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beschlossen, Ihnen einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch welchen die Gewerbeordnung in dem Sinne abgeändert wird, daß den mit dem Gewerbebetriebe im Umherziehen auf dem Gebiete der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Sittlichkeit verknüpften Gefahren wirksamer als bisher begegnet werden kann. Auf dem Gebiete der Steuerreform hat die Allerhöchste Botschaft vom 17. No vember v. I. die Abschaffung drückender direkter Landcssteucrn und der Zuschläge in Aussicht genommen, durch welche Gemeinden und andere Kommunalverbände bis her genöthigt'sind, den harten und ungleich wirkenden Druck dieser Steuern zu ver stärken. Diese wohlmeinende Absicht zu verwirklichen kann nur dadurch ermöglicht werden, daß das Reich durch Erhöhung der seiner Gesetzgebung vorbehaltenen in direkten Steuern sich in die Lage bringt, auf Matrikularbeiträge zu verzichten, oder die bisher dazu erforderlichen und eventuell auch höhere Beträge den einzelnen Staaten herauszuzahlcn, damit sic zur Verminderung der Landes- und Kommunal steuern verfügbar werden. Wenn ein Bedürsniß hierzu bei den Einzelstaaten und ihren Kommunalverbänden nicht empfunden würde, so läge auch kein Anlaß vor, eine Erhöhung der indirekten Reichseinnahmen zu erstreben. Ist ein solches Bediirf- niß aber vorhanden, so kann es nur durch größere Ergiebigkeit der indirekten Ein nahmequellen des Reichs befriedigt werden. Die verbündeten Regierungen sind von dem Vorhandensein des Bedürfnisses überzeugt und beantragen Erhöhung der Neichs- einnahmen, um ihren Unterthanen Steuererleichterungen gewähren zu können. Unter den zur Besteuerung durch das Reich geeigneten Gegenständen steht der Tabak in erster Linie; nicht hierüber, sondern nur über die Form, in welcher eine höhere Besteuerung dieses Genußmittels herbeizuführen sei. Die Mehrheit der ver bündeten Regierungen hält die Form des Monopols für diejenige, welche die Inte ressen der Konsumenten und der Tabakbauer am meisten schont und dabei an Ergie bigkeit alle anderen Formen der Besteuerung übertrifft. Sie würde daher zu anderen Vorschlägen erst übergehen, wenn sie die Aussicht auf Zustimmung der Volksvertre tung zum Monopol auszugeben genöthigt wäre. Wenn die Reichsregierung weder in der einen, noch in der andern Form Aussicht auf die Bewilligung höherer Neichs- einnahmen hätte, so würde sie mit Bedauern und zum Schmerze Sr. Majestät des Kaisers tür jetzt auf die Reformen der Steuerverfassung des Reichs und der Einzel staaten verzichten müssen, welche als ein Bedürsniß der Bevölkerung von allen Re gierungen seit Jahren erkannt und in der Botschaft vom 17. November v. I. von Sr. Maj. dem Kaiser verheißen sind. Die mit der Anwendung des Zolltarifgesetzes gemachten Erfahrungen haben für die Mühlenindustrie die Gewährung einer Ausfuhrerleichterung und für einige andere Produktionszweige eine Aenderung der Tarifsätze als wünschenswerth ergeben. Es wird Ihnen daher der Entwurf eines Gesetzes hierüber vorgelegt werden. Ein zwischen dem Reich und Brasilien abgeschlossener Konsularvertrag wird Ihrer verfassungsmäßigen Beschlußfassung unterbreitet werden. Die auswärtigen Verhältnisse des Reichs fahren fort, nach jeder Richtung hin das Vertrauen auf die Dauer der friedlichen und freundschaftlichen Beziehungen zu rechtfertigen, von denen die Allerhöchste Botschaft vom 17. November v. I. Zeugniß ablegte. Je größer die Tragweite der Arbeiten ist, welche Sie, geehrte Herren, erwarten, desto mehr vertrauen die verbündeten Regierungen, daß es Ihrer hingebenden Thä- tlgkeit mit Gottes Hilfe gelingen werde, die großen Aufgaben, um die es sich handelt, einer für die Konsolidirung unserer nationalen Einrichtungen und für die gedeihliche Entwickelung des Vaterlandes segensvollen Lösung entgegenzufllhren. Im Namen der verbündeten Regierungen erkläre ich auf Befehl Seiner Majestät des Kaisers und Königs den Reichstag sür eröffnet. Die halboffizielle preußische „Prov.