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Botschafters Keudell, dem Absteigequartier des Kronprinzen, aufliegt, haben sich mehre 1000 Italiener eingeschrieben, um ihre Sympathie für Deutschland auszudrücken. — Wir Deutschen sehen in der Reise des Kronprinzen eine neue Bestätigung, daß die Mitglieder des Kaiserhauses sich überall auch persönlich für das Interesse der deutschen Politik einsetzen. König Victor Emanuel lebte bekanntlich, seit er Rom und den Kirchenstaat für das Königreich Italien annectirt hatte, in dem Bann; er ist aber nicht im Bann gestorben. Die Clericalen in Rom behaupten, er habe vor seinem Tode Buße gethan und die Verzeihung der Kirche angefleht für alle Sünden, die er gegen sie begangen. Das ist nicht so. Sofort nach seinem Tode hat der Minister des Innern in Rom amtlich bekannt machen lassen: „König Victor Emanuel hat keinerlei Erklärung abgegeben, die seine ruhmreiche Laufbahn als König von Italien hätte verläugnen können". Der König hat viel mehr erklärt: „Ich sterbe als Katholik. Ich hatte vor der Person Sr. Heiligkeit des Papstes stets Hochachtung und Ehrfurcht, und ich bedaure aufrichtig, wenn irgend eine meiner Handlungen dem heil. Vater persönlich Schmerz bereitet haben sollte. Aber in allen meinen Handlungen habe ich stets das Bewußtsein gehabt, meine Pflichten als Bürger und Fürst zu erfüllen und nichts gegen die Religion meiner Väter zu unternehmen." Nach dieser Erklärung erschien der Beichtvater des Papstes bei dem König als Ueberdriuger des päpst lichen Segens und der geweihten Hostie, womit die Lösung aus dem Kirchenbann ausgesprochen war. In einem Artikel der „Agence generale Russe" über die augen blickliche Lage heißt es am Schlüsse: Einen Frieden, welcher die Interessen Rußlands gegen die Erneuerung des Krieges schützt, muß Rußland, wie dies dem Völkerrechte, dem Herkommen und der Billig-- ; keit entspricht, direkt schließen unter Wahrung der Interessen der an- ! grenzenden Staaten und der Interessen der übrigen Mächte, insbe sondere derjenigen Englands, welches hauptsächlich dabei interessirt sei, daß keine Veränderung des Standes der Dinge im Orient seinem Wege nach Indien oder seinem Einflüsse im Orient Eintrag thue. Obwohl die Pforte sich aus freien Stücken aus dem Conzert der europäischen Mächte zurückgezogen hat, und obwohl sie die über nommenen Verpflichtungen nicht erfüllt hat, für welche ihr gewisse Vortheile gewährt wurden, so werde doch eine zu Stande gekommene Prämilinarkonvention Gegenstand eines Kongresses werden und als- dann definitiv in die internationalen Verträge übergehen können. Da diese Frage so einfacher Art sei, so würde ein Mißverständniß derselben nur aus Mißtrauen oder überreizter Eigenliebe hervorgehen können. Jedes Mißtrauen könne beseitigt werden, wenn die darüber gegebenen Erklärungen eben so offen acceptirt werden, als sie loyal ertheilt sind. Der „Kölnischen Zeitung" wird aus Wien gemeldet: Man glaubt hier, daß, falls die Waffenstillstandsverhandlungen kein Re sultat ergeben sollten, seitens der Pforte entweder die Fahne des Propheten entfaltet werden wird, oder der in der Vourla - Bai ankernden englischen Flotte die Passirung der Dardanellen gestattet werden soll. ! Constantinopcl, 19. Januar. Einem Telegramm aus Adri anopel vom 19. d. zufolge gaben die Türken die Vertheidigun g Adrianopels auf und zogen alle Truppen und Kanonen zurück. Der Generalgouvcrneur verließ heute morgens Adrianopel und ließ nur 72 Gendarmen zur Aufrechthaltung der Ordnung zurück vis zum ° Einmarsch der Russen, welcher bevorsteht. Nachdem die Russen gestern in Mustapha Pascha, einige Kilometer vor Adrianopel, eiutrafen, sind Maßregeln getroffen, daß die zurückgebliebenen Gendarmen nach dem Einmarsch der Russen unbehelligt abziehen können. Heute Morgen ging ein Eisenbahnzug von Adrianopcl ab, welcher alle die es wünschten, mitnahm; alle