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Auf- und Niedergang beobachtet worden, wird man immer gefunden habe», daß das Steigen und Fallen in den äußeren Verhältnissen ab hängt von der ethischen Höhe oder dem sittlichen Verfall des Volkes, mit einem Worte von seiner Religiosität oder Irreligiosität. Wenn nicht Alles täuscht, haben wir zur Zeit eine Periode des Niedergangs erreicht. Handel und Gewerbe liegen darnieder, Unzu friedenheit herrscht in allen Ständen und Classen der Bevölkerung und findet Ausdruck durch den Ausfall der Wahlen, bei denen aus der Urne die Namen der Vertreter des Mißmuths und Passimismus zahlreich hervorgegangen sind. Wohl ist es nicht zu leugnen, daß wir schwere Zeiten erleben, darum aber wäre es noch nicht nölhig, daß sich das Volk in Masse den Propheten des Umsturzes zuwende. Daß dies geschieht, hat tiefer liegende Gründe. In schweren Stunden hat unser deutsches Volk oft sich selbst wiedergefunden und sich Dem zuge wandt, der allein sein hartes Geschick wenden kann. Woher drum jetzt diese völlige Verzagtheit, diese Hingabe an Ideen, die dem Cha rakter des deutschen Volkes eigentlich ganz fremd sind? Auf diese Frage gibt die Geschichte der letzten 5 Jahre die Ant wort. Lernen wir nur, die Geschichte ordentlich studiren, Ursache und Wirkung richtig beurtheilen und wir werden keinen Augenblick im Zweifel sein, wie die bedeutsamen Zeichen der Zeit zu deuten sind. Was haben uns die letzten Jahre gebracht? Der Kulturkampf hat in seinem Gefolge ein Uebel »ach dem anderen großgezogcii, er hat die Grundbedingungen für ein gedeihliches Volksleben sortgerifsen. An den Folgen desselben kranken wir, an der Irreligiosität, nämlich, die durch Culturkämpferthum hervorgerufen ist. Und mit dieser immer geht Hand in Hand die allgemeine äußere Nothlage. So greifen die Zahnräder des Uhrwerkes in einander, das Eine wird durch das Andere getrieben. So kommt es, baß wir das socialistische Lager heute stärker besetzt sehen, denn je. Und dabei dauert der Culturkampf fort, und Die, welche besonders berufen waren, die Zeichen der Zeit zu beobachten, denken nicht daran, ihm Einhalt zu lhun. Mögen die, welche vornehmlich die Schuld an der bedenklichen Lage tragen, endlich den Abgrund erkennen, zu dem sie hindrängen; mögen aber auch Diejenigen, die die Macht haben, dem verderblichen Streben Jener Einhalt zu thun, das „Nsns tötest" beachte» und be herzigen, welches die letzten Wahlen mit Flammenschrist an die Wand geschrieben habe». Die eben vollzogene Reichslagswahl, wobei sich ein jeder vor die Frage gestellt sah: wem giebst du deine Stimme, Hal gewiß Manchen daran erinnert, wie nothwendig es ist, über unsere öffentlichen Zustände und die großen Fragen des allgemeinen Wohls sich ei» ge gründetes Vortheil zu bilden. Dazu nun will ein Blatt dienen, wel ches nicht den politischen und sonstigen Neuigkeiten gewidmet ist, son dern in allgemeinen verständlichen Artikeln die politischen, gesell schaftlichen, wirthschaftlichen und anderen Tagesfragen zur Onen- tirung für Jedermann bespricht. Es ist das konservative Flugblatt für Sachsen. Conservativ nennt es sich nicht in dem Smne, als wollte es einen gewaltsamen Zurückgang auf überwundene Zustände oder gewiße nicht mehr haltbare Privilegien das Wort reden, son dern weil es die bleibenden, für jede Zeit und jeden wahren Fort schritt gütigen Grundlagen des Volkswohls vertritt und weil es ferner nicht aus grauen Theorien heraus, die nur für eine eingebildete, aber nicht für die wirkliche Welt Passe», den Sraat gelenkt wissen will, sondern mit Rücksicht auf das im Laufe der Zeit gewordene und bewährte, mit Rücksicht aus die wahre, natürliche Art jedes Volks- und Gesellschastswesens. Wer es weiß und festhält, daß cs gewisse Güter und Gesetze gibt — es