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Vaterländisches. — Vom 29. d. bis mit 2. Februar wird Se. Maj. der König in Leipzig verweilen. Im Verein mit Sr. K. H. Prinz Georg wird dabei eine zweitägige Jagd auf Ehrenberger und anstoßendem Revier abgehalten, während am 1. und 2. Februar Se. Maj. u. A. mehreren Vorlesungen au der Universität beiwohnen will. Es sind für die Tage größere Diners im K. Palais angesagt, zu denen zahlreiche Einla dungen ergehen sollen. — Den Landbriefträgern können bekanntlich auf ihren Bestell gängen gewöhnliche und eingeschriebene Briefsenduugen, Postanwei sungen, Nachnahmesendungen, Briefe mit Werthangabe im Einzelnen bis zum Werthbetrag von 150 Mk. und nach Befinden auch Pallete — Werthpackete ebenfalls bis zu 150 M. Einzelwerth — zur Abgabe bei der nächsten Postanstalt übergeben werden; auch Zeitungsgelder nehmen die Landbriefträger zur Ausführung der Zeitungsbestellungen von den Landbewohnern entgegen. Jeder Landbriefträger führt auf seinem Bestellgange ein Annahmebuch mit sich, in welches er die vor bezeichneten Sendungen — mit Ausnahme der gewöhnlichen Brief sendungen — und die Zcitungsbestellungen einzutragen hat. Den Ab sendern ist aber auch freigestellt, die Sendungen selbst einzutrageu; der Landbriefträger muß ihnen auf Verlangen das Buch zu diesem Zwecke vorlegen. Es ist den Absendern dringend zu empfehlen, ent weder die Sendungen selbst in das Aunahmebuch einzutragen oder darauf zu halten, daß der Landbriefträger die Eintragung sogleich beim Empfange der Sendungen rc. in Gegenwart der Absender besorgt. Das Annahmebuch des Landbriefträgers wird nach jedem Bestellgange durch einen Beamten der Postanstalt durchgesehen, und es ist auf diese Weise die sichere und pünktliche Weiterbeförderung der in diese Annahme bücher eingetragenen Sendungen sicher gestellt. Den Posteinlieferungs- schein über die betreffenden Sendungen bezw. Zeitungsgeld-Quittung muß der Landbriefträger bei dem nächsten Bestellgange überbringen. — Dresden. Das in der Johannesstraße unter so großen Er wartungen vor nicht zu langer Zeit eröffnete brillante Cafö Pauer ist am 24. d. M. bereits wieder geschlossen worden; das großartige theuere Etablissement, welches kürzlich erst noch eine räumliche Er weiterung erfahren hat, wird demnach bald in die Hände eines neuen Wirthes übergehen. — Gegen den Beschluß des sächsischen Kreisturnraths, ein sächsisches Kreisturnen in Chemnitz in den Tagen vom 2. bis 4. Sep tember zu veranstalten, hat sich der Leipziger Allgemeine Turnverein erklärt und zwar aus Gründen, die mehr oder minder gewiß auch für andere Turnvereine bestimmend sein könnten. Der Beschluß des Leip ziger Vereins richtet sich gegen den Termin des Festes. Auf den 2. September fällt der Scdanfesttag und in vielen Orken sind die Turn vereine bei den Festlichkeiten dieses Tages in hervorragender Weise be- thelligt. Eine Verlegung des Kreisturnfestcs auf einen anderen Ter min dürfte sich daher wohl empfehlen. — Eine jugendliche Diebesbande ist in Frankenberg zur Haft gelangt. Sechs Knaben im Alter von I3 bis I4 Jahren hatten ge meinschaftliche Sache gemacht und mehrere Ladendiebstähle verübt; nach einem solchen in einem Geschäfte in der Neustadt wurden die sauberen Bürschchen entdeckt und zur Haft geführt. Entsetzlich ist ferner die Thatsache, daß einige dieser Jungen sich schon mit an Einbrüchen betheiligt