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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 27.06.1908
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-06-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080627027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908062702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908062702
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-06
- Tag 1908-06-27
-
Monat
1908-06
-
Jahr
1908
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Nr. 176. 102. Jahr«. kundige Hand des Herrn Otto Moßdorf jr., dessen hohe Leistungs fähigkeit zahlreiche öffentlich« und private Anlagen bekunden, hat auch hier den Platz in schöner Harmonie der Linien sür die Ausstellung vor bereitet und der schmückenden Tätigkeit von BerusSgLrtoern und Rosen liebhabern überlassen. Bon (Hehölzgruppen umschlossen, von Weiher und Wiese umgeben, gewährt dieses Rosarium großen Stil- einen entzückenden Anblick. Em von Kletterrosen, Erimsoa Rambler, um rankter, in Hellem Weiß leuchtender KioSk, der nach Hetzers neuer Holz bauweise in leichten und lustigen Bogen konstruiert worden, steht in seiner Mitte und erhöht mit den mächtigen, nach englischen Vor bildern geschaffenen Basen aus Kunstkalkttein die malerische Wirkung des Ganzen. Aus demselben von CH. Schulz ge» lieferte» Material ist die entzückende Figur der knienden Quell nymphe, ein köstliches Werk unseres heimischen Bildhauers HanS Zeißig, hervorgegangen. Halb im Gebüsch versteckt läßt sie am Wiesenhügel aus der Amphora Wasser in das Brunenbecken rieseln. Im Freiland zerfallen die ausgestellten Rosen in die Gruppen der Hochstamm- und Halbstamm-Roien, in niedrige und wurzelechtc Rosen, in Topfrosen und Wildlinge. Sie zeigen ein wunderbares Farbenspiel von weißen, gelben, hell- und dunkelroten, rosa-, kupser- und orange farbenen Blüten und einen überraschenden Formenreichtum. Den Werken der Bindekunst nnv den abgeschnittenen Blumen wurde Las hohe, Helle Orangeriehaus des Palmengartens eiuge- räumt. Ein zarter eremesarbiger Stoff, der die Wände abschließt und alS Belarium die Decke überzieht, gibt der Halle ein gleichmäßig klares Licht und hebt Rosenblumcn und Blumenschmuck wirkungsvoll heraus. Gewaltige Eismaffeu unter den einzelnen Ständen verbreiten Kühle in dem Raum. Längs der Wände erblühen die Rosen nach vielen Hun derten, in der Mitte aber zeigt sich eine Hochzeitstafel mit sinnigen Blumenarrangements. Deutsches Reich. Leipzig, 27. Juni. * Jur VcrbreitungSgeschichtc Ser Töberitzer Kaiserrede teilt die „Milit.-pol. Korresp.", deren Herausgeber auch der Korrespondent der „Dortmunder Ztg." ist, folgendes mit: „Die „Tägliche Rundschau" hatte im Abendblatt vom 19. Juni der „Mil.-pol. Korreip." unricht>berweise unterstellt, die „Ernennung des Generals v. d. Goltz zum türkischen Oberbefehlshaber im Kriegsfälle" vorausgesagt zu haben, und hatte daran eine stark-unfreundliche Polemik geknüpft. Die Entgegennahme einer sachlichen Berichtigung ist von der Redaktion, deren falscher In formant vorgeblich die Presseabteilung des Auswärtigen Amtes war, abgelebnt worden. Auf Grund des H 19 des NeichSpreßgesehes ist daher die Königliche Staatsanwaltschaft zurzeit mit der An gelegenheit befaßt. Ebenso unwahr ist die Behauptung der „Tägl. Rundschau", daß ein Ermittelungsverfahren gegen den Herausgeber der „M.