-Korr." begleitet die erfolgte Eröffnung des Reichstages mit folgenden Worten: „Der Reichstag sieht bei seiner Eröffnung ein reiches Feld der Thätigkeit vor sich auf gewerblichem, zoll-, steuer- und sozialpolitischem Gebiet. Die Aufgaben, welche in dieser Beziehung an ihn herantreten, sind von großer Be deutung für die weitere Entwickelung der wirthschaftlichen Verhältnisse Deutschlands. Sie sind so umfassend, daß man kaum hoffen könnte, sie in einer Session erledigt zu sehen, wenn der Reichstag nicht schon seit langer Zeit darauf vorbereitet wäre. Theils haben die Gegen stände den Reichstag schon früher beschäftigt, theils unterliegen sie schon längere Zeit der öffentlichen Erörterung. Dann aber entsprechen die wesentlichen Vorlagen vor Allem dem Programm, welches die kaiserliche Botschaft vom 17. November dem Reichstage als Zielpunkt für die nächste Zukunft hinstellte. Der Reichstag ist dazu berufen, die Verwirklichung wenigstens eines Theiles dieses kaiserlichen Pro gramms jetzt in Angriff zu nehmen. Er wird für diese hohe und ernste Aufgabe jetzt um fo mehr Zeit und Kraft finden, als die gegen wärtige Session weder durch die Berathung des Haushaltsetats noch durch andere laufende Geschäfte, welche sonst grvßentheils den Schwer punkt der parlamentarischen Arbeiten zu bilden pflegen, eingeschränkt und beeinträchtigt wird. Es entspricht gerade der Bedeutung der ihm gestellten Aufgaben, daß sür ihre Erledigung eine besondere Session berufen ist, die unter keinerlei anderen Einflüssen und Rücksichten zu leiden hat. Einen hervorragenden Gegenstand der bevorstehenden Ver handlungen bildet das Tabakmonopol, welchem das allgemeine Interesse in erster Linie zugewaudt ist. Bei der Erörterung desselben wird sich der Reichstag zu vergegenwärtigen haben, daß das Monopol ein Glied in der Kette der großen Wirthschaftsreform ist, deren Grund züge von den meisten Parteien gebilligt und als nothweudig angesehen worden sind. An das Wesen dieser Reform immer wieder zu erinnern, ist um so mehr angezeigt, als dasselbe in den leidenschaftlichen Kämpfen der Parteien oft außer Acht gelassen wird. Wenn namentlich heute die Meinung zu verbreiten gesucht wird, als würden immer neue Ziele und Zwecke mit der Reform in Zusammenhang gebracht, so zeigt ein Blick in die früheren Kundgebungen der Regierung, daß schon beim Beginn der Reform über Wesen und Ziel derselben völlige Klarheit verbreitet wurde, so weit dies überhaupt auf Jahre hinaus möglich ist. Der Reichstag nahm am 29. April die Wahl des Präsidiums vor, die lediglich eine Bestätigung der drei Präsidenten der ersten Session der gegenwärtigen Legislaturperiode zur Folge hatte. Man liest, daß Fürst Bismarck der Ablehnung des Tabakmono pols im Reichstage mit ziemlicher Ruhe entgegen sehe, er habe näm lich die feste Ueberzeugung, daß die mißlichen Finanzen in den Bun desstaaten, in den Gemeinden und Kreisen bald einen Druck üben und daß die heut Widerstrebenden über kurz oder lang ihm entgegenkvmmen und Hülfe vom Reiche verlangen werden. Das Zeugenverhör über den Wiener Theaterbrand bringt, wie sich denken läßt, viel merkwürdige Dinge zum Vorschein und be stätigt in allen Punkten den überaus traurigen Zustand der in Frage stehenden Einrichtungen und Verwaltungen. Der Stadtbaudirektor Arnberger befand sich, als ihn die Nachricht von dem Brande traf, in Döbling, von wo er mit der Pferdebahn nach der Stadt fuhr, sich in