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als sie jetzt vor Gericht ihr Zeugmß gegen ihren Schwager ablegen sollte. Henriette wußte auch hier wieder in ihrer entschlossenen Weise bestimmend auf sie einzuwirken. „Es ist eine alte Wahrheit, wir müssen etweder Hammer oder Ambos sein," erklärte sie der Schwan kenden. „Wenn Sie jetzt nicht durch Ihre Aussage dazu beitragen, daß Ettore in Anklagestand versetzt und damit auf immer unschädlich gemacht wird, so haben wir nicht eine Stunde Ruhe, und der Italiener wird jetzt schon dafür sorgen, daß wir Alle aus dem Wege geräumt werden. Hat er doch stets bewiesen, daß er vor keinem Mittel zurück scheut. Und wollen Sie denn, daß in dieser Welt ewig das Böse siegen soll, weil die Guten zu schwach sind, schlechte und niederträch tige Menschen so energisch zu bekämpfen, wie sie es verdienen?! — Nein, liebe Mary," fuhr Frau Harper eifrig fort, „dieser Ettore ver dient keine Schonung, wir erweisen uns und der Menschheit einen Dienst, wenn wir ihn der Strase der irdischen Gerechtigkeit nicht ent ziehen; er Hal zu schonungs- und rücksichtslos Ihr Glück zertreten." Wie hart auch diese Ansichten klangen, die Baronin mußte doch gestehen, daß Henriette Recht habe, und sie zögerte nicht länger, ihre Aussage vor dem Gerichtsbeamten zu machen. Schon der Brief von Frau Berthold, den sie übergab, mußte Alles entscheiden. — Für die Mitschuld des jetzige» Baron Berkheim war jetzt eine mohlgegliederte Kette vorhanden. Dennoch zögerte der die Sache leitende Justizbe- amte, gegen den Baron augenblicklich vorzugehen. „Mit diesem Briefe hoffe ich, den Gefangenen zum Geständniß zu bringen; dann haben wir eine ganz andere Handhabe," war die Ansicht des gewiegten Ju risten. Wie unruhig und ungeduldig auch sonst Frau Harper war, sie begriff sogleich, daß der vorsichtige Beamte damit das Rechte ge troffen. Jacques hatte bisher aller Jnquirirkunst getrotzt und nur beständig seine Unschuld behauptet und das ihm zur Last gelegte Verbrechen für eine ganz alberne Geschichte erklärt, an der kein Wort wahr sei. Wenn dem Baron so viel daran gelegen gewesen, das Kind zu beseitigen, so würde er doch wahrhaftig nicht erst zu solch' unsicher» Mitteln ge griffen haben; aber er sei so unschuldig wie ein neugebornes Kind." Bei dieser Aussage war er geblieben und hatte trotzig darauf bestanden, man möge ihn augenblicklich wieder frei lassen. Aber als ihm jetzt der veriiehmeiide Richter das verhängnißvolle Bekenntniß seiner Frau vorlas, verlor Jacques plötzlich alle Fassung. Seine freche Sicherheit war mit einem Schlage verschwunden. Anfangs hörte er nur mit höhnifchem Lächeln zu; doch bald verzerrte sich sein Gesicht, die höchste Wuth malte sich darin aus; er ballte die Fäuste und murmelte leise Verwünschungen vor sich hin. Als der Beamte geendigt hatte, konnte Jacques nicht länger an sich halten. „Die schändliche Verrätherin!" rief er. „Und wir glaubten, vor ihr auf immer sicher zu sein, seitdem sie stumm geworden, und nun muß die dumme Gans dennoch schwatzen." Jacques war ein zu schlauer und geriebener Bursche, um nicht sofort zu gewahren, daß er doch verloren sei, und nach einigen Quer fragen und entschiedenem Drängen des Beamten zögerte er nicht länger, ein offenes Bekenntniß abzulegen, und er gab es in seiner rohen, kurz gebundenen Weise, die seine tiefinnere Verwilderung bewies. „Mein Herr und ich, wir haben immer zusammengehalten, und -ohne mich wäre Ettore gar nichts. Den kleinen Werner, den ältesten Sohn des früheren Barons Berkheim, hat Ettore freilich allein ins Wasser gelockt und mag wohl auch die kleine Krabbe ertränkt haben. — Ich weiß es nicht, hab' auch nie danach gefragt, und ich denk' mir's nur, denn der Junge stand ihm doch einmal im Wege. Aber dann wurde die Baronin wieder guter Hoffnung, und Ettore sagte zu mir: „Jacques, der Geschichte müssen wir ein Ende machen. Ich kann doch nicht alle Kinder meines lieben Bruders wie junge Katzen ertränken." Und da hatte ich einen Einfall. Die beiden Brüder rillen gern mit einander aus, und ich sagte Ettore, er möge einmal einen ändern Weg einschlagen, der ein Bischen beschwerlicher sei. Na, das geschah auch, und ich ritt wie immer hinter den Herren her. Da, ich weiß selbst nicht, wie es