-p. K." als „den Verbreiter der Döberitzer Kaiserreve" ein geleitet sei. Den zuständigen Berliner amtlichen Stellen ist hierüber „nichts bekannt", während man in der Wilhelmstraße angibt, die „T. R." babe den auSkunjterteilenden Rat „wieder einmal falsch verstanden". In diesem Zusammenhänge sei die Verbreitungsgeschichte der Kaiser äußerung chronologisch festgelegt. Am Abend des 8. Juni (Montags ist im Kaiserlichen Automobilklub beim Empfange der Priuz- Heinrich-Fahrer die Döberitzer Ansprache des Monarchen zuerst von Ohrenzeugeu, die sie anscheinend am gleichen Morgen gehört haben wollten, vor jedermann so ausgiebig und mit solch auffallenden Kommentaren wiedergegcben worden, daß der dort anweiende politische Feuilletonist Paul Lindenberg schon am 11. Juni (Donnerstag) die „Einkreisungscebe" — wie er sie nennt — zum Gegen stand einer längeren, in zahlreichen Provinzblätlern erschienenen Be trachtung machte. Am 13. Juni (Sonnabend) abends brachte die „Dortmunder Ztg." den vielbesprochenen Wortlaut, der erst 36 Stunden tpäier, am Montagmorgen, in ie ein Berliner, Pariser und Londoner Blatt übernommen wurde. Dieser Wortlaut wurde am 15. Juni einem englischen Korrespondenten von dem britischen Spezialisten unv Adlaten LeS Staatssekretärs von Sckoen als „zutreffend, aber nicht an die Adresse einer einzelnen Macht gerichtet", bezeichnet. Am gleichen Tage konnte aus Nom gemeldet werden, daß „der italienische Militärattachs in Berlin die Worte von Döberitz mit ange hört und als hochwichtig sofort seiner Regierung mitgeteilt habe". Dann präzisierte (oder doublierte) die „Information" die kaiserliche Mahnung auf den 29. Mai, und nachdem durch weitere vier Tage der vorzügliche Eindruck im In- und Auslande angevanert hatte, kam am 19. Juni Freitag) das bekannte Resümee der „Norddeutschen Allg. Ztg." „Zur Lage". Von einer journalistischen Indiskretion dürsten daher nur die Veranlassung haben zu sprechen, denen für jede in der Presse wiederzu gebende zuverlässige und wichtige Nachricht ein halbamtliches Plazet als die erste unv notwendigste Vorbedingung erscheint. * Ein englisches Gelbbuch über Teutschland. Der englische Handels minister hat gestern ein Gelbbuch veröffentlicht, welches die Ergebnisse eines eingehenden Studiums über die allgemeine Lage in Deutschland, speziell die Lohn frage, Preise der Lebensmittel, Arbeitsdauer usw. enthält. Das Gelbbuch will beweisen, daß die Löhne in Deutschland um l7 Prozent niedriger sind, als die der englischen Arbeiter, obwohl kt-oeessione. Bergamo, Ende Huni. Tie Wochentage gehen still, fast leblos durch das alte Felseimest; die Fensterläden an den Häusern, die oft auf Jahrhunderte zurückschauen, bleiben tagsüber fest geschlossen und in dem Dämmerlicht der engen Stuben sorgt die Hausfrau mit möglichst viel Lärm und mit peinlicher Berechnung der mindesten Anstrengung für die Bereitung der Polenta. Manchmal genügen auch Zwiebeln, Knoblauch und eine langhalsige Flasche roten Landweines. Vor Türen, an denen die ehemalige Pracht alter Nenaissancearbeitcn, schöner Schnitzereien oder Beschläge, langsam modert, spielen schmutzige Kinder barfüßig aus dem regellosen Steinpflaster und aus den offenen, gewölbten Torwegen tönen die Geräusche regsamen Handwerks oder die Stimmen Zechender, denen in der Trattoria schneller als bei der lästigen Arbeit der lange Tag zu verrinnen scheint. Nur des Abends, wenn Türen und Fensterläden zurückfliegcn, kommt Bewegung in die schmalen Gassen und die Luft schwirrt