Volltext Seite (XML)
Das 1. Stück des Gesetz- und Verordnungsblattes für das Königreich Sachsen vom Jahre 1877 enthält: No. 1. Bekanntmachung, das Kommissariat für den Bau der Neukirch-Bischofswerdaer und Eibau-Oberoderwitzer Staatseisenbahnen betreffend; vom 9. Dezember 1876. No. 2. Gesetz, die weitere Ausführung des Reichsgesetzes wegen Gewährung von Beihilfen an Angehörige der Reserve und Landwehr vom 22. Juni 1871 betreffend; vom 18. Dezember 1876. No. 3. Bekanntmachung, die Bewilligung einer in den Statuten des Credit- und Vorschnßvereins zu Lommatzsch enthaltenen Ausnahme von bestehenden Gesetzen betreffend; vom 23. Dezember 1876. No. 4. Bekanntmachung, die Bewilligung einer in dem Regulative der Sparkasse zu Oppach enthaltenen Ausnahme von bestehenden Gesetzen betreffend; vom 28. Dezember 1876. No. 5. Bekanntmachung, die Aufhebung der amtshauptmannschaftlichen Delegation zu Crimmitschau betreffend; vom 30. Dez. 1876. No. 6. Verordnung, die Strafloserklärung früherer Stempelsteuerhinterziehungen betreffend; vom 5. Januar 1877. No. 7. Verordnung, die vorzunehmende Ermittelung des Ernteertrags für das Jahr 1876 betreffend; vom 5. Januar 1877. No. 8. Verordnung, die Expropriation von Grundeigenthum für den Bau der neuen Elbbrücke bei Riesa betr.; vom 10. Jan. 1877. No. 9. Bekanntmachung, die Verleihung des Rechts der Reife-Prüfung an die Realschule in Freiberg betreffend; v^m 11. Jan. 1877. Gedachtes Stück des Gesetz- und Verordnungsblattes liegt in hiesiger Raths-Expedition zur Einsicht aus. Wilsdruff, am 27. Januar 1877. Der S t a d t g e m e i n d e r a t h. Ficker. Tagesgeschichte. Auf die Frage: was sollen unsere Töchter lernen? ant wortet ein Bürgersmann in den „Chemnitzer Nachrichten": „Gebt ihnen eine ordentliche Schulbildung. Lehrt sie ein nahrhaftes Essen kochen. Lehrt sie waschen, bügeln, Strümpfe stopfen, Knöpfe annähen, ihre eigenen Kleider machen und ein ordentliches Hemd. Lehrt sie Brod backen und daß eine gute Küche viel an der Apotheke spart. Lehrt ihnen, daß eine Mark hundert Pfennig Werth ist und daß nur Der jenige spart, der weniger ausgiebt als er cinnimmt und daß Alle, die mehr ausgeben, verarmen müßen. Lehrt ihnen, daß ein bezahltes Kattunkleid besser kleidet, als ein seidenes, wenn man Schulden hat. Lehrt ihnen, daß ein rundes, volles Gesicht mehr Werth ist, als fünfzig schwindsüchtige Schönheiten. Lehrt sie gute starke Schuhe tragen. Lehrt sie Einkäufe machen und nachrechnen, ob die Rechnung auch stimmt. Lehrt ihnen, daß sie Gottes Ebenbild mit starkem Schnüren blos verderben können. Lehrt ihnen einfachen, gesunden Menschen verstand, Selbstvertrauen, Selbsthülfe und Arbeitsamkeit. Lehrt ihnen, daß ein rechtschaffener Handwerker in Hemdsärmeln und der Schürze, selbst ohne einen Pfennig Vermögen, mehr werth ist, als ein Dutzend reichgekleideter und vornehmer Tagediebe. Lehrt ihnen Gartenarbeit und die Freuden der freien Natur. Lehrt ihnen, wenn Ihr Geld dazu habt, auch Musik, Malerei und alle Künste, bedenkt aber immer, daß es Nebensachen sind. Lehrt ihnen, daß Spaziergänge besser sind, als Spazierfahrten und daß die wilden Blumen gar schön sind für den, der sie aufmerksam betrachtet. Lehrt sie allen bloßen Schein verachten und daß, wenn man Nein oder Ja sagt, man es auch wirklich so meinen soll. Lehrt ihnen, daß das Glück in der Ehe Weder von dem äußern Anstand noch von dem Gelde des Mannes abhängt, sondern allein von seinem Charakter. Habt