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auS einem Himbeerbusch des rechten Nachbargartens dicht an ihrem Zaun vernommen. Ihr Vater hatte den letzteren so hoch machen lassen, daß sie nicht an's Hinüberklettern dachte, zumal ihr die Kletter lust ja längst vergangen. Hinüberschicken mochte sie auch nicht, über haupt kein Gerede davon machen, sondern sie wollte sich beim Bau auf den Nachbarhof und dann in den Garten schleichen und die Weiß bunte, deren Nest sie nun kannte, selbst holen. Es war jedoch Jemand im Garten nebenan, also schlüpfte sie jetzt schnell wieder zurück. In der Eckstube erbrach ihr Vater das Schreiben. „Lies Du," sagte er nach einem flüchtigen Blick in dasselbe mit seltsam unsicherer Stimme. „Muß mir eine Brille anschaffen — vor meinen Augen schimmert und flimmert Alles." Else las: „Nach eingehender Prüfung Ihrer Gesuche und Vorstellungen vom 5. März, 24. März, 3. April und 12. April finde ich, wie ich Ihnen im Verfolg meines Ihnen durch die König!. Regierung zu ... mitgetheilten Erlasses vom l. März d. I. eröffne, keine Veranlassung, die Feststellung der zuständigen Behörde in irgend einer Weise zu än dern, resp. zu rectificiren. „Der genannten König!. Regierung vermag ich vielmehr nur darin beizutreten, daß ihre Entscheidung, ungeachtet des augenblick lichen Mehraufwandes an Geld, wie einiger Unzuträglichkeiten, dem dauernden Interesse der Gemeinde wie des Einzelnen besser und för derlicher ist, als das von Ihnen gewünschte Beharren bei dem frühern Bestände. Die von Ihnen vorgebrachten Einwendungen erscheinen nicht von solcher Erheblichkeit, um die Ausführung zu verhindern oder rückgängig zu machen; etwaige augenblickliche Unbequemlichkeiten, wie sie sich bei derartigen Regulirungen fast immer einstellen, lassen sich durch einsichtiges Entgegenkommen der Betheiligten untereinander abstellen. Die Beseitigung des im Wege befindlichen Baumes aber muß erfolgen, wenn die Polizeibehörde sie für erforderlich hält. „Ich vertraue daher, daß Sie sich mit diesem endgiltigen Be scheide beruhigen uud nicht ferner an mich sowohl, wie an das Kö nigliche Staatsministenum, zu dessen Ressort dergleichen Angelegen heiten nicht gehören, die es also mir überweist, unnütze Vorstellungen richten werden. Der Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Angelegenheiten. Im Auftrage: L." „So ist's denn nun entschieden!" sagte der Schulze. „Und wie es von Anfang an Jeder sich an den fünf Fingern abzählen könnt'. Der gnädige Herr hat für seine große Anstrengung und Verdienstlich keit beim Brande einen Orden bekommen und sitzt, wie jeder Landrath in der Kammer, immer aus der Seite, die mit der Regierung ganz und gar msricden Ist. Und dann, was sollte daraus werden, wenn die Behörden aus eine Beschwerde immer gleich Unrecht kriegten? Das müßte ja allen Respekt untergraben! Der Respekt aber muß erhalten werden — giebt's doch so genug Superkluge und Unzufriedene in der Welt, die vor nichts mehr welchen haben. Adjes:" Nur Else gab dem Schulzen mechanisch das Geleite. „Nchmt's Euch nicht so zu Herzen, Vater," bat sic dann. „Habt ja sonst Alles so tüchtig getragen — selbst den Tod der Mutter und der Brüder. Ist erst das Haus fertig, dann seht Ihr gar nicht mehr nach der Gaffe und der Scheune hin. Und der Hauptärger mit dem Menschen hört ja auf, sobald der Bau fertig ist." Er antwortete nicht, saß regungslos, rauchte nicht einmal mehr. Das war so ganz gegen seine sonstige Weise, das es sie um so mehr bekümmerte. Die Großmutter war aus ihrer gewöhnlichen