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linden russischen Staatsmännern eine Scene, die in den Annalen dip lomatischer Kontroverse selbst in Rußland ihres Gleichen sucht. In einer Aufregung, die an dem klugen und kalt berechnenden Jgnalieff noch nie bemerkt wurde, stürmte er aus H. v. Giers los und kleidete dessen Vorgehen und Politik in Ausdrücke, für welche das Wort ver- rätherisch viel eher paßt, als unpatriotisch. Der Zar, welcher von dieser Scene erst Tags darauf Kenntniß erhielt, fprach darüber seinen Unwillen aus. Diesen positiven Mittheilungen wird hinzugefügt, daß der Rücktritt v. Giers' als etwas ganz Bestimmtes betrachtet werden kann und nur noch Frage weniger Tage sei. London, 14. Februar. Die 350 russischen Juden, welche am Freitag von Hamburg kommend in Liverpool anlangten, segelten am Sonnabend auf dem amerikanischen Dampfer „Illinois" nach Philadelphia ab. Als der Dampfer die Anker lichtete, ließen die Auswanderer die Königin von England, fowie das Komitee, welches sie unterstützt hatte, hoch leben. Viele der Flüchtlinge bestätigten die Berichte englischer Blätter, daß während der Judenverfolgungen die Polizei den Pöbel nicht nur ruhig gewähren ließ, sonder» sich au der Plünderung der jüdischen Hauser betbeiligte. Der Hülfsfond zur Unterstützung der nothlcider.den Juden in Rußland hat jetzt die Höhe von 46,000 Lstrl. erreicht. In Leicester wurde am Sonnabend eine von 2000 Personen besuchte Volksversammlung abgehalten, welche den Zweck hatte, gegen die Verfolgung der Juden in Rußland zu protestiren. Aus Buenos Ayres in London eingegangenen Nachrichten zu folge ist es zwischen den Einwohnern von Pisko und den peruani schen Soldaten am 24. v. M. zu einem blutigen Gemetzel gekommen. Der Oberst Mas mit 600 Mann von Jca griff Villavicencio an und plünderte, nachdem er denselben besiegt hatte, Pisko. Die Soldaten steckten alsbald die Häuser in Brand und ermordeten viele Einwohner, 400 Fremde suchten den Meuteren Widerstand entgegenzusetzen, wurden aber ebenfalls zurückgeworsen und 300 von denselben getödtet. Die Zahl der Opfer des Blutbades beträgt mehr als 1000. Es geht das Gerücht, daß auch der französische Konsul sich unter den Opfern be finde und daß Oberst Mas durch die Truppen Garcias und Calderons getödtet fei. Vaterländisches. Wilsdruff. Sonnabend in der siebenten Abendstunde brannten im benachbarten Alttanneberg die Wirtschaftsgebäude des Guts besitzers Poppe total nieder. Als der Brandstiftung verdächtig wurde noch au demselben Abend eine daselbst bedienstete Magd in das hiesige Amtsgcfängniß abgeliefert. — Der kürzlich veröffentlichte Jahresbericht des Dresdner Gewcrbevereins giebt ein Bild von dem auch in finanzieller Hin sicht erfreulichen Gedeihen desselben. Vor 13 Jahren besaß der Verein ein Gesammtvermögen von 5000 bis 6000 Thaler, welches sich im Laufe der Zeit auf gegenwärtig 307,981 Mark erhoben hat. Das Grundstück an der Ostraallee repräsentirt einen Werth von ca. 454,000 M., das am Qneckbrunncn von ca. 112,000 M. Unter den Einnahmen finden sich 13,984 M. Mitgliedcrbeiträge, 10,858 M. Miethe vom Hauptgebäude, 22,916 M. Saalmietheu und Konzerterträgnisse; unter den Ausgaben stehen 103,842 M. Zahlung für das Grundstück am Queckbrunnen, 112,300 M. getilgte