feine Wohnung begab, um sich umzukleiden und die Uniform an zulegen! Seine Aussage lautet dahin, daß der Feuerwehrdienst für das Stadtbauamt nur Nebensache sei. Vom Präsidenten gefragt, ob er die Feuerwehrsignale kenne, antwortet er: So ziemlich. Und die Hornsignale? Meisteutheils, nicht alle. Er meint dann ganz treu herzig, es fei überhaupt nothwendig, daß die Feuerwehr reorganisirt werde. — Der Theatersekretär Giesrau sagt aus, er wisse sich der meisten Einzelheiten nicht mehr zu entsinnen. Auf die Frage des Präsidenten, warum er die im Theater befindlichen Leute nicht von der Gefahr verständigt habe, erwidert er: er habe es in der Aufregung vergessen, es sei ihm gar nicht in den Sinn gekommen, daß er dies thun müsse. — Bei dieser Wiener Affaire hört in der That Alles auf. Man blickt da in einen Abgrund von Verkommenheit, die viel schlimmer ist, als der russische Nihilismus, in dem sich wenigstens noch Thatkraft, wenn auch verbrecherische, kund giebt. Da sieht man, n wie hohem Grade es gerechtfertigt war, wenn die Staatsanwalt schaft den Vorwurf erhob, daß die Angeklagten theils durch furcht bare Versäumnisse, durch grenzenlosen Leichtsinn und unverantwort liche Nachlässigkeit das Unglück heranfbeschworen, theils dasselbe durch Mangel an Besonnenheit und Pflichtgefühl in verhängnißvoller Weise vergrößert Hütten. Wie die deutsche „St. Petersburger Zeitung" erfährt, sind im Kriegsministerium in diesen Tagen die Details für die im Prinzip beschlossene Erbauung neuer Forts bei Warschau, Kowno und Gonionz (Gouvernement Grodno) ausgearbeitet worden. Die Ge- sammtkosten sind auf 60 Millionen veranschlagt; die Arbeiten sollen in 10 Jahren beendigt sein. In diesem Jahre sollen die Forts bei Warschau in Angriff genommen werden. 6 Werst von Warschau auf dem linken Ufer der Weichsel werden 7 Forts auf eine Strecke von 27 Werst vertheilt, angelegt. Jede Befestigung erhält eine Länge von 250 Faden. Von dieser Befestignugslinie 2 Werst entfernt werden 4 Forts von derselben Größe errichtet und jenseits von Praga, 6 Werst von der Stadt entfernt, sollen 4 Forts von größeren Dimen sionen aufgeführt werden. Zur Ausführung dieser Arbeiten sind für das laufende Jahr zunächst 10 Millionen Rubel assignirt. — Das ist eine merkwürdige Nachricht. Wenn es nicht gar so abscheulich wäre, so könnte man sagen, daß man sich in Amerika als Präsidentenniörder sehr wohl befindet. Nicht nur, daß Herr Guiteau zwei geräumige Zellen bewohnt, er hat anch in einer derselben ein flottgehendes Geschäft eröffnet. An seiner Eingangsthür liest man: „Von nun an werden Exemplare meines von mir geschriebenen Namenszuges zu 2,50 Doll, das Dutzend, oder 25 Cents das Stück. verkauft. Wer einen religiösen Zusatz mit meinem Namenszuge, ein Sprüchlein, wie „wir vertrauen auf Gott" und dergl., wünscht, braucht nichts draufzuzahlen. Meine Photographie in großem Format mit meinem Namenszuge darauf, wird zu 1 Doll, das Stück oder 9 Doll, das Dutzend geliefert. Chas I. Guitean. — Man hat diesen Guitean ein unentwirrbares psychologisches Räthsel genannt. Hier ist die Lösung. Es ist die Eitelkeit in ihrer ekelhaftesten und scheußlichsten Gestalt. Die Illinois-Zeitung bezeichnet diesen Handel als eine zwiefache Landesschmach, einmal, weil die Regierung der grißm R pubük dizegen ui ht einsstreitet, da) anderemal, weil es so viele „Bürger" dieser großen Republik giebt, die sich durch den Ankauf derartiger Dinge besudeln. Ein solches Scheusal hätte selbst ein Shakespeare, dessen Blick ja doch in die tiefsten Tiefen und die verborgensten Winkel des menschlichen Wesens drang und sich in den labyrinthischsten und dunkelsten Gängen da unten zurecht finden konnte nicht malen können. Vaterländisches. — Nossen, 