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Aeitage M IN. öt§ Dschm- Aüd AmisbiMts für DiiSömßs tit. Freitag, den Zi. Deutsche Rache. Episode aus dem letzten Kriege von Emilie Heinrichs. (Nachdruck verboten) 1. Des Königs Ruf erscholl: „Zu den Wassen!" und begeisterten Muthes folgten Alle, die dazu berufen waren, gegen den Erbfeind zu kämpfen für die Sicherheit des eigenen Heerdes, für die Ehre des Vaterlandes. A^f dem stattlichen Rittergute O. in Angeln, jener schönen Landschaft, welche zwischen den Städten Schleswig und Flensburg, der Ostsee entlang wie eine reiche Fruchtkammer hinaufzieht, war alles in lebhafter Bewegung. Der einzige Sohn sollte ebenfalls als Land wehroffizier mit in den Krieg ziehen, wie auch eine Anzahl junger Bauernsöhne und Knechte von dem Gute selbst und aus dem dazu gehörigen großen Dorfe. Der Muth und die stolze Begeisterung des jungen Herrn von Renndorf mußten nothwendig auch auf die Untergebenen wirken, und mochten Eltern und Geschwister, Bräute und Frauen auch jammern und wehklagen, die jungen Krieger behielten, Angesichts des freudigen Muthes der Gutsherrschaft, eine stolze Haltung und suchten durch be geisterte Lieder die weinenden Angehörigen zu trösten, obwohl manchem armen Burschen das Herz recht schwer sein mochte, da Todesverachrung nicht Jedermanns Sache ist. „So reiche Leute verstehen es besser als wir, sich zu verstellen," meinte ein Bauernmädchen, das von dem Liebsten Abschied nehmen sollte, „ich muß weinen und mich ausjammern, wenn mir das Herz in der Brust nicht zerbrechen soll." Und so meinten auch die klebrigen und kamen schließlich zu der Ueberzeugung, daß die vornehmen Leute kein rechtes Herz für ihre Kinder besitzen müßten, da man selbst Frau v. Renndorf, die Mutter des jungen Herrn, noch keine einzige Thräne hatte ver gießen sehen. Freilich war sie es gewohnt, ihre Gesühle zu beherrschen, und Niemand als der Gatte sah die Thränen, welche der Kummer und Schmerz ihr auspreßten. Niemand ahnte die Verzweiflung, der die arme Mutter in schlafloser Nacht sich hingab; drohte doch dieser Krieg ein so entsetzlicher zu werden, daß es immerhin als ein ewiger Abschied gelten durfte, der im ganzen deutschen Vaterlande Millionen Herzen in Jammer versetzte. Am Abend vor der Abreise saßen die Eltern mit dem Sohne allein in dem großen Balkonzimmer, welches auf den herrlichen Garten und Park hinausführte. Die Sonne fauk so friedlich hinab, die ganze Natur athmete die seligste Ruhe. „Weich' ein schöner Abend!" sprach der Vater nach einer Pause, in welcher Alle schweigend mit gleicher schmerzlicher Empfindung in die goldnmwobene Landschaft hinausgeblickt hatten, „wer würde in diesem Augenblicke, wo die Natur im heiligsten Frieden sich zum Schlummer bereitet, an Sturm und Unwetter denken, wer voraus setzen mögen, daß die nächste Stunde ein verheerendes Gewitter Heraufziehen und der Blitz in unser Dach einschlagcn könne, und doch kann ein unscheinbares Wölkchen oft unmerklich das Unheil herauf führen in der Natur wie im Menschenleben. Wehe dem Mächtigem, der sich einem Gott gleich vermißt, den Feuerbrand des Kriegs in ein friedliches Volk zu werfen, wie eS der französische Kaiser gethan, — dieser Brand wird sich verzehrend geaen ihn selber wenden und Rache nehmen gegen das Elend vieler Generationen." „Die Nemesis treibt den Usurpator in das eigene Verderben," rief der Sohn mit blitzenden Augen, „der Krieg wäre doch entzündet worden, früher oder fpäter, — wie froh bin ich, denselben in voller Jugcndkrast mit durchkämpfen zu können." „O, sprich nicht so, Otto!" bat Frau v. Renndorf traurig, „mich dünkt es ein Frevel, sich eines Krieges zu freuen, der voraussichtlich so viel Jammer und Leid erzeugen muß, und noch immer ist es mir wie ein Traum, daß Du wirklich fortziehst in den Tod, Du unser einziges