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der Zweiten Kammer zu Dresden, nach vorhergegangenen eingehenden Vernehmungen mit den Vertretern der Regierung für die Aufstellung neuer Grundsätze ausgesprochen. Hierbei soll festgehalten werden w) die Erhöhung aller Minimatstellen bis auf wenigstens 1800 Mk., b) Beseitigung der schablonenarligen bisherigen Vertheilung an Stellen über 1800 M. Einkommen, o) Ausstellung möglichst objektiver Grund sätze zur Gewährung von persönlichen Zulagen nach Alter, besonderer Schwierigkeit der Amtsführung, besonderer Arbeitslast, während rein persönliche Familienverhältnisse (z. B. große Kinderzahl) in der Regel eine zu gewährende Zulage nicht begründen sollen, ä) das Landcs- konsistorinm soll von dem Prinzip ausgehen, daß die Kirchengemeinden nicht der Verpflichtung, für ihre Geistlichen zu sorgen, enthoben wer den sollen und daß Unterstützungen möglichst nur den Geistlichen sol cher Gemeinden, welche nicht im Stande sind, deren Stellung ange messen zu dotiren, gewährt werden, o) Benachrichtigung an die Kirchen- vorstände der Gemeinden von den an ihre Geistlichen bewilligten Staatszulagen. — Aus dem Voigtlande, 9. Januar. In Untertriebel ist heute srüh ein von 3 Schwestern bewohntes Haus ein Raub der Flammen geworden. Die Bewohnerinnen hatten sich lange Jahre eine hübsche Ausstattung von Wäsche zusammengcspart, verloren aber alles und sind nun, da sie nichts versichert hatten, sehr schlecht daran. — Der merkwürdige Fall, daß ein mit Wegen und Stegen des Ortes ganz unbekannter blinder Manu einen andern in das Wasser gefallenen Fremden mit Hintenanfetzung der eigenen Sicherheit dem nassen Ele mente entrissen hat, dürfte noch selten vvrgekommen sein. Gestern hat sich diese Thatsache in Untertriebel ereignet. — Da es neuerdings wiederholt vorgekommen ist, daß soge nannte Kurpfuscher, Leute, welche ohne alle ärztlichen Kenntnisse die Heilkunde gewerbsmäßig betreiben, den durch marktschreierische Annoncen, gesälschte Atteste und Dankschreiben angelockten Personen nicht nur das Geld abgenommen, sondern auch Schaden am Körper zugesügt haben, — möchten wir nicht unterlassen, darauf aufmerksam zu machen, daß nach tz 1489 des bürgerlichen Gesetzbuchs: „Jeder, der durch seine Verschuldung Jemanden au dessen Körper verletzt, ist verpflichtet, dem Beschädigten die Heilungskosten zu vergüten, ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen und wegen des entgangenen Verdienstes Schadenersatz zn leisten." — Ernstthal. In diesen Tagen gelang cs der Lichtenstciu- Calluberger Gendarmerie, in Gemeinschaft mit dem dortigen Raths- Wachtmeister Meyer, einer Falschmünzerbande, welche ihren Sitz hier und in Lichtenstein hatte, aus die Spur zu komme», wobei auch gleich Verhaftungen vorgenommen wurden. Soviel bis jetzt bekannt, haben sich die Falschmünzer besonders mit dem Gießen von bO-Pfennig- stücken beschäftigt. u nter L t ü r m e n. . Novelle von Ludwig Habicht. Verfasser der Romane: „Zwei Höse", „Schein und Sein" re. (Fortsetzung.) Der alte Federigo überlegte einen Augenblick, dann sagte er mit rauher, heiserer Stimme: „Nun, wenn Du es durchaus wissen willst, Arno hat sich mit dem leichtfertigen Burschen von da drüben" und er wies mit der Hand nach der Gegend bin. wo das Dvrntlmlsche Schl-g unu oen edlen Sproß ves gräflichen Haufes wird wenigstens nie wieder die