haben, deren erwachsene Anführer kürzlich beim Amtsgericht Hu Hainichen zur Bestrafung wegen in dieser Stadt ausgeführter Diebstähle eingcliefert worden sind. Welche Zukunft wird sich den Bürschchen erschließen, wenn das alte Sprüchwort: „Jung gewohnt, alt.gethan" in Erfüllung gehen sollte? — Bautzen. Am 2l. Januar ist in Birkau auf noch uner- mnttelte Weise in dem Wohngebäude der Nahruugsbesitzeriu Brückner geb. Ziesche Feuer ausgebrochcn, welches das fragliche Gebäude bis auf die Umfassungsmauer eingeäschert hat. Leider ist dabei ein Menschenleben verloren gegangen, indem der 80 Jahre alte Vater der genannten Besitzerin, welcher die im Stockwerk gelegene Auszugs- Wohnung iuuegehabt, mit verbrannt ist. Das Feuer hatte sich mit solcher Schnelligkeit über das ganze Gebäude verbreitet, daß den zu Hilfe eilenden Personen ein Eindringen in das Innere und die Rettung des dort zurückgebliebenen alten Mannes nicht möglich war. — Meißen. Eine aufregende Szene ereignete sich kürzlich in unserer friedlichen Stadt. Die Ehefrau eines hiesigen Fleischermeisters, die mißlicher Eheverhältnisse wegen von demselben getrennt lebte, suchte Einlaß in die Wohnung ihres Ehemannes. Da ihr selbiger verweigert wurde, zerschlug sie die Glasscheiben der Ladenthür, drang dann in den Laden ein und bemächtigte sich eines großen Flcischer- mrssers, um ihren Mann zu tödtcn. Auf den Hilferuf des bedrohten Mannes wagten sich einige betzerzte Männer au die Wütheude, ent rangen ihr mit Lebensgefahr das Messer und veranlaßten ihre Haft nahme. Da sich die wüthende Frau mit dem scharfen Messer nicht unbedeutend verletzt hatte, wurde sie in das städtische Krankenhaus gebracht. Hier setzte sie ihr Tobeu fort, sodaß ihr das Zwangshemd angelegt werden mußte. — Dieser Tage ging der Buchhalter Georg Clemens Freigang seinem Chef, dem Besitzer des „Hotel Museum" in Annaberg, mit 17,000 Mark in Werthpapieren durch. Er ward bald erwischt. Der Bestohlene hatte Grund auzunehmcn, Freigang werde sich nach Wien wenden, was auch geschehen ist. Die dortige Polizei ward sofort in- struirt und natürlich von dieser wiederum die Bankiers. Freigang ahnte, daß die Polizei im Wiener Bahnhof bereits auf ihn warten werde und stieg deshalb schon in Stadeln aus, von wo er zu Fuß in Wien einzog und da gleich in die Wechselstube Friedländer in der Rotheuthurmstraße ging, woselbst er sofort verhaftet ward. — Aus Lindenau meldet das dortige „Wochenblatt": Eine Zimmermannsehefrau, welche hier am Markle wohnte und sich in ausgedehntester Weise mit Kurpfuscherei beschäftigte, ist, nachdem sie den Inhaber eines größeren Geschäfts in Leipzig zu Tode curirt hat, flüchtig geworden. Sobald die Behörde ihrer habhaft sein wird, wird gegen sie Strafantrag wegen Tödtung gestellt werden. Der ganze Fall dürfte ein warnendes Beispiel sowohl für die Menschen sein, die ihren kranken Körper Personen, die von der Heilkunde nichts verstehen, anvertrauen, als für die Kurpfuscher selbst. Unter Stürmen. Novelle vou Ludwig Habicht. Verfasser der Romane: „Zwei Höke", „Schein und Sein" rc. (Fortsetzung.) Ottomar war der erklärte Liebling der excentrischen, höchst wun derlichen alten Frau. Viele behaupteten geradezu: es sei bei der alten Gräfin nicht recht richtig im Oberstübchen und wershr: Leben und Treiben genauer kannte, der mußte freilich dieser Meinung beinahe zustimmen. Die alte Gräfin besaß trotz ihrer 70 Jahre