Kind, unsere einzige Hoffnung." „Und warum denkst Du immer nur an seinen Tod, Mutter," fragte Herr v. Renndorf mit sanftem Vorwurf, „warum hältst Du die Hoffnung nicht fest, ihn über kurz vder lang hcimkehren zu sehen mit seinen siegreichen Waffenbrüdern, geschmückt mit dem Lorbeer der Tapferkeit und vielleicht auch mit einer tüchtigen Schmarre im Gesicht, begrüßt von der Liebe und Dankbarkeit des Vaterlandes, für welches er muthig hinauszieht? Willst Du dem Sohne die schwere Grunde des Abschieds noch trüber machen durch Deine Trostlosigkeit und Verzweiflung? Du, die den Armen des Dorfes ein leuchtendes Beispiel frommer, freudiger Begeisterung sein wolltest." Die Worte des Äatten verfehlten ihren Eindruck nicht auf das sonst so starke Herz der Mutter; sie versuchte zu lächeln und reichte dem Sohne die Hand, der dieselbe ehrfuchtsvoll an seine Lippen drückte. „Vergieb, lieber Friedrich," sprach sie leise, „ich will versuchen, so stark und muthig zu sein, wie Du es bist." „Denke nur an das bedrohte Vaterland, mein Mütterchen," bat der Sohn, „vergieß es keine Minute, daß die Franzosen den Krieg wollen, sammt aller Schmach und allem Elend, das sic vor 60 Jahren über Deutschland gebracht." „Nein, vergessen wir das nimmer," setzte der Vater mit starker Stimme hinzu, „was sie uns damals zugefügt, es ist ihnen »och lange nicht vergolten worden, und Gott der Herr hat Preußen nicht um sonst so erstarken lassen und ihm das Nächerschwert in die Hand ge drückt. Was König Wilhelm's erste Jugend durch einen Napoleon erduldet, wird der Heldengreis wett machen und den Tod der edlen Mutter, das Elend seines Volkes rächen, darauf hoffe ich fest." Draußen auf der Landstraße, die am Parke vorübersührte-, er klang in vollem Männerchor die „Wacht am Rhein." Herr v. Nenn- Dcceuibcr i8<7. dorf verstummte und horchte dem Gesang, der ihn trotz der unge übten Kehlen mächtig ergriff. „Das ist unsere Marseillaise, sagte er nach einer Pause, „die unsere Söhne nach Frankreich hineinführen wird, — ein deutscher Sang, fromm und begeisternd, von ächter Vaterlandsliebe getragen. Es ist doch dafür gesorgt," wandte er sich lebhaft zu seiner Gattin, „daß nufere Euwerufenen alle ohne Aus nahme heute Abend auf meine Kosten im Kruge bcwirthet werden?" „Der Verwalter sorgt dafür," versetzte Frau v. Nenndorf, „doch werde ich selber mich noch einmal danach erkundigen." „Thue das, meine Liebe," nickte der Gutsherr, „ich werde dann spä:er mit Otto hinuntergehcn, um von Allen Abschied zu nehmen und ihren Mnlh anzufachen." Frau v. Renndorf verließ das Zimmer. Schweigend saßen Vater und Sohn einander gegenüber. „Endlich sind wir'allein," begann ersterer nach einer Weile; „ich habe Dir noch eine Mittheilung zu machen, mein Sohn, bei welcher die Mutter überflüssig ist. Diese Mittheilung betrifft eine Familien geschichte, die ich bis auf diese oft heiß ersehnte Stunde verschoben habe. Du wirst sie wie em heiliges Geheimniß in Deiner Brust be wahren, das, falls Gott es anders über Dich verhängt haben sollte, mit Dir begraben werden möge." Er schwieg und blickte düster in den dämmernden Abend hinaus, Otto rückte seinen Sessel in gespannter Erwartung näher zu ihm hin. Der Vater schreckte aus seinem Nachsinncn empor. „Ich muß in einer fernen Vergangenheit verweilen," fuhr er leiser als vorhin fort, „diese Erinnerung weckt alle Geister des Hasses und der Rache, der Scham und Erbitterung in meiner Brust, die vielleicht besser auf ewig begraben wäre. Aber ich leistete in die er kaltende Hand eines Sterbenden den Schwur, die That, welche ein frevler an der Ehre unserer Familie begangen, zu rächen, wenn es auch heute vielleicht erst durch die Hand meines Sohnes vollbracht werden kann. Höre mich an und zürne dem Vater nicht, welcher Dir ein Erbe überträgt, das er selber nicht cinzufordern