Fremden nud Einheimischen haben die Stadt verlassen. Der französische Konsul verblieb iu der Stadt zum Schutze der fran zösischen Nationalität. Constantinopel, 19.Januar. Die Truppen, welche sich bisher in Ädrianopel befanden, haben sich nach Tschataldscha (dem unmittelbar ; vor Constantinopel gelegenen Centralpunkt der Vcrtheidigungsliuie der türkischen Hauptstadt) zurückgezogen. Die Russen sollen noch heute Abend in Adrianopcl einrücken. Offizielle Bestätigung fehlt. Der Vollmeier und seine Erben. Erzählung von Emilie Heinrichs. . (Nachdruck verboten) (Fortsetzung.) Der Onkel bewegte abwehrend die Hände, da ihm wirklich die Sprache augenblicklich versagt schien. Lene achtete nicht auf diese Pantomime und rannte eiligst davon. Auf der Terrasse des stattlichen Herrenhauses zu Blachfeld saßen mehrere Herren in behaglicher Unterhaltung. Der Gutsherr, Baron von Kamps, ein gemächlicher Fünfziger, der invalide Forstmeister Reinkling, der einen Stelzfuß trug, welchen er bei der Befolgung eines Wilddiebes davongetragen, und der pensionirte Hauptmann Spalting, der neben einem bedeutenden cubischen Inhalt seines Körpers auch eine Fülle des harmlosesten Humors besaß, bildeten die kleine Gesellschaft, die sich augenblicklich auf der Höhe behaglicher Situation befand, was nicht zu verwundern war bei einem kühlen Trünke des edelsten Gerstensaftes, einer guten Pfeife, deren Wolken mitunter eine dichte Ncbelatmosphäre bildeten, und dem herrlichsten Sonnenschein von der Welt. „Haben Sie schon davon gehört, daß die Arbeiter überall mehr Lohn verlangen?" fragte der Baron langsam. „Ja freilich," nickte der Hauptmann, „mehr Lohn und weniger Arbeit." „Gönne ich dem Kapital," brummte der Forstmeister, „der Arbeiter ist doch auch ein Mensch —" „Allerdings," versetzte der Gutsherr eifrig, „ich würde mich aber doch nicht zwingen lassen, — wohin soll es führen? Zur Revolution!" „Pah," lachte der Hauptmann verächtlich, „mit fünfundzwanzig Mann und einer Kanone fege ich die ganze Brut zusammen." „Als ob das Uebel dadurch gehoben würde, Hauptmann," sprach der Forstmeister, „Unsinn, Kanonen, — durch wen habe ich meinen Fuß verloren?" — „Durch einen Tagedieb, einen Striker," lächelte der Baron, „Richtig, hätte der Mann hinreichend verdient, wäre er sicherlich kein Wilddieb geworden." „Die Pauke hat ein Loch!" rief der Hauptmann, „hätte der Mann Lust zur Arbeit gehabt, dann wäre er kein Wilddieb geworden." „Mag sein, wenigstens zeigt mir Ihre Combination, daß Sie den Forstmann für einen Tagedieb, einen Striker halten, da die Wilddieberei wahrlich keine angenehme und ungefährliche Beschäf tigung ist." „Pardon, Forstmeister!" sprach Hauptmann Spalding, ihm treu herzig die Hand reichend, „wie können Sie mir nur so etwas unter schieben? Sie haben aber auch eine vertrackte Sympathie für diese Arbeiter." „Hab' ich auch, seitdem mein Rudolph aus Amerika zurückgekehrt." „Warum kommt der junge Herr nicht einmal hierher?" fragte der Baron stirnrunzelnd. „Ich sage Ihnen, Forstmeister, von meinen Söhnen geht keiner nach Amerika. Sie saugen dort demokratische, was sage ich, socialistische Grundsätze ein, die mir verhaßt sind, weil nur Unheil, Unzufriedenheit, Verwirrung der Gemüther dadurch herbei- gcführt und verbreitet werden." — „Mein Sohn ist kein Socialdemskrat," erwiderte Reinking ruhig, „doch vertritt er die Sache der Arbeiter vom Standpunkt des all gemeinen Rechts, der Humanität und der fortschreitenden Bildung, mit einem Wort: er fordert für den Arbeiter gleiche Rechte und gleiche Pflichten dem Arbeitgeber oder dem Capital gegenüber." „Unsinn!" rief der Hauptmann, sich in eine gewaltige Dampf wolke hüllend, „Sie hätten Ihren Sohn zum Forstmann oder Soldaten erziehen sollen, anstatt zum Techniker. Was will er denn mit seinen weltbeglückenden Plänen in Blachfeld?" „Eine Fabrik anlegen." „Der Henker auch," rief der Baron etwas