Gleichgiltigkeit auf- gerüttelt, oder vielmehr, es wurde jetzt sichtbar, daß sie in dieselbe nur versunken, weil ein Gedanke ausschließlich ihren allen Kopf er füllte. Obgleich sie nicht Alles verstand bei ihrer Schwerhörigkeit — sie wußte, wie der Entscheid des Ministers lautete, sah es ja aus ihres Sohnes Wesen. Mit fieberhafter Lebhaftigkeit richtete sie sich auf. „Ja, ja, unnütze Vorstellungen — ich habe das gleich gesagt. Bist du Gottes Sohn, so hilf dir selbst, verstanden? War nicht gut und klug, daß Du nur einen Stein auf Deinen Grund bringen ließest, hättest Dich gleich widersetzen sollen — aus allen Kräften; Gewalt ist nur mit Gewalt zu vertreiben! Wovor bist Du denn ein Mann, Christian? Den Kopf hängen lassen und zu Kreuze krieche», wie eine Dirne, die Kirchenbuße thun muß? Geh — geh, da hättest Du nichts von Deinem seligen Vater und von Deiner Mutter, die, «ill'S Gott, bald bei ihm ist. Wer sich sür'n Ochsen ausgiebt, muß sür'n Ochsen ziehen — so ist's überall in der Welt und bei den hohen Herren erst recht." „Hm, hm — habt Recht, Mutter! — Aber wollen's uns beschlafen. Bin sehr müde und guter Nath kommt über Nacht." Sie nickte hinter ihm d'rein. „Ja, ja, die Nacht ist keines Menschen Freund, aber manchmal doch wozu nütze. Wollen sehen, wollen's probiren, Kinder. Die alte Großmutter ist doch noch zu 'was gut." Ihre Worte waren unverständlich geworden; ohne Widerstreben, mit belebtem Blick vor sich hinnickend, wie mit etwas sehr Angenehmen beschäftigt, lieb sie sich von Else entkleiden. Trotz der vorgeschützten Müdigkeit — Ruhe sand Pärsch nicht. Je weniger er äußerlich ausbrach, um so mehr gährte und wühlte es in ihm; die gewaltthätigsten Vorsätze jagten einander, ohne daß sie ihm recht zum Bewußtsein kamen, eine bestimmte Form annahmen, oder er gar zu einem Entschluß gelangte. Allein es bedurfte nur des geringsten äußern Anstoßes, um einen solchen hervorzurufen. Else klopfte später an seine Thür und bat ihn sehr erregt, zu öffnen, sie habe ihm etwas zu sagen; er verwies sie jedoch kurz auf morgen. Sie behauptete, daß sie ibn sprechen müsse; er blieb indem bei seiner Abweisung. Spät erst oder vielmehr früh, lauge nach Mit ternacht, überkam ihn ein kurzer, wenig erquicklicher Schlaf, aus dem er dann, so fest derselbe war, jäh auffuhr. Durch das Fenster drang ein Heller Schein, der nicht vom anbrechenden Tage herrtthrte. X. Als Else die Großmutter zu Bett gebracht hatte, schlüpfte sie hi naus, durch Lannerls Bau, über seinen Hof in den Garten. Ihre wie seine Leute befanden sich draußen auf der Gasse, den schönen Abend durch Scherzen, Kichern und Schäkern feiernd. Da sie sich die Stelle im Gesträuch gemerkt hatte, beugte sie sich nieder, um vorsichtig nach dem Nest und der darauf sitzenden Henne zu tasten. Plötzlich zog sie die ausgcstreckte Hand zurück. Sie war nicht allein im Garten, Stimmen näherten sich. „Hast Dir doch nicht etwa im Ernst eingebildet, ich werde Dich nehmen?" rief Lannert unwillig. „Meine Frau muß Geld haben, das versteht sich von selber. Untersteh' Dir nicht, mir dazwischen zu kommen. Es ist nicht, wie mit der Else., der Giebels Lümmel im Kopf steckte — sie hat nichts gegen mich; wenn Du ihr aber Mücken in die Ohren setzest —" Die unfreiwillige Zuhörerin wollte sich leise fortschleichen, allein sie konnte cs nicht, ohne bemerkt zu werden; sic kauerte sich also wieder dicht am Gebüsch nieder. Bärbchen hatte ihn schneidend unterbrochen: „Mit ihr habe ich gar nichts zu schaffen, hlos mit Dir, Vetterchen. Ich bilde es mir nicht blos