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Der Mittelstand und der Nothstand. Auf Befehl des Kaisers soll das preußische Ministerium eine Denkschrift über den Nothstand ausarbeiten; dieselbe wird natürlich auf den Grund der Entstehung dieses Zustandes zurückgehen müssen und womöglich auch auf die Heilmittel Hinweisen, welche den Uebeln eine Schranke setzen können. Indem wir die Hoffnung hegen, daß diese Denkschrift vorur- theilsfrci genug sein wird, um auch die Fehler, welche von Seiten der Regierung gemacht worden sind, offen darzulegen, sprechen wir den Wunsch aus, daß sie sich auch fern halten möge von der Schön färberei, welche jeden Schein der Besserung für baare Münze aus- giebt. Die Ausrede dieser Schönfärber, daß sie damit das Vertrauen zu Handel und Wandel beleben und daS Kapital wieder dem realen Erwerbsleben Zufuhren wollen, ist eine unglückselige. Die Herren Ka pitalisten sind klug genug, sich von solchem Schein nicht sangen zu lassen. Nur die Noth pflegt sich leicht mit Hoffnungen zu trösten und zu täuschen, und solche Vorspiegelungen können leicht dazu verleiten, den letzten Spargroschen der Besitzenden in Unternehmen zu wagen, welchen die Basis des Erfolges, die Konsum-Fähigkeit des großen Mittelstandes fehlt. Wenn wir für den Nothstand den wahren Ausdruck und für das Leiden den richtigen Sitz der Krankheit aufsuchen sollen, so müssen wir sagen: „der Mittelstand ist ruinirt!" Sein erspartes kleines Vermögen ist in die Hände glücklicher Spekulanten gerathen und steckt in großartig geplanten Geschäftsanlagen, die wüste dastehen und unter den Hammer des Auktionators gerathen. Und dabei leidet der Mit telstand noch immer an der Steigerung der Preise aller Lebensmittel, welche mit der Vermehrung des Geldes durch die Milliarden ganz naturgemäß eintrat. Die Theucrung, welche dadurch entsteht, ist noch heutigen Tages die schwerste Wunde unseres Leidens. Wir können nicht billig arbeiten, weil die Lebensmittel hoch im Preise stehen und sind somit ganz außer Staude, mit dem Auslande zu konkurriren. Zu der Noth des Mittelstandes, welche den innern Konsum tief herab drückt, kommt somit noch die Kalamität, daß wir auch für das Aus land nicht beschäftigt werden. Im Publikum hegt man noch vielfach den Jrrthum, daß es im Grunde genommen dem Lande im Ganzen nicht schaden konnte, wenn der Besitz gewechselt habe. „Das Geld ist ja im Lande geblieben! müßte es da nicht für den Wohlstand der Gesammtheit gleich sein, ob der Eine oder der Andere es hat?" In Wahrheit aber ist dies ein schwerer Jrrthum. Eine Million in Einer Hand vereinigt gewährt nur Einer Familie eine große Konsumtionsfähigkeit, während dieselbe Million auf tausend Familien vertheilt Tausende von Konsumenten schafft. Eine Million in Einer Hand bleibt auch in schlechten Zeiten gar nicht im Lande, sondern gehl für fremde Staats-Anleihen, die sichere Zinsen bringen, ins Ausland. Dieselbe Million auf tausend Familien vertheilt, schafft tausend kleine Geschäfte und Unternehmungen, fördert unter Tausenden Arbeit und Thätigkeit und gewährt die schaffende Kraft des Landes, welche die Grundquelle des allgemeinen Wohlstandes ist. Wie aber ist der Mittelstand dazu gekommen, seine erworbenen Ersparnisse den Spekulanten hinzugeben und den eigenen Ruin her beizuführen? Die Antwort auf diese Frage erfordert einen vorurthcilssreicn Rückblick auf die Zustände, welche die unseligen Milliarden geschaffen, um den leidenden Mittelstand freizusprcchen von dem schweren Vor wurf, daß er sein Unglück nur der Selbstsucht und der leidigen Sucht nach schnellem