenese und die Elbe hinunter nach dem ersten Feuerschiffe. Paris. Bei einer kürzlich abgehaltenen Sitzung des Heeresaus schusses machte Gambetta folgende bemerkenswerthe Aeußerungen: „Ich glaube, daß 400,000 alte Soldaten fchwerer ins Gewicht fallen würden, als die 800,000 Mann, welche das neue Gesetz uns geben wird; aber die dreijährige Dienstzeit ist nun einmal eine öffentliche Forderung, sie entspricht unseren Landessitten und wir müssen uns ihr also anbequemen. Um gegen Preußen zu kämpfen, muß man ihm nicht nur gleichkommen, sondern auch noch überlegen sein. Wir sind geschlagen worden und damit die Armee ihren neuen Aufgaben gewachsen sei, muß das Land eine größere Anstrengung machen. Frankreich zahlt eine Milliarde jährlich für den Unterhalt seiner Armee und Flotte. Das Opfer ist groß, aber es muß auch ferner gebracht werden, da es gilt, unsere nationale Existenz zu vertheidigen. Der Geist der Eroberung ist heutzutage in Europa stärker, als selbst im 15. Jahr hundert. Zur Stunde ist er gegen uns gerichtet; es handelt sich also für uns um Sein und Nichtsein. Ich hoffe, daß die französische Demo kratie nicht ewig zu diesem Opfer verurtheilt sein wird, aber bis auf Weiteres ist es unerläßlich. Frankreich hat in Europa eine Stellung zu behaupten und dazu muß es in der Lage sein, die Barbaren zurück zuweisen." Paris, 12. Juli. In der Nähe des Stadthauses platzte infolge eines Brandes die Gasleitung, wodurch eine furchtbare Explosiv» er folgte; man zählt bereits über 40 Todte und viele Verwundete. Aus Petersburg werden sensationelle Nachrichten gemeldet. Der Zar soll befohlen haben, sein sämmtliches mobiles persönliches und Familienvermögen nach dem Auslande in Sicherheit zu bringen. Die Aristokratie soll mit Rücksicht auf die aufgeregte Stimmung in den Provinzen und die wankende Zuverlässigkeit der Armee und Marine es durchgesetzt haben, daß die Krönung beschleunigt wird, und soll für die Krönung in der Petersburger Kasankathedrale oder der Peter- Hofer Schloßkirche Alles im Geheimen vorbereiten. Ueber die Dimen sionen der nihilistischen Propaganda seien Kaiser, Hof, Gericht und Regierung förmlich erschrocken. Wiederum seien mehrere Seeoffiziere verhaftet worden; eine Anznhl der Mitglieder der heiligen Druschina wurden als Nihilisten entlarvt. Die Vorsichtsmaßregeln in Peterhof wurden verzehnfacht. Die Nihilisten sandten an den Großfürsten Wladimir ein Todesurtheil. Nachdem am 8. d. der englische Generalkonsul Cartwright die Vertreter der übrigen Mächte schriftlich ersucht hatte, ihre Staatsan gehörigen aufzufordern, Alexandrien zu verlassen und sich binnen 24 Stunden auf einem der im Hafen befindlichen Fahrzeuge einzufchiffen, erfolgte der fluchtartige Rückzug der noch zurückgebliebenen Europäer. Sämmtliche Mitglieder der europäischen Konsulate begaben sich an Bord der Schiffe. Der deutsche Generalkonsul von Saurma verließ die Stadt ebenfalls und ging an Bord des Kriegsschiffes „Habicht". Am Montag verließen alle nichtenglischen Kriegsschiffe die Rhede und nahmen außerhalb der Schußweite der egyptischen Kanonen Stellung. Angeblich ertheilten die Großmächte zu der Beschießung der Forts erst ihre Zustimmung, nachdem England die bindende Versicherung abgab, keine Truppen landen zu lassen und das Bombardement sofort ein zustellen, wenn das Schanzenaufwerfen egyptischerseits wirklich aufhöre. Von französischer Seite plant man anscheinend, während die englische Flotte vor Alexandrien operirt, eine Aktion am Suezkanal. Wie man aus Port Said berichtet, marschirte das egyptische Regiment El-Quady nach Serapeum bei Jsmaila ab, welche Nachricht dem nach Port Said abgegangenen französischen Admiral Conrad als Fingerzeig dienen wird, eilige Vorkehrungen zum Schutze des Suezkanals zu treffen. Der Khedive wurde von den egyptischen Truppen als Gefangener behandelt, auch die Wohnung Derwisch Paschas mit einer militärischen Kette um geben. Arabi Pascha erklärte, er werde keinen Zoll Landes übergeben und bis zum letzten Mann kämpfen. Das Donnern der britischen Riesenge schütze wird jedoch diesen Trotz bald erschüttern, zumal die Verthei- digungsmittel Egyptens sehr primitiver Art sind. Die Verblendung des Fanatikers hat bereits das Nilland in das größte Elend gestürzt und dürfte demseben nicht die ersehnte Unabhängigkeit, sondern eine noch viel größere Knechtschaft bringen. Das Bombardement Ale xandriens eröffneten am Dienstag früh 7 Uhr die britischen Schiffe „Alexandra", „Sultan", „Superb" und eine Viertel stunde später war die Kanonade allgemein. Die Forts ant worteten, aber die Geschosse erreichten anfangs die Schiffe gar nicht und bald mußten zwei Forts das Feuern einstellen und der Leucht thurm zeigte sich stark beschädigt. Ein ungeheurer Rauch schwebte längs der ganzen Küste, sodaß der angerichtete.jDchaden schwer sicht bar war. Nach zweistündigem Bombardement wären die Forts „Morsa" und „El Kanat" in die Luft gesprengt, der Thurm des Fort „Pharos" gänzlich zerstört, viele Geschütze der neuen Werke unbrauchbar gemacht.