ein, Du nimmst mich wirklich, ich bin deß ganz sicher. Mit feiner Zurückhaltung kommt man bei Dir nicht weit, das sehe ich nun schon ein, kann Dich also nicht weiter hin duseln lassen in —" Heftig fiel er nun seinerseits ein, sic mit Schimpfworten über häufend. Sic ließ sich dadurch nicht stören, nur daß ihr Ton sich verän derte, fast zischend wurde: „hinduseln lassen in der glücklichen Un- wisscnheil über in ei ne Unwissenheit. Rühr' mich nicht an, oder Du spazierst ins Gefängniß, aus dem Du nicht so entlassen wirst, wie der arme Bursche, der unschuldig drin saß." Sie hielt inne, sich an seiner Bestürzung weidend. Elfe horchte auf — nur besorgt, jene würde nicht weiter sprechen. „Was redest Du für Unsinn, Bärbchen?" fragte er nach einer Pause seltsam umgestimmt. „Komm hinein, mir war's, als wenn Manschen schrie." „Laß sie schreien und uns einmal zu Ende kommen." Die Base war stehen geblieben, redete mit der vollen Ueberlegenheit, die den Winter hindurch zuweilen zu Tage getreten. „Ich schleiche — nun ja, liebster Wilhelm. Ich schlich Dir aiso auch in jener Nacht »ach, Du Weißt wohl, argwöhnte, Du hättest eine Zusammenkunft mit der Else, denn wozu gehl sonst ein Mensch um halb 12 Uhr aus dem Hause? Und daß Du Dich nicht schlafen gelegt, hatte ich wohl gemerkt, wie ich überhaupt viel, Alles merke." „Bärbchen, nm Gotleswillen, nicht so laut!" Er wollte sie umarmen, ihr zärtlich, oder vielmehr ängstlich, den Mund ver schließen. Sie wehrte ihn ab. „Noch viel lauter werde ich reden," er eiferte sie sich. „Einbilden — ein armes Mädchen — alt und häßlich —" wiederholte sie seine Worte von vorhin. „Nun es fragt sich, oder konträr, es ist gar keine Frage, wer von uns Belden hier von Glück sagen kann. Ein Mann, der seine Scheune niedcrbrcnnt und die Gehöfte Anderer dazu, ein Mordbrenner will sich wohl noch gar zu gut dünken für mich! Ei, sich doch an!" „Wer kann's mir beweisen?" — suchte er sich aufzuraffen; der erste Schrecken war vorüber. „Ich! Hab' ich nicht gesehen, wie Du das Licht aus der Laterne nahmst — hernach in dem Wirrwarr fiel's den Leuien nicht auf, wo es geblieben. Wie Du barfuß, weil Deine Stiefel knarrten, aus der Hosthür nach der Scheune schlichst? Wiedas erste und zweite Streich holz, weil Deine Hände so zitterten, nicht sangen wollte; wie Du mit dem dritten dann die ganze Schachtel, die Du auseinaudergebrochen haltest, anstccktcst und unter bas Schcunenlhor schobst — auf der Seite, wo das Stroh lag?" Sie fuhr fort, Einzelnheiten aufzuzählen, er faßte sie jedoch am Arm und führte sie aus dem Garten, dessen Thür hinter sich verschließend. Else verharrte noch einige Augenblicke auf den Knien, dann sprang sie empor und mit der Gewandtheit früherer Zeit über den Zaun, der ihr gar nicht hoch erschien, eilte zum Vater. Er wollte sie nicht einlassen und ihm durch die Kammerthür zu- rusen, was sie gehört, konnte sie doch nicht. Die Mägde waren noch auf — wie hatte sich ihre frühere Unbedachtsamkeit in Worten be straft! Zudem konnte der Brandstifter ja auch gewarnt werden, sich mit Bärbchen verabreden, aus Ausflüchte vorbereiten! Rathlos trat sie vor die Hausthür, lauschte nach rechts hinüber, in der unbestimmten Furcht, der Verbrecher machte sich schon aus dem Staube. Da hörte sie die beiden Gieße!, Vater und Sohn, hcimkommen. Sie flog zum Thorweg, den der Knecht eben schließen wollte, ergriff den Nockschooß des älter» Gießcl, als er in sein verwüstetes Haus trat. Betroffen wandte er sich um. „Else, Du? Was giebt's, was ist passirt?" (Fortsetzung folgt.)