einen rastlosen Thä« tigkeitstrieb; sie war überall da, wo man sie am wenigsten erwartete und wehe dann demjenigen, der nach ihrer Meinung nicht seine Pflicht gethan. Ihre unruhigen, grauen Augen sprühten Feuer, bei der ge ringsten Kleinigkeit gerieth sie in grenzenlose Wuth und alle waren vciurtheilt, selbst ihrer unsinnigsten Laune unbedingt zu gehorchen. Sie befahl oft die tollsten, zuweilen ganz unausführbare Dinge und in der nächsten Stunde das gerade Gegentheil davon. Niemand durfte ihr widersprechen, wenn er nicht befürchten wollte, daß sie in ihrem Zorn den ersten besten Gegenstand ergriff und dem Widerspenstigen an den Kopf warf. Selbst der Graf wagte dem leidenschaftlichen, verkehrten Treiben seiner Mutter nicht entgegenzutreten. Bei dem leisesten Versuch dazu überschüttete sie ihn mit einer solchen Fluth von Vorwürfen oder brach gleich in so heftige Thränen aus, daß der Sohn, nur um Frieden zu haben, gerne alles geschehen ließ. Diese alte wunderliche Frau zu ertragen, war nicht leicht; denn sie bewegte sich beständig in Extremen. Heute konnte sie sentimental, weich, sogar gutmüthig fein, am andern Tage jagte sie durch ihre rücksichtslose Härte, durch ihre offenbare Sucht, ihre Umgebung zu quälen, jedem Entsetzen ein, der in ihre Nähe kam. Trotz ihrer fieber haften Unruhe, die sie rastlos umhertrieb, konnte sie hinwiederum tage» lang im Bette liegen, ohne daß sie über Erkrankung klagte; dann durfte außer ihrem Liebling Ottomar niemand zu ihr. In ihrem Zimmer mußten stets eine Menge Eßvorräthe stehen, damit sie keine weitere Bedienung brauchte, sobald sie die wunderliche Anwandlung bekam, sich auf einige Zeit von aller Welt abzuschließen. Ihre Klei» düng war eben so absonderlich und sie schien in der Wahl derselben ebenfalls einer ganz unberechenbaren Laune zu folgen. Mitten im Winter konnte sie oft in leichten, dünnen Kleidern mit einem Stroh- hnt auf dem Kopf gesehen werden und wehe dem, der es gewagt hätte, zu lächeln, wenn die lange, hagere Gestalt in einem solchen Aufzuge mit schnellen Schritten durch das Schloß und über den Hof huschte. Dafür trug sie sehr oft an heißen Sommertagen ein schweres Sammet- kleid und darüber einen kostbaren indischen Shawl, der meist wie eine Fahne hinter ihr herflatterte. So wunderlich wie ihre Kleidung war auch die Art ihres Spre chens. In ihren meist rasch und flüchtig hingeworfenen Sätzen spiegelte sich deutlich eine geistige Unruhe, ja Verworrenheit wieder, die am deutlichsten bewies, daß doch wohl das Seelenleben der alten Gräfin gestört sein müßte, und doch blitzte immer wieder eine eigenthümliche Geistesschärfe bindnrch, die bewies, daß die wunderliche Frau einst bedeutende Anlagen besessen hatte, die nur jetzt in Trümmer gegangen waren. Graf Hugo hatte vou seiner Mutter den leidenschaftlichen, un ruhigen Zug geerbt; auch durch seine Adern schien das Blut beständig stürmischer zu tobeu und es wurde nur durch den Zwang gezügelt, den sich der Graf auflegte, der gern den kühlen, vornehmen Aristokraten herauskehrte, obwohl nur zu ost sein leidenschaftliches Temperament hervorbrach und die selbstgezogeneu Schranken niederriß. Vielleicht besaß GrasDvruthal von Haus aus wenig gute Eigen- schäften; er war jähzornig, versteckt und neigte zur Jntrigue, dennoch hatte das obli-ro" selten auf eine im Grunde boshafte und hinterlistige Natur so veredelnd gewirkt als auf diesen