Ihr ihnen das beigebracht und sie haben's verstanden, dann laßt sie, wenn die Zeit gekommen ist, getrost heirathen: sie werden ihren Weg dann schon allein finden." Dresden, 28. Januar. Die Stichwahl im Reichstagswahl kreise Dresden links der Elbe, welche Freitag stattfand, hat unserer Haupt- und Residenzstadt zu der sehr zweifelhaften Ehre verholfen, im Reichstage durch einen Socialdemokraten vertreten zu sein. Für Bebel wurden 10,836 Stimmen abgegeben, Mahhoff erhielt trotz der fieberhaftesten Anstrengung seiner Partei nur 9920. Es sind danach gültige Stimmen abgegeben 20,756, während bei der Wahl am 10. Januar nur 17,347 abgegeben wurden. Bei jener ersten Wahl erhielt Bebel 6940, es sind also diesmal fast 4000 Stimmen mehr auf ihn gefallen. Für Mahhoff stimmten am 10. Januar 4375 Wähler. Waldheim, 26. Januar. Bei der heute im 10. Wahlkreise stattgefundenen Stichwahl zwischen Niethammer und Walther erhielt in Waldheim, Döbeln, Leisnig, Roßwein, Hartha und Nossen Niet hammer 2914 und Walther 2369 Stimmen. Wenngleich demnach der nationalliberale Candidat in den Städten des Wahlbezirks die entschiedene Majorität hat, so ist doch die Annahme berechtigt, daß die Landbevölkerung dem konservativen Kandidaten Walther den schließlichen Sieg bereiten wird. Den Männern am Webstuhle der Zeit läuft manche Spule leer, seitdem die Türken die Konferenz aus Constantinopel hinaus be- complimentirt haben, — was sind aber ihre Sorgen und Nöthen den armen Webern im Voigtlande gegenüber, denen ihre Webstühle leer stehen seit Wochen, weil es keine Arbeit gibt und denen das tägliche Brod fehlt. Es sind ihrer viele Hunderte und zwei Commissare, welche die bayerische Regierung entsandt hat, haben alle Noth, um Abhülfe zu ermitteln. In einem Briefe eines Großindustriellen von Roubaix, dessen Original dem „L. T." von befreundeter Seite zur Verfügung gestellt worden ist, heißt es in wörtlicher Uebersetzung wie folgt: „Wir sprechen durchaus nicht schlecht von der Kleiderstoffindustrie der Sachsen, welche sehr vorangeschritten ist. Sie färben in vielen Genres besser als wir, und es ist ein Glück für Roubaix, daß dieser Ort so nahe § und Sachsen so weit von Paris gelegen ist, denn wenn Sachsen gleich . nns tagtäglich in Paris neue Ideen schöpfen könnte, so würden wir es schwer haben, mit dieser Industrie zu concurriren." Diese Aner kennung eines Franzosen registriren wir mit großem Vergnügen, da sie die wiederholten Wiederlegungen der Neuleaux'schen Berichte auf's Neue bekräftigt. Wer die Sozialdemokraten nicht nur vom Hörensagen, oder nicht nur aus ihrer Literatur kennt, sondern mit ihnen in ihren öffentlichen Versammlungen öfter in unmittelbare Berührung gekommen ist, der wird auch erfahren haben, daß es mit einer klaren sozialistische» Er- kenntniß bei dem größten Theil der Parteimitglieder äußerst schlecht bestellt ist. Die Wortführer ernten zwar reichlichen Beifall nnd laute Zustimmung; aber die zahlreichen und vorher gut cinexerzirtcn „Bravos" gelten nicht der positiven Seite, — denn nur selten und daun auch nur höchst oberflächlich läßt der Agitator sich aus eine Erörterung der selben ein, nur selten und mit der äußersten Vorsicht wird der Schleier etwas gelüftet, die Menge wird in den Vorhöfen festgehalten und bekommt das „Allerheiligsie" des Sozialismus nicht zu schauen — sondern sie strömen der negativen, der verneinenden Seite des So zialismus zu, sie werden durch die Kritik der sozialen