Hypothekenschulden, 3315 M. ein- gclöste Antheilscheine rc. — Mit der am 3., 4. und 5. Juni d. I. in den Räumen der ehemaligen Gardereiterkaserne stattfindenden Pferdeausstellung, ist wie immer, auch eine Verloosung von Equipagen, edlen Pferden und ca. 1000 Stück verschiedenen Reit- und Fahrutensilien verbunden und werden 40,000 Loose ü 3 Mk. zur Ausgabe gctangen, deren Gcneral- debit Herrn Adolf Hessel in Dresden übertragen wurde. — Lauenstein. Eine Lebensrettung, durch einen muthigen Knaben vollführt, ist gewiß der höchsten Anerkennung würdig. Auf dem Eise des Teiches bei dem Eiskeller in der Vorstadt war in ver gangener Woche der Sohn des Tagearbeiters Schwenke hier eilige« brachen und soweit gesunken, daß er nur noch die Hand emporhielt. Dies sah der 11 Jahre alte Sohn des Försters Lasse hier, eilte dem Jugendgenossen schnell und gewandt zu Hülfe, zog ihn heraus und reitete demselben dadurch das Leben. — Zwickau, 17. Februar. Mit der landwirthschaftlichen Landes ausstellung, die in der Zeit vom 7.—13. September hier stattfindet, wird eine Verloosung verbunden, zu der 63,000 Loose ü 1 Mark ausgegeben werden, worauf 12«X> Gewinne im Gesammtbetrage von 40,000 Mk. entfallen sollen. Die Verloosungsgegenstände, welche in Thieren, Produkten, Maschinen und Geräthen bestehen, werden nur von Ausstellern angekaust und auch von diesem nur zur Verloosung geeignete Gegenstände solcher Art, wie von ihnen zur Ausstellung ge bracht sind. Soweit der Bedarf hierdurch gedeckt werden kann, werden nur wirklich ausgestellte Gegenstände angekauft. — Beim Amtsgericht in Bischofswerda ist dem Vernehmen nach ein envas wässriger Prozeß im Flusse. Der Kläger heißr Teich, der Beklagte ebenfalls Teich, der Litisdenunciat (eine dritte Person, welcher der Streit angeküudigt worden) führt den Namen Teich, das Streitobjekt ist die Ufermauer eines Teiches. — Frankenberg, 8. Februar. Das hiesige Tageblatt schreibt: Nicht geringes Aufsehen ruft heute das überraschende Gerücht hervor, daß der kaum erst wiedergewählte Vorsteher des Stadtverordneten- Kollegiums, Webwaarenfabrikant Friedrich August Berthold, heimlich von hier sich entfernt und von Hamburg aus seine Insolvenz hierher erklärt habe. — Der Getreidehändler und Grundstücksbesitzer Karl Pönitz zu Oberrossau bei Hainichen bat dieser Tage mit Hinterlassung eines Defizits von angeblich 200 000 Mark dar Weite gesucht. Hart be troffen von diesem in neuester Zeit eben nicht ungewöhnlichen Falle sollen namentlich einige Persönlichkeiten Mittweidas sein. Unter Stürme n. Novelle von Ludwig Habicht. Verfasser der Romane: „Zwei Höfe", „Schein und Sein" rc. (Fortsetzung.) Angelika kam ihrem Wunsche ohne weiteres nach. „Und Sie mißtrauen mir nicht?" fragte Hermine mit fchmerzlichem Lächeln und ohne eine Antwort abznwarten, fuhr sie lebhaft fort: „Nein, nein, Sie haben Recht. Mag ein finsteres Geschick die Kluft zwischen un seren Vätern noch weiter, unheilvoller aufgerissen haben, unsere Pflicht ist es, desto treuer zusammenzuhalten" und sie reichte der Jugend freundin die Hand hin, die sie innig an sich preßte. „Als Sie kamen, dachte ich eben an all das Entsetzliche, das hier geschehen ist, auf dem Platze unserer glücklichen Kinderspiele. Ich wäre so gern hineinge gangen, aber