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Wien, 26. Juni. Die „Pol. Correspondenz" meldet aus Bu karest vom 26. d. Die Nüssen besetzten Hirsowa, wie es scheint kampf los, nachdem die Türken es schleunigst geräumt haben sollen. Heute bei Tagesanbruch auf der ganzen Donaulinie furchtbare Kanonade sämmtlicher russischer und rumänischer Batterien. Widdin wurde gestern von rumänischen Batterien, Rustschnk durch russisches Bom bardement an vielen Stellen angezündet. Der russische Kaiser ist heute nach Giurgewo abgereist. Gortschakoff ist mit der diplomatischen Kanzlei hier eingetroffen. Dieselbe Correspondenz meldet ans Galatz, 26. d.: Vom 23. d. bis gestern pasfirten 28,000 Ruffen die Donau bei Braila von hier ununterbrochen. Munition wurde über die Donau geschafft. Die Türken haben die Dobrudscha geräumt und sich auf ihre eigentliche Vertheidigungslinie, den Trajanswall zwischen Tscherna- woda und Küstendsche, die Verlängerung der Donaulinie vor ihrer nördlichen Abzweigung zurückgezogen. Durch eine möglichst hartnäckige Vertheidigung dieser Linie werden sie den ersten Erfolg der Ruffen, der in dem Ucberschrcitcn der Donau, selbst an einem strategisch so wenig günstigen Punkte, wie Braila ist, immerhin zn erblicken ist, zu paralhsiren haben, lieber den in Bälde zu erwartenden Ucbergang des Gros bei Rustschnk und des rechten Flügels zwischen Widdin und der serbischen Grenze verlautet noch nichts Näheres. Petersburg, 26. Juni. Gegenüber verschiedenen pessimistischen Gerüchten, welche neuerdings durch Freunde der Türkei in Umlauf gesetzt worden sind, welche nur darauf abzielen, Zweifel über die guten Beziehungen Rußlands zu den übrigen europäischen Großmächten Hervorrufen, erklärt die „Agcnce Russe", man müsse sich gegenwärtig halten, daß Rußland, bevor es sich zum Kriege entschloß, von an der orientalischen Frage interessirten Mächten befriedigende Zusicherungen erhalten habe. Wie Rußland seine Versprechungen in lokaler Weise erfüllen werde, so sei auch kein Zweifel, daß die Mächte den ihrigen Nachkommen würden. Der europäische Friede erscheine daher als voll kommen gesichert; die Ergebnisse des orientalischen Krieges sind weit davon entfernt, den Frieden zu gefährden, würden vielmehr zur Kon- solidirung desselben beitragen. In Constantinopel ist der Befehlshaber des durch russische Torpedos vernichteten Dampfers Seifi vom Kriegsgerichte zum Tode verurtheilt worden. Die Minister in England haben nach langer ernsterBerathung beschlossen, vom Parlament einen Credit von 2 Millionen Pfund Sterling zu verlangen — „für alle Eventualitäten" oder Ereignisse, d. h. zu Rüstungen. Tie Zeitungen, Frau Times voran, finden des halb die Stimmung sehr unbehaglich. Oertliches und Sächsisches. Die seit Kurzem in Dresden dem Betriebe übergebene Garni sondampfwaschanstalt bewährt sich ganz vorzüglich. Sie wäscht, trocknet und rollt die gesammte Monatsgarnisonwäsche im Gewicht von 500 Centncrn (ca. 7000 Betttücher und 28,000 Handtücher) in Zeit von nur t2 Tagen, die übrigen 14 Arbeitstage im Monat werden für das Waschen, Trocknen und Rollen der Leibwäsche sämmtlicher in Dresden garnisirenden Truppen verwendet. Anfangs jeder Woche wird von den einzelnen Parteien die schmutzige Wäsche abgeliefert und am Sonntag dieselbe gewaschen, getrocknet und gerollt wieder abgeholt. Diese Einrichtung, daß den Truppen die Leibwäsche ge waschen wird, existirt noch bei keinem andern deutschen Armeecorps und verdient daher immerhin einige Beachtung, zumal die Soldaten jetzt allwöchentlich am Waschgeld sparen. Während sie bisher bei den in die Kaserne kommenden Waschfrauen für ein Hemd und ein Untcrbcinklcid je IO Pfennige Waschgeld zahlten, erhalten sie jetzt ersteres für 2, letztere für 3 Pfennige gewaschen, getrocknet und ge rollt, und zwar in einer Weise, die nichts zu wünschen übrig läßt. Vom 18. bis 22. dieses Monats sand eine abermalige Aus- loosung kgl. sächs. Staatspapicre statt, von welcher die 4"/» vereinigte Anleihe von den Jahren 1852/68, die 5"/» Anleihe vom Jahre 1867, die 4"/«, Anleihe vom Jahre 1869, die 4"/« Anleihe von 1870, die Z'/s"/» und 40/» Löbau-Zittauer Eisenbahnaktienschuld, ferner die 3'/z"/» Anleihen von den Jahren 1839/41, die 4"/o Anleihe vom Jahre 