vom Lärm der schwatzenden Frauen, die langsam miteinander auf und ab spazieren. Und besonders einen Abend im Jahre gibt es, an dem nur eilige FluchtZ>en mit empfind licheren Nerven begabten Fremden vor ernsthafter Schädigung seiner Gesundheit retten kann. Am Sonntag nach Fronleichnam feiert man mit vielen bunten, fröh lichen Dingen das ..Fest der Engelchen"; und es ist nicht zu sagen, was da die Mütter am Samstagabend zu erzählen und zu fragen haben. Und am anderen Tage, wenn die Sonne um Mittag am leuchtendsten herunter schaut, dann schmunzelt sie ganz gewiß über die alten Gassen bergauf und bergab, wie sie sich kokett und feierlich herausgcputzt haben. Da sind zuerst die Häuser, aus deren Fenstern Decken und Teppiche baumeln, an denen die kräftigen Farben in unverwischbarem Glanze zu funkeln scheinen. Und auch guer über die Straße, ungefähr in der Höhe des ersten Stockwerkes sind von Haus zu Hans die bunten Stoffe gespannt; rote, blaue, violette, mit breiten goldenen Fransen umsäumt, oder mit gelbem Sammet verbrämt. Wochenlang saßen alte Mütterchen und nähten an dieser Herrlichkeit, die ihnen fast den Unterhalt für das ganze Jahr ver- schaffte, und die jetzt die Stadt in einen einzigen, luftigen Triumphbogen wandelt. In den frühen Nachmittagstundcn kommen dann die Zucker- bäcker angerückt und begeben sich gewichtig auf ihren Posten. Honig und Sirup brodeln in kleinen Tiegeln auf dem Straßenpflaster, und durch eine geheimnisvolle Fertigkeit verstehen diese Hexenmeister ihr süßes Material in langen Streifen, die wie Gold oder Silber glänzen, ans den Tiegeln herauSzuziehen und mit einer grandiosen Gebärde um den Hals zu schlingen. Manchmal bleibt die klebrige Masse an den nicht immer ein wandfreien Jacken hängen und die temperamentvollen Confettieri reißen in ihrem Zorn Wohl auch einige Fasern des abgenutzten Gewebes herunter, wenn sie eilig ihre Kunden befriedigen wollen, aber das tut der Verkäuflichkeit ihrer Ware keinen Abbruch. Auch die Männer, die mit lauten Rufen vielfarbige Papierrosetten feilhalten, die sich an langen Holzstielen unermüdlich um sich selber drehen, machen gute Geschäfte. Und wir die Zeit allmählich vorrückt, lassen sich an den Fenstern lachende Frauenköpfe sehen und Fächer, die lässig hin und her wippen. Dann werden auch die winzigen Ballone bevölkert und in den Gassen drängt Leipziger Tageblatt. die Arbeitsdauer der Engländer um 10 Prozent kürzer ist als die der Deutschen. * Der Sultan von Sansibar nnv der Kaiser. Zu der Nachricht, daß der Sultan von Sansibar feine Reise so einzurichten beabsichtige, daß er vom Kaiser Anfang IuL in Audienz empfangen werden könne, wirv milgeteilt, daß von einer solchen Audienz nichts bekannt ist. Es ist sehr leicht möglich, daß Kaiser Wilhelm bereit- seine Nordlauds- reise angetreteu haben wird, weun der Sultan in Deutschland eintrifft. Es liegt bis jetzt nur die Gewißheit vor, daß der Sultan ein deutsches Bad im Juli aufsuchen wird. * (tzesetzeSveröffenttichungen. Die gestern zur Ausgabe gelangte Nummer 37 des „Reichsgesetz blatt es" enthält die Uebereiukuust zwischen Deutschland und Belgien, betreffend den Schutz au Werken der Literatur und Kunst und an Photographien, die Bekanntmachung, betr. die Beaufsichtigung der inländischen privaten RückversicherungSunterneh- muugen, vom 18. Juni 1908. Der „Staatsanzeiger" veröffentlicht das Gesetz, betr. Abänderung der Wegeordnung sirr die Provinz