Lust anwaudeln, Schimpf und Schande über uns. zu bringen." Mit einem lauten Angstschrei brach Angelika zusammen. Sie war noch zu blutjung, um einen solch furchtbaren Schlag zu ertragen. Der Bruder wollte sich zärtlich über die halb Ohnmächtige hinweg beugen, aber der Vater hielt ihn rauh zurück: „Ihr kannst Du nicht helfen. Diese Bewußtlosigkeit ist jetzt ihr bestes Theil. Komm!" Und fast gewaltsam zog er, der harte, unbeugsame Mann, seinen Sohn mit sich fort, ohne noch seiner unglücklichen Tochter einen Blick zu schenken. „Du siehst, wie hart mich das Leben gemacht hat," fnhr der Alle fort, als sie jetzt rasch wieder dem Walde zuschrittcu. Sein gewohntes düsteres Lächeln spielte dabei um seine Lippen. „Wir hätten ihr doch die traurige Nachricht schonender mittheilcn sollen," wagte der Soh» zu entgegnen. „Nein," sagte er kurz. „Warum ihr den schlimmen Trank tropfen weise beibringen?! Sie mag früh lernen, daß uns das Schicksal rauh nnfaßt und wenig danach fragt, wo wir die Kraft hernehmen, das alles zu ertragen, was es uns in seiner heimtückischen Laune aufbürdet. Niemals hatte sich der Vater gegen seine Kinder über seine Ver gangenheit ausgesprochen, nicht einmal gegen Arno, der doch bis zu einem gewissen Grade sein Vertrauen besaß; aber daß diese Vergangen heit rauh und sturmvoll gewesen, daß irgend ein harter Schicksalsschlag den Aermsteu bis ins Innerste getroffen, das verieth sein ganzes Wesen, die düstere Schwermuth, die beständig über ihn ausgebreitet war. Ir gend eine bittere, entsetzliche Erfahrung mußte ihn einmal heimgesucht und für immer einen Schatten über seine Seele gebreitet haben. Immer war es Arno gewesen, als ob sein Vater in irgend ein furchtbares Geheimniß eingesponnen sei und nicht eher den Frieden wieder finden könne, bis es gelüftet worden. Warum schwieg der unglückliche alte Mann so hartnäckig über seine Vergangenheit und warum sprach er niemals von den Beziehungen, in denen er einst zu der gräflichen Familie Dörnthal gestanden halte? Nur feinen Haß gegen diefe Menschen legte er offen und rückhaltlos an den Tag. Der junge Federigo hatte wohl zufällig von alten Leuten manche Andeutungen und allerlei verworrenes und phantastisches Zeug gehört; aber er war zu stolz, um weiter danach zu fragen, und wenn ihm irgend ein geschwätziger alter Nachbar etwas von den früheren wun derlichen Gefchichten auftischen wollte, dann wies er die Leute mit einer geringschätzigen Handbewegung zurück, als seien ihm diese Dinge längst bekannt und als wolle er sie nicht weiter erörtert haben. Wenn ihm der Vater nicht selbst über die Vergangenheit Aufklä rung gebe» wollte, dann mochte er sie auch nicht von Fremden er fahren. Nicht einmal von dessen äußerem Lebensgang kannte Arno etwas. Er hatte stets gemeint, der Vater sei von Haus aus Oekonom gewesen und nur seine melancholische Gemüthsstimmung habe ihn verhindert, sich der Bewirthschaftung seines Gutes mit der nöthigen Vorliebe zu widmen. — Der Besitz der chirurgischen Instrumente und seine Bemer kung, als der Sohn einen Doktor herbeiholen gewollt, deuteten darauf hin, daß er früher Arzt gewesen sei, wenigstens Medizin studirt habe. Der Alte sprach kein Wort weiter; er blickte sich nur von Zeit zu Zeit vorsichtig um, als fürchte er, belauscht zu werden und schwei gend erreichten sie den Pavillon. Ohne Zögern trat der Atle zuerst über die