Zustände und Nothstände, worin der „Agitator" seine Force hat, den Lippen ent rissen, sie ertönen am lautesten, wenn recht tapfer raisonnirt worden ist, wenn die Kritik dem Faß den Boden eingeschlagen hat. Sehr oft vernimmt man Aeußerungen einzelner Parteigenossen, welche eine totale Unkenntniß der wahren sozialistischen Ziele verrathen, und Zeugniß davon ablegen, in was für gutmüthigen und kindlich naiven Vorstellungen über den Sozialismus viele seiner Anhänger noch be fangen sind. Der Eine verwahrt sich alles Ernstes gegen die kom munistische Tendenz der Sozialdemokratie; der Andere hält seinen christlichen Glauben durch die Sozialdemokratie keineswegs für ge fährdet, und lebt noch in dem Wahn, als Christ auch ein Sozialist sein zu können. Diese Beispiele beweisen, wie wenig die einzelnen Parteigenossen sich über das Ziel, dem ihre Parte sie entgegenführl, klare Rechenschaft zu geben vermögen; würden Alle von ihrem Denk vermögen den richtigen Gebrauch machen, dann müßten die Reihen der Sozialdemokraten sich sehr lichten. Der deutsche Bundesrath in Berlin hat in seiner Sitzung vom 25. Januar die Diäten für Reichstagsabgcordnete wiederum abgelehnt. Nach einem Telegramm der Cöln. Ztg. aus Pera vom 25. Jan. hat Midhat Pascha an die Fürsten von Serbien und Montenegro unter dem 24. d. ein offizielles Telegramm gerichtet, das, ans dem französischen Urtext übersetzt, also lautet: „Ew. Hoheit werden sich erinnern, daß auf Ihr Gesuch die Mächte ihre guten Dienste bei der hohen Pforte verwendet haben, nm einen Waffenstillstand herbeizu- sühren und daß die kaiserliche Regierung, stets beseelt von den gleichen Gesinnungen der Mäßigung und Versöhnlichkeit, nicht gezögert hat, einen Waffenstillstand zu gewähren, der seitdem zweimal erneuert worden ist in der Hoffnung, solcher Gestalt die Schließung des Friedens zu erleichtern und unnützes Blutvergießen zu vermeiden.' Der Augen blick ist nicht fern, wo die Feindseligkeiten nach Ablauf des letzten Waffenstillstandes zum großen Schaden der davon betroffenen Land striche wieder ausgenommen werden würden. Ich frage mich, ob nicht von der einen oder anderen Seite ein ernster und aufrichtiger Ver such gemacht werden müßte, um einem solch beklagenswcrthen Er eignisse vorzubeugcn. In dieser Ansicht, die gleich sehr von der Ver nunft, wie von der Menschlichkeit eingegeben wird und außerdem überzeugt davon, daß Ew. Hoheit in demselben Grade von der Liebe zum Frieden und von dem Wunsche beseelt sind, diesem bedauerlichen und unheilvollen Kampfe ein Ziel zu setzen, wende ich mich offen an Ew. Hoheit, um Sie persönlich zu einer Verständigung mit der kaiser lichen Negierung vermittelst direkter Verständigung einzuladen." — Weiter wird der Cöln. Ztg. gemeldet, ein Beamter der türkischen Regierung sei am 25. d. M. mit besonderen Vollmachten nach Serbien gereist, die dahin gingen, die serbische Regierung zur Verständigung mit dem souveränen Hofe behufs Wiederherstellung des Friedens zu bewegen. Co nstantinpel, 27. Jan. Die Kriegsvorbereitungen und Trup penbewegungen nehmen unaufhörlich ihren Fortgang. Da die tür kischen Dampfer dazu nicht mehr ausreichten, wurden drei österreichische Lloyddampser zu diesem Zwecke gemiethet. Die finanzielle Lage des Reiches ist genau wie die Rußlands, trostloser, denn je. Die Gründe sind bekannt. Die ununterbrochen im großen Maßstabe fortdauernden Kriegsvorbereitungen haben der finanziellen Situation den Gnadenstoß