Sachsen. * Die Koalitionsfreiheit der P» ivatansestellten. Der bekannte Geheimerlaß der bayrischen Metallindustriellen, besten Zurückziehuug wir gestern telegraphisch meldeten, beschäftigt die interessierten, auch politischen, Kreise überaus lebhaft. So hat der bekannte demokratische bayrische Landtagsabgeordnete Professor Quidde im Gemeindekollegium in München den Antrag eingebracht, der Magistrat solle ersucht werben, bei Vergebung von gemeindlichen Lieferungen Unternehmer auSzusch lie ßen, die ihre Angestellten oder Arbeiter znm Ver zicht auf das gesetzlich gewährleistete Koalition-recht zu nötigen suchen. Auch zahlreiche Versammlungen in ganz Deutsch land befaßten sich mir der Sache. So nahm eine stark besuchte Ver sammlung der technischen und kaufmännischen Angestellten von Ham burg-Altona einstimmig eine Resolution an, in der sie schärfsten Pro test gegen den „hinterhältigen Eingriff des Verbandes bayrischer Metall industriellen in das gesetzlich verbürgte Koalitionsrecht" erhebt. Weiter werden die gesamten Prwatangestellten zur energischen Abwehr der gegen die Verbesserung der Standesverhältnisie gerichteten Angriffe und zum Kamps um das Recht der Koalition aufgesordert. — Auf eine sehr zahl reich von Mitgliedern aller Parteien besuchte Versammlung in Kassel wurde eine Rewlukion angenommen, in der es heißt: „Die versammelten Privatbeamten erheben schärfften Protest gegen den hinterhältigen Eingriff des Verbandes bayrischer Metallindustriellen in das gesetzlich gewährleistete KoalitionSreckt. Sie fordern die gesamten Privatangeltcllten Deutsch lands auf, sich zur energischen Abwehr der gegen die Verbesserung der Slandesverhältnisse gerichteten Angriffe zuiammenzuichließen unv Schulter an Schulter in den Kampf um das Recht der Koalition einzutreten. Von den gesetzgebenden Faktoren erwartet die Versammlung, daß sie nunmehr mit größter Beschleunigung dafür sorgen werden, daß die Verhinderung am gesetzmäßigen Gebrauch der Koalitions freiheit unter Strafe gestellt wird. Der Presse, die sich der bedrohten Angestellten in so einmütiger Weise angenommen hat, spricht die Versammlung dafür ihren herzlichsten Dank aus und bittet sie, ihnen auch fernerhin helfend unv fördernd zur Seite zu stehen." * Tas abgciehnie Urlaubsgesuch Liebknechts Dem „Vorwärts" zufolge batte der Abgeordnete Liebknecht auf die Ablehnung des Ober reichsanwalts, ihn zur Landtagstagung zu beurlauben, eine tele graphische Beschwerde an den Reichskanzler gerichtet. Er erhielt am Donnerstagnachmittag folgenden telegraphischen Bescheid: ,^Zur Aenverung des vom Oberreichsanwalt erteilten Bescheids hat der Reichskanzler keinen Anlaß. Der Anspruch, behufs Teilnahme an den Landtagsverhandlungen eine Unterbrechung der Strafhaft gewährt zu erhalten, ist vurch eine gesetzliche Vorschrift nicht zu begründen. Aus Billigkeitsrücksichten wird grundsätzlich Urlaub nur bewilligt, wenn durch Fortsetzung der Hast dem Verurteilten oder seiner Familie erhebliche, außerhalb des Strafzwecks liegende Nachteile erwachsen würden. Ihrem Wunsche bedauere ich deshalb nicht entsprechen zu können, (gez.) Reichs kanzler i. V. Nieberding." * Tie Fahrkartcustrurr. Wie die „Inf." von unterrichteter Seite erfährt, ist die Aufhebung der Fahrkartensteuer nunmehr be stimmt in Aussicht genommen. Es haben sich alle Bundesstaaten gegen eine weitere Erhebung dieser Steuer ausgesprochen, da sie die auf sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt hat. In diesem Jahre waren ca. 23 Millionen sür die Fahrkartensteucr im Etat angesetzt worden. Die bisherigen Einnahmen zeigen, daß sie wesentlich hinter dem Vor anschläge zurückgeblieben sind. Es ist natürlich ru erwarten, daß bei der Relchsfinanzreform der Ausfall, der durch die Beseitigung der Fahr tariensteuer entsteht, durch eine neue Steuerart gedeckt wird. * Tic Katscrmanövcr. Der Schauplatz der Feldübungen vor dem obersten Kriegsherrn, an denen bekanntlich auch König Friedrich August teilnehmen wird, in den Tagen vom 7. bis 9. September, dürste westlich von Saarburg und Berthelmingen, nach der französischen Nied hin, zu suchen fein. Ausland» * Tie antimtlitaristische Propaganda in Frankreich hat bereits die Lehrerschaft ergriffen. Paris, 27. Juni. (Tel.) Die Teputiertenkammer verhandelte gestern über eine Interpellation betreffend die Absetzung Les Lehrers Drome man sich, vor die Kirche zu kommen, von der aus der festliche Zug sich in Bewegung setzen soll. Und um die Zeit zu kürzen, geht man auch wohl hinein und betet flüsternd ein paar Rosenkränze herunter; indes man schielt dabei vorsichtig nach draußen, daß man durch den Spalt der offenen Türen zeitig genug erspähe, wenn sich in den Gassen etwas SchaucnS- wcrtes regen sollte. Und draußen auf den schmalen Stegen hat das Gewoge, das Schreien, Anpreisen und Feilschen den höchsten Grad erreicht. Unbeschreibliche Düfte steigen empor zu den roten, blauen und violetten Draperien mit den Gcldfranscn; Weihrauch von dem an einer Ecke aufgcbautcn Altar, Honig geruch aus den Pfannen der Zuckerbäcker, Knoblauch und die üblen Aus dünstungen vieler ungewaschener Menschen von der Menge, die sich im Feiertagsputz vor der Kirche drängt. Einige Vorsichtige haben schon feste Plätze gewählt und stehen da als die Grundpfeiler der Mauer, die sich in de: nächsten halben Stunde aus Neugierigen formen wird. Ein paar kleine Mädchen in zarten, weißen oder rosa Kleidchen mit Flügelchen an den Schultern und langen Schleiern auf den gesenkten Köpfchen gehen in den Kirchhof. Sic tragen mühsam, aber tapfer, die schweren, zusammen, gerollten Kirchensahnen mit dem Bildnis der Jungfrau auf der Schulter und sie sind sich stolz bewußt, daß Bewunderung und Neid hinter ihnen herraunen. Aus den Haustüren treten Mütter, die Kinderchen von zwei bis drei Jahren vor sich hcrschiebcn; man hat sic in feuerrote Kittel, chen gesteckt und ihnen einen Heiligenschein aus Golddraht ins Haar ge. wunden, die kleinen Händchen können das schwarze Holzkrcuz mit dem Lamm kaum fassen und sie greifen begierig nach den bunten Papier rosetten, mit denen die Händler von weitem locken. ..Sie kommen", schreit da einer, der vorne Posta gefaßt hatte. Und im Nu ist das Bild ein anderes, wie in einem Kinematographentheater. Die Mauer an den Häusern zu beiden Seiten steht da wie ein undurchdringlicher Wall; die Zuckerbäcker sind mit flinken Füßen auf ihre Karren geklettert und mit den gold. und silberglänzenden Sirupftangen machen sie eilig das Kreuz über sich, da sie die Lichtflämmchen der ersten Frommen schon vor sich sehen. Und man reckt sich die Hälse, den feierlichen Pomp zu schauen, den die Kirche bei ihrem Umzüge zum Nutzen und Vergnügen ihrer gläubigen Kinder entfaltet. Priester in prächtigen Brokatgcwändern, mit alten, kostbaren Spitzen an den weißen Jacken wandeln langsam unter den Stcffbehängen der Gaffen dahin. Dazwischen