Volltext Seite (XML)
Beilage zu Nr. 12 des Amts- u. 2 ochenblattes für Wilsdruff. Unter Stürmen. Novelle von Ludwig Habicht. Verfasser der Romane: „Zwei Höfe", „Schein und Sein" re. (Fortsetzung.) „Niemand soll es wagen, mich von der Seite meines armen Kindes zu reiszen!" rief er wie verzweifelt. „Sie hat an mir ihre einzige Stütze und würde zusammenbrechen." „Aber Sie müssen doch endlich dem Gesetze Folge leisten!" „Ja, das Gesetz, das kenn' ich!" stieß der Alte mit bitterem Anf lachen heraus: „ES hat mir schon einmal prächtig mitgespiclt! O, über Euere Gesetze, unter deren Deckmantel gerade die schlauesten Schurken ihre verwegenen Streiche ausführen können!" „Herr Federigo, mäßigen Sie sich!" ermahnte einer der Gerichts» beamten; „wir dürfen solche Redensarten nicht länger ruhig mit an hören und fragen Sie noch einmal, ob Sie uns gutwillig folgen oder unS zu Gcwaltmaßregcln zwingen wollen?" „Nein, ich kann mein Kind nicht im Stich lassen, ich kann es nicht!" entgegnete der Alte, „und wagen Sie nicht, Ihre Drohung auszuführen, sonst geschieht das Aeußerste." Mit blitzschneller Be wegung hatte er von der Wand eine Pistole gerissen und hielt sie den Beamten entgegen. Er war völlig verwandelt. Während sonst seine gebückte Haltung, der müde, schwermüthige Zug seines Wesens ihm etwas Schwächliches und Greisenhaftes gaben, stand er jetzt hoch aufgerichtet da und seine ganze Erscheinung hatte so viel Jmponirendes, daß die Gerichtsbeamten unwillkürlich einen Schritt zurückwichen. In diesem Augenblick öffnete sich die Thür und der Alte ließ bestürzt die Waffe sinken, denn Angelika eilte auf ihn zu und rief in schmerzlichster Aufregung: „Nein, Vater, wir sind unglücklich genüg. Du darfst uns nicht noch elender machen." — Dann wandte sie sich scheu zu den Gerichtsbeamten: „Mich allein müssen Sie verhaften, meine Herren! Ich habe alles verschuldet!" Die beiden Herren sahen sich bedeutungsvoll an; ein solches Wort des jungen Mädchens war verfänglich genug; aber sie hatten keine» Auftrag, auch das Fräulein zu verhaften mid erklärten dies in ihrer ruhigen, nüchternen Weise. „Brstimmen Sie aber Ihren Herrn Vatxx, daß er uns freiwillig folgt," setzte der., eine Beamte hinzu; „denn cs würde uns sehr leid thun, '''wenn wir Gewalt brauchen müßten." Trotz ihrer Jugend begriff Angelika auf der Stelle, was für ihren Vater aus dem Spielt stand und wie sich seine Lage durch "solchen Trotz nur verschlimmern konnte, und ihren Bitten und Vor stellungen gelang es wirklich, die heiße Aufwallung des alten Mannes zu beschwichtigen. „WaS soll aber aus Dir werden, wenn ich Dich ohne Schutz und Schirm hier znrücklassen muß!?" klagte er schon halb überwunden. „Fürchte nichts!" entgegnete die Tochter. „Ich habe mehr Muth als Lu denkst. Arno hat mir, stets gesagt, in mir stecke etwas von einer kleinen Heldin, er hoffe nur, daß mich das Schicksal verschonen werde, es zu zeigen," und ein Lächeln umspielte ihre Lippen, während doch ihre Augen sich mit Thränen füllten. Der alte Federigo strich mit der Hand über die »mwölkte Stirn, dann schloß er sein geliebtes Töchterchen zärtlich in seine Arme: „An gelika, wirst Du wirklich stark sein? O dann will ich Alles gern er- tragen!" „Ich will eS!" antwortete sie mit großer Festigkeit und in ihren blassen, lieblichen Zügen gewahrte der Vater wirklich eine Entschlossen heit, die er gerade bei ihr niemals gesucht hätte. Der Alte war plötzlich wieder ein anderer. Was ihn zu völliger Raserei getrieben, war nur die Sorge um sein Kind, das er nicht allein hier zurücklassen mochte. Alles Ändere härmte ihn nicht. Mochte ihn eine noch so lange Gefangenschaft erwarten, was hatte er viel danach zu fragen? ^.Sein Lebensglück lag längst in Scherben. . . Ruhig fand sich der alte Federigo in sein Schicksal; er bat nur die Beamten, ihm z» gestatten, daß er seinen Leuten noch einige Wei sungen geben dürfe und ließ Georg und Luise herbeirufen, auf die er sich noch am meisten verlassen konnte, um ihnen mit kurzen Worten zu sagen: Sie möchten seiner Sache treu zur Seite bleiben. Dann nahm er von ihnen in seiner ruhigen, stillen Weise Abschied. Die treue Magd vermochte vor Schluchzen kein Wort hervor zubringen