ich fand die Thür verschlossen." Die Augen der Kom tesse ruhte» dabei auf Angelika, als wollten sie sagen: Oeffnen wir, denn ich habe Muth genug, den Schauplatz der düsteren Ereignisse zu betreten. „Das Gericht hat die Schlüssel an sich genommen, wie mir Louise sagte." Auch die Fenster des Pavillons waren mit Decken versetzt, man hatte den stürmischen Zudrang der Neugierigen dadurch abwehren wollen, die alle herbeigeeilt, um den Ort des Verbrechens in Augen schein zu nehmen. Hermine antwortete nicht sogleich; sie blickte düster vor sich hin und ihre Brust athmete schwerer. Es schien, als ob sie sich eben die blutigen Ereignisse vergegenwärtige, die da drinnen geschehen. „Wann wird dasRäthsel endlich gelöst werden?" begann sie, aus ihrem Hin- brüten erwachend. „Ich glaube nimmermehr, was die alte Hildebrandt zusammengeschwatzt hat; aber auch die frühere» Vermuthungen meines unglücklichen Vaters halte ich für Hirngespinnste." Angelika hatte durch ihre Mägde erfahren, daß die Aussage der Alten an der Verhaftung ihres Vaters schuld sei und sie entgegnete mit völliger Uebcrzeugung: „Dies Weib hat schändlich gelogen! Wenn Arno das Unglück gehabt hätte, Ottomar zu tödtcn, dann würde er seine Leiche nimmermehr heimlich beiseite gebracht und auch mein Vater nicht die Hand dazu geboten haben." „Ich weiß es," erwiderte Hermine mit vertrauensvoller Sicherheit, „er hat mir sogleich alles bekannt; aber mein Papa vermuthete anfangs, daß Ihr Vater den Verwundeten heimlich verborgen halte, um ihn zu quälen und —" „O, wie Unrecht thut er meinem armen Vater mit diesem Ver dacht!" unterbrach sie Angelika lebhaft. „Wohl haßt er Ihren Papa — ich weiß nicht warum; aber er ist gerade und offen und keiner Heimtücke fähig." Trotz ihrer leidenschaftlichen Erregung verschwieg sie doch, daß ihr Vater einen ähnlichen Argwohn auf den Grafen ge worfen hatte, sie fürchtete, durch eine solche Mittheilung Herminen wehe zu thun. Wie eigenthümlich hatte doch der Haß diese beiden Männer verblendet, daß sie sich gegenseitig der größte» und abscheu lichsten Heimtücke beschuldigten! „Ich glaube Ihnen, Angelika, ich muß es glauben," entgegnete Hermine. „Aber wie sich auch der dunkle Schleier einmal lüftet, der noch über dem allen ruht, wir wollen wie in unseren glücklichen Kin- dertageu fest zusammenhalten." Sie erhob sich und ihr die Hand reichend, setzte sie hinzu: „Leben Sie wobt, liebe Freundin. Ich rufe Aruo zurück und mit ihm wird sich der verworrene Knäuel schon lösen." Sie entfernte sich rasch, als empfinde sie das Bedürfniß, allein zu sein. Angelika fühlte nicht die Kraft in sich, dem Beispiel der Freundin augenblicklich zu folgen. Sie nahm noch einmal auf der Bank Platz und stützte sinnend ihr junges Haupt in die Hand. Die Unterhaltung mit Herminen hatte in ihrer jungen Seele die alten Qualen wach ge rufen; das verzweifelte Grübeln über die dunklen, räthselhaften Vor gänge, die aller Mühe spotteten, sie zu ergründen. Was war aus dem verwundeten Ottomar geworden? — Nun wußte sie, daß der Verdacht ihres Vaters ebenso thöricht war und der Haß der beiden Männer die unerhörtesten Wahugebilde ausgebrütet habe. Durste sie auf eine Lösung des nuheimlichen Näthsels hoffen? wie Hermine ge sagt. — Sie erhob den thränenfeuchten Blick zn dem blauen Herbst- Himmel, der heute mit wunderbarer Reinheit sich über dem halb ent färbten Walde ausfpannte. Sie mußte unwillkürlich die Hände zum Gebet falten und ihr war es, als sänke ein tiefer Friede in ihr Herz, wie sie ihn seit dem harte», furchtbaren Schlage nicht mehr gekannt hatte ... .