Gruppen von Jungen mit ihren langen, geweihten Kerzen und geputzten Mädchen mit Fahnen und Blumensträußen. Bildnisse der Jungfrau Maria und aller Heiligen auf kunstvoll gemalten und gestickten Panieren werden vorübergetragen. Dann sieht man die Kleinen mit ihren blutroten Kleidchen, von Kirchen, dienern an der Hand geführt und oft nur mit allerhand großväterlichen Listen vorwärts gebracht. Da hat einer aus ein Taschentuch eine Reibe Brezeln gezogen und das rote Bambino faßt lachend den andern Zipfel und stolpert mit seinen kurzen Beinchen willig hinter dem Alten und den Brezeln her. Und keiner merkt den tiefen Sinn dieses kindlichen Spiels, das gleichsam ein Symbol des Ganzen ist. Man hat auch gar keine Zeit nachzudenken. Es ist alles gar so feierlich und der Weihrauch duft legt sich so ruhevoll auf Hirn und Sinne. Und man kniet nieder und s-nkt andächtig das Haupt, als der Bischof unter dem königlichen Soimavend. 27. Juni 1VV8. wegen anttmilitaristtscher Propaganda. Butffoa verteidigte die Lehrerschaft, dir keineswegs hervüinisch und vom besten republika nischen Geiste beseelt sei. (Beifall ans der äußerste« Linken.) Unier- richtsminister Doumergue wie- darauf hi», daß der gemaßregelte Lehrer geäußert habe, Llemrueean müsse füsiliert werden, wenn er i« einem Streitfall mit Deutschland nicht zu einem Schiedsgericht seine Zuflucht nehine und sich auf einen Krieg einlasse. Er übernehme die volle Verantwortung für die Absetzung diese» Lehrers, der wegen seiner Ge sinnung durchaus ungeeignet war, die Jugend zu erziehen, und er halte es sür notwendig, die Lehrerschaft, in der »in gesunder Geist herrscht, von Personen zn trennen, die in der Schule Ziele verfolgen, welche von keinem Republikaner gebilligt werden können. «Lebhafter Bestall.) Die Kammer nahm dann mit 472 gegen 70 Stimmen eine Tagesordnung an, welche die Erklärung der Regierung billigt. * Meuterei in einer französischen Kaser«. Eine Illustration der Manneszucht im französischen Heere gibt folgende Meldung: Montpellier, 27. Juni. (Telegramm.) In einem Bataillon des 17. Infanterieregiments ist eine Meuterei aus. gebrochen. ES dauerte eine geraume Zeit, um die Meuterei zu be- meisteru. * Dir Ungnade des KSuigS von England ist nuu den Parlaments- Mitgliedern, die gegen den Revaler Besuch gesprochen hatten, »uteil geworden. London, 27. Juni. (Tel.) In parlamentarischen Kreisen ist es aus gefallen, daß die Abgeordneten, die sich im Unterbaust gegen di« Reoaler Begegnung ausgesprochen haben, zu dem Gartenfest, da- der König jüngst in Windsor gab, nicht eingeladen worden sind. * Die Neubildung des Kabinetts in Serbien gilt nunmehr als ge sichert. Belgrad, 27. Juni. (Telegramm.) Das Ministerium Bclimirowrtsch kann nunmehr als gesichert betrachtet werden, und zwar in folgender Weise: Velimorowitsch Präsidium und Bauten, Dr. M i l e w an o w i t s ch Aeußcres, Milossavljewitsch Inneres, Dr. Pelicewitsch Justiz, der bisherige Verwalter der königlichen Zivilliste Victitsch Finanzen, Mikolitsch Unterricht, Stena- witsch Handel und General Steffanowitsch Krieg. * Die Franzosen schaffen neue Artillerie nach Marokko, um dann leichter eine Grabesruhe Herstellen zu können. Offenbar ist ihnen das noch nicht hinreichend gelungen. Oran, 27. Juni. (Telegramm.) Mit dem Dampfer „Rußland" ist gestern eine Automobilmitrailleuse eingetroffen, die unter Leitung eines Hauptmanns arachCasablancain See geht. In den nächsten