kam, gab ich dem Pferde des älteren Barons einen kleinen Klaps, und das Pferd verstand auch gleich Unrecht und überschlug sich. Daß dort lauter Steine auf dem Wege waren, dafür konnte ich doch nicht!" und Jacques stieß sei» wüstes, rohes Lachen aus. „Na, und nicht wahr, nun werden Sie sagen, ich habe den Baron um's Leben gebracht?! — Schadet auch nichts! ist mir alles egal. Hat mich meine Frau einmal in die Tinte gebracht, soll mir's gleich fein, wie viel Jahre Zuchthaus ich krieg! Die Herrlichkeit hat ja nun doch ein Ende, denn ich denke, meinem gnädigen Herrn werden Sie wohl auch etwas am Zeuge flicken!" und Jacques lachte von Neuem. Auch über die Entführung Ediths gab der wüste Mensch jetzt ohne Weiteres Auskunft und bestätigte die Angaben seiner Frau. „Der Baron ist an Allem Schuld", setzte Jacques in seiner rohen frechen Weise hinzu, die so viel Abstoßendes hatte. „Warum brachte er die Krabbe nicht ebenso ruhig bei Seite, wie den kleinen Werner, dann wäre die Geschichte nicht an den Tag gekommen. Aber ich weiß wohl, Ettore wollte sicher gehen und Edith für seinen Stiefbruder aufheben. Nun hat er doch was für feine Dummheit!" Jacques wurde in das Gefänguiß zurückgeführt, und jetzt konnte sofort die Verhaftung des Baron Berkheim verfügt werden. Ettore mußte bereits von der ihm drohenden Gefahr Nachricht erhallen haben; denn die Beamten kamen zu spät. — Baron Berk heim war vor wenigen Stunden gestorben, — wie der Hausarzt be kundete, an einem Herzschlage. Den Beamten war ohnehin der Auf trag geworden, bei der Verhaftung Ettores jedes Aufsehen so viel wie möglich zu vermeide», nud so ließen sie die wirkliche Todesart des Barons vorläufig unerörtert. Auf seinem Schreibtisch befand sich ein versiegelter, au seine Schwägerin adressirter Brief. Auf Anrathen Henriettens hatte die Baronin nicht eher die Heim reise anzutreten gewagt, bis daß die Verhaftung Ettores verfügt und dahin zielende Maßregeln getroffen wurden. Wie furchtbar auch ihr Schwager in ihr Lebensglück eingegriffen und den schönsten Theil da von zerstört, als sie jetzt die Nachricht von seinem plötzlichen Tode erhielt, wurde ihr weiches Herz doch tief davon erschüttert. — Der Inhalt des Briefes war jedoch geeignet, selbst in ihr jedes Gefühl des Mitleids vollends auszulöschen. Ettore schrieb in seiner blasirten übermüthigen Weise, die ihn auch im Angesicht des Todes noch nicht verlassen hatte. „Liebe Schwägerin! Ich habe verspielt, wie ich soeben höre und habe gewiß alles nur dieser verkommene» Schauspielerin zu verdanken, auf deren Entfernung ich hätte dringen sollen, da sie schon immer in mir einen Shakespeareschen Richard den Dritten herausoewitterl. Aber ich war zu großmüthig und hielt cs unter meiner Würde, einen s»l- chen Feind zu beachten. Das ist immer ein Fehler! — Es lohnte sich auch der Mühe, so viel Hindernisse aus dem Wege zu räumen, um sich schließlich als reicher Baron noch mehr zulangweiten wiedamals, als ich noch ein armer Schlucker war. — Man kommt immer erst viel zu spät dahinter, daß die lockenden Früchte, nach denen man so gierig die Hände ausstreckt, einen sauren Geschmack haben. Das ist die einzige Weisheit, die man sich erwirbt, und deshalb grolle ich Ihnen gar nicht, daß Sie mich plötzlich aus meinem grämlichen Müßiggang aufrülteln. So brauch ich nicht auf die Gicht und all die Uebel zu warten, die schon bereit standen, mir Gesllschaft zu leisten, wie mir der Arzt bereits angekündigt. — Ich hätte nie nach Deutschland kommen sollen, in dieses Laud der Philosophie und des Sauerkrautes; es hat mein heiteres fröhliches Blut nur dick und mich frühzeitig zum Grübler gemacht. Ich mochte mich immer betäuben wollen; es kehrten doch zuweilen Gedanken bei mir ein, denen man nur widerwillig ein Gast- recht einräumt. — Jetzt hat die Komödie ein Ende. Toch das Alles wollte ich ja Ihnen gar nicht schreiben, Sie sind ja eine Engländerin und werden mich ohnehin nicht verstehen. Ich wollte nur für meinen Bruder ein gutes Wort einlegen. Der arme Junge dauert mich. Ich habe keine Zeit, noch Anordnungen zu seinen Guupen zu treffen und weiß auch nicht, ob man sie respektiren würde, ich ziehe es also vor, ihn Ihrer Großmuth zu empfehlen. — Er will sich der Kunst widmen und ist jetzt bei dem