Mann. Seine Neigungengingen ans alles Schlechte und Gewöhnliche; aber wie auch der Dämon in ihm den eigenthümlichen Mann auf diesen Wegen mit fortzureißcu suchte, er gewann immer wieder einen Halt au seiner Weltstellnng und der Graf in ihm untersagte und regelte beständig, wo der leidenschaftlich erregte Mensch nur seinem Temperament folgen wollte. Dadurch kam freilich das Wesen des Grafen in ein beständiges Schwanken, das seine Umgebung für besondere Laune hielt, au die sie im Laufe der Zeit gewohnt wurde. Graf Dörnthal wußte mit raffinirter Schlauheit jeden Vorthcil zu verfolgen, ließ nur zu oft seinen schmutzigen Geiz, seine Habsucht durchblicken und überraschte dann wieder durch Anwandlungen vou Großmuth. Ec war gegen seine Leute hart, knauserig, und wenn er sie damit fast zur Verzweiflung getrieben hatte, konnte er Plötzlich so gütig und freigebig sein, daß die dunklen Seiten des gnädigen Herrn mit einem Schlage vergessen waren. Auch durch den Grafen ging ein ruheloser Zug: oft schien cs doch, als ob irgend etwas auf seiner Seele laste, denn zu deutlich zeigte sich zuweilen der Trieb, sich durch irgendwelche Mittel zu be täuben. Während der jetzt fünfzigjährige alte Herr monatelang sich in die tiefste Einsamkeit vergraben konnte und sich ganz der Bewirth- schastung seiner großen Güter hingab, kamen doch Zeiten, wo es im Schlosse hoch herging und ein rauschendes Vergnügen das andere ablöste. Seltsam, wie stolz und herrschsüchtig auch der Graf war, gegen seine Mutter zeigte er eine Geduld, ja eine Unterwürfigkeit, die ihm sonst völlig fremd erschien. Nicht nur, daß er ihre Launen und Wun derlichkeiten ruhig ertrug, sie konnte ihm sogar, wenn sie gerade ihren schlimmen Tag hatte, die unangenehmsten Dinge sagen und er nahm sie gleichmüthig hin. Als das Gerücht von der Ermordung Ottomars ins Schloß drang wollte eS Graf Hugo in vornehmer, kühler Weise unbeachtet lassen; aber es war auch zu dem Ohr d:r alten Gräfin gedrungen und kaum hatte diese gehört, daß ihr Liebling, ihr einziger Ottomar ermordet worden, als sie wie wahnsinnig in das Zimmer ihres Sohnes stürzte. „Und Du bist noch hier?!" nef sie sogleich mit ihrer scharfen, vibri« renden Stimme. „Du löstest es geschehen, daß sie Deinen einzigen Sohn erschlagen und kannst ruhig in Deinem Zimmer sitzen?!" „Ich habe bereits Johann hinausgeschickt, um zu erforsche«, ob überhaupt etwas Wahres an der Sache ist. Bis jetzt —" „Ich hab es ja immer gesagt," unterbrach ihn die alte Frau heftig, „Du hast Fischblut in Deinen Adern und wenn Du nur aus Deiner Bequemlichkeit nicht aufgerüttelt wirst, dann mag die Welt untergehen, Du fragst nicht danach." Sie lachte bitter auf und ihre grauen, unruhigen Äugen blitzten vorwurfsvoll auf ihren Sohn herab, der auf seinem Sesfel ruhig sitzen geblieben war und die Vorwürfe der Mutter mit gewohntem Gleichmut!) hinnahm. „Beruhige Dich, liebe Mama! Es ist gewiß nur ein albernes Gerücht. Wer sollte hier wagen, an unseren Ottomar die Hand zu legen?" und der ganze Stolz der Dörnthals sprach sich in seinen Worten aus. „Nein, nein, mir ahnt nichts Gutes. Ich bin heute schon den ganzen Tag so unruhig gewesen und da weiß ich, daß etwas Furchtbares geschehen!" In höchster Aufregung wanderte sie dabei durch das Zimmer pnd die'langen Bänder ihres Hutes flatterten, hinter ihr her, während das schwarze Sammetkleid, das sie heute trotz des warmen Herbsttages