und auch Georg preßte mühsam seine Zusage hervor. Als er aber Beiden die Hand reichte, da stürzte Luise mit einem lauten Verzweiflungsfchrei aus der Thür, während der junge Bursche heiße Thränen auf die Hand seines Herrn fallen ließ und dann stumm und tief niedergeschlagen das Zimmer verließ. Nun kam deS Schwerst«» Schwerstes, das Scheiden von der Tochter. Er preßte Angelika noch einmal an sein Herz, das ihm zu brechen drohte; sie sah ihn nur mit ihren guten, lieben Augen noch eirmal lange und tief in's Antlitz. „Du wirst also mein mnthiges Kind sein?" fragte er leise und sie nickte als Antwort nur mit dem Kopfe. Leise ließ er sie aus seinen Armen, während sie regungslos stehen blieb. „Lebewohl! Lebewohl!" hauchte sie zurück. Er wandte sich jetzt den Gerichtsbeamlen zu und sagte ruhig: „Ich bin bereit." Rasch entschlossen wollte er mit ihnen das Zimmer verlassen, aber auf der Schwelle blieb er noch einmal stehen und blickte voll zärtlicher Sorge zurück. Er fürchtete, daß sie dennoch vor Schmerz zusammengebrochcn sei; aber sie stand noch immer ruhig dort; sie lächelte, freilich mit einem Lächeln, das etwas Ueberirdisches hatte und um nicht von seiner Schwäche überwältigt zu werden, eilte er rasch hinaus. Angelika brach auch jetzt nicht zusammen, als der Vater gegangen war. — Eine wunderbare Kraft überkam sie, als stände eine unsicht bare Macht an ihrer Seite und helfe ihr alles trage». — Freilich wagte sie das Zimmer nicht sogleich zu verlassen, sic bedurfte einer Stunde des Alleinseins, um sich zu sammeln. Es war ihr, als sei sie körperlich noch mehr erschöpft als seelisch, denn sie mußte sich auf einen Stuhl niederlassen und während die kleinen weißen Hände völlig erschlafft auf den Schooß sanken, irrten ihre Gedanken ruhelos umher; bald beschäftigten sie sich mit der nächsten Gegenwart, bald schweiften sie in eine ferne Zukunft hinaus und dann senkte» sie sich vollSchwer- muth in die lichte, glückliche Vergangenheit. Wie geräuschlos ist der Fuß der Zeit, der uur über Blumengefilde schreitet. Durch die sorgende Liebe des Bruders war Angelikas Ju gend wie ein einziger, sonniger Frühlingstag an ihr vvrübergezogen. Nie war in ihr die Ahnung aufgedämmert, es könne einmal anders werden und sich auch über ihre Seele tiefe Schatten lege». — Wohl hatte Arno zuweilen von dem Ernst des Lebens gesprochen, der nie manden erspart würde; aber das ist ja eben das Glück und der Zau ber der Jugend, daß solche Vorstellungen niemals in der jungen Seele Eingang finden, daß sie gar nicht zu glauben vermag, es könnten wirklich solche finstere Wolken auch an ihrem Horizont Heraufziehen, der sich noch hell und glänzend vor ihr ausdehnt. Und diese Wolken waren nur zu rasch gekommen! — Jetzt wußte Angelika, wie hart uns das Leben anzufassen vermag und wie gern und grausam es unsere schönsten Blüthemräume zerstört. — Seltsam! Gerade ans den vernichtendsten Schicksalsschlägen schöpfte sie aber auch jetzt ihre Kraft. — In ihrer jungen Brust erwachte das Bewußtsein, daß sie den Stürmen mulhig Stand halten müsse, die über sic und die ihrigen jetzt hinwegbranstcn. Es bedurfte auch wirklich all ihrer Kraft, um sich aufrecht zu erhalten, und die Alltagsfrage war es, die Angelika anfangs am pein lichsten berührte, ihr aber zuletzt über die schweren Stunden hinweg« half. S:e hatte keine Zeit, ihrem Schmerze völlig uachzuhängen; Luise, die bisher die Wirlhschaft noch leidlich zusammengchalten hatte, schien durch die Gefangennahme des alten Herrn völlig den Kopf verloren zu haben und die übrigen Leute wandten sich jetzt an das junge Fräu- lcm, denn eine Menge dringender Herbstarbeitcn war vor der Thür und keine Stunde durfte versäumt werden. Angelika mußte hier be fehlen, dort entscheiden und wie sie auch zuerst in völliger Betäubung ihre Antworten gab, allmählich kehrte eine klare Besinnung zurück und sie wurde es sich bewußt, daß ihr jetzt eine Aufgabe zugefallcn war, die sie zu lösen hatte. Nach cuicm harten, mühseligen Tagewerke suchte Angelika ihr Lager auf und nun erst kehrte der heiße, namenlose Schmerz in ihre Brust zurück, fühlte sie die harten Schicksalsschläge, die sie getroffen hatten, in voller Schwere. Ihr