Professor K in München. Eigentlich trug ich mich immer mit dem Gedanken, — nein, nein, das könnten Sie mir übel nehmen und wenn Sie auch nicht — doch Ihr wackerer Unteroffizier — Ihre Henriette. Leben Sie wohl und verzeihen Sie mir, wenn Sie es können!" — Mit dem ihr eigenen edeln Sinne kam die Baronin dem letzten Wunsche des Todten nach, und sie sorgte hinreichend für die weitere Ausbildung Roberts, der sich ihr wahrhaft dankbar zeigte. Er kam fast in jedem Jahr auf einige Wochen zum Besuch; aber mit keinem Wort erfuhr er, wie schändlich einst sein verstorbener Stiesbruder in das Lebensglück der blassen, noch immer schönen Frau eingegriffen. Auch der Fran Berthold verzieh die Baronin gern, daß sie da mals zur Entführung ihrer Edith beigetragen; hatte doch die Unglück liche unter der Herrschaft ihres Maunes nicht anders handeln können. Freilich eine Anstellung auf dem Schlosse erhielt sie nicht mehr, und sie mochte auch selbst fühlen, daß ihre Gegenwart der Baronin nur peinlich sein müsse; sie erhielt das kleine Gartenhaus zur Wohnung angewiesen und schien mit diesem Tausch sehr zufrieden sein, da ihr jetzt die Einsamkeit lieb war. Die kleine Marie dagegen war mehr auf dem Schlosse als bei ihrer Mutter und schmiegte sich an die Ba ronin mit einer Wärme an, daß diese mit glückstrahlendem Lächeln oft sagte: „Ein freundliches Geschick hat mich plötzlich mit zwei Kin dern beschenkt." Das Gericht kam ebenfalls nicht dazu, über Jacques eine Strafe zu verhängen; er folgte dem Beispiele seines Herrn; man fand ihn eines Tages todt in feiner Zelle. Er hatte sich freiwillig das Leben genommen; vielleicht nicht aus Furcht vor Strafe, aber ein Dasein, in dem er auf alle geistigen Getränke verzichten sollte, war ihm bald unerträglich geworden, und er hatte der Sache ein rasches Ende gemacht. Henriette fürchtete fchon, daß Robert dem Herzen ihres Lieblings gefährlich werden könnte; die spätere» Besuche des junge» Künstlers waren ihr bedenklich. Wenn mich Robert mit semem Stiefbruder nicht die iniudeste Aehnlichkeit hatte, wäre ihr doch der Gedanke einer künftigen Velbindmig Edith mit dem Bruder dieses Schurken entsetz lich gewesen, und selbst die Baronin thcilte in diesem Punkte ihr Empfinden. Zur großen Herzciiserleichterung der beiden Frauen legte Robert bald offen und ehrlich seine Gefühle für die kleine Marie an den Tag, und kaum hatte die Tochter der Frau Berthold das siebzehnte Lebensjahr erreicht, da führte sie der junge Künstler an den Altar. Um Ediths Hand warb ein junger benachbarter Edelmann aus einer der ach.barsten Familien des Landes, und der treffliche edle Charakter des jungen Mannes, seine ungewöhnliche Herzens- und Geistesbildung gaben die Bürgschaft für ein ungetrübtes Eheglück. Die Baronin erlebte nach all den schweren Prüfungen die Freude, daß wieder Heller Sonnenschein sie und alle Diejenigen umfluthete, die ihrem Herze» am nächsten standen. Ein mildes Geschick schien ihr Plötzlich alle Sorge und Kümmernisse aus dem Wege geräumt zu haben, uiid eine lachende Gegenwart breitete ihren vollsten Zauber vor ihr aus und ließ sie die dunkle Vergangenheit vergessen, — so weit ein Menschenherz die Vergangenheit vergessen kann. Vermischtes. * Blinder Gehorsam. Osfizier (beim Aussteigen aus dem Eisenbahucoupae zu dem ihn empfangenden Burschen): „So, Friedrich, nimm hier meine Sachen und komme schnell nach; laß mir aber nichts liegen!" — Bursche: „Zu Befehl, Herr Lieutenant!" (Nimmt fämmt- liches Gepäck und folgt schwerbeladen seinem Herrn.) Offizier (nach einer Viertelstunde). „Na, Friedrich, was schnaufst Du denn so ent setzlich! Ist Dir das Gepäck zu schwer?" — Bursche: „Dös grad nit, aber do ist eins dabei, dös ist so sakermentsch heiß!" Der Offizier stutzt, sieht genau nach und bemerkt, daß sein gehorsamer Bursche in genauer Befolgung des Befehls auch die im Coupöe befindliche Wärm- flafche mitgenommen hat! * Ein Junggeselle, der nicht selten Kredit und Vorschuß braucht, sucht eine Wohnung. In einer intimen Gesellschaft wird er von einem Bekannten ««gesprochen: „Sie müssen in die Genthinerstraße ziehen!" „Warum?" erwiderte der junge Mann. „Da wird eine Pumpanstalt errichtet!" lautete die Antwort. Redaction, Druck und Berlag von H. A. Berger in Wilsdruff.