27. April. Vorgestern Abend vor 9 Uhr versuchten drei Individuen im Pfarrhause zu Hirschfeld einen Einbruch, hatten auch schon verschiedene Sachen gepackt, als sie vom heimkehrende» Pfarrer bemerkt und verjagt wurden. Wahrscheinlich sind die Men schen bereits in Sicherheit gebracht, denn einer hatte aus Höflichkeit den Hut abgenommen und bei der Flucht nebst dem Stocke zurückge lassen, welche beiden Dinge kurz zuvor im Orte gesehen worden waren und nun die Verräther spielten. Die Diebe waren von auswärts. — Am Dienstag früh wurde auf dem Rittergute Niedergrausch witz der Leichnam eines neugeborenen Kindes aufgefunden. Als des Mordes verdächtig wurde eine daselbst dienende Magd, aus Mutzschen gebürtig, in Haft genommen. — Am Mittwoch erschoß der 12 Jahre alte Realschüler Auen- mnller von Bautzen aus Unvorsichtigkeit mittels eines Revolvers den fünfjährigen Sohn des Restaurateurs Kaltschmidt. Aus Furcht vor Strafe hatte sich Auenmüller nach dem benachbarten Göda geflüchtet. — Reichenau, 27. April. Vor kurzem hatte ein hiesiger Be wohner, dem es in diesem irdischen Jammerthal nicht mehr gefiel, durch Erhängen sich selbst entleibt. Der Leichnam ward gerichtlich aufgehoben und sollte nach der Anatomie in Leipzig überliefert werden, da er bietet sich die Gattin — nicht etwa dem Leichnam ihres ehemaligen Lebensgefährten ein einfaches bürgerliches Begräbniß angedeihen zu lassen, nein — den Holzkasten mit den sterblichen Ucberresten für den ausgesetzten Lohn selbst nach der Bahn zu überführen. Auf einem zweirädrigen Karren fuhr die zärtliche Gattin, unterstützt von einem Freunde, ihren Seligen nach dem Zittauer Bahnhof und gab das „Kollo" prompt als Eilgut an die Leipziger Anatomie ab. Das nennt man doch Treue bis in den Tod! — Schöneck, 27. April. Heute früh wurde auf dem Felde des Rittergutes Schilbach der 7 Jahre alte Schulknabe Robert Reinhold Schmidt aus Schöneck todt aufgefunden. Der Tod ist durch Er frieren eingetreten. Der Knabe soll worher Schnaps getrunken ge habt haben. — Zöblitz, 27. April. Gestern nachts '^12 Uhr ertönte das Feuersignal. Roth wie Blut war der südliche Himmel gefärbt. Es brannten das Wohnhaus und die Wirthfchaftsgebäude des Gutsbesitzers Wilhelm Pilz in Pobershau. Das Wohnhaus war mit Stroh gedeckt und sämmtliche Wirthfchaftsgebäude waren aus Holz aufgeführt, wes halb das Feuer schnell um sich griff und die Bewohner kanm das nackte Leben retten konnten. Der Besitzer ist im Gesicht und an den Händen nicht unerheblich verbrannt und befindet sich in ärztlicher Be handlung. Es ist den Bewohnern alles verbrannt: Mobiliar, Betten, Stroh, der Same zur Aussaat rc.; auch 300 M. sollen die gierigen Flammen verzehrt haben. In den Flammen sind ferner zwei Schweine und eine Kalbe umgekommen, eine Kuh hat bedeutende Brandwunden erhalten. Versichert hat Pilz gar nichts. Das Feuer soll in dem Kohlenschuppen zuerst bemerkt worden sein. Keine Wahl. Erzählung von Ludwig Habicht, Verfasser der Romane: „Auf der Grenze", „der rechte Erbe". (Fortsetzung.) Der Major stieß wieder sein kurzes rauhes Lachen aus. „Lieber- Herr, ich sage — abwarten! — Diese Photographen sind Schwindler. Sie bearbeiten das schönste Gesicht so, daß es häßlich wird, und aus einer Fratze machen sie wer weiß was. Also abwarten!" „Nein, nein, diese Photographie ist nicht einmal retouchirt, das sehe ich ganz genau. Ihr gnädiges Fräulein Tochter ist gewiß in Wirklichkeit noch schöner als hier auf dem Bilde." In seinem Eifer raffte er sich zum ersten Mal zu einem Widerspruche auf und als wolle er nur die photographische Arbeit prüfen, versenkte er sich wieder in das Betrachten des Bildes. „Es wäre zu wünschen, lieber Herr," bemerkte der Major; „dann