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widriges Verfahren aus. Das ist Wohl das Vorspiel dessen, was wir zu erwarten haben von der englischen Alleinherrschaft am Sucz- kanal. Es wäre Zeit, auch in England zu bedenken, welches Zu trauen auf dem Continent und auch insbesondere in Deutschland zu England sich erhalten könne, wenn die gerade gegenüber den Orient wirren so prunkend zur Schau getragene Gerechtigkeitslicbe in der obigen Weise bestätigt wird. In mehreren englischen Städten haben Kundgebungen für die Erhaltung der Neutralität Englands stattgcfunden. — Von der Handels» kammer in Bradford wurde eine Resolution zu Gunsten der Neu tralität einstimmig angenommen, die Handelskammer in Leeds sprach sich mit allen gegen 3 Stimmen in einer Resolution sür die absolute Neutralität aus. Bei einer Arbciterversammlung in Rochdale hielt der Bischof von Manchester eine Ansprache, in Welcker er betonte, daß weder die Besitzergreifung Constantinopels durch russische Truppen, noch die Ocffnung der Dardanellen die britischen Interessen gefährde. Sodann sprach der Bischof die Erwartung aus, daß das englische Volk sich laut gegen einen Krieg zu Gunsten der Türkei erklären werde. London, 2. Januar. Wie es heißt, liegen diplomatische Aeußerungen vor, daß das Petersburger Kabinet bereit sei, direkte Vorschläge der Türkei zur Herbeiführung des Friedens entgegcn- znnehmen. Der „Köln. Ztg." wird aus Constant inopel unter dem 20. December geschrieben: In den untersten Klassen herrscht eine entsetz- licke Noth. Die armen Leute sehen von Tag zu Tag die Papier blättchen in ihrer Hand an Werth verlieren; die Händler wollen nur noch gegen Kupfer oder Silber verkaufen, und man sieht den Zeit punkt kommen, in dem die Läden, wo man Lebensmittel feil hat, ge schlossen werden; schon jetzt machen manche Verkäufer Anstalt dazu. Nun ist auch die große Bisquitfabrik in Stenia, welche eine Gesell schaft hiesiger reicher Finanzleute gegründet halte, plötzlich geschlossen worden. Die Herren verloren, weil die Regierung nicht mehr bezahlte. Und sie gehörten zu den Getreuesten der gegenwärtigen Negierung! Glücklicherweise sollen große Vorräthe an BiSquit vorhanden sein, so daß bei der Armee nicht so bald Mangel zu befürchten ist. Deutsche Rache. Episode aus dem letzten Kriege von Emilie Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) „Ist mein Sohn todt?" fragte der Franzose plötzlich mit leiser Stimme. Otto zuckte die Schultern. „Sie meinen den jungen Mann, der mit Ihnen zugleich mich bedrohte?" Jener nickte düster. „Er ist todt," versetzte Otto mitleidig. Der Verwundete schloß die Augen. Wo habe ich diesen Mann nur gesehen? fragte sich der junge Mann, indem er sich langsam entfernen wollte. Noch einen forschenden Blick warf er zurück auf ihn und sah die bekannten Augen wieder mit flehendem Ausdruck auf sich gerichtet. Sogleich kehrte er zurück und fragte thcilnehmend: „Haben Sie noch irgend einen Wunsch, mein Herr, den ich Ihnen erfüllen könnte?" „Sie sind so freundlich gegen mich, versetzte der Verwundete mit Anstrengung, „ja, ich habe mehr als einen Wunsck, der mir schwer am Herzen liegt. Wenn es möglich, so bringen Sie meinen Sohn nach dem Landhaus« des Marquis de Conflans, dort wird seine Groß mutter für seine Bestattung sorgen." Der Name des Todfeindes seines Hauses wirkte wie ein Donner schlag auf den Lieutenant, entsetzt starrte er ihn an und das Räthsel diese- bekannten Blickes war ihm urplötzlich gelöst. „Sie sind ein Marquis de Constans," stieß er mühsam hervor. Der Franzose blickte ihn erstaunt an. „Ja, mein Herr!" Otto v. Renndorf athmete schwer; er stand vor dem Sohne jenes Mannes, der seine Familie so schwer, so tödtlich beleidigt, vor dem Sohne der eigenen Großmutter, wie er nicht länger zweifeln konnte! Blickte ihn dieser Mann doch mit den Augen des eigenen Vaters an. Er dachte an die Rache und vermochte sie gegen diesen wehrlosen Feind nicht zu üben, er dachte an den andern Todten, an den Sohn, dessen Blick