Schwelle ; aber seinen fest zusammengepreßten Lippen entschlüpfte ein leifes „Ah!" Zögernd, wie jemand, der vor der Entscheidung seines Schicksals steht, war ihm Arno gefolgt. — Wie würde er den Verwundeten wie- derfinden? — Wenn er inzwifchen bereits seinen letzten Seufzer aus gehaucht hatte und ihm ein bleiches kaltes Todtenantlitz entgegenstarrte? Wie auch der junge Mann sich zu beherrschen suchte, durchbebte doch ein Schauer seinen ganzen Körper, als er jetzt mit umflorten Blick in den Pavillon trat. Er wagte die Augen nicht auf die Stelle zu richten, wo Ottomar liegen mußte; aber der Vater fchüttelte jetzt den wie im Traum Befangenen heftig am Arm mit der hastig hervorgestoßenen Frage: „Wo ist der Verwundete?" Erst jetzt sah Arno deutlich; der Schleier zerriß vor seinen Augen. Dort am Boden war noch die Blutlache, in der Ottomar gelegen; — aber er selbst war verschwunden. — Nein, seine Sinne mußten ihn dennoch täuschen, daß er ihn nicht sah. — Der junge Graf war ja vor einer halben Stunde zum Tode getroffen zusammengebrochen und trotz feiner furchtbaren Aufregung war ihm die Art der Verwundung nicht völlig entgangen; sie mußte einen tödtlichen Ausgang nehmen, wenn nicht fchnelle Hilfe kam. — Vergeblich irrten die Augen des jungen Federigo wie geistesabwesend in jeden Winkel des Pavillons, er konnte den Verwundeten nicht entdecken. „Da hat Dir Deine überreizte Phantasie einen Streich gespielt!" sagte der Vater und auf seinem Gesichte malte sich eine eigenthümliche Enttäuschung. „Während Du geglaubt, daß Du ihn auf den Tod verwundet, hat er sich fchon wieder mit seiner Schramme aus dem Staube gemacht." „Nein, nein, das war unmöglich!" stammelte Arno und blickte noch immer verwirrt auf die Blutlache, als sei das alles nur ein Au- gentrug und als müsse in der nächsten Sekunde der Verwundete wieder todtenbleich und regungslos vor ihm liegen. „Sich, wie viel Blut er schon verloren hat. Vielleicht sind bereits Leute hier gewesen und haben seine Leiche sorlgeführt. Anders weiß ich mir dies düstere Rätyjel nicht zn erklären." Der alte Federigo schüttelte ungläubig den Kopf: „In der Ju gend steht man sehr rasch wieder auf den Beinen; da will eine Ver wundung und ein Aderlaß nicht viel bedeuten und besonders diese Menschen von drüben haben Katzennaturen." Der tiese Haß, den der Alte gegen die Döruthals empfand, brach wieder einmal in voller Deutlichkeit hervor. Er schien fast verstimmt darüber, daß seines Be- dünkens der Sohn seines bittersten Feindes so leichten Kaufes davon gekommen. „Es ist unmöglich!' wiederholte Arno und starrte noch immer düster grübelnd vor sich hin. „Du siehst ja, daß meine Annahme allein richtig ist," entgegnete der Alte: „Dein Degenstich hat keine edlen Theile berührt, das ist alles. Dem vornehmen Burschen-ist es aber sehr notwendig erschienen, ohnmächtig zu werden, und nachdem Du verzweifelt hinweggestürzt, uni Hilfe herbeizuholen, hat er sich aufgerafft und auf den Heimweg gemacht, um Dich gründlich in Angst zu setzen. And jetzt spottet er schon Deiner Unruhe. O, ich kenne diese Brui!" und das vom vielen Sprechen geröthete Antlitz des Alten erhiell einen fast dämonischen Ausdruck. Arno schüttelte den Kopf. „Mit dieser Wunde konnte er sich nicht allein entfernen. Man hat nur seine Leiche entdeckt und sie s^c^schassc." Bcr junge Mann starrte dabei von Neuem auf den