1854, die 4"/« Anleihe vom Jahre 1860 und die 4^ und 5"/« Anleihe vom Jahre 1866 der vormaligen Leipzig-Dresdner Eisenbahncompagnic betroffen werden. Die Inhaber von Papieren dieser Anleihen werden hierauf noch besonders mit dem Hinzufügen aufmerksam gemacht, daß die Listen der gezogenen Nummern in der Leipziger Zeitung, dem Dresdner Journal und dem Dresdner An zeiger veröffentlicht, auch bei sämmtlichen Bezirkssteuereinnahmcn und Gemeindevorstandeu des Landes zu Jedermanns Einsicht ausgelegt werden. — Mit diesen Listen werden zugleich die in früheren Terminen ausgeloostcn, aber noch nicht abgehobenen Nummern wieder aufge- rufcn, deren große Zahl leider beweist, wie viele Interessenten zu ihrem Schaden die Auslassungen übersehen. Es können dieselben nicht genug davor gewarnt werden, sich nickt dem Jrrthume hinzu geben, daß, so lange sie Coupons haben und diese unbeanstandet ein gelöst werden, ihr Kapital ungekündigt sei. Die Staatskassen können eine Prüfung der ihnen zur Zahlung präsentirten Coupons nicht vor nehmen und lösen jeden echten Coupon ein. Da nun aber eine Ver zinsung ausgelooster Kapitale über deren Fälligkeitstermin hinaus in keinem Falte stattfindct, werden die von den Vethciligten in Folge Unkenntniß der Auslassung zuviel erhobenen Coupons seiner Zeit am Kapitale gekürzt, vor welchem oft empfindlichen Nach- theile sich die Inhaber von Staatspapieren nur durch regelmäßige Einsicht der Ziehungslisten (der gezogenen wie der restircnden Nummern) schützen können. Meißen. Von Gewissensangst getrieben, hat sich in diesen Tagen ein junger Böttchergcselle aus ^Greifswalde bei hiesiger Sladtpolizei- behörde gemeldet und sich als den vorsätzlichen Urheber eines Brandes, der vor 3 Jahren seines Lehrmeisters Wohnhaus und Werkstatt da selbst in Asche gelegt, bezeichnet. Wegen einer früheren Brandstiftung hat derselbe bereits eine zweijährige Zuchthausstrafe erlitten, ist auch wegen des zweiten Falles in Untersuchung gewesen, jedoch infolge Leugnens freigesprochen worden. Waldheim. Am Svätabende des vorigen Sonntags ist auf dem Communicationswege zwischen Kriebstein und Höfchen ein Mädchen, welches in Begleitung einer jüngeren Gefährtin, einen Kinderwagen mit darin gebettetem Kinde gefahren hat, von einem unbekannten Manne unter dem Ausrufe „'s Geld her!" angepackt m d auf ihre Weigerung mit einem Messer in den Rücken gestochen worden. Den beiden Mädchen ist es gelungen, unter Zurücklassung deS Magens, zu entfliehen. Bald nachher haben Leute aus Höfchen den Wagen mit dem Kinde «»getroffen und heimgebracht. Der Räuber scheint durch die Annäherung von Männern aus der Umgegend verscheucht worden zu sein. Derselbe, ein Mann in jüngeren Jahren, von mittler Größe und starker untersetzter Statur, mit länglichem blassen Gesicht, großen Augen, hat dunkles Schnurrbärtchen getragen, ist mit dunklem kurzen Rocke (Jaquet), dunkler Weste mit Vorhemdchen und Shlips, dunklen Hosen und schwarzem breitkrämpigen Filzhnte bekleidet ge wesen, hat den Eindruck eines Städters gemacht. Er soll bereits vor 14 Tagen in Kriebstein gesehen worden sein. In Elsterwerda wird der „Sängerbund des Meißner Landes" sein großes Gausängcrsest am 8. Juli abhalten. Der Bund besteht aus 18 Einzelvereinen mit etwa 500 Sängern, umfaßt die Städte Meißen, Großenhain, Riesa, Oschatz, Wilsdruff und Elsterwerda und schließt sehr tüchtige Gesangeskräste in sich, die zum Theil schon in weiteren Kreisen verdiente Anerkennung gefunden haben. Das Haus des Unfriedens. Erzählung von Ludwig Habicht. ' (Fortsetzung.) „Frau Jordan hat sich stets, wie der ganzen Dienerschaft bekannt war, sorgfältig eingeschlossen. Wie hätte mein Mann wissen sollen, daß sie es in jener Nacht unterlassen, und darauf den Mordanfall unternehmen können? Ferdinand ist um Mitternacht nach Hause ge kommen; ich hatte noch Licht; denn ich war sehr krank, und die Wärterin war bei mir. Seine Kleider, seine Wäsche waren so rein wie immer. Vernehmen Sie die alte Frau; sie wird es ebenfalls be kunde. Frau Jordan ging gewöhnlich sehr spät schlafen, wie ich von meinem Mann weiß; wie hätte Ferdinand in der kurzen Zeit die Blutthat aussührcn und sich umkleiden und waschen können, da er schon um zwölf Uhr bei mir erschien? — Ach, und