einen so widerwärtigen Eindruck aus ihn gemacht. Der Enkel todt, — während der Sohn verwundet und gefangen vor ihm lag. Durch seine Brust zog es wie triumphirende Freude, in welche sich ein leises Dankgcfühl gegen Golt mischte, daß dieses Rächeramt ihm erspart worden. Nur kurz währte der Sturm in seinem Innern, muthig kämpfte Otto ihn nieder und sprach, als der Verwundete ihn ängstlich an starrte: „Wenn es möglich ist, werde ich Ihren Wunsch erfüllen, mein Herr Marquis." „Ich danke Ihnen, mein Herr!" flüsterte dieser matt, „nehmen Sie sich meiner alten Mutter an, sie wollte nicht fort, und meiner Großnichte. — Gott vergelte es Ihnen." Er schloß die Augen, eine Ohnmacht sckicn ihn anzuwandeln, ein Arzt trat heran und bat den Lieutenant, sich zu tiitsernen. Otto v. Nenndorf eilte fort, — der Gedanke, die Großmutter wieder zu sehen, regte ihn so gewaltig auf, daß er sich am liebsten wieder in die Schlacht hätte stürzen mögen. Wie sollte er dem Vater entgegentreten? Stand er nicht im Be griff, dem Todfeinde Gutes zu thun. „Handle, wie cs sich mit Deiner Ehre und Deinem Gewissen verträgt!" So hatte der Vater zuletzt ihm gesagt, und dieses letzte Wort konnte nichts mit gemeiner Rache zu schaffen haben. Erleichtert in seinem Gewissen folgte er um so lieber dem heiligen Gebot der Ehre, als diese hier Hand in Hand mit einer Pflicht der reinsten Menschenliebe gehen durste. Es gelang ihm, die Leiche des jungen MarquiS aufzufinden, man hatte sie just mit den Uebrigen einschanen wollen. Ein Wagen war leicht rcquirirt, während sich einige Einwohner von Versailles gern dazu verstanden, die Leiche des Landmannes, der ihnen wohlbekannt war, nach dem Landhause des Marquis de Conflans zu begleiten. Mil einer leicht erklärlichen Aufregung, die sein Herz heftiger klopfen machte, als der Donner der Schlacht, schloß sich Otto dem traurigen Zuge an, der endlich glücklich bei der prächtigen Villa pnlangte. Da§ war also jenes Haus, wo man seinen Vaier einst gefangen gehalten und schließlich einer Irrenanstalt überliefert hatte. Hier hatte er die Mutter und Schwester wiedergcsehen. hier den Elenden, dem die Unglückliche Alles geopfert, Hcimath, Gatte und Sohn. Ein Gefübl unsäglicher Bitterkeit gegen diese Frau durchdrang das Herz des Enkels, den sie nicht kannte, nicht liebte, ja, dem sie vielleicht mit Haß entgegentreten würde, als dem Mörder dieses ge liebten Enkels. „Die Nemesis naht!" murmelte er, von jenem Gedanken in die finstere Stimmung versetzt, und befahl den Leuten, die Leiche in's Haus zu tragen. „Den Kukuk auch, Lieutenant, v. Nenndorf! wen bringen Sie uns da, rief ein junger Offizier, welcher ihm erstaunt evtgegentrat. „Den Sohn des Hauses," versetzt« Otto ernst. „Ack, der Bursche wäre sicherlich nicht so still, wenn er lebend, seinen Einzug hier gehalten hätte," meinte der Offizier, den der Am blick des Todten nicht feierlich zu stimmen schien. „Aber wie komme' denn Sie zu dieser Eskorte?" setzte er befremdend hinzu. Der verwundete Vater ersuchte mich um den Dienst, den am Sie ihm schwerlich abgeschlagen haben würden. Befindet sich eir Besitzer oder Hausvater hier?" „Freilich, eine achtzig- oder neunzigjährige Hexe mit der nöthigen Dienerschaft. Die Alte ist im höchsten Grade renitent. Doch haben wir sie so ziemlick schon zur Vernunft gebracht." In diesem Augenblicke erschien der Haushofmeister, ein alter Mann in schwarzer Kleidung mit einem sehr finstern Gesichte. Als dieser die Leiche, welche die Leute auf einer Bahre auf den Flur niedergesetzt, erblickte, brach er in ein Jammergeschrei aus und warf sich händeringend dabei nieder. „Mein junger, gnädiger Herr," wehklagte er, „o, das überlebt die Frau Marquise nicht!" „Nun, so mag sie ihm nachfahren, ist alt genug dazu," rief der Offizier zornig, „er ist eines ehrlichen Soldatentodcs gestorben, Glück genug für solche Herren! Marsch! bringen Sie die Leicke fort, es sterben tausende vielleicht bravere Menschen in dieser Zeit." Otto sagte kem Wort zu der etwas barschen