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Wilsdruff, 9. Januar. Wir erinnern an dieser Stelle nochmals alle Wahlberechtigte an die morgen Mittwoch von Vormittags 10 bis Abends 6 Uhr statt- findendc Abgabe der Stimmzettel zur Wahl eines Reichstagsab- gcordneten. Mag die Betheiligung eine recht lebhafte werden. Noch erinnern wir daran, daß die Stimmzettel persönlich abgegeben werden müssen und zwar im Rathssessionszimmer. — Wir können nicht umhin, die passiven Mitglieder der Lie dertafel im Voraus auf das nächsten Freitag stattfindende Concert aufmerksam zu machen und auf die in heutiger Nummer befindliche Einladung zu verweisen. Die Dichtung: „Im Walde," welche mit besonderem Fleiße einstndirt worden ist, zu hören, wird für alle Besucher ein Genuß sein, der uns selten geboten werden kann; darum nächsten Freitag alle Liedertäfler ins Concert-Kränzchen. — Am Sonntag Abend in der achten Stunde wurden die Be wohner unserer Stadt durch Feuerallarm erschreckt, cs brannte im benachbarten Sachsdorf beim Gutsbesitzer Martin; durch schnell her beigeeilte Hülfe wurden die Hauptgebäude des Gutes vom Feuer ver schont und nur zwei Seitengebäude eingcäschert. Brandstiftung wird vermachet und wurde bereits Montag früh ein dort dienender 18- jähriger Bursche verhaftet und ans hiesige Gcrichtsamt eingeliefert. Zur bevorstehenden Neichstagswahl. Werfen wir zunächst einen prüfenden Blick auf die socialen Zu stände unserer Zeit, so finden wir, daß dieselben in unserem lieben deutschen Vaterlande und insbesondere auch in unserem schönen engeren Vaterlande, Sachsen, zwar auch nicht gesund und zufriedenstellend zu nennen, doch aber keineswegs so besorgniß- und schrcckenerregend sind, wie sie von ängstlichen und verirrten Gemüthern, insbesondere aber von kleinlichen, einseitigen und verderblichen Particularisten dargestellt zu werden pflegen. Der Umsicht einer starken, zeitgemäßen, mit sittlicher Willenskraft ausgestatteten Negierung wird cs sicher gelingen, durch Heilung und Läuterung der Parteikämpfe und durch Beseitigung der schädlichen Ein flüsse von Außen den erkrankten deutschen Volksgeist wieder zu heilen und in richtige Bahnen zu lenken. Unsere mißlichen socialen Verhältnisse beruhen weniger in ma teriellen sondern hauptsächlich in moralischen Schäden oder in zu ein seitiger Entwicklung der Volkswohlfahrt und Volksfreiheit, mit einem Worte in falscher Volkserziehung. Denn wie konnte cs kommen, daß ein so gesundes, thatkräftig aufstrebendes und dabei friedliebendes Volk, wie das deutsche, die ihm nach jeder Richtung gewährten Frei heiten und den wahren Werth derselben nicht richtig begriff und die Grundlage derselben, welche in dem Gemüthe, dem Gesetze, der Ord nung und der Tugend beruht, nicht recht zu erkennen vermochte? Wie konnte es kommen, daß viele der socialdemokratischen Irrlehren bei einem solchen Volke nur irgend welches Gehör finden konnten? Jeden Menschen, der nur noch ein Fünkchen sittliches Gefühl in sich trägt, muß es empören, muß cs die Zorn- und Schamröthe ins Ge sicht treiben, wenn man die Ansichten dieser angeblichen Volksbeglücker über Ehe, Religion, Eigenthum rc. liest oder hört. In einem socialdcmokratischen Staate ist die Ehe jederzeit wieder auslösbar, oder, wie sie die Herren zu benennen lieben, eine moralische; weder durch den Staat noch durch den Geistlichen — die Geistlichkeit ist ihnen ganz entbehrlich — kann dieselbe zu einem festen Bande geknüpft werden. Die Ehe wird nur auf so lange geschlossen, als die Liebe