erschrocken, „das wäre gcmüthlich." Der Forstmeister zuckte die Achseln und deutete mit der Spitze seiner kurzen Meerschaumpfeife nach der Allee, welche vom Herren hause hinab ins Dorf führte. „Dort kommt er selbst," sprach er ruhig. „Es sind ja zwei Herren," brummte der Hauptmann, „wer ist sein Begleiter?" „Ein Amerikaner, Namens Eichler, sein künftiger Compagnon." Die beiden jungen Männer kamen raschen Schrittes näher. Rudolf Reinking war eine hohe, stämmige Gestalt, kräftig und kern gesund, — sein Begleiter war kleiner und überdies keine so schöne Erscheinung, wie der Erstere. Sie grüßten nach der Terrasse hinauf und folgten der kurzen Einladung des Gutsherrn, näher zu treten. Nachdem Rudolf sich wegen ihres Kommens dem Letzteren gegen über entschuldigt und den Frennd vorgestellt hatte, sprach er mit mühsam unterdrückter Heiterkeit: „Drüben in Grünau striken die Knechte und Mägde." Der Baron fuhr von seinem Stuhl empor und starrte ihn ungläubig au, während der Hauptmann in ein spöttisches Gelächter , ausbrach. „Das paßt auf unsere vorige Unterhaltung wie die Faust aufs Auge," rief er, „vielleicht haben die Herren Amerikaner die Seuche nütgebracht. „Herr Hauptmann!" sprach Rudolf piquirt. „Na laß gut sein, mein Sohn," fiel der Forstmeister ein, „der Herr Hauptmann scherzt gern, wie Du weißt. Bei wem ist der Strike denn ausgebrocheu?" „Bei dem Vollmeier Busse." „Ah, bei dem alten Knauser," meinte Hauptmann Spalting, „der hats verdient. Gott verzeih' mir die Sünde, wenn er's nicht an dem Sohn des seligen Kühne verdient hat." „Busse hat meiner Familie zwanzig Jahre lang Dienst geleistet," bemerkte der Gutsherr nachdenklich, „ich muß ihm m dieser Lalamität beistehen, die Leute müssen gezwungen werden, zur Arbeit zurückzu- ! kehren; es ist eine Schande, gerade in der Erntezeit, wo keine Arbeiter zu bekommen sind." „Gezwungen werden?" sprach der Amerikaner finster, „sind die Arbeiter hier zu Lande Leibeigene oder Sklaven?" „Unsinn, die Menschen sind zu frei," erwiderte der Hauptmann „aber Raison muß sein, mein Herr, zu viel Freiheit schadet dem Ganzen. Hätte ich nur 25 Mann. —" „Ja, ja, das wäre auch schon ohne die Kanone hinreichend," unterbrach ihn der Forstmeister lachend. „Doch Scherz bei Seite, die Geschichte ist mir immerhin auffällig, muß ich doch selbst danach umschaucn." „Die Striker kommen nach Blachfeld herüber, sie scheinen es auf Sie abgesehen zu haben, Herr Baron!" bemerkte Rudolf Reinking. „Auf mich? Meiue Leute sind zufrieden, es wird ihnen nicht gelingen, sie zur Unordnung zu verleiten." Er setzte bei diesen Worten sichtlich erregt seine Pfeife bei Seite, drückte den breiten Stroheit in die Stirn und stürmte hinaus aus's Feld, von dem Hauptmann, der bereits von einer blutigen Bataille träumte, gefolgt. „Ist die Geschichte wirklich schlimm?" fragte der Forstmeister, mit den beiden jungen Männern die Terrasse verlassend. „Hat nichts zu bedeuten," lachte Rudolf, „der Strike gilt nur dem Busse, der Baron hat nichts zu befürchten, doch kann der Schreck ihm sehr heilsam sein. Hast Du mit Herrn v. Kamps über die be wußte Sache gesprochen, Vater?" „Das Wort „Fabrik" jagte ihm schon die Angst in alle Glieder, er wird Euch keinen Fnß breit Land zu diesem Zweck verkaufen." „Gut, dann wird Busse vielleicht willfähriger sein, zumal mein Freund Eichler ein Neffe der seligen Frau Kühne ist." „Wollen Sie diese Verwandtschaft geltend machen, Herr Eichler?" fragte der Forstmeister. „Freilich will ich das." „Thun Sie es nicht, Sie werden das Gegentheil damit bezwecken; er mag von der ganzen Verwandtschaft nichts hören." „Kann ich mir denken," lachte der junge Mann, „doch eben darum, es liegt mir daran, zu ergründen, wie groß die Verstocktheit seines Herzens wirklich ist." „Nun dann, in Gottes Namen, nützen wird es nichts, vielleicht könnte eine Spekulation auf seine Habsucht eher zum Zwecke führen. —