vermochte. „Sechszig Jahre sind es her, als die Franzosen unter Marschall Bernadotte, den Napoleon zu einem Prinzen von Pont Corvo er hoben und die Schweden in demselben Jahre seines Hierseins zu ihrem Thronfolger erwählt hatten, diese Gegend überschwemmten und wie die Heuschrecken hausten. Der General selber war so schlimm nicht, doch mußten die zügellosen Rotten und nahmen also, wo sie es fanden, ohne nur jemals an Bezahlung zu denken, obgleich unser Land für dänisch galt und der König von Dänemark zu Frankreichs Alliirten gehörte." „Bernadotte sandte einen Kapitain voraus, der mit seiner Mann schaft die Ostseeküste bewachen sollte. Er war ein schlimmer Geselle, , jähzornig, brutal, kein Besitzthum achtend, selbst das heiligste nicht. Als er dieses Gut betrat, wo er sein Quartier nehmen wollte, betrug er sich wie ein Barbar. Nichts stand ihm an, die kostbarsten Dinge zertrümmerte er in einer wahren Zcrstörungswnth. Die Zimmer waren ihm nicht elegant genng, die Weine zu schlecht, die Speisen wurden dnrch's Fenster den Hunden vorgeworfen. Noch sehe ich diese Schreckensscene lebendig vor mir, obgleich ich damals erst sieben Jahre zählte, sehe den Vater, wie er im ohnmächtigen Grimme die Hände ballte und seine Todesangst um die Mutter, welche zitternd an der Wiege meines Schwesterchens saß und sich nicht hervorwagte." „Jetzt forderte der Wntherich ein anderes Schlafzimmer, obgleich er das beste im Hause erhalten hatte. Er rüttelte an die verschlossene Thür, hinter welcher meine Mutter in tödtlicher Angst harrte, u»d befahl, daß augenblicklich geöffnet werde." „„Dies ist das Schlafzimmer meiner Frau,"" sprach mein Vater, sich gewaltsam beherrschend." „„Ihrer Fran?"" lachte der Kapitain höhnisch, „„ah, dann nehme ich es sogleich in Beschlag. Oesfnen Sie augenblicklich!" „„Nimmermehr,"" erwiderte mein Vater, sich cmschlvsscn vor die Thür stellend." „Niemals werde ich den Ausdruck seines todtenbleichen Gesichts vergessen, der das Aeußerste befürchten ließ. Der Kapitain schäumte vor Wuth, er zog den Degen und Hütte den Vater sicherlich durch bohrt, wenn ich mich nicht in demselben Augenblick laut schreiend vor ihn geworfen hätte, als könnte ich ihn mit meinen schwachen Händen beschützen." „Da öffnete sich plötzlich die Thür, meine Mutter erschien auf der Schwelle." Herr v. Renndorf schwieg einige Minuten, die Erzählung schien ihn sichtlich anzustrengen. „Du hast mich oft gefragt, fuhr er aufathmend fort, warum von Deiner Großmutter kein einziges Bild existirt. Du wirst in dem Folgenden den Grund davon erfahren, Deine Großmutter war eine sehr' schöne Frau, mein Vater liebte sie abgöttisch, sie war sein ganzes Glück. Von ihrem Charakter mag ia) Dir kein Bild entwerfen, die Thatsachen mögen reden, es erfordert meine ganze Kraft, sie Dir mitzutheilen, laß mich deßhalb kurz fein, — der Name der Mutter ist so süß, so heilig, daß es mein Herz zerreißt, ihn vor dem eigenen Sohne zu zertreten." „Als der Franzose meine Mutter erblickte, war sein ganzes Wesen wie umgewandelt, galant und schmeichlerisch nahte er sich ihr und bat sie um Verzeihung, so ungestüm gewesen zu sein. Ich war darüber erfreut und wunderte mich nicht wenig, als ich meinen Vater noch bleicher und finsterer werden sah." „Wasspätervorgefallcn, kann ich Nichtwissen, genug, daß meine Eltern oft entzweit waren, wie ich wohl merkte, und der Franzose den Herrn im Hause spielte. Nach sechs oder acht Wochen mußte er aufbrecheii, um dem Marschall Bernadotte Platz zu machen, es hieß, er ginge nach Frankreich zurück, mit ihm waren Deine Großmutter und das Schwesterchen verschwunden." Die letzten Worte konnte Otto mehr ahnen als verstehen, so leise bebten sie von des Vaters Lippe». Dieser sank, wie erf öpft i» seine» Sessel zurück und starrte wieddr wie abwesend in «de» Abend hinaus. (Fortsetzung folgt.)