Gewinn zu verdanken habe. Wenn wir auch zugeben, daß nicht Wenige sich haben Hinreißen lasten, von den schwindlerischen Hoffnungen, welche ihnen die Spekulanten vorgespiegelt haben, so darf man doch die Umstände nicht außer Acht lassen, durch welche auch ganz solide und besonnene Familien veranlaßt worden sind, dem gefährlichen Zuge zu folgen: Und hier ist der Punkt, wo die Schuld auf die Negierung fällt. Das Hereinziehen der Milliarden in's Land war an sich ein Fehler. Die Vermehrung des Geldes macht an sich ein Land nicht wohlhabend, sondern verthcuert nur Alles, was man nicht nach Belieben vermehren kann. Dieser Vermehrung des Geldes verdanken wir die Theuerung, die Steigerung der Lebensmittelpreise, der Arbeitslöhne und der Ge hälter, an welchen Uebeln wir noch leiden, und die uns unfähig machen zur Konkurrenz. Aber diesem Uebel hätte noch vorgebeugt werden können, wenn die Regierung sich nur ihres Jrrthums bewußt geworden wäre. — Man hätte sofort sämmtliches Papiergeld abschaffen müssen und namentlich sämmtliche Kasten-Anweisungen der deutschen Staaten. Dies hätte der Ueberfluthung des Geldes und der Theuerung Ein halt gethan. Aber mehr als noch Alles wurde der ganze solide Mit telstand, der seine Ersparnisse in der Bundcsanleihe niedergelegt halte, durch die Kündigung dieser Anleihe genöthigt, ein anderes zinstragendes Papier zu kaufen. Bei der Theuerung wurde es jedem Familien vater zur Pflicht, auch sein Einkommen in demselben Grade zu steigern. Wer ein mäßiges Einkommen hatte, wovon er bis dahin leben konnte, sah sich genöthigt, bei den steigenden Preisen der gewöhnlichsten Le bensbedürfnisse zu einer Anlage des ihm gekündigten Kapitals zu greifen, welche ihm größere Zinsen versprach. So drängte die Re gierung mit der Versäumniß der Beseitigung des Papiergeldes dem Lande die Theuerung auf, und zwang dazu noch durch Kündigung der Anleihen den soliden Besitzer zur Spekulations-Anlage, wo das Kapital zu Grunde gerichtet wurde. Das Leiden des Mittelstandes macht sich nicht direkt so bemerkbar, wie etwa die Arbeitslosigkeit Ler Tagelöhner. Die Arbeiter-Entlas sungen, der Stillstand der Fabriken läßt sich ziemlich genau in Zahlen feststellen. Wie sich der Mittelstand einschränkt, das weiß man nur im stillen Familienkreis; aben diese Einschränkung ist die Quelle des jetzigen Zustandes. Nnr wenn man den Mittelstand konsumfähiger machen kann, nur dann wird der natürliche Zustand wieder zum Wohl Aller eiutreten. (Volkszeitung.) DageSgefchichte. Wilsdruff. Zur würdigen Feier des auf nächsten Donnerstag fallenden Geburtstages unseres Kaisers werden überall im deutschen Baterlande Anstalten getroffen; auch hier wird man nicht zurückstehen, denn wie aus einem Inserat in heutiger Nr. unseres Blattes zu er sehen ist, wird im Gasthof zum weißen Adler Abends 6 Uhr ein Diner zu Ehren des Tages stattfinden, zu welchem eine recht lebhafte Betheiligung erwünscht ist. Im gedachten Gasthofe liegt eine Liste zur Eiulragung des Namens aus. Meißeu, 14. März. Der vormalige Stadtrath Heinrich Otto Franke aus Großenhain wurde heute wegen Unterschlagung und Urkundenfälschung zu 5 Jahren Gesängniß und fünfjährigem Verluste der bürgerlichen Ehrenrechte verurtheilt. Der Reichstag wird den Geburtstag des Kaisers durch ein Festmahl im englischen Hause begehen. Heute Montag soll im Reichstage die erste Lesung des Gesetzes betreffend den Sitz des Reichsgerichts stattfinden. Eine nicht un erhebliche Anzahl von Mitgliedern des Reichstags machen ihre end« giltige Abstimmung von der betreffenden Erklärung der sächsischen