( Nun, Fräuleinchen, so fromm?" Ein rohes Lachen folgte der Frage, mit der ein Mann aus dem Gebüsch hervortrat, der schon längere Zeit das junge Mädchen beobachtet haben mußte. Erschrocken blickte Angelika ans und sah eine Erscheinung vor sich, die jeder Andern vielleicht die größte Furcht eingeflößt hätte, während ihre blauen Kinderaugen nur verwundert, ja zuletzt mit dem Ausdruck herzlicher Freundlichkeit auf dem Fremden ruhten. Es war ein herkulisch gebauter, breitschultriger Mann, der mit seinem verwil derten, schwarzen, schon ins Graue schimmernden Bart, seinen großen, unheimlich funkelnden Augen und seiner nachlässigen Kleidung keinen Vertrauen erweckenden Eindruck machte. In seinen derben, wetterge bräunten Zügen prägte sich ebensoviel Rohheit wie List und Verschla genheit aus. Franz Kohlert war auch allgemein als der verwegenste Wilddieb bekannt und dennoch war er im Laufe vieler Jahre nur zweimal auf frischer That ertappt und zur Strafe gezogen worden. Er hatte sich in einem öden, einsamen Winkel ein kleines Haus gebaut und lebte dort ganz allein, den Verkehr mit Menschen ebensosehr meidend, wie er selbst gemieden wurde, denn niemand mochte gern mit dem wüsten, gewaltthätigen Manne in nähere Bcriihrnng kommen, dessen rohe Bos heit und Nachsucht allgemein gefürchtet war. Seltsam genug hatte dieser wüste, leidenschaftliche Mensch für Angelika stets eine gewisse Zuneigung an den Tag gelegt, obwohl es gerade ihr Vater gewesen mar, der vor Jahre ihn zuerst bei seiner Wilddieberei getroffen und sie zur Anzeige gebracht. Franz Kohlert hatte als Strafe einige Monate Gefängniß davongetragen und wer den Mann genauer kannte, wußte wohl, daß er sich, früh oder spät, an Herrn Federigo rächen würde. Trotzdem hatte Kohlert niemals einen feindlichen Streich gegen seinen ehemaligen Ankläger ausgeführt, ja, er verricth für Angelika eine Anhänglichkeit, die an dem finsteren trotzigen Menschen, dem jedes bessere Empfinden fremd zu sein schien, um so merkwürdiger auffiel. Die seltsame Freundschaft zwischen den Beiden schrieb sich aus sehr früher Zeit her. Die kleine Angelika war mit ihrem Körbchen am Arm, in dem sich ihr Frühstücksbrot befand, zum nahen Walde gewandert, um sich Erdbeeren zu pflücken. Sie hatte ausdrücklich die Weisung erhalten, nur am Saume des Gehölzes zu bleiben: aber sie war in ihrem kindlichen Eifer wohl weiter in den Wald geräthen und plötzlich sah sie einen riesigen, schwarzbärtigen Mann vor sich stehen, der sie mit finsteren Blicken anstarrte und nach ihr hin eine Bewe gung machte. Die Kleine kannte in ihrer kindlichen Arglosigkeit keine Furcht, sie sah nur einen armen Mann vor sich stehen, dessen zerrissene Jacke ihr Mitleid einflößte. „Du hast gewiß Hunger, Mann," sagte sie so gleich, „da will ich Dir mein Frühstück geben. Nimms nur, ich schenk Dirs gern!" — und ihre blauen Augen hatten unbefangen auf dem: Menschen geruht. In diesem ging eine Veränderung vor sich; er ließ die ausge--