Tagen werden weitere derartige Kraftfahrzeuge nach Casablanca abgehen. Die Automomilmitrailleuse ist kraftvoller als die des Hauptmanns Gentes. Der Motor hat 24 Pferde stärken und kann die Schwierigkeiten im Gelände ohne große Mühe über- winden. Diese Maßnahme ist um so rätselhafter, als General d'Amadc doch das Schaujagebict als ruhig bezeichnet. Paris, 26. Juni. (Telegramm.) Wie General dÄmade tele graphiert, zeigt sich in Rabat infolge der aus Fez und Tetuan kommen den Nachrichten einige Unruhe. Im ganzen Schaujagebiet ist Ruhe, der Handel nimmt wieder zu. * Die Nachrichten ans Persien sind so widersprechend, daß man die Annahme eines dopvelten Spiels Les Schahs nicht von der Hand weisen kann. London, 27. Juni. (Telegr.) Ein hiesiges Morgenblait meldet aus Teheran vom 26. d. M.: Der Schah erließ am Sonntag einen Ferman, wo durch das Medschlis aufgelöst und Neuwahlen für das neue Mevschlis und den Senat angeordnet werden, die der Schah binnen drei Monaten feierlich zn eröffnen gedenke. — Der Schah versicherte den Vertretern Großbritanniens und Rußlands, er ge denke von den Zugeständnissen, die di« früheren Schahs und die er selbst dem Volte gemacht habe, nichts zurück zunehmen. Es wurde eine allgemeine Amnestie erlassen, von der nur drei Personen ausgenommen sind. Die öffentliche Meinung ändert sich zugunsten des Schahs. Die Provinzeu sind ruhig. — Ein anderes Morgenblatt meldet aus Teheran vom gestrigen Tage: Der Schah erließ heuteeineProklamation, die Persien seit dem 22.V.M. unter Kriegs zustand stellt und dem Obersten Liakhoff freie Hand gibt, mit aller Strenge gegen das Volk vorzugehen, und die ferner die Abhaltung von Versammlungen und das Waffentragen bei Todesstrafe untersagt. Tie Geschäfte müssen zwar geöffnet werden, doch stockt der Geschäftsverkehr voll ständig. Mehrere Abgeordnete wurden gefangen gesetzt. Im königlichen Lager wächst die Zahl der Gefangenen stündlich an. Während der Kämvfe am Dienstag mären die Soldaten beinahe von 600 Nativiialislen, die die Moschee verteidigten, zurückgeworsen worden; nur di« Anwendung von Schrapnells sicherte ihnen die Oberhand. * Mnley Hafid hebt Soldaten and, um seine Gegner endgültig nieder, zuwerfen. Solange er dabei nur Landsleute gegen sich hat, dürfte ihm dies auch ohne weiteres gelingen. Es steht jedoch zu befürchten, daß die Franzosen seinen Gegnern Unterstützung gewähren, wodurch die Klärung der Lage nur noch mehr hinauSgeschoben wird. Paris, 27. Juni. (Telegramm.) Nach einer Meldung aus Fez wurden dort in jedem Viertel 1000 Mann auSgehobcn, was für marokkanische Verhältnisse die enorme Zahl von 18 000 Mann ergeben würde. Diese Anzahl zu bewaffnen, soll jedoch Muley Hafid außer- stände sein, doch auch ein Viertel der Mannschaften würde schon aus reichend sein, um Buh am ara, der nach den jüngsten Meldungen in Beni Baccar lagert, und die der hasidischen Herrschaft noch wider- strebenden Stämme zu bekämpfen. Die Nachrichten über den Zug Kaid Mtuppi gegen Marrakesch lauten widersprechend. Die Stämme in der Umgegend von Marrakesch sind größtenteils Muley Hafid ergeben. Nicht unbedeutende Verstärkungen kommen täglich in Fez an. Baldachin vorübcrkommt. Und wirft noch einen letzten Scheidcblick auf die bunte Pracht an Haus und Gaffe und geht heim in die engen, dunklen Stuben. clollu prvoossäcme .... DaS Spiel ist aus ... ck. * * Ter nene Sekretär der Akademie frsnsaise. Aus Paris schreibt man