Weise des Kameraden, er dachte zurück an jene Franzosenzeit in Deutschland, an den Groß vater des Todten und hielt eine solche geringe Vergeltung sür ge rechtfertigt. Das prächtig eingerichtete Landhaus war von einer Anzahl Offiziere mit der nöthigen Bedienung in Beschlag genommen und man sühlte sich ganz behaglich in dem eleganten Quartier, welches auf den Neichthum des Besitzers schließen ließ. Daß hier und da einige Ver wüstungen vorfielen, konnte nicht vermieden werden, obgleich die Zer störungen des herrlichen Gartens, wie die Dienerschaft selbst einräumte größtenteils von den Franzosen selbst herrührte. Im Ganzen genommen konnte die Herrschaft über ihre Ein quartierung gewiß nicht klagen, da dieselbe die kostbaren Möbel und Tapeten, soviel an ihr lag, möglichst schonte. Die Offiziere empfingen den Lieutenant v. Renndorf mit einigen Flaschen Champagner und erzählten ihm die lustigen Dinge von der renitenten Dame des Hauses, die den Fluch des Himmels auf die gottlosen Deutschen, welche es wagten, das heilige Frankreich mit Krieg zu überziehen, herabgerufen habe. Otto erbleichte bei diesen Erzählungen, er vergaß die Bande des Bluts, welche ihn mit dieser Frau verknüpften, und knirschend vor Zorn hätte er die Pracht um sich her zerschmettern mögen, als Wieder- vergeltung dessen, was sie und ihr Entführer an seinem Großvater gcthan. Die Offiziere konnten seinen Zorn über die kindische alte Hex«, wie sie die Frau Marquise nannten, nicht begreifen, und erstaunten nicht wenig, als er kurz erklärte, ihr einen Besuch zu machen. „Laßt mich nur, Kamerad,»," sprach er finster, „ich glaube ein Mitel zu besitzen, sie zur Demuth zurückzuführen. Auch habe ich ihr einen Gruß des Sohnes zu bringen." Einer der Offiziere rief den Kammerdiener Herbci, welcher der Frau Marquise v. Conflans den Besuch des Lieutenants Otto Fried rich v. Nenndorf melden sollte. „Die Frau Marquise ist krank," stammelt der Kammerdiener, „sie nimmt durchaus keine Besuche an." „Melden Sic mich," "herrschte ihn Otto an, „oder ich werde es selber thun. Vergessen Sie nicht meinen Namen, wen hqben Sie zu melden?" Der Kammerdiener stotterte den Namen, den er sehr Wohl be halten hatte, hervor und entfernte sich eilig. Otto stürzte ein Glas Champagner hinunter, um sich Muth an zutrinken, wie die Offiziere meinten. Wohl bedurfte er zu diesem Besuche seines ganzen Manne-mnthcs und jetzt, al» der Kammerdiener zurückkehrte, befand er sich in der rechten Stimmung, der Großmutter, die schließlich, nachdem sie das Heiligste verratbcn, nun auch noch das eigene Vaterland verleugnete und verfluchte, cntgeg«nzutretcn. „Die Frau Marquise ist ohnmächtig geworden bei der Nachricht, daß der junge gnädige Herr als Leiche in's SHloß getragen sei," rapportirte der Kammerdiener ängstlich. „So werde ich die Dam, aus ihrer Ohnmacht zu erwecken suchen," sprach Otto kurz, „führen Sie mich zu Ihrer Gebieterin!" „Gnädigster Herr Lieutenant l" „Vorwärts Marsch!" — Er griff an seinen Degen. Der Kammerdiener machte eiligst Kehrt. Die Leiche des jungen Marquis befand sich im Zimmer der alten Dame, die sich wie eine Wahnsinnige geberdetc und den letzten Con flans nicht überleben wollte. Der Kammerdiener öffnete zagend die Thür und ließ den Lieute nant eintrcten. „Frau Marquise!" begann der Lieutenant mit fester Stimme und in seiner Muttersprache, „ich komme von Ihrem Sohne!" Die alte Dame schreckte wild empor, sie starrte den Fremden an und fuhr entsetzt zurück, als habe sie etwas Unheimliches gesehen. „Hat man Ihnen meinen Namen nicht genannt, Frau Marquise?" Sie hatte ihn in der That nicht vernommen, da die Kammerfrau den Kollegen mit jenem Bescheide sorlgeschickt. „Wer sind Sie? — Was wollen Sie von mir?" fragte Sie mit einem wilden Blick. „Ihr Sohn, der verwundet in Gefangenschaft gerathen, bat mich um den Dienst, diese Leiche hierzuschaffrn, und ich, — Madame, ich that es, obgleich mein Name Otto Friedrich v. Renndorf ist." Die Marquise stieß einrn dumpfen Schrri aus und wanktt. —