sind die der Religion und Moral —, die ohne den nachhaltigsten Schaden nie verletzt werden dürfen weder von dem einzelnen noch von einem Volksganzen, und wer überzeugt ist, daß nicht vorgefaßte Ideen, sondern die Natur und Geschichte für jedes Volk die bewährtesten Wegweister für eine gedeihliche Zukunft sind, oder wer sich über diese Fragen überhaupt nur unterrichten will, den möchten wir ausfordern, dem genannten Blatte seine Aufmerksam keit zuzuweiiden. Zu seiner weiteren Empfehlung erwähnen wir nur noch, daß das Blatt, obwohl cs »och nicht ganz 2 Jahre besteht, be reits zu den gelesensten Blättern Sachsens gehört und in etwa 6000 Exemplaren gedruckt wird. Bestellungen nehmen alle Postanstalten u. Buchhandlungen an. Die „Magd. Ztg." schreibt in einem längeren Artikel u. A.: Die Sozialdemokratie wächst in starken Progressionen. Sind die Zeiten gut, so werden die Streikes angezettelt, welche der Bewegung Vorschub leisten und die Arbeiter fester mit einander verbinden; ist die Geschäftslage aber schlecht und drückend, so ist es wiederum diese Noth, welche dazu ausgebeutet wird, die Leidenschaften der Arbeiter klasse zu entflammen. So geht die Bewegung vorwärts wie eine Herde Wanderratten, manchmal geht sie langsam, manchmal schneller, aber sic schiebt rast- und ruhelos vorwärts.' Heute wirft sie in einen, Wahlkreise nur tausend Stimmen in die Waage; daS nächste Mal schon deren zwei- und dreitausend, und ist erst irgend ein Erfolg er rungen, ist es erst einmal zu einer Stichwahl gekommen, welche der Masse zeigte, daß die Erfolg verheißenden Mahnungen der Führer doch nicht trügerisch seien, dann ereignet es sich wohl, daß die Be wegung lawinenartig anschwillt. In Berlin, welches die Fortschritts partei für ihre feste Burg gehalten hat, übte die sozialistische Partei Jahre lang ihre Kraft; wieder und wieder tastete sie hin und her, um zu sehen, wo sie ihre Klammern einschlagen sollte; schon das vorige Mal war sie nahe daran, Erfolge zu erringen. Und diesmal ist es ihr nun gelungen, der Fortschrittspartei 2 Wahlkreise zu ent reißen und in zwei anderen Kreisen gewaltige Spuren ihrer Macht zu hinterlassen. So hat sie auch in viele» anderen Städten, in wel che» sie bisher nur wenig beachtet wurde, erstaunliche Kraftäußer ungen gezeigt, welche uns wohl zu», Nachdenken veranlassen sollten! In politischen Kreisen in Berlin werden Wetten gemacht, daß der Ausbruch des Krieges zwischen Rußland und der Türkei noch in diesem Monat erfolge. Man behauptet auch, Rußland sei sehr un zufrieden mit Deutschland oder Bismarcks Politik und man spreche schon von einem sich vorbereitende» Bündniß zwischen Rußland und Frankreich. Das letztere Gerücht wird ausgcsprengt, um Deutschland zu einer russenfreundlicheren Haltung zu veranlassen. Aus Amerika liegen nunmehr die vollständige» Berichte über die Wahl eines neuen Präsidenten vor, wenn auch mit Ausnahme der genaueren Einzelangaben aus 2 Grafschaften in Alabama und Missi- sippi. Es wurden im Ganzen 8,042,727 Stimmen abgegeben, 2 Millionen mehr, als ihm Jahr 1872. Der Candidat der demokratischen Partei erhielt im Ganzen 4,290,187 Stimme», der Candidat der re publikanischen Partei erhielt deren 4,042,726. Von Seiten der „Grecnback"-Partei wurden 82,925 und von Seiten der „Tempercmce" Partei 10,138 Stimmen abgegeben. Die Demokraten haben demnach mit 247,401 Stimmen über die Republikaner, und mit noch weit größerer Majorität über alle anderen Parteien gesiegt. Die neuen deutschen Justizgesetze. (Schluß.) Die Strafprozeßordnung überweist die Verfolgung der Ver brechen und die Erhebung der Anklagen nicht wie bisher in den »reisten deutschen Ländern ausschließlich der Staatsanwaltschaft, sondern gibt jedem Einzelnen das Recht der Anklage bei Beleidigungen und leichten