Bevollmächtigten abhängig. Falls dieselben Namens der sächsischen Regierung erklären, daß dieselbe auf ihren höchsten Gerichtshof Ver zicht leiste, werden die noch unschlüssigen Abgeordneten für Leipzig voliren. Die an einigen Stellen kursirende Nachricht, als ob die preußische Negierung, sür den Fall, daß der Reichstag sich für Leipzig entscheidet, beabsichtige alsdann ihr Obertribuual beizubehalten, wird stark bezweifelt. Soll wohl nur ein Schreckschuß sein! Die militärischen Vorbereitungen der Türkei gehen trotz der diplomatischen Verhandlungen unausgesetzt weiter. Von dem türkischen Donauufer berichtet der „Nat.-Ztg." ein Korrespondent unter dem 7. März: Die Maßnahmen, welche die Kriegsverwaltung in Stambul trifft, lasten kaum einen Zweifel mehr darüber bestehen, baß die Pforte an eine Verständigung mit Montenegro nicht denkt und sich auf den Wiederbeginn der Feindseligkeiten mit dem trotzigen Vasallen gefaßt macht. Der Oberkommandirende an der Donau hat den Befehl erhalten, von der bei Widdin stehenden, 70,000 Mann um fassenden Armee 20,000 Mann zur Verstärkung der Armee Derwisch Paschas abzugebe». Die gewaltigen Rüstungen, welche zu einem neuerlichen Kriege gegen Montenegro getroffen werden, berechtigen wohl zu der Annahme, daß die aufzubietenden Truppenmassen nicht die alleinige Bestimmung haben, die Helden der Schwarzen Berge zu bekämpfen. Die GLHrung in der Herzegowina nimmt die bedenklichste Wendung an, und Berichte aus Moskau bestätigen, daß die Führer der Insurgenten unter dem Vorsitze des Wojwoden der unteren Her zegowina, Ivan Mufsifs, einen Kriegsrath am 1. März abgehalten haben, in welchem der Beschluß gefaßt wurde, den Kampf bis zur Verjagung der Türken fortzusetzen. Ein Gerücht will zwar wissen, daß ein Schreiben der herzegowinischen Jnsurgentcnchefs an den Fürsten Nikita demselben rundweg erklärt, daß die Schmach, welche das siegreiche Montenegro der heiligen Sache des Befreiungskampfes durch das Eingehen in Friedensverhandlungen mit der Pforte ange- than, alle Bande zwischen Montenegro und den herzegowinischen „Freiheits-Kämpfern" gelöst habe. Man nimmt jedoch diese Drohung nicht so ernst und hält sich für überzeugt, daß, wenn heute Monte negro wieder zum Schwerte greift, was das Verhalten der herzego winischen Freiheits-Kämpfer anbelangt, das alte Verhältniß wieder eingeleitet sein wird. Der diesjährige Winter scheint in lauter Irrwege gerathen zu sein. Den bereits gemeldeten Nachrichten über ungewöhnlichen Schneefall und heftige Schneestürme fügen wir noch hinzu, daß in Gegenden von Sicilien, wo seit Menschengedenken kein Schnee gefallen war, in den letzten Tagen so große Schnecmaffen niederge- gangen sind, daß, wie zwischen Bivona und Palermo, der Eisenbahn verkehr eingestellt werden mußte. In Bari ist sogar ein Mann erfroren. Das Haus des Unfriedens. Erzählung von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Meister Jordan hatte bei Regnlirnng des Nachlasses seiner ersten Ehefrau es gründlich verstanden, seinen Sohn zu übervortheilen und die ihm auszusetzende Summe nach Möglichkeit zu schmälern. Das Haus war von ihm zu einem ganz niedrigen Kaufpreise angenommen worden, nnd der geistig etwas beschränkte Vormund hatte arglos in Alles gewilligt, da ihm Jordan beständig eingeredet, daß er schon für seinen August sorgen und derselbe ja doch einmal das ganze Ver mögen erben werde. Nachdem der kluge Fleischer die Nachlaßsache seiner ersten Frau zu seinem Vortheil geordnet, schritt er sogleich zur zweiten Ehe, und August war jetzt mit einem Erbtheil von 1200 Thlr. abgefunden.