was hätte ihn überhaupt bestimmen sollen, an seine Herrin Hand anzulegen, die ihm iHv volles Vertrauen schenkte, und ihm die beste, einträglichste Stellung gegeben halte. Kann nicht ein Hausbewohner das Messer in der Absicht gestohlen haben, um den Mord zu begehen und dann die Schuld auf meinen Mann zu wälzen? Würde sonst ein Mörder seine Waffe wegwerfen, die den stärksten Beweis gegen ihn liefern müßte?" Die junge Frau hatte mit großem Eifer gesprochen, und ihre Augen leuchteten seltsam. Der Scharfsinn und die Beredtsamkeit, mit der sie alle Beweisgründe für die Unschuld ihres Mannes hcrvorge- sucht und beleuchtet, hätten einem juristisch geschulten Vertheidiger Ehre gemacht, und der Gerichtsrath konnte kaum ein Lächeln unter drücken. Und merkwürdig! — Er mußte derblassen, jungen Frau in Allem Recht geben. Je ruhiger und unbefangener er über die ganze Sache nachdachte, je mehr wuchs seine Ueberzeugung, daß in Ferdinand Grohmann wirklich nicht der wahre Schuldige gefunden worden. Das Zeugniß von Fräulein Werner sollte vollends die Entscheidung geben. Sie war augenblicklich der Vorladung gefolgt, zeigte sich Anfangs zwar sehr bestürzt, fand aber bald ihre Fassung wieder und bestätigte die Angaben von Frau Grohmann, die inzwischen in ein anderes Zimmer abtreten mußte, vollständig. Emma hatte um die Vergünstigung gebeten, so lange im Gerichts gebäude bleiben zu dürfen, um sofort das Resultat der Aussage zn erfahren. Eine Viertelstunde später stand sie wieder mit unruhig fragenden Blicken vor dem Gerichtsrath. „Fraulein Werner hat sich der Angelegenheit noch zu erinnern gewußt,'/ sagte der alte Herr freundlich. „Und werden Sie nun glauben, daß Ferdinand unschuldig ist?" „Das Collegium wird noch heut über diese Sache einen Beschluß fassen, und ich hoffe wohl, daß er für Ihren Mann günstig ausfallcn, und seine sofortige Freilassung erfolgen wird." Die Kniee der jungen Frau schwankten, Thränen entstürzten ihren Augen; sie wollte sprechen und konnte cs nicht, und, wie von einer mächtigen Empfindung forlgeriffen, eilte sie plötzlich auf den Gerichts rath zu, ergriff seine Rechte, preßte sie an ihre Lippen und stammelte: „Haben Sie Dank! O Gott, wie danke ich Ihnen!" Noch ein an's Licht tretender Umstand sollte ganz und gar die Unschuld Ferdinand Grohmanns beweisen. Bisher hatte man angenommen, daß nur ein einfacher Mord vor liege, und die That von Leuten geschehen sei, denen Frau Jordan im Wege stand. Bei der nahen Verwandtschaft des Bedienten mit dem Schlosser- meister Jordan war wohl die Annahme berechtigt, daß Groh mann im Auftrage, vielleicht im Bunde mit August Jordan ge handelt habe. In dem geheimen Geldschrank der Fran Jordan hatte anscheinend Nichts gefehlt; aber es fand sich jetzt ein Maurermeister ein, welcher bekundete, daß er zwei Tage vor ihrer Ermordung an die Wiltwe eine Hypothek von 10,000 Thlr. zurückgezahlt habe, und zwar in Gold, das er von seinem Bankier erhalten hatte. Diese Summe war nicht mehr vorhanden. Sie mußte also gestohlen worden sein, und nun erinnerte man sich des Schlüssels, der seltsam genng nicht mit Blut befleckt gewesen, obwohl er an dcin mit Wunden und Blut bedeckten Haise der Ermordeten gehangen. War nicht somit die Vcrmuthung gerechtfertigt, daß hier ein Raubmord vorlag, und der Mörder, nachdem er sein Opfer getödtct, sich des Schlöffels bemächtigt, den Geldschrank gerade um dies Geld erleichtert, das am besten sortzubringen war, und dann den Schlüssel wieder um den Hals der Todten gebunden halte? — War dies aber der Fall, dann konnte Grohmann nicht die That ausgesührt haben; denn dies Alles erforderte eine längere Zeit, die Ferdinand unmöglich gehabt hatte, da er schon um Mitternacht zu seiner Frau geeilt während Frau Jordan erst um eilf Uhr zu Bett gegangen war. Das alte Schloß an dem geheimen Geldschrank halte eine so cigenthümliche Construction, daß mehrere Minuten dazu gehörten, um es zu öffnen; dann mußten noch eine Menge Riegel zurückgeschoben werden, und der Raubmördre hatte ja den Inhalt so sorgfältig ge mustert und sich nur die für ihn passendste Summe ausgesucht. Das sorgfältige Verschließen des Schrankes, das Umhängen des Schlüssels um den Hals der Todten erforderte eben so viel Zeit wie Neberlegung.