blutgetränkten Boden. — Der trostlose, furchtbare Gedanke, daß er einen Menschen getödtet, zerkrallte ihm wieder die Brust. Vergeblich flüsterten ihm andere Stimmen beschwichtigend zu: Es ist im ehrlichen Zweikampf geschehen und Du mußtest die Ehre Deiner Schwester wahren, immer wieder tauchte das entsetzliche Bild des plötzlich Zu- jammenbrechenden vor ihm auf nud raubte ihm fast den Athcm. „Wer sollte plötzlich hier eingedrungen sein?" bemerkte der Vater. „Niemand hat ans unserem Besitzthum etwas zu suchen und deshalb ist Deine Furcht ganz unbegründet. Der junge Mensch hat sich selbst davon geschlichen; mag es ihm auch anfangs schwer gefallen sein, so hat er schon all feine Kräfte angespannt, um Dich durch sein räthsel- hafies Verschwinden in die größte Unruhe zu versetzen. Er müßte nicht der Sohu des edlen Grasen Dörnthal sein, wenn er nicht eines solchen Streiches fähig wäre!" und die Bitterkeit, die der alte Federigo gegen den Grafen Dörnthal empfand, prägte sich nur zu deutlich in feinem Antlitz aus. Die Reden des Vaters blieben auf Arno nicht ohne Eindruck; fein schwer geängstigtes Gemüth sehnte sich selbst danach, irgend einen Hoffnungsstrahl zu finden. „Vielleicht hat sich Ottomar wirklich so weit ausraffcn und den Pavillon verlassen können; aber dann haben ihn gewiß seine Kräfte bald wieder verlassen und er ist der Nähe von neuem wieder zusammengebrochen." Der Vater widersprach nicht weiter; er war schon froh, das Arno ans seine eigenen Vorstellungen ciuging. Von Beiden wurde jetzt die nächste Umgebung des Pavillons durch sucht, aber nirgends die geringste Spur von dem Verwundeten entdeckt. Selbst ein weiteres Vordringen in den Wald war ebenso vergeblich. Die Dämmerung brach herein und alle Bemühungen, den jungen Grasen aufzufinden, waren vergebens. Der junge Federigo mochte immerhin mehrmals seine Rufe laut erschallen lassen und nun ängstlich auf die leiseste Antwort lauschen, eine Menschenstimme ließ sich nicht vernehmen. „Du siehst also, daß ich recht hatte," begann der Vater von neuem; „der junge Bursche ruht längst wohlgeborgen daheim, während wir ängstlich jedes Strauchwerk durchwühlen, um ihn zu entdecken. Wir wollen nun endlich nach Hause gehen, denn unsere Mühe ist doch vergebens." „Wäre es denn nicht meine Pflicht, im Schlosse anzufragen, ob er wirklich dort angelangt?" fragte Arno. Der Alte stieß ein finsteres Lachen aus. „Das würde Dir übel bekommen, Du kennst Graf Hugo Dörnthal schlecht. Er würde in dieser Frage nichts weiter sehen als den bittersten Hohn und Dich von seinen Leuten vom Schloßhof peitschen lassen." „Weil ich um das Schicksal meines Gegners besorgt bin, den ich im Zweikampf verwundet?" — „Er wird es Dir me verzeihen, daß Du überhaupt gegen seinen Sohn die Hand erhoben und das Ganze sür einen wohlüberlegten Racheplan halten, den ich gegen ihn geschmiedet hätte." „Vater, sage mir, was ist zwischen Euch vorgefallen?" begann Arno, der in feiner heutigen Aufregung den Muth zu einer Frage gewann, die ihm fchon oft auf feinen Lippen gefchwebt hatte. Trotz der bereits eingetretenen Dämmerung konnte der Sohn be merken, wie heftig der alte Mann zusammenzuckte. „Du sollst einmal alles erfahren, nur heute nicht!" preßte er mühsam hervor. „Laß uns nach Hause gehen. Ich bin um Angelika bekümmert, denn ich habe sie doch wohl zu rauh angefäßt." (Fortsetzung folgt.)