Bruder war ein heimatloser Flücht ling, ihr Vater im Gefängniß und der Mann, den sie heiß und innig geliebt, verschwunden, vielleicht schon todt; denn der alle Graf konnte doch unmöglich so schlecht sein und seinen Soh» nur deshalb verborgen halten, um die ihm verhaßten Federigos »»glücklich zu machen. Wohl behauptete dies der Vater hartnäckig; aber ihr junges Herz vermochte nicht einen solchen Abgrund an Niedertracht zu fasse» uno zu begreife«. — Weinend grub Angelika ihr Aullitz in ihren Pfühl und der frühe Morgen fand sie noch wach und in Thränen gebadet. Der Tag forderte neue Pflichten von ihr. Ermüdet urd völlig erschöpft hatte sich Angelika auf ihr Zimmer zurückgezogen um einige Minuten zu ruhen, da stürzte Luise athemlos herein und rief ganz verzweifelt: „Fräulein, sie kommen! Nun wollen die GerichlSherre» auch Sie mit fvrthvlen!" Und sie brach in heftiges Schluchzen aus. Angelika erschrak wohl bei der heftigen Anrede; aber sie suchte sich rasch zu fassen. Was konnte ihr noch schlimmes begegnen? — Wenn man sie ins Gefängniß brachte, dann theilte sie ja nur das Ge schick ihres armen Vaters. Ohne auf das Jammergeschrei der Magd zu hören, ging sie in das kleine Gesellschaftszimmer, um die Herren vom Gericht zu em pfangen. Der Gcrichtsrath war ein Mann, der sich bereits dem Greisen- alter näherte; sein Antlitz zeigte jene ernste Milde, die sich ältere Ju risten in Ausübung ihres schweren Amtes erwerben, wenn sie über haupt dazu ein Herz milgebracht haben. Gerichtsrath Schultes war als einer der humansten und scharfsinnigsten Beamten allgemein be kannt und geachtet. Er hatte schon einmal de» Auftrag gehabt, An gelika z» vernehmen, als sie noch an das Bett gefesselt war und sich mit großer Schonung seiner Pflicht entledigt. Auch jetzt begegnete der alte Nath dem jungen Mädchen mit solcher Rücksicht, daß es sogleich zu dem wackeren Beamten Vertrauen faßte. Er machte Angelika mit dem Zweck seiner Anwesenheit bekannt. Es galt nicht, wie die Magd gefürchtet, ihre Verhaftung, sondern ihre nochmalige Vernehmung. Sie sollte Aufschluß geben über dieAeuße- rung, die sic gestern gethan und die von den Gerichtsdienern zur An zeige gebracht worden. Wohl halte der Vater das tiefste Schweigen von ihr gefordert über die eigentliche Ursache all des Unheils, das plötzlich über sie hereingebrvchen. Es empörte seinen Stolz, daß die Welt erfahren sollte, der junge Gras habe seiner Tochter den Hof gemacht und ihn Arno dafür in die Schranken gewiesen. Der alte Mann fürchtete die Klatschsucht und Verläumdung, die durch dies Bekenntniß nur Gele genheit sand, den guten Rus seines Kindes zu verderben. Auf seinen Wunsch halte Angelika bei ihrer ersten Vernehmung auch darüber ge schwiegen und das Forschen nach der Ursache des ausgebrochenen Streites zwischen den beiden jungen Männern nicht beantwortet. Jetzt, da sie allein auf sich selber angewiesen war und der Rath von neuem diese Frage an sie stellte, hielt sie es für Pflicht, mit der Wahrheit nicht länger zmückzuhalten. Wenn sie offen und rückhaltlos erzählte, wie alles gekommen, dann hoffte sie damit am ehesten die Unschuld ihres Vaters beweisen zu können und daß hier nicht ein feiger Mord vorlag, sondern ein ehrlicher Zweikampf, wie Arno behauptet. Die Fragen des Gerichtsrathes, der von ihr erfahren wollte, ob auch zwi schen Arno und dem Grafen ein feindliches Verhältniß schon längst bestanden habe, belehrten sie vollends, wie nothwendig ihr offenes, ehrliches Bekenntniß sei. Als Angelika jedoch ihr Herzcnsgeheimniß preisgeben wollte, kam doch ihr Bekenntniß Anfangs nur zögernd und mit tiefem jungfräulichem Errölhen über die bleichen Lippen. Sie erzählte von der alten Feindschaft der beiden Familien und wie ge rade Comtcß Hermine, weil ihr jeder Verkehr mit den Federigos streng verboten worden, schon in frühester Jugend jede Gelegenheit gern gesucht habe, um mit Arno und ihr zusammenzukommen. Sie habe denn auch oft ihren Bruder mitgebracht und dann sei es für sie das größte Vergnügen gewesen, auf ganz einfamen Plätzen mit einan der zu spielen. „Ich war damals nur ein Kind," erzählte Angelika weiter, „und wurde von meinen weit älteren Spielkameraden wohl uur wie ilM