anhält, d. h. auf Zeit. Also Mann und Weib laufen zusammen, wenn sie Liebe zu empfinden scheinen, wenn es ihnen beliebt, und ausei nander, auch wenn es ihnen beliebt. Um die Erziehung und Erhal tung der Kinder haben sich die Eltern nicht zu bekümmern, dazu ist der Staat verpflichtet. Dadurch wäre die Familie, der köstlichste Schatz der Menschheit, die sittliche Grundlage eines geordneten Staats wesens, vernichtet und die Liebe und die Treue, die Königinnen un seres Herzens, welche hauptsächlich aus dem Familienleben ihre Nahrung finden, müßten schwinden. Haß und Zwietracht würden ihre Stellen einnehmen. Ferner soll in einem socialdemokratischen Staate alles Eigenthum aufhören. Jeder darf nur so viel verdienen und be halten, was er braucht. Nur der Staat ist Eigenthümer und nur der Staat hat in der Hauptsache für Beschäftigung zu sorgen. Nun, wie wird es aber dann, wenn der Staat nicht die Mittel und das Geschick besitzt, dafür zu sorgen? Dann müßte eine allgemeine Hungersnoth eintreten. Denn einen Sparpfennig, um sich zu erhalten und andere zu unterstützen, gäbe es nicht mehr. Was für ein Heer von Beamten, Aufseher rc. müßten ferner von einem socialdemokratischen Staate an gestellt werden und was für Zuchtmiltel würden angewendet werden müssen, um die Leute, welche dann blos für sich zu sorgen hätten und aher träge und nachlässig werden würden, zur Arbeit zu zwingen; Faeit: Aus unserem herrlichen, freien, deutschen Staate würde ein Sclavenstaat werden; die Knute würde regieren. Darum ihr Wähler laßt euch von solchen schlüpfrigen, glatten Reden und Schriften nicht bethören und gebe in unserem Bezirke, wo stets noch ein gesunder Sinn geherrscht hat, bei der bevorstehenden Reichstagswahl Jeder seine Stimme Herrn Finanzprocurator Hofrath in Dresden, einem Manne von Charakterfestigkeit und Wahrheitsliebe, einem Manne, der die gewerblichen und land- wirthschaftlichen Interessen sowie die vorhandenen Mängel der Ge werbe- und der anderen neueren Gesetzgebung kennt, einem Manne der dem richtigen besonnen Fortschritt huldigt. — Die ganzen Ju- mmgen in Dresden sind zusammen getreten und haben in den Dres dener Nachrichten einen Aufruf erlassen, unter den jetzt gegebenen Verhältnissen nur Männer zu wählen, wie rc., die bisher sür ihre Interessen warm eingetrcten sind und für ihre ge rechten Wünsche Verständniß und Einsicht haben. Also geben wir am 10. Januar alle unsre Stimmen Kenn JinanzprocuraLor KosraLH Hekel-mann in Dresden! Ein Wähler. Zur Neichstugswahl. Die Justizgesetze des Reichs sind durch Compromiß der National- liberalen zu Stande gekommen und das Recht des deutschen Volkes ist dadurch auf ein Menschenalter hinaus schwer geschädigt. Ein nationalliberales Blatt schreibt darüber: „Ein Gefühl tiefster Beschämung mußte alle ehrlichen liberalen Deutschen überkommen, als sie von jenem Beschluß der nationalliberalen Partei vernahmen, durch welche das Schicksal der Justizgesetze nunmehr gesichert ist. Das Feilschen halte Erfolg, wenngleich das Geschäft, welches wir gemacht haben, herzlich schlecht ist." Ist schon durch diese Acußerung der Werth jener Paragraphen hinreichend gekennzeichnet, so dürfte dies aber Jedermann noch da durch unzweifelhaft werden, daß der Vertreter der conservativen Partei, der NeichStagsabgeordncte v. Schöning, ein pommerscher Landrath und alter Conservativer von der Art der Landrathskammer unter Manteuffel-Westfalen sagte: „Die Vorschläge, welche uns gemacht werden, bewegen sich in allen wesentlichen Punkten auf dem Boden, auf dem