uns: Wie wir bereits jüngst als wahrscheinlich meldeten, ist Thureau- Dangin sür den wichtigen Posten LeS ständigen Sekretärs der sranzö- sischen Akademie gewählt worden. Paul Marie Pierre Thureau-Dangin, geboren zu Paris nm 14. Dezember 1837, also jetzt bereits ein alter Herr von 71 Jahren, ist keine geniale oder originelle Persönlichkeit, genießt aber als Mensch um seines tadellosen Lebenswandels und seiner hohen Rechenschaft willen, als Schriftsteller wegen seiner Gediegenheit und Zuverlälsigkeit allgemein die höchste Achtung. Seine Hauptarbeiien zerfallen in zwei Gruppen. Die eine davon besaßt sich mit der französischen Versassungs- geschichie des 19. Jahrhunderts. Hierhin gehören die Bücher über „Royalisien und Republikaner", über die „Liberale Partei unter der Restauration" und „Kirche und Staat unter der Juli-Monarchie". Auf ein ganz anderes Gebiet hat er sich mit seiner gehaltvollen Studie überden heiligen Brrnhardin von Siena, den berühmten Vollsprediger der Renaissance, begeben. Schließlich ist noch sein Werk über die katholische Renaissance in England im 19. Jahrhundert zu nennen, jene interessante Bewegung, der selbst ein Gladstone nicht ganz ferngestanden hat. Die Akademie bat mit dieser Wahl die Verwaltung ihres Sekretariats in die Hände einer durchaus vornehmen Persönlichkeit gelegt, die ihre Uebrrlieferungen sicher in Ehren wahren wird. * Zum Studium der Schlafkrankheit wird eine neue englische Kom- miision am 2b. September nach Oslafrika ausbrechen, um die Arbeiten müder aufzunehmen, die im Jahre 1902 begonnen waren und 190b durch den Tod des Leutnant Tullock, der bei seinen Forschungen in Uganda selbst die Schlaf- krankheit bekommen hatte, unterbrochen wurden. Die Miision wird über Mombasa zum Viktoriasee Vordringen. Sie wird eine besondere Aufmerksamkeit auch auf das Studium der Theorie Dr. Kochs verwenden. * Kleine ikhrantk. „Manöver-Regen", ein dreiaktige-Milttärlustfpiel von Gebhard Schaeyler-Perafini und Richard Keßler, errang bei seiner Uraufführung am Stadthallentheater in Lübeck einen durchschlagenden Erfolg. Dar Stück erscheint im Verlag A. Entsch. — Elisabeth Bartels vom Berliner Schiller-Theater wurde durch Vermittlung de- Theaterbureaus Prahl vom Generalintendanten der Münchener Hofbühnen durch einen fünf- jährigen Vertrag sür da« Münchener tzostheater verpflichtet. — Ein neue« englische« Theater wird in Pari« am 1. September seine Pforten öffnen. Begründerist merkwürdigerweise ein Russe, der Schriftsteller Maxim Schottland. ES soll eine Reibe von Stücken englischer und amerikanischer Autoren auigefübrt werden, die in England von der Zensor verboten worden sind. Schottland ist der zeugt, daß die zahlreichen Engländer und Amerikaner, die im Herbst in Par s weilen, ein genügendes Publikum für den Versuch abgeben werde». — Ter amerikanische Philanthrop Nathan StranS schenkte der Heidelberger Universität die außerordentlich kostbare Library Edition von Ruskins Werken, im ganzen 38 Bände. — Bei den Ansarabungen zur Auffindung der Unterkirch« ron -an Crisogono in Trastevere fand man, wie aus Rom telegraphiert wird einen großen Teil der antiken AvsiS, sowie Reste der Krypta und wert- lulle Fresken anS dem achten Jahrhundert, ferner zur Rechten der Apsi« eine Grabstätte aus dem 12. Jahrhundert mit zahlreichen, gut erhaltenen Sarko phagen. Die Ausgrabungen werden weitecgesührt.
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