Körperverletzungen und gestattet dem Verletzten in allen andern Fällen bei verweigerter Erhebung der Anklage die Beschwerde an daS Oberlandsgericht, dessen Spruch der Staatsanwalt sich unterwerfen muß. Der Gerichtsstand der Ergreifung fällt weg; jeder Deutsche darf nur abgeurtheilt werden an seinem Wohnsitz oder am Orte der verübten That. Die Gründe der Verhaftung und die Fälle ihrer Zulässigkeit sind beschränkt. Der Festgenommene ist sofort dem Richter vorzuführen, welcher ihn sogleich wieder entlasten kann und entlassen muß, wenn »ich! binnen einer Woche die öffentliche Klage erhoben ist und wenn nicht außerdem der Richter die Fortdauer der Hast für gerechtfertigt hält. Nur der Richter kann die Dauer dieser Haft auf höchstens 4 Wochen verlängern. Nach erhobener Klage ist die Dauer der Verhaftung nur zulässig bei dringendem Verdacht der Flucht oder wenn Thatsachen vorlieg'eu, aus denen zu schließen ist, daß der Angeklagte die Spuren der That vernichten oder Zeugen und Mitschuldige zu falschem Zcugniß verleiten will. Vlose Ver- muthlmgen sind ausgeschlossen. Eine Reihe anderer Bestimmungen sichert den seiner Freiheit Beraubten gegen Mißbrauch und gewährt ihm überall richterliches Gehör. Dem" Untersuchungsgefang'enen ist jede Freiheit zu gestatten,, welche mit dem Zweck der Untersuchung verträglich ist. Insbesondere ist ihm eine humane und seinen Lebensgewohnhciteu angemessene Be handlung im Gefänguiß gewährleistet. Haussuchungen und Beschlagnahmen können unter sichernden Formen nur im Fall des äußersten Verzugs von den Beamten der Staatsanwaltschaft und der der Polizei vorgcnommeu werden. Alle von der letzteren vogcnommencn Beschlagnahmen sind denn Nichtev binnen 3 Tagen zur Bestätigung vorzulegen, wenn bei der Beschlag nahme der Betroffene oder ein Angehöriger nicht anwesend war, oder doch gegen die Beschlagnahme Widerspruch erhoben hat. In allen anderen Fällen kann der Betroffene jeder Zeit gerichtliche Entscheidung fordern. In Beschlag genommene Papiere muß der Staatsanwalt versiegelt dem Richler, der allein zur Durchsicht berechtigt ist, über liefern. Briefs und Telegramme dürfen nur dann in Beschlag ge nommen werden, wenn sie an den Beschuldigten selbst gerichtet sind, oder wenn bestimmte Thatsachen vorliegen, auS denen zu schließen ist, daß sie für ihn bestimmt sind oder von ihm herrühren und für den Zweck der Untersuchung von Bedeutung sind. Nicht wie bisher erst bei der Schlußverhandlung, auch schon während der Voruntersuchung kann der Beschuldigte einen Vertheidiger nehmen. Ist er ver haftet, so steht ihm dennoch der schriftliche oder mündliche Verkehr mit dem Vertheidiger frei. Nur der Richter kann anordnen, daß den Unterredungen des Verthcidigers mit dem Beschuldigten eine Ge richtsperson beiwohne, und dies auch nur dann, wenn die Verhaftung nicht lediglich wegen Fluchtverdachts gerechtfertigt ist. Um Uebcr- rumpelungen und Uebereilungen zu verhüten, ist vorgeschrieben, daß in vielen wichtigeren Fällen eine Voruntersuchung stattfinden muß. In allen anderen Fälle» kann nicht der Staatsanwalt allein, sondern auch der Beschuldigte sie verlangen, wenn er erhebliche Gründe anführen kann, daß sie für seine Vertheidigung nothwendig sei. Vor Eröffnung des Hauptverfahrens muß dem Beschuldigten eine Anklageschrift eingehändigt werden, welche ihm Kenntniß gibt von der erhobenen Anklage, der wider ihn behaupteten That und den vorgebrachten Beweismitteln. Der Beschuldigte kann auch dann noch eine Voruntersuchung fordern oder die Erhebung einzelner Ent lastungsbeweise beantragen, oder sonstige Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbringen. Auch in der Hauptver handlung kann der Angeklagte, was bisher in Preußen und anderen Ländern nicht der Fall war, die Zeugen für seine Vertheidigung selbst