die conservative Partei steht, und ich constatire mit voller Befriedigung die Thalsache, daß die Compromißanträge auf dem Boden geschlossen sind, den wir einnehmen." Solche unbedingte Anerkennung von stockconservativer Seite hat die nationalliberalc Partei noch niemals geerntet, und das deutsche Volk wird hieraus wohl erkennen, daß diese Partei aufgehört hat, sür den Ausbau des Reichs im liberalen Sinne zu kämpfen und daß es Zeit, die höchste Zeit wird, Mitglieder dem Reichstage in diejenige Fraction, welche unverbrüchlick für die freiheitliche Entwickelung des Reichs bemüht und besorgt ist, der Fortschrittspartei, zuzuführen. Der 6. Wahlkreis war in den letzten Perioden, obgleich derselbe in seiner großen Mehrheit liberal gesinnt ist, durch einen Conserva tiven, Herrn Hofrath Ackermann, vertreten und auch dieser hat, wie wohl von ihm kaum anders zu erwarten, für diesen wesentlichen Rück schritt im Justizwesen gestimmt. Drum Wähler, die Ihr den organischen Ausbau der Neichsvcr- fassung im freiheitlichen Sinne erstrebt, wählt für die nächste Legis- latur-Periode keinen Conservativen. Vermischtes. Es ist doch noch nicht alle Romantik aus der Welt verschwunden! Vor etwa 3 Monaten half ein junger Mann einem schönen Mädchen aus der Verlegenheit, als dieses an einem Pvstschalter Berlins einen aufgegebencn Brief bezahlen wollte und dabei den Verlust ihres Porte monnaies bemerkte. Nach wenigen dabei gewechselten Worten erklärte die junge Dame in sichtlicher Angst, sie stehe im Begriff, in ihre Hei- malh nach Hamburg abznreisen, wisse aber nunmehr nicht, was sie anfangen solle, weil das verlorene Portemonnaie ihre ganze Baar schaft enthalten habe. Der junge Mann stutzte anfangs einige Au genblicke, dann ließ cr sich durch das liebliche Gesichtbestimmen, auch noch das nöthige Reisegeld vorzuschicßen. „Ich bin ein armer Teufel," sagte er mit einem gewissen Galgenhumor zu ihr, „hier ist meine Karte und schicken Sie mir bald das Geld zurück, sonst muß ich mein Letztes versetzen." Das Mädchen reichte ihm dankbar die Hand und beide trennten sich. Tage und Wochen vergingen ohne Nachricht; schon fing der edle Helfer in der Noth an, sich über seinen Verlust zu trösten, da kamen endlich Geld, eine Photographie des Mädchens und ein Briefchen, worin sie schrieb: „Sehen Sie mich noch einmal genau an, gefalle ich Ihnen, so reichen Sie mir die Hand für's Leben. Sie haben mir auf mein redliches Gesicht Ihre letzten paar Thaler gegeben; ich war damals so arm wie Sie, jetzt bin ich reich, denn ich habe in der Braunschweiger Lotterie ein nettes Sümmchen ge wonnen, das ich mit dem liebenswürdigen „armen Leusel" gerne thcilen will." — Der also Ueberraschte packte über Hals und Kopf seine Sachen zur Reise nach Hamburg und ist jetzt glücklicher Ehe mann, auch Besitzer eines schönen Hauses in Berlin, nicht weit von der Poststelle, wo er das Herz seiner Frau gewonnen hatte. Winter Fahrplan Abfahrt von Wilsdruff, Dresdner Straße daselbst. Abfahrt von Dresden, Gasthaus zum Sachs. Hof, Breitestr. Nr. 2. Omnibus-Fahrplan zwischen Wilsdruff, Kesselsdorf und Dresden, vom 1. October 1876 an. VäAliel» früh 6V2 Uhr u. Nachm. 3 Uhr. Tourbillet früh nach Dresden und Abends von Dresden L Billet 80 Pfge. früh 7 Uhr und Nachm. 4 Uhr. Tourbillet früh von Dresden und Nachm. nach Dresden L Billet 1 Mark. 4t. Herrmann. Wochenmarkt zu Wilsdruff am 5. Januar. Eine Kanne Butter kostete 1 Mark 80 Pf. bis 2 Mark — Pf. Ferkel wurden eingebracht 76 Stück und verkauft u Paar 15 Mark —- bis 36 Mark —.